Intuition oder Wissenschaft in der Hundeerziehung?

  • Und hier ist auch das DF etwas tricky, weil man natürlich immer liest, was "richtig" ist und wie man den Hund erziehen und trainieren soll und man bekommt das Gefühl, alle haben perfekte Hunde, nur man selbst nicht.

    Vielleicht hilft es, wenn man sich klar macht, dass es nicht DIE Hundeerziehung gibt, dass die Lerntheorie eine Theorie ist, dass Wissenschaft Wissen schafft und Praxis Erfahrung.

    Hundeerziehung muss so individuell auf Halter und Hund passen, dass man nur bei wenigen Sachen wirklich sagen kann "das ist ganz falsch".

    Was für den einen passt, passt für den Anderen noch lange nicht.

    Deshalb: sich frei machen davon, alles was man liest, sieht, hört wie eine Schablone auf alles legen wollen, sich selbst, andere Hunde-Halter-Teams.


    Ich glaube, dass zu Wissen, Erfahrung, Bauchgefühl - noch ein wichtiger Faktor dazu gehört: bei sich bleiben.

  • Ich denke die Balance muss passen. Es schadet nie sich Wissen anzueignen aber man sollte auf seine Intuition (und sein Bauchgefühl) hören um zu erkennen ob das angeeignete Wissen auf den eigenen Hund passt.


    Ich lebe noch mit meinem ersten Hund zusammen (Balou, mittlerweile 11 Jahre alt). Ich war vor Balous Einzug nie mit einem Hund Gassi und habe nicht mit einem Hund zusammengelebt, hatte nichts über Hunde gelesen und mich noch nichtmal ausführlich über Rassen informiert. Einiges habe ich sicherlich falsch gemacht. Angefangen damit wo ich Balou gekauft habe: Bauernhofwelpe bei dem ich weder Mutter noch Geschwister gesehen habe und ich habe ihm öfters zuviel zugemutet, so dass er (wie ich heute weiß) Stressanzeichen gezeigt hat. Ich hatte mit Balou eine Zeit in der ich zuviel gelesen habe und unbedingt eine Erklärung für sein Verhalten finden wollte. Mittlerweile habe ich mein Gefühl für meine Hunde gefunden und kann Balou so nehmen wie er ist. Er ist ein toller Begleiter und in Situationen in denen ich mit Erziehung nicht weiterkomme manage ich.


    Balou ist kein einfacher Hund aber ich habe durch ihn viel über Hundeverhalten gelernt und ich bin froh, dass er kein einfacher Mitläufer ist. Denn wenn hier zuerst Mogli oder Hermann eingezogen wären dann hätte ich mir vielleicht nicht die Mühe gemacht mir Hundewissen anzueignen weil ich es für die beiden nicht gebraucht hätte.

  • Gefühlt hatte ich bei den ersten beiden viel mehr wissen, habe viellerntheoretischer gearbeitet und mich viel mehr reingetigert.

    Inzwischen kommt es mir nur mehr auf ein harmonisches Miteinander an, die whippets können vieles nicht was die großen konnten, dafür verlassen sich die Zwerge im Ernstfall einfach auf mich.

    Alle vier sind/waren absolut alltagstauglich, der Alltag hat sich aber stark gewandelt.

    Die großen sind noch städtisch aufgewachsen, waren immer mit bei der Arbeit, fuhren regelmäßig öffis, etc.

    Die whippets machen das auch alles mit aber es behagt ihnen nichtig dem Ausmaß. Die sind durch und durch landeier.

    Ich würde also nicht sagen dass ich kein Wissen mehr habe, ich habe es nur oft so intus das es nicht mehr relevant ist

  • Ich glaube, dass zu Wissen, Erfahrung, Bauchgefühl - noch ein wichtiger Faktor dazu gehört: bei sich bleiben.

    Ich glaube dass ist ein sehr entscheidender Punkt. Wenn nicht der entscheidende. Es bringt nix nach Guru xy zu trainieren wenn diese Art des Trainings nicht zu einem passt. Man ist nicht authentisch.


    Hunde, Pferde.. sie verzeihen Fehler. Man darf welche machen- völlig menschlich. Man wird sie erkennen und dann korrigieren. Ich glaube deswegen haben die ersten Hunde immer so gut funktioniert. :D Versuch und Irrtum ist eine gute Lernmethode. Wenn der Hund zb vom Stadtspaziergang zu gestresst war und deswegen den 10. Spaziergänger angepöbelt hat, hat man überlegt, beobachtet und beim nächsten Mal eben vorher agiert.


    Und dann eben wirklich, dass früher vieles lockerer genommen wurde. Ein Hund durfte auch mal bellen. Wenn wir als Kinder trotz Warnung einfach Hund angetatscht haben und der seine Meinung gesagt hat, dann brauchten wir nicht heulen. Gab die nächste deftige Meinungsäusserung. :hust:

  • Ich formuliere es mal so:

    Jeder weiß, wie ein Baum aussieht.

    (Jeder weiß, wie ein Hund aussieht).


    Jeder hat ein individuelles Bild im Kopf, wie ein gemalter Baum aussieht.

    (Jeder hat ein individuelles Bild im Kopf, wie ein erzogener Hund sich verhält.)


    Kann jetzt jeder jeden Baum malen?

    Jein. Manche kriegen den Tannenbaum eines 6Jährigen aufs Papier gemalt, bei manchen reicht das Talent für einen Flieder.

    Manchen reichen Tannenbaum und Flieder, manche möchten mehr können. Kommt immer auf den eigenen Anspruch drauf an. Und allein da unterscheiden sich schon die Menschen.

    Dann geht's los, lerne ich besser durch Praxis, lerne ich besser die einzelnen Techniken in der Theorie & kann ich was mit dem erworbenen Technikwissen schon was anfangen oder hemmt es mich vielleicht nicht sogar, weil ich nicht mehr einfach so Bäume malen kann, sondern mich immer frage, ob es so richtig ist....


    Kann jetzt jeder jeden Hund erziehen?

    Jein, manchmal reicht für Hund und das Umfeld, das, was man kann, manchmal kann man auch mit Talent nen paar komplexere Themen schaffen.

    Dann treffen Anspruch auf ein Lebewesen, mal mehr mal weniger schwierig, das Umfeld, in dem man lebt, kann zum Teil der Aufgabenstellung werden. Was und wie für Mensch&Hund passt, ist so individuell, wie das Malen eines Baumes.

  • Ergänzend ist meiner Meinung nach eine gewisse „zwischenartliche“ soziale Kompetenz zwischen Mensch und Tier nicht zu vernachlässigen.


    Diese soziale Kompetenz würde ich von Intuition und Wissen nochmal abgrenzen. Es gibt einfach Menschen (in meinem Freundeskreis z.B.) denen es an grundsätzlichem Verständnis für das Tier mangelt. Nicht aus Desinteresse oder bösem Willem, aber die verhalten sich einfach so schräg und unverständlich und merken überhaupt nicht, dass sie völlig diffus agieren. Quietschige aufgedrehte Frauen. Laute, große Männer, die ihre Gliedmaßen nicht unter Kontrolle haben und sich abrupt bewegen. Sowas.


    Das lässt sich auch nicht mit umfangreichem Wissen über Timing oder Lerntheorie kurieren. Und ich will gar nicht wissen, was da bei dem Hören auf das Bauchgefühl raus käme...


    Zum Glück sind unsere Hunde so anpassungsfähig. Ich merke das im Freundeskreis, dass sich mein Hund auf zwei solcher Kandidaten doch irgendwie einstellt und sie nach mehreren Treffen ein wenig besser lesen kann. Die Fragezeichen auf der Stirn und das Kopfschütteln über die merkwürdigen Primaten sieht man ihm aber dennoch an...

  • Wenn ich so beim Autofahren aus dem Fenster gucke und sehe, wie viele Leute da mit ihren brav an der Leine zockelnden Kälbchen durch die Innenstadt gehen, überall Hunde, überall Reize, alles total hektisch und die würdigen diese Meisterleistung gar nicht


    Man darf aber auch nicht vergessen dass dieses nur Momentaufnahmen sind


    Mir geht es ähnlich, ich fahre irgendwo mit dem Auto lang und denke warum kann eigentlich jeeeeder Hund so perfekt an der Leine laufen nur mein eigener nicht


    Das ganze sind aber meist nur Sekunden, ich hab also eigentlich keine Ahnung wie die sonst so sind


    Und dann geh ich plötzlich mit Nala irgendwo lang und jemand sagt mir wie schön er es immer findet wie toll Nala an der Leine läuft und was für ein netter Hund sie ist (sehen uns wohl immer vom Balkon)


    Da treffen dann halt eigene Wahrnehmung und fremd Wahrnehmung aufeinander


    Ich hab schon das Gefühl dass ich durch mein Wissen, meine Ansprüche (Ansprüche ist eigentlich das falsche Wort, mir fällt gerade nix besseres ein) zum Teil zu hoch schraube.

    Irgendwann ist man dann von den ganzen Erziehungsratschlägen regelrecht erschschlagen




  • Mega Thema!!!

    Bei uns ist es ähnlich wie bei vielen anderen hier. Unser erster Hund war ein "Selbstläufer" - er mochte alles und jeden, war die Ruhe in Person, hat sich super orientiert usw. Soweit ich mich erinnern kann hatten wir so gut wie nie Halsband oder Leine benutzt und konnten Ihn in jeder Situation führen. Nach seinem Tod vor fast 3 Jahren ging es also bei mir los, ich startete mit verschiedenen Praktika in Hundeschulen und Tierheimen, besuchte Seminare und belegte Online Kurse und las Büche en masse. Eigentlich wollte ich erstmal keinen eigenen Hund mehr haben und habe so erstmal mein Bedürfnis nach Hunde gestillt. Über Pflegestellen und Urlaubsbetreuung für nicht wirklich einfache Kandidaten kam ich dann doch zu meinem aktuellen Hund - und stand auf einmal ratlos da.

    Mit Sicherheit ist mein Hund auch keiner der easy nebenbei mitläuft, sondern einer der genau prüft welche Kompetenten das andere Ende der Leine hat und sich entsprechend verhält. Durch das ganze Wirrwarr an Fachwissen, verschiedener Sichtweisen der Hundeerziehung stand ich da und sah den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.


    Mittlerweile pendelt sich alles langsam ein. Allerdings haben aber auch einige tolle Seminare dazu beigetragen, mehr auf mein Bauchgefühl zu hören und an meinem Mindset zu arbeiten, was durch das ganze Wissen einfach NUR auf den Hund fokussiert war, was weder gut für mich noch für meinen Hund war.

    Und ich glaube, auch hier liegt der Knackpunkt: Wie oft saß ich verzweifelt und kurz vor dem Heulen auf dem Balkon und beobachtete die Leute, die problemlos und entspannt mit Ihrem Hund die Runde drehten. Es war mir ein komplettes Rätsel wie die Ihren Hund im Griff hatten und ich nur am strugglen war.

    Mittlerweile versuche ich nicht mehr, ALLES zu deuten und komplett bis ins letzte Detail zu analysieren. Ich hab mehr Vertrauen in mich und in den Hund und was soll ich sagen, ohne weitere Trainerstunden oder Seminare machen wir grade enorme Fortschritte. Man will gerne immer alles richtig machen, aber wenn wir ganz ehrlich sind, kein Mensch der Welt ist oder erzieht seinen Hund fehlerfrei. Basic- und Fachwissen kann in vielen Situationen weiterhelfen, aber oft steht man sich auch selber im Weg.

    Man kann noch so viele Methoden anwenden, aber das ALLERWICHTIGSTE was ich lernen durfte ist: Wenn du nicht echt bist und nicht zu 100% hinter dem stehst was du tust, dann nimmt dein Hund dir das nicht ab - vor allem nicht einer, der genauestens prüft, was du kannst.

  • Das kann ich so unterschreiben 😅👍


    Habe jetzt 2 Trainer, 8 Bücher und insgesamt 36h Seminare hinter mir und bin zu dem Entschluss gekommen das meine Hunde kein sitzt kein Platz kein Rückruf oder sonstiges brauchen ja selbst Leckerlis gibt's keine als Belohnung.


    Bei mir gibt's eher ma nen dicken Nachtisch oder das sich regelmäßig ma so richtig die Wampe voll gehauen wird.


    Laufe aber trotzdem die meiste Zeit ohne Leine, auch in der Stadt usw. Und ja man hört oft ach ist der toll, ich selbst sehe das aber ganz anders. Einfach weil mir nun jeder Furz auffällt.


    Und was dieser Mensch natürlich nicht sieht oder weiß, ist das das ganze auch sehr tagesabhängig ist.


    Ich denke die Kunst liegt darin trotz viel wissen immer locker zu sein und das beste daraus zu machen, positiv denken und sich über das freuen was man hat 😉 Wer das hin bekommt ist für mich auch ein souveräner Hundemensch.



    LG

  • Ist wie bei vielen anderen Dingen auch

    Die Erfahrung, neues Wissen ,infragestellen etc löst häufig erstmal eine "Krise " aus


    Intuition ist bei mir der Bereich in dem ich ohne Denken wie aus dem Bauch heraus

    In einer bestimmten Situation die aus meinem situativen Wissen und Vermögen heraus

    Aktuell sinnvollsten Strategien anwende

    Dazu muss das "Wissen" aber entsprechend "durchdacht" und integriert sein


    Natürlich gibt es da auch einen "innovativen Bereich "

    Da entscheidet dann großzügig die Vermutung um das Richtige


    Richtig anstrengend ist es wenn zu viel in der Schwebe ist

    Der Bereich wo sowohl das alte und das neue noch nicht

    genügend weich fließend im Wechsel oder Synchronisation oder sonstwas sind.

    Zuviel Unsicherheit macht dann handlungsfähig oder produziert Fehler und inkonsequenz

    Und jedemenge krautiges Gedankengut und komische unerwünschte Gefühle


    Es ist natürlich einfacher sein Schema F gefunden zu haben

    Mit dem man einigermaßen lässig durch die üblichen Situationen durchkommt

    Durchaus auch mit ein Auge zudrücken oder sogar Zähne zusammenbeissen

    Wenn es funktioniert ist es vermutlich auch okay so...

    Sobald ich anfange in Frage zu stellen stoße ich einen notwendigen Prozess an

    Eigentlich einen annähernd unvermeidbaren, also los...


    Verhaltensweisen,Strategien etc zu hinterfragen und zu verändern ist eine hohe Kunst

    Da fehlen mir einfach messinstrumente, masseinheiten, Beweise, Nachweise

    Da ist es kinderleicht dagegen in ein Chemielabor zu gehen

    und etwas lustiges zusammenzukochen ohne das es es gleich knallt, stinkt, brennt...


    Wenn aber die "eigene Wandlung und Beobachtung " zu einem selbstverständlichen

    Von mir gewünschten Prozess geworden ist

    der sich so in mein Leben Integriert hat und als normal und natürlich

    gedacht ,gefühlt, erlebt sogar selbstverständlich gelebt wird

    Dann löst "Veränderung" auch kaum noch "Krisengefühl" aus


    Ist dann eh alles irgendwie relativ intuitiv ;)

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