Intuition oder Wissenschaft in der Hundeerziehung?

  • Wissen schadet nicht, aber man muss es anwenden können.

    Bauchgefühl schadet ebenfalls nicht, aber man sollte dann auch ab und an mal drauf hören.


    Hunde müssen heute deutlich mehr leisten. Aber ebenso der Mensch.

    Allein der Markt rund um den Hund erschlägt heute mit seinem Angebot, vom Futter bis zum Trainer.

    Je mehr Auswahl man hat, umso schwieriger wird es manchmal.

    Ist wie im Restaurant. Manchmal ist man im Vorteil, wenn man je nach Restaurant seinen Favoriten durch Testen gefunden hat. Ja, man hat vielleicht das eine oder andere Mal die falsche Wahl getroffen, aber um zu wissen, was zu einem passt, was einem liegt, muss man ausprobieren und das eine oder andere Mal dazu lernen.

  • Hnm, interessante und auch herausfordernde Fragestellung.


    Ich würde ja sagen "Die Mischung macht's." Aber das dann näher zu erläutern ist überraschend schwierig *grübel*


    Also, zunächst mal denke ich schon, dass Intuition und Bauchgefühl oftmals sehr wichtig sein kann, gerade wenn es um das Zusammenleben mit anderen Lebewesen geht - natürlich auch zwischenmenschlich. Aber manche Menchen haben einfach ein "besseres" Bsuchgefühl als andere, hängr vieleicht auch einfach davon ab, wie empathisch, einfühlsam, aufmerksam man von Haus aus ist? Jedenfalls denke ich schon, dass es viele Hundehalter gibt, die in bestimmten Aspekten oder Situationen nach Intuition gehen - komplett unabhängig davon, wie es um ihr kynologisches Wissen bestellt ist. Und ich glaube auch, dass gerade diese Spontaneität und Flexibilität durchaus wichtige Bausteine im Hund-Mensch-Zusammenleben sind.



    Gleichzeitig bin ich persönlich ein großer Fan fundierten Wissens und sehe es als wirklich positive und lohnenswerte Entwicklung, was sich gerade im Bereich der Hundehaltung und -erziehug da so getan hat. Einfach, weil es dadurch automatisch viel mehr Möglichkeiten gibt, die Bedürfnisse des eigenen Hundes zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren. Der eigene "Werkzeugkasten" ist dadurch einfach viel besser gefüllt, wenn man weiß, wie man Stress beim Hund erkennt, wie man mit einem reaktiven Hund umgeht, ob und wann eine Korrektur Sinn macht und welche.



    Ich bin mir sehr sicher, dass ich vieles nicht erkannt und gesehen hätte, wenn ich mich nicht mit Hunden befasst, gelesen, mich ausgetauscht und recherchiert hätte. Und gleichzeitig gehe ich davon aus, dass ich zum Beispiel auch völlig ohne dieses Wissen nicht auf einen Trainer gehört hätte, der mir geraten hätte, meinem Hund mal eins auf die Schnauze zu geben oder ihn über Schreckreize zum Gehorsam zu bringen. In der Situation war ich zum Glück nie, aber als regelmäßige Dogforum-Mitleserin fallen mir mehrere Fälle ein von Neuhundehaltern, die hier ohne großes Vorwissen aufkreuzen und schreiben, sie hätten einfach ein "schlechtes Bauchgefühl" beim Trainer, der auf recht grobe Weise erzieht und maßregelt. Andererseits gibt es natürlich auch jene Menschen, bei denen da keine Alarmglocken schrillen und deren Intuition da schweigt oder sogar noch zu einem solchen Verhalten tendiert.

  • Was ich sehr auffällig finde: Wie viele hier den ersten Hund, der sehr/oder komplett nach Bauch erzogen wurde als "unkompliziert" beschreiben. Nicht nur hier im Thread, auch im Forum - aber auch in meinem Umfeld.


    Unkompliziert im Sinne "funktionierte im Alltag" - nicht unbedingt "war super erzogen", war eine Anfängerrasse o.ä.


    Ist bei mir sehr ähnlich - wobei ich zumindest für meinen Fall ausschließen kann, dass die Anforderungen damals geringer waren. (Der Ersthund war Kinder-Begleithund - und das finde ich schon einen sehr, sehr anspruchsvollen Job - und auch wenn die Hundedichte zugenommen hat - so dramatisch hat sich das sonstige Umfeld nicht geändert.)


    Klar ist es möglich, dass wir alle damals nicht gesehen haben, dass unsere Hunde gestresst waren.

  • Ich würde sagen, Wissen wandelt sich irgendwann in Bauchgefühl. Ich habe in den ersten Jahren unheimlich viel dazugelernt und war deshalb oft in meiner Kopfwelt gefangen, weshalb das Gefühl für den Hund etwas flöten ging. Irgendwann war das ganze dann so verinnerlicht, dass ich mir keine Gedanken mehr drüber machen musste und dann kam das "Bauchgefühl" (ich mag das Wort nicht allzu gerne und würde es eher die Summe meiner Erfahrungen nennen die nicht mehr kategorisiert werden müssen).

    Mittlerweile sehe ich weitaus mehr kleine Regungen am Hund, alles was ich anfangs brauchte, Bücher, Internet, Austausch mit anderen Hundehaltern, waren für mich die Wegweiser zu meinem Hund bzw. dem Bauchgefühl dazu.

    Ich glaube, der Umgang mit dem Hund ist eine sich wandelnde Komposition aus Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Vertrauen in den eigenen Hund, Vertrauen in die Informationen, die man bereits bekommen hat. An allen Punkten des Vertrauens kommen im Laufe des Lebens Zweifel auf, die sich an Prozesse, die eigentlich automatisch ablaufen, haften und diese verändern bis sie wieder automatisch ablaufen. Wessen Vertrauen weniger getrübt wurde, der muss seine Prozesse nicht umstellen und kann demnach weiter ohne neue Erwartungen und rein gefühlsmäßig agieren.

  • Oh ich versteh dich total Momo und Lotte

    Genau das Thema hatte ich auch schon mit zwei anderen HH.


    Die Terrine war ein Bauernhofwelpe und auch keine Schlaftablette, aber total sozial und zu 98% selbstsicher. Die Terrine wurde mit etwas Wissen und viel Bauchgefühl erzogen, aber bei ihr gab es auch keine größeren Probleme. Zumindest bis sie gebissen wurde und auch da bin ich mit Bauchgefühl gut gefahren.

    Sie war halt eine Ausbruchskünstlerin, aber man hat halt immer wieder ihre neuen Löcher verschlossen. Bei ihr fand das aber im Dorf niemand dramatisch, wenn sie alleine ums Eck kam...außer vielleicht Katzen :tropf:

    Jagdtrieb hatte sie auch ordentlich, aber gut zu managen.


    Das Kälbchen ist Rasserüde, zu Hause phantastisch. Draußen mutiert er zum Workaholic und es war z. B. harte Arbeit in seine Blase zu kommen und ihm einen Freizeitmodus zu installieren.

    Bei ihm bin ich froh, dass ich mir einen Koffer mit Wissen angeeignet hab, mit dem ich mein Bauchgefühl erweitern kann.

    Aber auch hier hilft mir Bauchgefühl oft weiter.

    Bei ihm wäre aber niemand so "entspannt" wenn er alleine ums Eck kommt, schon alleine weil groß, dunkel und ernster Blick.


    Ich glaube, ganz oft hat man einfach Glück mit dem ersten Hund und wenn man dann noch ein gutes Bauchgefühl hat ist es "a gmahde Wiesn".

    Bei mir ist die große dicke Basis Bauchgefühl und darauf pack ich mein Wissen, das auch durchs DF immer größer wird. :nicken:

  • Ansonsten hab ich irgendwas im kopf dass die tolle Pfeffernaserl zu genau dem Thema was schreibt gerade? Oder zumindest recherchiert?

    Das stimmt, ich recherchiere ein bisschen zum Thema Intuition und Bauchgefühl, weil in meiner Instagram-Bubble das Thema "Intuition in der Hundeerziehung (geht verloren!!111!)" gerade so riesig ist, aber kaum jemand irgendwas dazu sagt, was Intuition und Bauchgefühl eigentlich sind.

    Das sind nämlich bei weitem keine gottgegebenen Eigenschaften oder mystisches Wissen, auf das man nur zugreifen kann, wenn man den Kopf ausschaltet.


    Ich bin noch nicht sooo weit mit meiner Recherche (da berufliches und Studium gerade wieder Vorrang haben), aber ich kann immerhin schonmal sagen: es gibt nicht "die Intuition". Es ist schwierig, da gute Definitionen zu finden, weils nicht so einfach ist, daran zu forschen, aber man ist sich zumindest so weit einig, als dass es mindestens 3 Arten von Intuition gibt, auf die der Mensch so zurückgreifen kann.


    Intuition wird ja genutzt, um Entscheidungen zu treffen. Und sie hat IMMER, egal, auf welche Art gerade zurückgegriffen wird, etwas mit Mustererkennung und bereits abgespeicherten Erfahrungen zu tun.

    Intuition ist nichts statisches, je mehr man lernt und sieht und erfährt, desto mehr ändert man seine Intuition auch. Also ist es auch wichtig, sich fortzubilden, das eigene Auge zu schulen und sich über Dinge Gedanken zu machen, um so eine "bessere" Intuition zu entwickeln.


    Bauchgefühl wird von manchen Wissenschaftler von der Intuition abgegrenzt, eben auch seit mehr an der Verbindung Darm-Hirn geforscht wird. Das Bauchgefühl ist noch abhängiger vom eigenen physischen Zustand, als die Intuition. Also je nachdem, was ich gegessen habe, wann ich zuletzt gegessen habe,... schlägts mal in die, mal in jene Richtung aus (da bin ich aber noch nicht weiter eingestiegen, würde aber mal als Empfehlung geben: keine wichtigen Entscheidungen auf leeren Magen treffen :lol: ).


    Ich persönlich hab schon stark gemerkt, wie sich meine "Intuition" betreffend Carlo so im Laufe der Zeit geändert hat. Ich kenne seine Körpersprache wenn es ihm gut geht oder wenn er Schmerzen hat - durch Lernerfahrung als Muster abgespeichert, kann damit also schneller "sehen" ob er gesund ist oder nicht.

    Durch hunderte Begegnungen mit Triggern jeglicher Art und die damit verbundenen Lernerfahrungen kann ich "intuitiv" sagen, ob wir eine Begegnung gut schaffen oder eher nicht.


    Intuition geht nicht ohne Wissen und ohne Lernen.

  • Wissen schadet nicht, aber man muss es anwenden können.

    Bauchgefühl schadet ebenfalls nicht, aber man sollte dann auch ab und an mal drauf hören.

    würde ich tausendmal liken :bindafür:


    Unser erster Hund war auch ein Rassemix, mit welchem ich heutzutage mehr Probleme im Umfeld hätte als früher. Ein Amstaff-Mix.

    Aber da lief einfach alles "so nebenher". Als sie zu uns kam war sie 2 und wir wußten nur, das sie schon durch einige Hände gegangen war und bis dato nichts schönes erlebt hat. 2 kleine Kinder zu Hause und dann der Hund dazu.

    Aber es lief einfach aus dem Bauch raus ohne Überlegen und Wissen durchs Netz und sie war, bis sie ging mit 16, der perfekte Familienhund.

    Unser nächster war auch schon ein Wanderpokal mit Deprivationsschaden und da fing ich an Infos zu sammeln und mich zu belesen. Ich habe nie soviel über Hunde gelernt wie in der Zeit. Aber dabei musste ich auch feststellen, das trotz viel Wissen, viel fachmännischer Hilfe das Bauchgefühl eine ganz entscheidende Rolle spielt.


    Jetzt fangen wir wieder bei 0 an und auch da nutzt mir mein Wissen zum Hundeverhalten, zum Umgang mit den Hunden und auch untereinander unheimlich viel, aber ich verbinde das immer mit meiner Intuition und meinem Bauch.


    Ich für mich würde sagen wenn ich beides kombiniere und dabei den logischen Menschenverstand nicht außer Acht lasse, fahre ich am besten. Fehler machen wir alle und immer wieder, aber ich muss sie erkennen und korrigieren können.

  • Intuition, Wissen und Erfahrung sind meiner Meinung nach die drei Komponenten. Alle drei sind gleichermaßen wichtig.


    Ich empfinde das Wissen um die Lerntheorie als völlig neutral.


    Aber es sind viele Meinungen nicht neutral in Bezug auf dieses Wissen. Und ich denke das ist es, was die Intuition oft ausbremst. Das halte ich aber nicht für ein neues Phänomen, dass sich einige Menschen aus Prinzip davor sperren, auf manche Bereiche zurückzugreifen. Man verlässt sich nicht auf seine Intuition, weil man von anderen beeinflusst wird. Sei es durch Gruppenzwänge, weil man selbst eher unsicher und wenig selbstbewusst ist oder aus diversen anderen Gründen. (Gemachte) Angst ist auch so ein Grund der mir direkt einfällt - zum Beispiel die Angst davor, dass man den Welpen nicht genug "sozialisiert" und eine entsprechend extreme Gegenreaktion.


    Daher kommt denke ich auch, dass man in seiner Jugend dahingehend sorgenfreier war. Man hat sich einfach nicht so viele Gedanken gemacht. Außerdem neigt das Gehirn dazu, sich vergangenes schön zu reden und nicht objektiv zu sein ;-)

  • Wie seht ihr das?

    Geht das meiste doch irgendwie intuitiv?

    Oder wird man durch Fachwissen einfach immer besser im Handling?

    Oder verkrampft man immer mehr?

    Hat man vor dem ganzen Backgroundwissen einfach viele Probleme nicht gesehen?

    Es ist eine Mischung. Man lernt, während der Hund sich entwickelt und wächst zusammen.


    Ich glaube, dass für eine gelingende Hund-Mensch-Beziehung (wie für Mensch-Mensch auch) einige charakterliche Grundvoraussetzungen seitens des Menschen hilfreich sind. Empathie, die Fähigkeit, Kritik anzunehmen, der Wille, sich weiterzuentwickeln, Verzicht zu üben, sich einzubringen, die Führung und Verantwortung zu übernehmen.



    Gleichzeitig gehört Vertrauen auf den eigenen Bauch auch dazu. Der Blick von außen ist mir sehr wichtig, deshalb haben wir immer auch Hundeschulen besucht oder einen Trainer kommen lassen und Bücher gelesen. Gleichzeitig hab ich mein Bauchgefühl sprechen lassen, ob es passt und ab wann wir es allein weiter schaffen.


    Der Jungspund ist jetzt bei weitem nicht mein erster Hund. Ich hatte verschiedene Hunde in der Vergangenheit, jeder hatte Baustellen, an denen wir mit Trainern gearbeitet haben.

    Zeiten, wo ich an mir gezweifelt habe, gab es bei allen meiner Hunde.

    Und hier ist auch das DF etwas tricky, weil man natürlich immer liest, was "richtig" ist und wie man den Hund erziehen und trainieren soll und man bekommt das Gefühl, alle haben perfekte Hunde, nur man selbst nicht.


    Da hilft eine Forumspause, um sich wieder auf sein Bauchgefühl zu besinnen und zu verlassen, das mich persönlich auch im sonstigen Leben nie im Stich gelassen hat.


    Je älter ich werde, umso weniger wichtig ist mir, was andere von mir denken (liegt an den Hormonen, weiss ich von Sheila de Liz :nerd_face: ).

    Inzwischen weiss ich, ich hab Ahnung, auch wenn unser Jungspund das eine oder andere Problem hat, kann ich es managen, wir arbeiten daran, unsere Beziehung zueinander ist eng und intakt und im Laufe der Zeit wird das, was noch nicht ist, schon werden. Ich bleibe dran, hab Vertrauen in mich selbst und halte gleichzeitig die Augen und Ohren offen für neue Anregungen.


    Über Vergangenes nachzugrübeln ist mMn oft nicht so sehr hilfreich. Klar kann das eine oder andere da sein, das bearbeitet und bewältigt werden muss, aber wenn man sich zu sehr in die "was hätte ich anders gemacht, wenn ich das gewusst hätte, was ich heute weiss" Schleife begibt, entwickelt sich das Ganze u.U. in eine destruktive Richtung.


    Niemand ist perfekt, keiner von uns, und wir werden es nie sein. So wie es keine perfekt funktionierende Hunde gibt, gibt es auch keine perfekten HH. Das tröstet mich immer, weil unsere Hunde uns wirklich sehr viel verzeihen (wie unsere Kinder auch übrigens, gibt nämlich auch keine perfekten Eltern, auch wenn das immer als Ideal so hingestellt wird ;) )


    Wenn wir unser Bestes geben, dann ist das gut genug. Für unsere Hunde allemal, denn die lieben und vergöttert uns allein dafür, dass wir den Napf jeden Morgen für sie füllen xD.


    Ich wüsst's so gern, wie's wirklich war.

    Das wird schwer, weil es nicht DIE Realität gibt. Es gibt nur unsere Wahrnehmung und die unseres Gegenübers. Eins weiss ich, unsere Hunde verzeihen mehr als wir für möglich halten.

  • @san94


    Stimme deinem Posting voll zu.



    Ansonsten ist es am besten, wenn es gelingt, theoretisches Wissen intuitiv; also punktgenau, in passenden Schritten,... für den jeweiligen Hund, einzusetzen.

    Ganz besonders lerntheoretisches Wissen.



    Passend und fair handeln zu können, ohne bei allem und jedem zu überlegen, ob das nun Podcast a) Videotraining b) oder Hundebüchern x-y) entspricht bzw. wie alle am besten gleichzeitig umgesetzt werden könnten.


    Neben den Lerntheorien ist es in Anbetracht der Marktüberfüllung und div. Trainergurus, nebst jeweiligem Alleinstellungsmerkmal, gerade für Neuhundebesitzer sehr schwer, einen Weg zu finden, welcher sowohl zu Hund als auch Halter passt und obendrein auch noch lerntheoretisch sinnig ist.


    Gerade der Wunsch nach Perfektion bzw. alles "richtig" machen zu wollen, erschwert sowohl die (sinnvolle) Wissensaneignung als auch ganz besonders die Umsetzung.

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