„Einzigartiger Charakter“ - wirklich?

  • Ich finde es etwas schade das die Studie hier so abgewatscht wird obwohl sie eigentlich sehr spannend ist.


    Spannend ist sie sicherlich, aber für mich ist nicht ersichtlich, wie man von der Studie auf "Rasse ist nicht so wichtig für Charaktereigenschaften" kommen kann, ehrlich gesagt. Und die Autoren selber sagen das ja auch nicht so. Sie sagen:

    Zitat

    For more heritable and more breed-differentiated traits ... knowing breed ancestry can make behavioral predictions somewhat more accurate in purebred dogs. For less heritable, less breed-differentiated traits ... breed is almost uninformative.

    ... we show that behavioral characteristics ascribed to modern breeds are polygenic, environmentally influenced, and found, at varying prevalence, in all breeds.

    Also zusammenfassend: für stark vererbliche und stark rassespezifische Charaktereigenschaften ist Rasse wichtig, für weniger rassespezifische und weniger stark vererbliche Charaktereigenschaften nicht so. Das dürfte im Dogforum niemanden überraschen.


    Sie fragen da halt auch echt viel ab, was erziehungsabhängig ("calms down quickly", "chases bicycles", "whines when alone", "comes when called" nur mal so als Beispiele) ist und beziehen den Erziehungsaufwand der Befragten nicht als Variable mit in die Modellrechnungen ein.


    Also insgesamt habe ich das Gefühl, hier passiert mal wieder das typische: Medien verzerren die Aussage(kraft) einer Studie ziemlich heftig, um Schlagzeilen zu machen.


    Quelle ist natürlich die besagte Studie,"Ancestry-inclusive dog genomics challenges popular breed stereotypes", Morrill et al., 2022.

  • Also zusammenfassend: für stark vererbliche und stark rassespezifische Charaktereigenschaften ist Rasse wichtig, für weniger rassespezifische und weniger stark vererbliche Charaktereigenschaften nicht so. Das dürfte im Dogforum niemanden überraschen.

    Aber sie haben zb auch das Beispiel das der will to please beim Border Collie eindeutig vererbbar ist und auch bei Mischlingen hervor tritt.
    Die Menschenfreundlichkeit beim Labrador zb nicht. Obwohl das ja auch hier im Forum eine weit anerkannte Rasseeigenschaft ist.


    Plus: das alle vererbbaren Charaktereigenschaften immer noch um ein vieles schwächer ausfallen als äußerliche Merkmale. Das macht es für mich nicht zu Rassen unterscheiden sich nur im Aussehen, aber es mildert für mich schon sehr das "ultra einzigartige Rasse mit was ganz besonderem" ab.


    dragonwog hast du da schonmal drüber geguckt. Deine Meinung würde mich sehr interessieren

  • Die Menschenfreundlichkeit beim Labrador zb nicht.

    Nein, sie sagen nicht, dass das nicht vererbbar ist. Sie sagen, sie haben keinen signifikanten genomischen Effekt für Menschenfreundlichkeit in Labradormischlingen gefunden. Das kann an einer ganzen Reihe von Faktoren liegen.


    Sie schreiben aber auch (auf alle untersuchten Hunde, nicht nur Labradormischlinge bezogen)

    Zitat

    we found that genetic variation explains more than 25% of the variation in factor scores for human sociability

    mehr als ein Viertel der Varianz in "Menschenfreundlichkeit" ist genetisch erklärbar! Das ist unfassbar viel für so eine Varianzanalyse.

  • Ist hier übrigens nicht irgendwie zickig gemeint Tatuzita , finde meine Beiträge gerade beim Nachlesen selber etwas bitchy. Finde die Studie selber sehr spannend und bin auch nicht direkt "vom Fach" (weder Genetikerin noch Verhaltensbiologin), das sind hier also auch nur meine Interpretationen. Und die lassen mich die Medienberichte über die Studie eben mit etwas ... Erstaunen lesen.

  • Interessant ist die Studie durchaus. Da habe ich nichts anderes gesagt.

    Man muss aber auch diese mit etwas "emotionalem" Abstand und sehr genau lesen, damit man nicht frei anfängt zu interpretieren.

  • Ist hier übrigens nicht irgendwie zickig gemeint Tatuzita , finde meine Beiträge gerade beim Nachlesen selber etwas bitchy. Finde die Studie selber sehr spannend und bin auch nicht direkt "vom Fach" (weder Genetikerin noch Verhaltensbiologin), das sind hier also auch nur meine Interpretationen. Und die lassen mich die Medienberichte über die Studie eben mit etwas ... Erstaunen lesen.

    :rolling_on_the_floor_laughing: Gut das du es schreibst. Ich hatte mich schon aufgeplustert und dachte mir dann so warte, das ist spannend. Du möchtest die Studie diskutieren, sie möchte die Studie diskutieren, du bekommst hier neues Wissen, chill mal.


    Ich bin leider auch niemand vom Fach, denke aber wie immer das die Medienberichte maßlos übertreiben. Trotzdem würde ich das bis jetzt von der Studie gelesene schon anders interpretieren. Eher in diese Richtung Rasse sorgt für Tendenzen.
    Es mag auch daran liegen das mir dieses 'die Rasse ist was ganz besonderes, das muss man erleben' irgendwie abgeht

  • Ja wobei ich finde, hier haben die Wissenschaftler:innen mit ihren Zusammenfassungen auch eine schwierige Basis gelegt. Kurzum


    -es wurden keine vollständig validierten Tests zur Erfassung der Hundepersönlichkeit und daraus resultierendem charakteristischen Verhalten verwendet. Ob sie also wirklich objektiv und gültig typische Verhaltensweisen erfassen ...unklar


    ...typische Bewegungsmuster sind hochgradig erblich


    ...alle Einschätzungen basieren auf Angaben der Halter:innen (verzerrunggsanfällig)


    8 Prozent Erklärung von Verhalten durch Genetik ist ein hoher Wert im Verhältnis, man hätte auch zu einem ganz anderen Fazit kommen können .. nämlich dass Verhalten sehr wohl mit durch die Rasse beeinflusst


    ...8 ist ja auch nur ein Mittelwert, für andere Eigenschaften wie Kooperationswille gegenüber dem Menschen gibt es viel höhere Werte...


    Schwierig, und wie das Ding durch die Medien gejagt wird, sowieso..


    Achso Fakt ist aber, es gibt unter sämtlichen Rasseexemplaren krasse Ausreißer. Da sollte vielleicht auch mehr Bewusstsein vorherrschen. Nur weil ich den Hund einer bestimmten Rasse hole, muss er sich noch lange nicht so wie es dir Rasseeigenschaften vorgeben, verhalten. Und das betrifft nicht nur den "externen" Part durch Erziehung und Umwelt, nein auch bei der Erblichkeit von Verhalten gibt es eine große Varianz

  • Also mal nur der letzte Absatz: heißt das dann, wenn die Mutter oder der Vater menschenfreundlich ist, ist es auch der Nachwuchs? Oder bedeutet das nur, dass über einen längeren Zeitraum züchterisch darauf (unbewusst?) selektiert wurde?

    Dann kann es also auch theoretisch sein, dass es bei einer Rasse, die eher misstrauisch und abweisend ist, durchaus Exemplare gibt, die menschenfreundlich sind, oder? Und wenn die Züchter das nicht ausschließen, verwandelt sich dann irgendwann ein CC in einen Labbi?

    Sind nur Gedankenspiele und Fragen ….

  • Und wenn die Züchter das nicht ausschließen, verwandelt sich dann irgendwann ein CC in einen Labbi?

    Wenn Züchter*innen das nicht ausschließen oder sogar fördern, könnten deutlich menschenfreundlichere Schläge des Cane Corso entstehen, ja. Deswegen ist ja die Selektion nicht nur auf Optik sondern auch auf rassetypisches Verhalten so wichtig, wenn man eine Rasse erhalten will.


    8 Prozent Erklärung von Verhalten durch Genetik ist ein hoher Wert im Verhältnis

    Das finde ich aber auch, Danke dass Du mich da bestätigst! Ich war total überrascht, dass man von 8% Erklärwert auf "kaum Einfluss" kommen kann. Aber ich dachte mir, ich sage dazu mal nicht, vielleicht ist das unter Verhaltenbiologen ja anders. Aber bei Freilandökologen wäre ein Erklärwert von 8% für einen Faktor schon echt viel.

  • Naja es geht um 18.000 Hunde, die Befragungsungenauigkeit wurde berücksichtigt und nochmal nachgeprüft mit Mischlingen.


    Es wurden Aussagen über Rassehunde gesammelt und das quer gecheckt mit Mischlingen wo man nicht genau wusste was drin ist und dann mittels Gentest geguckt und zurück geprüft ob das dann von den Rasse kommen kann.

    Ich finde es etwas schade das die Studie hier so abgewatscht wird obwohl sie eigentlich sehr spannend ist.

    Sie ist spannend.


    Aber die Schlussfolgerung, die überall beschrieben wird, ist so nicht stimmig. Diese Schlussfolgerung wurde von der Redaktion von science.org (eventuell von den Autoren der Studie selbst?) der Publikation vorangestellt und dadurch übermäßig stark ins Zentrum gerückt:

    Thus, dog breed is generally a poor predictor of individual behavior and should not be used to inform decisions relating to selection of a pet dog.

    Dieser unglücklich formulierte Satz ergibt eine so wunderbare Schlagzeile, dass in allen folgenden Artikeln der Studie eine Aussage unterstellt wird, die die Daten gar nicht hergeben.

    Es ist völlig richtig, dass die Varianz von Verhalten innerhalb der Rassen groß ist. Es ist völlig richtig, dass die Erblichkeit von Verhalten gering ist, jedenfalls deutlich geringer als die Erblichkeit von optischen Merkmalen. Es ist auch richtig, dass sehr viel hündisches Verhalten nicht "typisch Rasse xyz" sondern schlichtweg "typisch Hund" ist. Und dann sind da die rassetypischen Eigenschaften, vor allem solche, die züchterisch gut beeinflussbar, weil recht gut vererbbar sind.

    In der Diskussion machen die Autoren sogar den Unterschied:

    For more heritable and more breed-differentiated traits, like biddability (factor 4), knowing breed ancestry can make behavioral predictions somewhat more accurate in purebred dogs. For less heritable, less breed-differentiated traits, like agonistic threshold (factor 5), which measures how easily a dog is provoked by frightening, uncomfortable, or annoying stimuli, breed is almost uninformative.

    Diese Differenzierung erscheint mir wichtig. Es gibt die Eigenschaften, die rassespezifisch stärker oder weniger stark ausgeprägt sind. Diese Eigenschaften sind es, deren Kombination das Wesen einer Rasse ausmacht. Das ist in der Gesamtheit des Verhaltensrepertoires des Hundes (als Spezies) natürlich nur eine winzig kleine Variation, aber sie ist völlig ausreichend um von Menschen, die sich ein wenig intensiver mit Hunden beschäftigen, erkannt zu werden.


    Die Ergebnisse der Studie widerlegen nicht die Existenz von rassetypischem Verhalten. Im Gegenteil, sogar in der recht überschaubaren Zahl an untersuchten Verhaltensmerkmalen erkennen die Autoren Beispiele für rassetypische Verhaltensunterschiede. Aber dieses Ergebnis wird nicht in den Medien breitgetreten. Da werden nur die Teile in den Fokus gerückt, bei denen es keine rassespezifischen Unterschiede gab.


    Insofern: Ich sehe gar nicht, dass die Studie abgewatscht wird. Die fehlerhafte Kommunikation der Ergebnisse wird abgewatscht. Zu Recht.

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