Die klassische Konditionierung an sich hat erstmal nichts mit Bedürfnissen oder bewussten Entscheidungen zu tun, sondern verläuft auf einer ganz anderen, rein neurologischen und körperlichen Ebene. Bei der klassischen Furchtkonditionierung (z.B. bei der Konditionierung Warnwort -> Strafe) aktiviert alleine der konditionierte Stimulus die neurologischen und hormonellen „Angstsysteme“, was unter bestimmten Umständen (z.B. Kontrollierbarkeit der Situation) dazu führt, dass das bestrafte Verhalten weniger gezeigt wird.
Insgesamt sind die Mechanismen der Konditionierung so komplex und je nach Reiz-Reaktions-Kombination unterschiedlich, dass es müßig ist, in der realen Anwendung andere Definitionen zu nutzen, als Strafe = aversiver Reiz, der zu einer Minderung der Dauer, Häufigkeit und Intensität eines Verhaltens führt; Belohnung entsprechend umgekehrt.
Im reellen Verhalten vermischen sich meist die Auswirkungen unterschiedlicher Lernmechanismen zusätzlich mit dem vererbten sowie zuvor erlernten Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten. Long Story short: bei der Konditionierung geht es um neurologische und hormonelle Abläufe die bei passendem Einsatz zu gewünschten Verhaltensänderungen führen.
Genau vor diesem Hintergrund stört es mich jedes Mal, wenn vorwiegend belohnungsbasierte Trainingsansätze lächerlich gemacht werden mit Sätzen wie „das klappt nicht nur mit ganz viel Liebe und Keksewerfen“. Belohnungsbasiertes Lernen beruht genauso wenig auf Liebe, wie überwiegend strafbasiertes Training über Hass funktioniert. (Dass ich das überhaupt schreibe, fühlt sich komisch an ).
„Positives Training“ funktioniert in der Theorie komplett technisch und ohne jede positive Emotion. Die Belohnung kommt nicht, weil ich mein Schnurziputzi so doll lieb habe, sondern weil ich eiskalt berechnend ein bestimmtes Verhalten verstärken will. Genauso bestrafe ich im besten Fall nicht aus Ärger, sondern um ein Verhalten zu hemmen. In der Praxis spielen Gefühle natürlich eine Rolle und gehören dann zu den zusätzlichen Faktoren, die das Verhaltensergebnis beeinflussen.
Die positive Belohnung funktioniert dabei unter anderem über Dopaminausschüttung im s.g. Belohnungssystem, welches z.B. eine große Rolle bei Suchterkrankungen spielt - also ein System, das eine mächtige Auswirkung auf das Verhalten hat und in sich selbst „trainierbar“ ist. Hiermit stehen auch viele Verhaltensweisen in Zusammenhang, die häufig als selbstbelohnend bezeichnet werden. Und wie tief verankert diese sind, ist jedem HH mit z.B. jagdambitioniertem Hund sehr bewusst.
Das erstmal als Hintergrund, um sich bewusst zu machen, worüber wir eigentlich reden, wenn es um Konditionierung geht und wie wenig das zu tun hat mit „wenn mein Hund hetzt, dann kann ich ein Steak zücken und es bringt nix - Belohnung funktioniert halt nicht!“
In der Praxis läuft Lernen durch unzählige Störvariablen natürlich weniger vorhersehbar ab als in der Theorie und Genetik spielt zusätzlich eine riesige Rolle.
Zum Thema Gebrauchshunde kann ich aus eigener Erfahrung nicht direkt etwas sagen, ich habe mit aktuell Tervueren einen eher weicheren Hundetyp, als die die hier gemeint sind.
Ich denke das ist die Stelle, an der die Theorie und Praxis auseinander klaffen. Mit einem Mali, der dir in der Wade hängt, hast du wenig Lust, vorher Alternativverhalten aufzutrainieren und stellst das Verhalten effektiver über Strafe ab. Bei einem Jagdhund wird es schwierig sein über Belohnung irgendwann einen ähnlichen Dopaminanstieg zu bekommen, wie er ihn bei Erkennen von Jagdreizen hat, also funktioniert Strafe besser.
Auf mich wirkt es so, dass grade Schäferhunde sich über massive Strafeinwirkung gut erziehen lassen, ohne dass man es ihnen direkt anmerkt, die ihre Besitzer dann trotzdem anhimmeln und kein krasses Beschwichtigungsverhalten zeigen. Ich denke, das reduziert auch die Hemmung zu einem gröberen Umgang mit ihnen.
Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass ein normaler Hund von einem ordentlichen Anranzer oder nem groben Schubser keinen emotionalen oder psychischen Schaden davon trägt. Wenn ein härterer Umgang für einen selbst und den eigenen Hund funktioniert, dann mag das halt so sein.
Ich fände grade aufgrund der Komplexität der an Furchtkonditionierung beteiligten Systeme und meiner Information darüber, wie diese Systeme z.B. bei Menschen dauerhaft durch Gewalteinwirkung verändert werden können, wissenschaftliche Studien zu langfristigen Unterschieden bei verschiedenen Trainingsansätzen sehr spannend. Leider wird es kaum möglich sein, alle beteiligten Einflüsse sinnvoll zu kontrollieren und die mir bekannten Studien sind recht eingeschränkt.
Bis dahin wird jeder HH seine Grenzen selbst festlegen. Meine ist eindeutig erreicht, sobald ich meinem Hund absichtlich Schmerz zufüge oder ihn massiv bis zum Meideverhalten einschüchtere/erschrecke. Mag funktionieren, aber will ich nicht, kann ich nicht. Verbal oder körpersprachlich strafe ich schon, aber nie im Training.
Ich bin so eine Positivtrulla, ich habe tatsächlich Alternativverhalten antrainiert, als mir meine Welpine noch regelmäßig in den Klamotten hing, ähnlich wie in den Videos von Murmelchen. Hätte ich es aversiv versucht, hätte ich meine Grenze deutlich überschreiten müssen. Ich liebe diese Wutknödel Das klappt auch bei der Tervueren-Junghündin meiner Mutter.
Ich kenne auch Gebrauchshunde, die ohne groben Umgang erzogen wurden, aber ob da welche aus besonders „krassen“ Linien bei sind, weiß ich nicht.
Uff, so extrem viel Text sollte das nicht werden, gruselig.