Wesensfest/gutes Wesen - was heißt das?

  • Für mich ist ein wesensstarker Hund einer, der schon von der Veranlagung her eine gewisse Resistenz ggü Umweltreizen (egal welcher Art) mitbringt.

    Wenn ihn die Reize aufwühlen, dann in einem Maß, das ihn nicht gleich in Flucht oder Angriff (oder Freeze) kippen lässt, sondern so, dass er noch "denken" kann.


    Genau das (und sonst nichts) fällt für mich unter "wesensfest".

    Alles andere, was hier so beschrieben wird "ansprechbar für den Halter", "Apportieren", "lässt sich vom Halter was sagen", "Bindungsverhalten" sind für mich rassespezifische Eigenheiten oder Erziehungsangelegenheiten.

    Wesensfest ist nach meiner Definition angeboren.

  • Aber wie stellt man in der Hundezucht fest was Wesensfest ist oder was anerzogen ?

    Meine Hündin hat eigentlich ein mega schlechtes Nervenkostüm, neigt zum verbellen, knurren und hat sich über alles und jeden aufgeregt. Im Laufe des letztens Jahrzehnts ist sie so gelassen geworden, lässt sich führen, lenken, hat es kaum noch nötig sich aufzuregen und wenn doch lässt sie sich unterbrechen. Sie ist recht unauffällig, ignoriert fast alles, ist gelassen und wirkt sogar souverän - aber in meinen Augen ist das nur Erziehung.

    Mein Rüde ist ein Angsthund, aber liegt das nun in seinem wesen begründet oder darin das er in seinem ersten Lebensjahr nichts kennengelernt hat. Da all seine Geschwister ähnlich sind, liegt es nahe es auf die Gene zu schieben, aber wer weiß das schon.

  • Als ich meine erste Hündin bekam war es eine Katastrophe. Wesensfest, kein Stück. Einen Panikhund hatte ich da. Trotzdem entwickelte dieser Hund sich zu einem coolen Begleiter und viele Leute aus meinem Verein bewunderten ihre Wesensfestigkeit. Nichts konnte sie später aus der Ruhe bringen. Sie war gelassen und selbst bei Situationen die mich erschreckt haben blieb sie locker. Ich bin mir sicher das dies aber schon in ihr steckte, nur hat sich als Welpe, bzw. Junghund, viele schlechte Erfahrungen gemacht.
    Mein zweiter Hund war anfangs genau so, hat sich aber nie so cool gezeigt. Er war gut händelbar, aber von wesensfest war da keine Spur. Er lernte zwar sich bei vielen Situationen schnell zu entspannen, aber erst einmal reagierte er sehr unkontrolliert.
    Als ich meinen DSH bekam hatte ich von Anfang an einen wirklich wesensfesten Hund. Da konnte es z.B. knallen wie es wollte, Menschen konnten sich unvorhersehbar verhalten oder eine neue Situation, wie Fahrstuhl fahren mit Glasscheiben bis zum Boden, Hundi blieb cool. Sie schaute mich höchstens mal an und fand dann alles spannend. Angst zeigte sie nie. Ablenkung fand sie toll, war aber immer bei mir. Sie ist sehr gut einschätzbar und hat noch nie gegen irgend wen Aggression gezeigt, auch nicht wenn sie sich wirklich mal erschreckt oder von Neuem überrascht wird.
    Bestimmt kann man auch so einen Hund soweit bekommen das es mit der Wesensfestigkeit nicht mehr hinhaut, aber dann ist es von einem Menschen gemacht.
    Ich bin davon überzeugt das die sogenannte Wesensfestigkeit erst einmal vererbt wird und Hunde die zur Zucht genommen werden sollten darauf hin wirklich überprüft werden. Leider wird das bei vielen Rassen gar nicht gemacht und viele Hobbyzüchter, ohne Zuchtzulassung, züchten nur auf Optik oder wegen des Geldes.
    Das ist schade, denn mit sehr wesensschwachen Hunden braucht man schon viel Erfahrung um sie im Alltag gut händeln zu können. Das diese Hunde oft ständig im Stress leben merken viele Halter gar nicht.

    LG Terrortöle

  • So ist es. Solche Tests können zwangsläufig nur das Zusammenspiel des Wesens mit Erfahrungen und Erziehung testen. Trotzdem finde ich die Idee an sich sinnvoll, weil diejenigen, die da durchfallen TROTZ Erfahrung und Erziehung in meinen Augen tatsächlich nichts in der Zucht verloren haben.

    Sie spielt eine ganz maßgebliche Rolle. Du sprichst von DEM Jagdhund, DEM Hütehund. Das sind Überbegriffe für ein sehr großes Arbeitsfeld, in dem es viele hochspezialisierte Rassen gibt, die von der Veranlagung sehr weit auseinander liegen sollen und müssen.

    Mit Rasseunabhängig meinte ich eigentlich, das man die Wesensfestigkeit nicht an Individualitäten festmacht, sondern das sie ein Grundgerüst darstellt, auf das Rassespezifisch aufgebaut werden kann. Einfach eine Basis die erlaubt, dem Hund eine gewisse Nervenstärke zu attestieren. In welche Richtung der Hund arbeiten soll, ist davon doch erstmal unabhängig.
    Die Apportierfähigkeit hat z.b. nichts mit der Festigkeit des Wesens, sondern mit der Ausprägung rasseabhängigen “Talents“ zu tun. Ein Wesensfester Labrador muss noch lange kein Apportiergenie sein. Aber er wird sicher besser und zuverlässiger lernen, wie ein Wesensschwacher.

  • Aber wie stellt man in der Hundezucht fest was Wesensfest ist oder was anerzogen ?

    Mit Gino habe ich gemacht, mit Tim geübt.

    Mit einem wesensfesten Hund brauche ich mir keine Gedanken zu machen in normale Alltagssituationen zu gehen. Das kann ich einfach tun. Ich brauche mir keine Gedanken darum zu machen, dass der Hund nachhaltig verängstigt sein könnte oder nachhaltig gestresst.

    Bei Tim musste ich immer überlegen, ob ich diese oder jene Situation machen kann, ob das jetzt grad zuviel für ihn ist, zu früh für ihn ist, zu lang für ihn ist, zu laut für ihn ist, zu eng für ihn ist. Und Tim ist bei weitem kein verstörter Hund. Aber einer, der sich auch mal stressen lässt und wenn man ihm zuviel zumutet auch nicht mehr ansprechbar ist.

    Bei Gino musste ich mir um so Kram einfach nie Gedanken machen. Wenn ich in die Stadt wollte, habe ich ihn mitgenommen. Wenn ich in die Lagerhalle wollte, habe ich ihn mitgenommen. Wenn ein Presslufthammer (genau die Situation hatten wir mal, als er 13 Wochen alt war) mittig auf dem Bürgersteig steht und keine Ausweichmöglichkeit besteht, dann gehe ich halt einfach dran vorbei.

    Bei Tim muss ich die Situationen an sich üben. Bei Gino muss ich "nur" Verhalten in Situationen üben. Also so Sachen wie, dass man sich keine Plüschtiere oder Schweineohren aus dem Regal mitnimmt. xD Dass man im Fressnapf bitte nicht aufs Kassenband springt, nur weil man nicht in der ersten Nanosekunde die Leckerchentüte gereicht bekommt. Dass nicht jeder auf dieser Erde ausschließlich zu dem Zweck geboren wurde, ihn zu bewundern/zu streicheln/zu füttern. Dass Lammfellkissen von seiner Futterration abgezogen werden, wenn er sie im Geschäft ansabbert und ich sie deswegen kaufen muss. Dass nicht jede offene Tür dazu dient, dass er hineinrennt und erkundet, was sich denn dahinter befindet. Sowas halt.

    Gino ist einfach so. Der ist so geboren worden. Das hat auch nichts damit zu tun, dass seine Aufzucht besser gewären wäre als Tims Aufzucht. Beide Züchterinnen haben ihre Sache gut gemacht.

  • Wesensschwach sind für mich Hunde, die sehr schnell in Hysterie verfallen und schnell überreagieren, zu wenig Selbstkontrolle fähig sind und allgemein ein dünnes Nervenkostüm haben.

    Vieles davon kann man positiv beeinflussen aber spätestens wenn ein Welpe von Geburt an ein so schwaches Wesen mitbringt, dass nur viel Training ihn alltagstauglich machen halte ich es nicht mehr für gerechtfertigt den Hund in die Zucht zu nehmen.

    Livi wäre für mich da zB. grenzwertig, es gibt Situationen da mutiert sie zum absoluten nicht mehr ansprechbaren Nervenbündel mit glasigen Augen und selbst mit Training hat sie grade so genügend Selbstkontrolle um nicht hibbelnd und jammernd zu warten bis sie an ihren Napf darf, Konzentratio oder Entspannung Fehlanzeige, obwohl wir es wirklich von Anfang an genauso wie bei Casanova geübt haben. Dazu kommt, dass sie extrem schnell beeindruckt ist (es sei denn, ihr Erregungslevel ist so hoch, dass sie nichts mehr wahrnimmt), so dass auch Training teilweise schwierig wird, denn es reicht schon wenn Lob nur länger ausbleibt und sie bricht zusammen, klemmt die Rute und verlässt den Raum....

    Sie ist jetzt kein schwieriger Hund, sie frisst keinen, ist nicht aggressiv oder besonders ungehorsam oder nicht händelbar aber ich merke, dass sie teilweise nicht anders kann als so zu sein wie sie ist.

  • Resilienz ist KEINE Charaktereigenschaft. Es ist die Summe der Erfahrungen in Zusammenhang mit der positiven Sicht der Welt und der eigenen Person.
    Ein Synonym zu Wesen ist Charakter.
    Charakter ist:
    individuelles Gepräge eines Menschen durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt

    Es ging mir weniger darum, was "Wesen" ist, sondern was ein "festes" Wesen ist. Wesensfestigkeit kann nur beurteilt werden, wenn der Hund widrige Verhältnisse überstehen muß, wirken sie kurzzeitig oder langfristig. Ein Hund, der akute Sylvesterangst hat, weil er mal mit einem Böller direkt beschossen wurde, kann durchaus wesensfester sein als ein Hund, der diese Erfahrung nie machen und verarbeiten mußte. Möglicherweise käme der aus seiner Panik nicht mehr heraus. Man weiß es aber nicht.

    Deswegen sind auch DIE Wesenstests unterm Strich aufschlußreich, die sich nur sehr eingeschränkt trainieren lassen. Wo der Hund nicht, wie im Vorfeld einer DMC-Körung gesehen, ein gutes halbes Jahr vorher unter Einsatz aller Kräfte möglichst alle Situationen wieder und wieder durchlebt hat. Dieser Hund hat durchaus zur Körung den Eindruck der Wesensfestigkeit vermitteln können. Ob er es war, kann man eigentlich nur sagen, wenn man von den übrigen Körungsteilnehmern die Art der Vorbereitung kennt. Oder man hätte alle ohne Vorankündigung vor komplett unbekannte Herausforderungen stellen müssen. So ist eigentlich nur die Trainierbarkeit auf bestimmte Ausnahmesituationen abgefragt worden, was natürlich auch eine Aussage enthält und mehr, als für die meisten anderen Rassen gefordert wird.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!