Angemessenes Verhalten und Moral beim Hund - gibt es das, und was ist das?

  • Sobald ein Individuum aber Mitglied einer Gruppe, eines sozialen Gefüges, und im größeren Umfang Bestandteil einer Gesellschaft ist, wird von diesen sozialen Gefügen eine gemeinsame Messlatte gebildet.

    Das ist ein wichtiger Punkt, der mindestens zwei unterschiedliche Formen von "angemessen" definiert. Nämlich das was innerhalb einer Gruppe angemessen ist und das was gegenüber gruppenfremden Individuen und anderen Gruppen gegenüber angemessen ist. In beiden Fällen ist ein entscheidendes Kriterium: nützt es der eigenen Gruppe oder schadet es der eigenen Gruppe? Deshalb kann etwas, das innerhalb der eigenen Gruppe angemessen ist, im Umgang mit gruppenfremden völlig unangemessen sein. Und andersrum.


    Das ist jetzt natürlich nur eine von gefühlt tausenden Überlegungen, die zur Antwort der Frage nach "Angemessenheit" beitragen, aber es scheint eine zu sein, die wir gern ignorieren, wie die Frage nach dem Umgang mit den eigenen Welpen genauso zeigt wie das Erstaunen darüber, dass ein Hund völlig "angemessen" mit bekannten Kleinhunden spielt und dann doch in einem Konflikt mit einem fremden Zwerg so gar nicht "angemessen" reagiert.

  • Das ist jetzt natürlich nur eine von gefühlt tausenden Überlegungen, die zur Antwort der Frage nach "Angemessenheit" beitragen, aber es scheint eine zu sein, die wir gern ignorieren, wie die Frage nach dem Umgang mit den eigenen Welpen genauso zeigt wie das Erstaunen darüber, dass ein Hund völlig "angemessen" mit bekannten Kleinhunden spielt und dann doch in einem Konflikt mit einem fremden Zwerg so gar nicht "angemessen" reagiert.

    Du schreibst hier allerdings selber, dass ein anderes Verhalten gruppenfremden Kleinhunden gegenüber nicht angemessen ist.


    Eben weil der Hund im Kontakt mit bekannten Kleinhunden gelernt hat, wie er sich ihnen gegenüber angemessen verhält (z. B. auf die eigene Körperkontrolle zu achten in der Interaktion, eine hohe Beißhemmung zu zeigen, oder aber auch das Wissen, dass eine Bedrohung durch einen Kleinhund für ihn selber keine Bedrohung darstellt, und er es deshalb gleichmütig ignorieren und einfach standhalten oder auch weggehen kann, ...etc.)


    Warum er diese unangemessene Reaktion unbekannten Kleinhunden (oder auch allen ihm fremden Hunden) gegenüber zeigt, ist eine andere Frage.

    Es ist und bleibt aber eine unangemessene Reaktion.


    In deinem erwähnten Beispiel würde ich sagen: Der Hund hat dieses angemessene Verhalten im Umgang mit bekannten Kleinhunden einfach nicht generalisiert. Die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein, sind aber spekulativ, und führen zu weit.


    Für den Halter eines solchen Hundes bedeutet dies aber, im Führen seines Hundes darauf zu achten, dass es erst ein Kennenlernen geben muss, um einen unbekannten Kleinhund zu einem bekannten werden zu lassen.

    Oder er sichert seinen Hund dort, wo er auf unbekannte Kleinhunde treffen könnte, eben entsprechend.

  • Es ist und bleibt aber eine unangemessene Reaktion.

    Wer oder was definiert denn in Deinen Augen, was angemessen, und was unangemessen ist?


    Das fällt mir in dieser Diskussion noch ein bisschen schwer, das einzusortieren. Ich beobachte ein Verhalten, und dieses Verhalten wird bewertet und in die Kategorien "angemessen" und "unangemessen" einsortiert. Ist das soweit richtig? Nun hängt soviel vom Kontext ab, dass ich das für eine nahezu unlösbare Aufgabe halte. Ist es angemessen, dass mein Hund, sobald er einen anderen Hund sieht, den anderen Hund verbellt, obwohl der desinteressiert vorbeiläuft? Ja, wenn mein Hund ein HSH ist, auf der Weide bei seiner Herde steht und in dieser Situation einen fremden Hund beobachtet, dann schon. Ist es angemessen, wenn mein Hund einfriert, weil in 50m Entfernung ein Hund vorbeiläuft, ohne uns eines Blickes zu würdigen? Ja, aus Sicht meines Hundes, der beim Vorbesitzer die Erfahrung gemacht hat, dass allein das Auftauchen von anderen Hunden Leinenrucks nach sich zieht, ist es angemessen, in Konfliktverhalten zu verfallen. Das sind alles erfundene Beispiele, aber verstehst Du, was ich meine? Nur weil ich ein Verhalten als "objektiv" unangemessen einstufen würde, ist es das für das Individuum Hund noch lange nicht. Ist es dann also angemessenes, oder unangemessenes Verhalten?

  • Jetzt sind wir in dieser Diskussion bei den ganz vielen Ausnahmen und Variationen hinsichtlich der Frage nach Angemessenheit im Verhalten.


    Meine Ausgangsfrage im Threadtitel war: Gibt es das beim Hund?


    Meine These: Ja die gibt es, unbedingt.


    Es gibt eine intrinsische Motivation bei Haushunden, die genetisch veranlagt ist, als Erbe von ihren Urahnen, den Wölfen.


    Welpen lernen im Spiel mit ihren Geschwistern, und auch anderen zu ihrer Familie gehörenden Mitgliedern, was Angemessenheit im Umgang mit einem Artgenossen ist, und was nicht angemessen ist.


    Dazu zählt das Erlernen der Beißhemmung, aber auch das canidentypische, sehr breite Drohverhaltensspektrum hat seine Begründung im Vermeiden von beschädigenden Auseinandersetzungen.

    Welpen entwickeln in der spielerischen Interaktion ein Gefühl für Angemessenheit im Verhalten - und das ist der Punkt: Angemessenheit ist immer mit Gefühlen verbunden, es gibt kein Verhalten ohne Gefühle (Ausnahme: Beutefangsequenzen - aber das ist ein anderes Thema).


    Gerade beim Drohverhalten gibt es eine Verhaltensreaktion, die genetisch veranlagt ist:

    Grundsätzlich bewirkt eine erfolgreiche Drohung den Abbruch einer Auseinandersetzung.

    Eine erfolgreiche Drohung bewirkt eine Verhaltensänderung beim Bedrohten, die ein Fortsetzen des Konfliktes unnötig macht.


    Das ist aus meiner Sicht eine natürliche Grenze für Angemessenheit im Verhalten:

    Es ist angemessen, einen Konflikt als beendet zu empfinden, und ihn auch zu beenden ohne weitere Eskalation, wenn der Bedrohte eine Verhaltensänderung zeigt, die das Fortführen des Konfliktes unnötig macht.


    Ein einfaches Beispiel: Zwei Hunde setzen sich körperlich auseinander, im Verlauf unterwirft sich einer der beiden aktiv, indem er sich auf den Rücken wirft, oder geworfen wird und sich ergibt (weshalb dies oftmals begleitet wird von hohen, fiependen Lauten, während der andere Hund über ihm steht).


    Diese aktive Unterwerfung beendet eine Dominanzklärung; Der Unterwürfige bestätigt sein Gegenüber in seiner Überlegenheit.

    Es bedarf keiner Fortsetzung, der Unterwürfige wird z. B. nicht durch Bisse kampfunfähig gemacht, sondern der dermaßen als überlegen erklärte Sieger untermauert evtl. noch mal durch Knurren seiner "Siegerposition", lässt aber dann vom Unterwürfigen ab, und lässt ihn ziehen.


    Diese - oft als "ritualisierte Drohverhaltensgesten" bezeichneten Verhaltensweisen sind bei allen Haushunden zu sehen - und sie scheinen einen natürlichen Verhaltenskodex vorzugeben, der eine natürliche Messlatte darstellt was angemessen ist, und was nicht.


    Das wird bestätigt durch den Fakt, dass sich bei den 10-(statistisch erfasst) bis 14 (geschätzte Dunkelziffer) Millionen Haushunden allein in Deutschland der weitaus überwiegende Teil ein Verhalten zeigt, welches im Allgemeinen als "beschädigungsvermeidend", im Besonderen gerade im Umgang mit aggressiv auftretenden Kleinhunden gegenüber Großhunden als absolut deeskalierend bezeichnet werden kann.

  • ok Mal andersherum - wieso es ist sehr wohl angemessen wenn ein Hund einen wildfremden Hund ohne vorherige Interaktion angeht, sogar zupackt? Aber dann plötzlich nicht mehr angemessen wenn der angegange Hund diesen verletzt?


    Ich tue mir mit der Wertung von angemessen auch schwer und persönlich unterscheide ich zwischen Gruppenintern und Gruppenextern.

    Ist doch bei uns Menschen genauso. Habe ich einen Konflikt mit einem Freund, der meinetwegen auch lauter wird ist die Reaktion ne andere als wenn ich auf der Straße gehe, ein mir völlig unbekannter mich schubst und "dumme Kuh" sagt.

    Im ersten Fall kläre ich das doch anders als im zweiten.

  • Wer oder was definiert denn in Deinen Augen, was angemessen, und was unangemessen ist?

    Genau das ist doch das Problem, um das es - zumindest mir - geht, weil es im Austausch (nicht nur hier) unter Menschen nahezu unmöglich ist, über "Angemessenheit im hündischen Verhalten" zu sprechen, ohne genau zu differenzieren, was ist den "angemessenes hündisches Verhalten" - und gibt es das überhaupt.


    Sowohl im realen als auch virtuellen Leben wird doch "angemessenes Verhalten" immer sofort autmatisiert als "menschliche Vorgaben" - was mMn eben genau dazu führt, dass Menschen in Unkenntnis und/oder Nichtberücksichtigung canidentypischer Verhaltensweisen eine vom Menschen gemachte Anspruchshaltung an Hunde im öffentlichen Leben haben, die völlig überzogen und fern jeglicher Berücksichtigung des Faktes ist ... dass Hunde immer noch Hunde sind, und damit weder Engel, noch "die besseren Menschen".


    Wobei ich mir bei Letzterem nicht sicher bin, ob das nicht doch tatsächlich zutrifft :denker:

  • Angemessene oder unangemessene Reaktionen:


    Was hier fehlt ist der Faktor "Kommunikative Fähigkeiten"!


    Nicht jeder Hund hat das von Natur aus einfach so drauf.


    Es gibt wahre Antitalente, mit denen man Kommunikation aufwändig üben muss in gut moderierten Hundebegegnungen.

    Und solche Hunde sind gar nicht so selten.

    Ob die Aufzucht, der weitere Umgang, die Übungsmöglichkeite etc die Gründe sind - ich weiss es nicht.



    Auch die Rasse beeinflusst die Kommunikationsfähigkeit (jetzt mal losgelöst von körperlichen Merkmalen)

  • Ich finde das teilweise einfach zu menschlich gedacht. Einmal gehe ich persönlich als erstes davon aus, dass sich Hunde nicht zwangsweise gegenseitig beschädigen wollen, sondern sich entweder lieber aus dem Weg gehen wollen oder deeskalieren. Zum Anderen ist der menschlichen Faktor bei Hundebegegnungen einfach auch oft ausschlaggebend. Viele Hunde nehmen extrem gut die Stimmung ihrer Halter wahr und spiegeln das dann, was sich i diversen Umgangsformen äußert. Meiner fast 30jährigen Hundehaltungserfahrung nach haben die entspanntesten Halter oft die umgänglichsten Hunde. Ob es da tatsächlich einen kausalen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht, sind nur individuelle Beibachtungen. Aber ich weiß, je instabiler mein emotionaler Zustand ist, desto labiler ist auch die Gemütsruhe meiner Hunde. Und wie schon weiter oben geschrieben, kommen auch noch viele anderen Faktoren dazu. Von Moral würde ich nicht reden, eher von einem gesunden Umgang mit Artgenossen, der aber auch nur gesund sein kann, wenn alles andere stimmt. Wo halt z.b. viele Hunde aufeinander hocken, wie in den Großstädten, wird das Nervenkostüm schon mal dünn und Hund reagiert dann unangemessen, bzw. Sehe ich vieles auch als Unfälle und unglückliche Umstände, nicht zuletzt durch falsches Handeln der HH.

  • Genau das ist doch das Problem, um das es - zumindest mir - geht, weil es im Austausch (nicht nur hier) unter Menschen nahezu unmöglich ist, über "Angemessenheit im hündischen Verhalten" zu sprechen, ohne genau zu differenzieren, was ist den "angemessenes hündisches Verhalten" - und gibt es das überhaupt.


    Sowohl im realen als auch virtuellen Leben wird doch "angemessenes Verhalten" immer sofort autmatisiert als "menschliche Vorgaben" (...)

    Ah, jetzt versteh ich Deinen Hintergrund ein bisschen besser, glaub ich. Danke.


    Ich denke nicht, dass man das Wort "angemessen" so verallgemeinern kann, dass man ohne weitere Definition und Differenzierung und ohne Kontext eine gemeinsame, sprachliche Basis findet. Ich nehme mal Dein Beispiel:

    Das ist aus meiner Sicht eine natürliche Grenze für Angemessenheit im Verhalten:

    Es ist angemessen, einen Konflikt als beendet zu empfinden, und ihn auch zu beenden ohne weitere Eskalation, wenn der Bedrohte eine Verhaltensänderung zeigt, die das Fortführen des Konfliktes unnötig macht.

    Wenn die Zielsetzung ist, möglichst wenig körperlichen Schaden zuzufügen, dann ist das Verhalten angemessen. Wenn die Zielsetzung ist, sich seines Kontrahenten zu entledigen, dann ist das Verhalten nicht angemessen, weil es nicht zum erwünschten Ziel führt.


    In diesem (mitunter verstörenden) link gibt es einige Beispiele, bei denen man sich fragen kann, ob das Verhalten nun "angemessen" war oder nicht - woran misst man sowas?

    Antagonismus in der Natur: Innerartliche Kämpfe — Animal Ethics
    Antagonistische Beziehungen bestehen nicht nur zwischen Tieren unterschiedlicher Arten, sondern auch innerhalb einer Art
    www.animal-ethics.org

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