In der Hundehaltung wie überall gibt es Trends, und ich bin echt froh, dass das "ich Chef, du nix!" gegenüber Hunden allmählich offenbar zunehmend in die Tonne wandert. Aber allmählich frage ich mich, ob der aktuelle Trend da nicht ein wenig das Kind mit dem Bade ausschüttet.
Gerade heute wieder, einfach nur eine Runde durch den Stadtteil gelaufen. Von all den Hundebegegnungen war eine einzige dabei, bei der ich das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht kriege: Mittelgroßer Hund, freilaufend, als wir näher kamen freundlich rangerufen, mit Handtarget an uns vorbeigeführt, großes Lob, freigegeben. Herrlich, vorbildlich, so was gibt es echt! Der ganze Rest allerdings, und das waren nicht wenige, alle das gleiche Bild: Hund sagt, wie das zu laufen hat, und Halter steht entspannt bis hilflos dabei und lässt die Dinge geschehen. Ich weiß nicht, was ich beachtlicher finden soll: Wie sehr mich das anfangs immer irritiert hat - oder dass es mich mittlerweile rein gar nicht mehr überrascht, sondern ich dieses Bild schon regelrecht erwarte?
Da sieht ein Hund uns kommen, legt sich (meist mitten auf dem Gehweg, klar) fixierend ab. HH bleibt daneben stehen und wartet geduldig ab, dass wir die Situation doch nun bitte lösen mögen. Was wir in der Regel auch tun, denn andernfalls könnten wir dort Wurzeln schlagen. (Hab ich ungewollt schon probiert, zum Beispiel einmal zwischen parkenden Autos in der prallen Sonne stehend, während sich der Weimaraner auf dem Gehweg im Schatten platt gelegt hatte. Irgendwann hab ich dann halt eine Lücke im Verkehr abgewartet und bin ein ganzes Stück auf der Straße weiter, bevor wir gut durchgegart waren.) Umgekehrt sieht es aus, wenn Hund irgendwo hin will: Dann laufen viele dieser Halter nämlich brav hinterher. Weshalb man auch gut darauf achten sollte, an plattliegenden Hunden mit ausreichend großem Abstand vorbeizulaufen. Die stehen dann nämlich gerne auf, wenn man näher kommt, und HH lässt wahlweise die Leine lang oder läuft hinterher...
Richtig die Kinnlade runtergefallen ist mir dann eben beim Lesen hier im Forum, als eine Userin von einem Erlebnis berichtet hat, bei dem ein fremder Hund in ihr Spiel mit ihrem Hund reingesemmelt ist, sich das Spielzeug geschnappt, und weil die HH des anderen Hundes diesem das Spielzeug nicht mehr abnehmen konnte, sind dann beide mitsamt Spielzeug abgezogen. Das treibt das ebenfalls sehr oft zu hörende "ich kann dem das jetzt nicht abnehmen" noch mal auf ein neues Level. Und nun frage ich mich: Ist das das neue Normal?!?
Was ist denn da eigentlich los? Es ist ja toll, dass offenbar viele HH einen gewaltfreien Umgang mit ihrem Hund pflegen wollen. Allerdings habe ich zunehmend den Eindruck, dass zum einen der Begriff gewaltfrei immer enger gefasst wird (da ist ein Nein schon traumatisierend, und Zug auf die Leine darf nur der Hund bringen), und zum anderen sehr viele keine Idee haben, wie sie nun statt dessen vorgehen sollen. Mit dem Ergebnis, dass ich viele HH eben nicht mehr als agierenden, sondern nur noch reagierenden Teil des Gespanns erlebe.
Ist das nur hier in der Gegend so, oder erlebt ihr eine ähnliche Entwicklung? Und falls ja, wie erklärt ihr euch das?