Hallo,
wir haben seit 10 Tagen einen Hund aus dem Tierschutz bei uns. Freddy ist ein großer Mischlingsrüde (uns wurde vom Verein eine Schulterhöhe von 50cm genannt, allerdings ist er eher 65cm hoch, wie sich dann rausstellte, als er aus dem Transporter stieg - also bitte keine Kommentare darüber, warum wir als Ersthund so einen "Riesen" adoptiert haben - war keine Absicht, ist nun aber nicht zu ändern. ;-) ) aus Bulgarien, aber wohl kein Straßenhund oder Kettenhund. Er wurde von einer Familie auf deren Grundstück gehalten und beim Umzug abgegeben.
Bisher läuft es ganz gut, aber Freddy kam in keinem guten Zustand an: Er ist viel zu dünn, man sieht jede einzelne Rippe, er hatte massiv Durchfall und war völlig verstört. Uns wurde auf Nachfragen hin erläutert, dass er in der Station in Bulgarien, wo die Hunde leben bevor sie nach Deutschland ausreisen, von den anderen Hunden gemobbt wurde, weil er trotz seiner Größe überhaupt nicht dominant ist. Inzwischen frisst er gut und die Verdauung ist okay, er ist uns gegenüber auch schon aufgetaut und fordert massiv Streicheleinheiten ein. Trotzdem ist er noch sehr schreckhaft, alles ist Stress für ihn und er ist noch nicht richtig angekommen, das merkt man deutlich. Er kann uns noch nicht einschätzen und obwohl er gern gestreichelt wird, vertraut er uns noch nicht richtig, zuckt bei schnellen Bewegungen zurück und beobachtet ganz genau, was wir machen. Zum Schlafen zieht er sich am liebsten von uns zurück und geht in einen anderen Raum.
Natürlich bringt er auch seine Päckchen mit und das wird wohl nach den viel besagten 3 Monaten Eingewöhnungszeit noch schlimmer, aber was jetzt schon zu erkennen ist:
Zunächst hat er panische Angst vor anderen Hunden. Sowas habe ich wirklich noch nicht gesehen. Ist der andere weiter weg, springt Freddy in die Leine und verbellt ihn, aber nähert sich der andere erstarrt Freddy, wird geradezu katatonisch, ist überhaupt nicht mehr ansprechbar und bepinkelt sich teilweise sogar während er völlig bewegungslos mit eingekniffenem Schwanz und gesenktem Kopf dasteht, der Arme. Daher machen wir so gut es geht einen Bogen um andere Hunde, aber auf Dauer sollte das natürlich besser werden. Dann haben wir ein Problem, wenn er auf seiner Decke oder in seinem Körbchen liegt: Versucht man ihn dort anzufassen, schnappt er in die Luft und knurrt (ein Mal hat er versehentlich meinen Arm erwischt, aber er hat nicht zugebissen, nur das offene Maul drum gelegt. Dennoch müssen wir daran unbedingt arbeiten.). 30 Sekunden später, wenn er von seinem Platz runter ist, kommt er wieder wedelnd und Streicheleinheiten fordernd zu einem als wär nichts gewesen.
Mir ist schon klar, dass das mit einem Hundetrainer angegangen werden muss. Ich hab selbst zwar ein wenig Erfahrung, aber Freddy ist mein erster Tierschutzhund und der erste für den ich komplett allein verantwortlich bin. Bei unserem letzten Schäferhund wohnte ich noch bei den Eltern. Ich war zwar hauptsächliche Bezugsperson, aber der Hund kam vom Züchter zu uns, war super sozialisiert und wuchs bei uns auf. Das ist erziehungstechnisch nicht zu vergleichen mit bereits erwachsenem Tierschutzhund, klar.
Nun habe ich das Problem, dass ich im letzten Zipfel wohne. Hier gibt es genau eine Hundeschule ca. 15 Min mit dem Auto entfernt, die aber gerade auch gar nicht offen zu sein scheint und die einen grauenhaften Ruf hat (arbeiten wohl nicht gewaltfrei sagen mehrere Quellen unabhängig voneinander). Sonst gibt's hier im Ort/den Vororten nichts. Dann gibt's im Einzugsbereich einen Hundetrainer der bis hier her kommen würde und der ganz gut zu sein scheint nach Erfahrungsberichten meiner Hunde-Bekannten, der aber voll ist und keine Klienten mehr annimmt.
Die nächste Hundeschule ist schon 50 - 60 Minuten Fahrtzeit pro Weg entfernt. Autofahren ist für Freddy noch die Hölle - was nach dem Transport aus Bulgarien wohl nicht verwundern dürfte.
Daher frage ich mich jetzt, ob es sinnvoll ist, erst einmal zu versuchen, den Hund richtig ankommen zu lassen und dabei möglichst schon sanft gegen die unerwünschten Verhaltensweisen zu arbeiten (ich habe Bücher und Online-Material bis zum Abwinken rausgesucht). Ich habe aufgrund seiner Unsicherheit nämlich wirklich Sorge, falls ich ihn jetzt ins Auto zwinge, mit ihm 50 Minuten durch die Gegend fahre zu einem Ort mit anderen Hunden und wieder zurück, dass dann das bisschen Vertrauen, was er bisher hergestellt hat, gleich wieder flöten geht und ich ihn erst recht traumatisiere.
Oder ist es ratsam, möglichst umgehend mit dem (professionell begleiteten) Training zu beginnen, weil sich die Ängste und unerwünschten Verhaltensweisen sonst sogar noch auswachsen?