Schwierig händelbarer Hund mit Deprivation - was tun?

  • Deprivation ist nur ein Wort.

    Nein.


    Das stimmt so krass nicht immer.

    Es gibt verschiedene Stufen.



    Wenn ein Hund im dunklen Stall aufwächst, dann sieht er später schlecht und das kann dann auch nicht mehr besser werden.

    Der Hund wird noch ganz andere Probleme haben.


    Wäre es möglich, die Deprivationsdefinition - oder auch nicht - in einen eigenen Thread zu verlagern?
    Gibt ja schon einige Threads speziell zu diesem Thema.
    Spezielles und sehr interessantes Thema, wäre schade wenn wir damit die TE in ihrem Thread stören.

  • Erstmal: Reizarm aufgewachsen (beim „Hinterhofvermehrer“) ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit Deprivation. Deprivation ist ein dauerhafter Hirnschaden, der dadurch entsteht, dass der Hund in der Phase seines Lebens, in der die Fähigkeit zum Lernen und zum Generalisieren ausgebildet wird, kaum Eindrücke erhält. Ein Hund mit Deprivationsschaden hat nicht die Ressourcen, neue Eindrücke zügig zu verarbeiten, auch nicht in Umgebungen mit (relativ betrachtet) niedriger Reizlage.


    Im Eingangsbeitrag ist beschrieben, dass der Hund im Wald „klasse“ ist. Das sie nach einem ein- bis anderthalbstündigem Spaziergang nach einer Ruhepause noch imstande ist, mit verminderter Konzentration Such- und Apportierspielchen zu leisten. Dass sie schon viele Fortschritte gemacht hat (trotz mehrerer Trainer - also mit unterschiedlichen Trainingsansätzen), obwohl sie erst seit Oktober bei ihrem neuen (vierten) Besitzer ist. Das kann ein Hund mit Deprivationsschaden mMn schlicht nicht leisten. Jedenfalls keiner, den ich kenne, schon gar nicht nach mehrfachem Besitzerwechsel.


    Ich kenne allerdings mittlerweile einige Hunde dieser Rasse, die schlecht sozialisiert sowohl auf Umgebung als auch auf Artgenossen aufgewachsen sind - und dafür ist das beschriebene Verhalten sehr typisch. Staffs sind hochreaktiv veranlagt, stellenweise artgenossenunverträglich, mit ausgeprägtem Jagdtrieb und der ganzen Energie, Durchsetzungsfähigkeit und Kompromisslosigkeit eines Terriers. Für genau sowas wurden sie früher gezüchtet. Und gerade bei so manchen „Hinterhofzuchten“ ist das durchaus auch heute noch so gewünscht. Im Kombination mit mangelnder Sozialisation, Mangel an Impulskontrolle, Frustrationstoleranz und Nerven und ohne fest etablierte Führung kommt da ziemlich genau das bei raus, was hier beschrieben ist. Da brauchts Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Können.


    Wissen kann man es natürlich nicht, ohne den Hund gesehen und eingeschätzt zu haben. Das sind also nur Vermutungen anhand der Beschreibung. Genau deshalb ist es aber umso wichtiger, dass sich jemand den Hund genau anschaut, der sich damit wirklich gut auskennt.

  • Ich hatte einen DSH der mit 8 Wochen in einen dunklen Altbaukeller abgeschoben wurde bis der Tierschutz ihn im Alter von einem Jahr befreite.

    Ein Freund, ähnlich, bekam einen 15 Monate alten Fila aus Kellerkettenhaltung.

    Beide wurden wunderbare Hunde.

  • Aktuell ist der Hund durch die Wechsel, durch das viele Programm und auch durch die ständigen Rückfälle definitiv überfordert.

    Daraus folgt: In der Ruhe liegt die Kraft. Vom ersten Meter an. Beim geringsten Zeichen von Unruhe zurück ins sichere und vertraute Heim. Die größeren Strecken nur nachts um 23Uhr und früh um 5:30 Uhr. In einer ruhigen Nebenstraße hundert Meter immer hin und her. Langsam, sitz, Fuß, Sitz, Fuß. Bei der geringsten Gefahr mit anderen Hunden oder undisziplinierten Menschen: Rückzug! Manchmal auch nur im Treppenhaus Stufe für Stufe. In der Wohnung kleine Spiele für das Vertrauen. Plüschtier werfen, bring, Keks. In der Wohnung Maulkorb drauf und auch mal derb testen. Frustrationstoleranz?

  • Ich kenne allerdings mittlerweile einige Hunde dieser Rasse, die schlecht sozialisiert sowohl auf Umgebung als auch auf Artgenossen aufgewachsen sind - und dafür ist das beschriebene Verhalten sehr typisch.

    Bei solchen Rassen fällt es eben besonders auf. Das gibt es aber bei kleinen Rassen noch viel mehr: verrückte Chis, JRT, Westis usw. Wegen denen gibt es auch die meisten Anzeigen, aber für die braucht man rein von der Kraft her nicht die entsprechenden Gegenmittel.


    Wie man das nun nennt und sogar die Ursache wäre doch völlig egal. Fakt ist, dass man manche Sachen ab einem bestimmten Zeitpunkt kaum noch aus dem Hund heraus bekommt. Man muss dann geeignete, zweckmäßige Mittel finden, es zu beherrschen. Oder die Leine reißt wieder und der Hund verschwindet für immer oder er kommt bis ans Ende ins TH in den Bereich ohne Besucherzugang.

  • Och, ich kenne durchaus auch Hunde mit ähnlicher Vorgeschichte, die verantwortungsbewusst geführt werden (was mit Deckeln nichts zu tun hat) und dabei ein glückliches Leben führen. Indem mit den Hunden gearbeitet und eben nicht versucht wird, was aus ihnen herauszukriegen. Dazu gehört allerdings sehr viel Sachkunde und Erfahrung.

  • Die wunderbar sehen konnten? In den ersten 12 Wochen im Keller?

    Es wurde nur der übliche Sehtest für Hunde gemacht. Da sie normal reagierten wurde das nicht weiter verfolgt (natürlich wurde auch der Augenhintergrund untersucht).

  • Nur angenommen, das sind die Fakten:

    Hallo,

    wir haben eine 4-jährige Hündin (Terrier Mix) übernommen.... Ursprünglich stammt sie von einem illegalen Welpenhändler und ist wohl sehr reizarm aufgewachsen.

    Die Hündin ist draußen sehr reizüberflutet. Wir wohnen nicht direkt in der Innenstadt, und in der Umgebung gibt es ein paar grüne Ecken; aber man trifft u.U. schon eher mehr Menschen und Hunde. Sie starrt alle Kleinigkeiten intensiv an, und schaut zu allen Seiten, ist sehr aufgeregt; kommt ein anderer Hund, pöbelt sie massiv. Sie hat Kraft ohne Ende; selbst mein Partner (der wesentlich mehr Masse aufweist als ich) muss schon alle seine Kräfte zusammen nehmen, um den Hund zu führen.

    Was muss man dann tun? Kekse ohne Ende gegen Kraft ohne Ende?


    Wir hatten geglaubt, dass ein Hund nach Stress ein paar Minuten aufgeregt ist. Im Internet (Hund Dauer Stress Adrenalin Cortisol) haben wir gelesen, dass der Zeitraum zwischen 10 Sekunden und ein paar Tagen liegen kann. Wenn ein Hund heute ausflippt, kann die Ursache vorgestern gewesen sein.


    Also würde ich versuchen, den Hund auch an mehr Adrenalin zu gewöhnen, wenn das möglich ist. Ein Mensch kann lernen, mit Stress umzugehen. Dieses spezielle, provokative Reiztraining geht natürlich nur in geschützter Umgebung in ganz vorsichtiger Dosierung und man muss sehen, wie man ihn dann sicher in die Wohnung bekommt. Auf der anderen Seite würde ich den Stressabbau trainieren (Hund Stressabbau trainieren).


    Gegenkonditionierung wäre noch ein Stichwort.

    Das habe ich eben gefunden:

    https://www.tierverhaltensther…ngebot/verhaltenstherapie

    "Angst- und Aggressionsprobleme sind die "klassischen Fälle" der Tierverhaltenstherapie- wobei letzteres doch häufig aus ersterem resultiert."


    Und versteckte Angst resultiert oft aus Fehlern und Faulheit beim "Züchter".


    Letztendlich wird so ein Hund bei unbekannten Dingen immer wieder höheren Stress entwickeln, als ein normal und sachkundig aufgezogener Hund. Daher bedarf es ständig und dauerhaft besonderer Sicherheitsmaßnahmen.


    Terrier sind Jagdhunde, über die man sich am besten mit einem erfahrenen Jäger berät.

  • Vielen Dank für die zahlreichen Beiträge zu meinem Thread. Wir haben uns heute beim Amt gemeldet, zwecks Ummeldung des Hundes (als Listenhund).

    Ich danke euch für den Austausch. Wir werden weiterhin mit dem Hund arbeiten (auch mit Trainern), und dann werden wir sehen, wie sich der Hund mit der Zeit entwickelt und dann schauen wir weiter.

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