Der "gefährliche" Hund Teil 2

  • Da würde ich behaupten, dass die Reizschwelle bei diesen Hunden so niedrig ist, dass sie im Alltag fast immer problematisch zu händeln sind. Da muss man immer den Daumen drauf haben.

    Nö. Wie bereits erwähnt, ich habe einen Hund, der zur rückwärtsgerichteten Aggression neigt. Der ist kein Hund, den ich überall reinschmeißen kann, aber als im Alltag problematisch (was genau soll das bedeuten?) würde ich ihn nicht bezeichnen.


    Das ist halt eine andere Form der Stressbewältigung. Nicht unbedingt erwünscht von den meisten Haltern, aber mitnichten ist der Hund dadurch "unnormal".

  • Mal als konkretes Beispiel: Ich hab vor etlichen Jahren meine damals 19 Jahre alte Katze gebürstet. Die fand das richtig doof und es war mit den alten Knochen wahrscheinlich auch schmerzhaft, sie konnte sich aber nicht mehr selbst pflegen. Sie hat es laut maulend geduldet, ist dann maulend im Hof umher geschlichen. Der Mann kam in dem Augenblick mit Hund heim, die Katze raste wie der Chestburster los und hing mit Maul und sämtlichen Klauen im Hundegesicht. War Aggressionsverschiebung, aber nicht rückgerichtete Aggression.


    Oder zwei Hunde, die hinter einem Zaun einen Konkurrenten außerhalb sehen und sich so in Aufregung steigern, dass sie sich gegenseitig in die Wolle kriegen. Aggressionsverschiebung im Übersprung (für mich nochmal was Anderes als im ersten Beispiel), aber würde auch nicht als rückgerichtete Aggression bezeichnet werden.


    Bei Letzterer ging es, als ich den Begriff kennengelernt habe, wirklich um das zielgerichtete Wenden gegen den hemmenden Halter. Da wurde auch nicht von rückgerichteterAhgression gesprochen, wenn der Hund im Übersprung völlig drüber den Halter erwischt hat anstelle des eigentlichen Ziels (aber da sind die Übergänge fließend). Und, wie gesagt, kann durchaus sein, dass der Begriff da unterschiedlich genutzt wird.

  • Hier ein Paper aus 1983, dass sich mit verschiedenen Aggressionsformen des Hundes befasst und "redirected aggression" aufführt. Also so jung ist dieser Begriff nicht

    Lesen und Verstehen sind zwei Paar Schuhe ... "redirected Aggression" ist nicht gleich "rückgerichtete Aggression".


    Mit „rückwärts gerichteter“ bzw. rückgerichteter Aggression bzw. „der Hund dreht sich um“ ist meines Verständnisses nach gemeint, dass der Hund sich in dem Moment, in dem ihm durch äußere Behinderung verwehrt wird, an den eigentlichen Aggressionsauslöser zu gehen, sich gegen den wendet, der ihn behindert. Also üblicherweise den Menschen am anderen Ende der Leine. Es ist ein bildlicher Begriff für die Art, wie Aggression ausgeübt wird, keine „eigene Form“ von Aggression.

    Das "üblicherweise" kann getrost gestrichen werden - bei der Entstehung dieses Begriffes ging es um Hunde, die sich gegen ihren Halter wendeten, der sie hinter ihnen stehend mit Leine daran hinderte, das eigentliche aggressionsauslösende Subjekt anzugehen.

    Da wurde übrigens sorgsam unterschieden, ob der Hund im Hormonhoch völlig drüber nach allem schnappt, was er kriegen kann, oder sich gezielt gegen den hemmenden Halter wendet und nur Letzteres wurde als rückgerichtete Aggression bezeichnet.

    Genau so macht es Sinn, denn die Ursachen sind unterschiedlich.


    Da haben wir einen unterschiedlichen Begriff von „Normalität.“ Es ist nicht üblich, aber mMn gehört es zur ganz normalen Verhaltensspannbreite eines Beutegreifers dazu, beim Hund je nach Selektionszweck mehr oder weniger gehemmt.

    Zunächst zum "Selektionszweck": Durch den Menschen durchgeführte Selektion auf bestimmte Merkmale führt zu Veränderungen, wird diese Selektion auf Verhaltensmerkmale gerichtet, ändern sich auch die "Normen" für dieses Verhalten.


    Dazu sollte tatsächlich der Begriff "Normalität", in Bezug auf Verhalten, also das, was normalerweise, üblicherweise als Verhalten gezeigt wird bei der Gesamtpopulation von Hunden ohne Übertypisierungen betrachtet werden.


    Dass bei bestimmten Selektionszielen Merkmale gehäuft (also signifikant verstärkt) auftreten, die bei einer Betrachtung der Gesamtpopulation nicht als normales, übliches Verhalten erscheinen, macht diese verstärkt bei diesem Selektionsziel gezeigten Verhaltensmerkmale nicht normal.


    Vermutlich schwer verständlich, deshalb versuche ich mal nachvollziehbare Beispiele:

    Nur weil bei brachyzephalen Rassen Atemgeräusche verstärkt auftreten, macht es diese Atemgeräusche nicht normal.


    Nur weil bei Rassen mit Riesenwuchs starke Probleme mit dem Bewegungsapparat und eine deutlich verkürzte Lebensspanne verstärkt auftreten, macht es weder Probleme mit dem Bewegungsapparat noch die kurze Lebensspanne normal.


    Nur weil bei Selektion auf Artgenossenaggression verstärkt Aggression gegenüber Artgenossen auftritt, macht es Artgenossenaggression nicht normal.


    Ist das verständlicher?


    Aus vorigem Zitat:

    "aber mMn gehört es zur ganz normalen Verhaltensspannbreite eines Beutegreifers dazu, beim Hund je nach Selektionszweck mehr oder weniger gehemmt."


    Das es zur Verhaltensspannbreite mit dazugehört, liegt an dem überaus hoch entwickelten Sozialverhalten von Hunden (hier müsste man eigentlich wieder den Ursprung dieses Potentials an Sozialverhalten mit einbringen, eben wölfisches Sozialverhalten, aber das sprengt den Rahmen).


    Dennoch gibt es in dieser Spannbreite eine Häufung von üblichen Verhaltensweisen, die als "normal, im üblichen Rahmen" angesehen werden können.


    Ganz ehrlich - wenn es normales Hundeverhalten wäre, dass der eigene Hund sich gegen seinen Halter wendet bei Hemmung aggressiven Verhaltens ... würden Hunde nur noch im Zoo betrachtet werden können, aber nicht mehr in menschlichen Haushalten leben.

  • Du verwechselst "normal" mit "erwünscht". Atemgeräusche bei brachyzephalen Rassen sind normal, Aggression beim Hund ist in verschiedenen Ausprägungen normal, aber es ist mit Blick auf die Gesellschaft und/oder die Gesundheit des Hundes nicht unbedingt erwünscht.

  • Du verwechselst "normal" mit "erwünscht". Atemgeräusche bei brachyzephalen Rassen sind normal, Aggression beim Hund ist in verschiedenen Ausprägungen normal, aber es ist mit Blick auf die Gesellschaft und/oder die Gesundheit des Hundes nicht unbedingt erwünscht.

    Zur Ergänzung: Je nach Verwendungszweck sind Aggression beim Hund und Hunde, die sich nicht (leicht) hemmen lassen, auch durchaus erwünscht.

  • Da würde ich behaupten, dass die Reizschwelle bei diesen Hunden so niedrig ist, dass sie im Alltag fast immer problematisch zu händeln sind. Da muss man immer den Daumen drauf haben.

    Laufen halt gut im Sport, wenn man sie durch Gehorsam gut kontrolliert kriegt.

    Ob das gut für die Hunde ist und diese ein erfülltes Hundeleben führen, ist für mich dann die andere Frage. Da kann man drüber streiten.

    Wieviel solcher Hunde kennst du denn? Also wirklich, nicht nur vom Hörensagen oder beim Gassi mal kurz gesehen?

  • Runa-S du schmeißt da viel durcheinander und kommst zu Schlüssen die etwas arg gewagt sind.

    Grade in dem Sektor der Zucht und Selektion ist die Varianz Mannigfaltigkeit und von außen kaum greifbar.

  • Dazu sollte tatsächlich der Begriff "Normalität", in Bezug auf Verhalten, also das, was normalerweise, üblicherweise als Verhalten gezeigt wird bei der Gesamtpopulation von Hunden ohne Übertypisierungen betrachtet werden.


    Dass bei bestimmten Selektionszielen Merkmale gehäuft (also signifikant verstärkt) auftreten, die bei einer Betrachtung der Gesamtpopulation nicht als normales, übliches Verhalten erscheinen, macht diese verstärkt bei diesem Selektionsziel gezeigten Verhaltensmerkmale nicht normal.

    Es ist ja ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, immer wieder neu auszuloten, wo die Grenze zwischen Normalität und A-Normalität liegt. Letztendlich ist Normalität aber vor allem eines: ein Spektrum.


    Ich kenne zum Beispiel einen Haufen Hunde, die dieses Verhalten in mehr oder minder starker Form zeigen: Schäferhunde, Terrier, kernige Hüter und allen voraus viele, viele Mischlinge. Nur, weil ein Großteil der Hunde dieses Verhalten nicht zeigt, heißt es nicht gleich, dass es anormal ist. Du kannst Normalität nicht allein anhand des Modalwertes festmachen. Wenn wir danach gehen, müsste es auch total anormal sein, männlich zu sein - weil über 50% der Menschen weiblich sind. Auch Minderheiten gehören zum Normalitäts-Spektrum.


    Davon abgesehen: Durch die Selektion auf bestimmte Rassen hin wurden alle Hunde mehr oder weniger stark verändert. Um einen Überblick über die ursprünglichen Verhaltensweisen eines Haushundes ohne Selektion zu erlangen, müsste man sich also das Verhalten von recht ursprünglichen, wenig überzüchteten Rassen anschauen. Und da sind doch einige Hunde dabei, die genau so ein Verhalten gehäuft zeigen. Um bei meinen Osteuropäern zu bleiben: Puli, Mudi, Kroatischer Schäferhund, die ganzen Osteuropäischen HSHs und deren Mixe neigen meiner bisherigen Erfahrung nach durchaus dazu, mal gegen den Halter zu gehen. Nicht alle, klar, aber als wahnsinnig ungewöhnlich würde ich das bei denen nicht beschreiben.

  • Co_Co

    Könntest du das bitte näher ausführen wo ich zu falschen Schlüssen komme und etwas durcheinander werfe. Deine Aussage ist für mich völlig nichtsagend da die im Prinzip keinen Inhalt hat.


    Ist es falsch das Extreme im Verhalten in beide Richtungen so gut wie immer negativ sind.

    Ist es falsch das auch Gebrauchshunde die Fähigkeit brauchen sich selber zu kontrollieren und das man sie auch so züchten kann das sie das Potenzial dazu haben das zu lernen.

    Ist es falsch das es für Hunde sinnvoll ist sich den 4 F zu bedienen und man ihnen deswegen nicht eines also auch nicht das Fight wegzüchten sollte.


    Was anderes habe ich eigentlich nicht gesagt.

  • Da würde ich behaupten, dass die Reizschwelle bei diesen Hunden so niedrig ist, dass sie im Alltag fast immer problematisch zu händeln sind. Da muss man immer den Daumen drauf haben.

    Laufen halt gut im Sport, wenn man sie durch Gehorsam gut kontrolliert kriegt.

    Ob das gut für die Hunde ist und diese ein erfülltes Hundeleben führen, ist für mich dann die andere Frage. Da kann man drüber streiten.

    Wieviel solcher Hunde kennst du denn? Also wirklich, nicht nur vom Hörensagen oder beim Gassi mal kurz gesehen?

    Persönlich?

    Kenne ich keinen, der "rückgerichtete Aggression" gegen den Halter zeigt. Ich nehme Hunde grundsätzlich so wahr, dass sie in der Regel wissen, was sie tun (im Sinn von, es bewusst tun, zumindest wenn sie im Kopf ausgereift sind).

    Hast du auch inhaltlich etwas anzumerken?

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