Tierschutzhund hat extreme Angst
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Und jetzt doch noch mal meine 2 Cent von mir.
Uns fehlen hier ja (zwangläufig, ist kein Vorwurf) ganz viele Infos.
Wo und wie hat die Hündin vor der Vermittlung gewohnt? In Rumänien? Im Shelter? Auf einer Pflegestelle? Ist sie dort, wo sie gewohnt hat, geboren bzw. aufgewachsen oder hat sie schon einen oder mehrere Umzüge hinter sich? Wie hat sie vorher gewohnt?
Wie wohnt sie jetzt? Lebt ihre neue Familie ruhiger, kleinstädtischer, dörflicher Umgebung oder mitten in einer Großsstadt -> ist "der Hof" z. B. der private Hof eines alleinstehenden Einfamilienhauses oder der Hinterhof eines großen Mehrfamilien-Miethauses. Usw. usw. usw.
Das alles beeinflusst ja, wie fremd die Umgebung für die Hündig ist und was alles an neuen Eindrücken auf sie einprasseln. Und wie extrem ihre anfängliche Reaktion nun ist.
Die Hündin wirkte vor der Vermittlung ja "normal und glücklich". Daher kann ich mir gut vorstellen, dass sie zu diesem Zustand zurückfindet, wenn sie sich in Ruhe eingewöhnen kann. Manchmal ist kaum zu überschätzen, wie viel Sicherheit einem Tier seine gewohnte Umgebung gibt
Ich habe einmal die einst scheue, inzwischen seit Jahren extrem souveräne Hündin einer Bekannten für einen Tag da gehabt. Ich kannte sie nur als saucoole Großstadthündin, die gechillt leinenlos durch das Berliner Zentrum latscht, läuft, springt und geht und durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist.
Von der Halterin wusste ich, dass die Hündin bei der Übernahme praktisch nicht zahm war. Als ich sie den Tag über bei mir hatte, war deutlich spürbar, wie viel Sicherheit ihre Halterin ihr normalerweise gibt, sie war ganz anders als sonst, viel, viel scheuer und schreckhafter. Halsband umlegen, rausgehen usw. gingen, musste ich aber sehr vorsichtig und unbedrohlich machen, sie war wirklich total verunsichert. Dabei war sie nur um direkt die Ecke in einer Wohnung, die sie kannte mit einem Menschen und einem freundlichen anderen Hund, die sie auch schon wirklich gut und seit Jahren kannte.
Eine andere Halterin in meinem jetzigen Kiez hat eine junge TS-Hündin übernommen, die anfangs partout nicht rauswollte. Sie hat die Hündin dann eine Woche lang in einem Buggy rumgefahren (was nur ging, weil das für diese Hündin ok war – DAS IST KEINE EMPFEHLUNG einen Hund ohne das anständig zu üben in einen Buggy zu schmeißen*) , so dass sie die neue Umgebung passiv kennenlernen konnte. Nach zwei Wochen waren sie auf kleinen Gassis und nach ein paar Wochen war die Kleine eine Abenteurerin geworden.
Und daher denke ich, ohne jegliche Erfahrung und bratzig-blöd: ich würde da erstmal nix floodden, sondern der Hündin einfach Zeit geben. Sie hat einen krassen Wechsel hinter sich, weiß der Himmel wie krass. Eine Begleitung durch einen komptenten Trainer wäre super, eine Begleitung durch einen inkompetenten Trainer wäre shit.
Und Lavendel-Spray und so: macht das! Und wenn nur, um euch besser und relaxter in der Situation zu fühlen, das färbt dann sicherlich auch auf die junge Dame ab.
Weil, ihr erlebt ja auch gerade eine Situation, in der ihr unsicher seid und weniger Kontrolle habt, als ihr es euch wünscht. Was euch ein besseres Gefühl gibt, wird sich sicherlich auch positiv auf die Hündi auswirken.
* Hey, aber TE, evtl. könntet ihr abends/nachts eure Schuhe etc. – Dinge, die draußen waren – in das Zimmer mit der Hündin stellen, so dass sie wenn sie sich sicher fühlt, über die Nase in Ruhe einen ersten Eindruck von diesem gruseligen Draußen verschaffen kann.
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Hi,
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Also vieles wurde schon gesagt.
1 Woche ist nichts, gerade für Hunde die wenig oder nichts kennen.
Sie frisst, trinkt, löst sich und schläft. Sehr gut, dann sind die wichtigen Dinge schon mal erledigt.
Ich finde es wichtig den Hund in Ruhe ankommen zu lassen und erstmal nichts zu erwarten.
Heisst auch nichts Neues hinzuzufügen und auszuprobieren. Nur in neuer Umgebung zu existieren kann schon genug Input sein, vor allem wenn sie sich nicht mal aus der Ecke raus traut.Wenn sie sich in der Wohnung und in euer Anwesenheit wohler fühlt und sich aktiv mit euch auseinander setzt , dann würde ich erst die nächsten Schritte planen (zb vor die Tür gehen. Das muss auch kein lösen beinhalten, falls es draußen noch zu gruslig ist, sondern einfach vor der Haustür 5 min rumstehen etc). Viele dieser Hunde sind zu anfangs einfach überfordert und tauen nach und nach auf.
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Hier bin ich nochmal
Alle satt, entleert und die Umgebung ist auch wieder so, wie sie sein soll. Was übrigens auch eine gute Faustregel gibt, wie man Hunden die Eingewöhnung erleichtern kann. Hier Part 2 der Vorlesung
Erstmal generell zum Thema Angst (und warum es wichtig ist, keine Angst vor der Angst zu haben):
Angst ist eine Reaktion des Organismus auf eine echte oder vermeintliche Bedrohung. Adrenalin wird ausgeschüttet, üblicherweise werden Herzschlag, Blutdruck und Atemfrequenz erhöht (es sei denn, das parasympathische System überzieht und es kommt zur Schockstarre, da ist die Reaktion anders). Der Organismus konzentriert sich auf die Möglichkeit zum Kampf oder zur Flucht. Die Wahrnehmung ist geschärft, aber nur auf die Bedrohung konzentriert. Bei richtiggehender Panik ist das zugespitzt, die Reaktionen entziehen sich bewusster Einflussnahme. Ein ziemlich mieses Gefühl, für den Hund nicht anders als für den Mensch.Gegen die Angst hilft entweder schneller Adrenalinabbau (durch Bewegung, der Körper ist ja auf Flucht oder Kampf programmiert). Oder langsamer Angstabbau durch die Arbeit des parasympathischen Systems. Der Körper kernt Angstbewältigung, wenn er die Möglichkeit hat, Angst so dosiert zu erleben, dass sie ihn nicht völlig überfordert und danach Zeit und Ruhe zur Verarbeitung hat. Sprich: Schlaf. Viel davon. Im Schlaf erholt sich 1. der Körper wieder regeneriert und 2. verarbeitet das Gehirn die erlebten Reize und Eindrücke.
Fehlt die Möglichkeit zur Erholung von dem Angsterlebnis, Ruhe und ausreichend Schlaf, gerät der Körper unter Dauerstress. Ein übergroßes Maß an Cortisol bildet sich. Der Körper bleibt auf „Habacht“, die Wahrnehmung angespannt, die Möglichkeit zur Ruhe und damit die Verarbeitung von Reizen und Erlebnissen nimmt Schaden. Und daraus entwickelt sich ein Teufelskreis. Ist der Körper erst einmal in einem Zustand von Dauerstress, dann dauert es sehr, sehr lange, bis er sich wieder regeneriert (mehrere Wochen sind da nicht ungewöhnlich). Der Abbau eines erhöhten Cortisolspiegels dauert eh schon lange. Und jeder ungünstige Impuls von Außen treibt den Stress wieder in die Höhe.
Und eine Möglichkeit, darauf zu reagieren, ist der totale Rückzug und Vermeidung von allen Aktionen, die zu erneuter Konfrontation mit einem Angstauslöser führen könnte (fies ist, dass langfristig gesehen diese Strategie mehr schadet als nützt, aber das weiß der Organismus in dem Moment ja nicht).Hunde sind Gewohnheitstiere. Wenn man überlegt, welches Maß ungewohnten Erfahrungen Dein Hund auf dem Weg hierher sammeln musste und wie wenig das Leben im Shelter sie möglicherweise für das gerüstet hat, was sie hier vorfindet, dann ist die Reaktion schon verständlich. Es ist gut möglich, dass Du einfach einen sehr, sehr, sehr gestressten Hund hast, der aus diesem Stress gerade einfach nicht rausfindet und sich deshalb auf die Strategie „totaler Rückzug“ verlegt hat.
Dagegen hilft von Außen:
1. Eine stabile Umgebung mit verlässlichen Routinen (ich würde daher an Eurer Stelle tatsächlich nicht immer neue Ansätze mit ihr versuchen, sondern den Fokus erstmal vom Hund wegnehmen und Euren Alltag leben. Sofern der nicht total chaotisch ist
). Und dem Hund Gelegenheit geben, Euch zu beobachten, Euer Gefüge zu verstehen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wo ihr Platz in diesem Gefüge sein könnte. Je unruhiger Ihr selbst seid, desto weniger Ruhe könnt Ihr dem Hund geben. Und macht Euch klar, dass alles, was Ihr dem Hund anbietet, auch eine Forderung an ihn ist. Es erfordert eine Reaktion. Und so lange sie unsicher ist und nicht weiß, wie sie sich verhalten soll, strengt das an.2. Bedingungslose Erfüllung der Grundbedürfnisse. Fressen und Wasser ausreichend zur Verfügung. Dass sie im Moment schlecht frisst, ist bei einem gestressten Organismus auch normal, angstverursachter Stress reduziert Hungergefühl und Appetit. Stellt ihr Futter zur Verfügung (möglichst das gewohnte Futter, fragt da mal bei der Orga nach), peppt es mit Leckereien auf und lasst ihr beim Fressen ihre Ruhe. Bitte keine Handfütterung oder irgendwelche Gehorsamkeitsrituale ums Futter. Schaut unauffällig, ob Ihr das Gefühl habt, dass ihr die Umgebungstemperatur passt und lasst sie schlafen, so viel sie kann. Wenn sie die für sie gedachten Liegeplätze nicht nutzt, dann bietet ihr da eine Decke an, wo sie liegt. Streicheln muss keine Belohnung sein, wenn der Hund es nicht kennt und nicht fest als wohltuende Zuwendung verknüpft hat, dann ist es eher Belästigung.
3. Mit den Lösemöglichkeiten würde ich an Eurer Stelle erstmal so verfahren, wie Ihr Euch auch wohl damit fühlt. Wie gesagt: Je unruhiger oder unsicherer Ihr seid …
4. Vom Hund aus selbst hilft Neugier, Entdeckergeist, Wunsch nach belohnenden Erlebnissen, Wunsch nach Interaktion mit den Sozialpartner*innen und Zugehörigkeit zur Gruppe. Von dem her, was Du schilderst, bringt die davon reichlich mit, Lilly hat davon anfangs gar nichts gezeigt. Habt sie zwar nicht im Fokus, aber geduldig im Auge und beobachtet, was sie mag, was sie aus ihrer Reserve locken könnte. Ob es Tageszeiten gibt, in denen sie sich etwas sicherer fühlt (bei Lilly war das Abend- und Morgendämmerung). Und fördert das, was sie Euch anbietet und stärkt sie in dem, was sie kann
Erziehung kann dann kommen, wenn due aufnahmefähig ist.Zum Thema generalisierte Ängste und Deprivation schreibe ich morgen nochmal was. Aber wie gesagt: Aktuell kann man das noch gar nicht sicher beurteilen, ob Ihr es damit zu tun habt. Bei der Einschätzung könnte ein erfahrener Trainer helfen.
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und warum es wichtig ist, keine Angst vor der Angst zu haben
Sagt sie so leicht in einem Nebensatz und ist zumindest für mich das Schwierigste bei dem Thema überhaupt.
Hier ist nur ein situativ ängstlicher Hund, der einfach Nichts kannte eingezogen. Weit, weit weg von Angsthund und trotzdem der Grat zwischen die Komfortzone verlassen und die Welt wird immer kleiner, wenn man es nicht tut ist fies, wirklich, ich arbeite lieber mit Aggression oder was auch immer, als meinem Hund aktiv in unangenehme Situationen zu schubsen und dann kommt diese geballte Wucht an negativen Emotionen auch noch ungefiltert zurück. Da nicht selbst zu meiden ist harte Arbeit, zumindest für mich. Genauso wie souverän bleiben und irgendwas hilfreiches tun. Besonders fies Rückschlage, weil man etwas falsch eingeschätzt hat. Der Leinenpöbler pöbelt halt, der Angsthund verwandelt sich in ein Häufchen Elend.
Aus Menschenperspektive, sucht euch so schnell es geht sichere Inseln, bei denen du weißt es wird schön. Nicht nur der Hund muss Akkus aufladen, auch der Mensch. Ich fand das ganz, ganz wichtig.
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Ist ja schon viel geschrieben. Was ich noch erwähnen möchte ist der Part der Gefühle der Menschen.
Man kann nicht unbedingt ein (fremdes) Tier lieben. Und noch schwieriger ist es ein fremdes panisches Tier lieben zu lernen.
Bei den Menschen läuft auch was ab. Die hatten es sich so und so vorgestellt und nun ist es vorläufig ganz anders gekommen.
Das Tier will keinen Kontakt.
Das ist nicht so einfach für die neuen Hunde"Eltern".
Was unterm Strich bleibt: Der Hund ist sehr schwer krank!
Wendet euch wirklich schnell an TrainerInnen, die euch unterstützen.
In der Nachbarschaft ist auch so ein Fall. Und die haben wöchentliche Zoomkonferenzen mit anderen Haltern von traumatisierten Hunden mit Angst und Panikstörung. Das wird professionell moderiert.
Es ist nämlich nicht einfach mit solchen Hunden zu leben. Und es tud immer gut zu erleben, dass es anderen auch so geht.
Alles Gute für euch und den Hund.
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und warum es wichtig ist, keine Angst vor der Angst zu haben
Sagt sie so leicht in einem Nebensatz und ist zumindest für mich das Schwierigste bei dem Thema überhaupt.
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Aus Menschenperspektive, sucht euch so schnell es geht sichere Inseln, bei denen du weißt es wird schön. Nicht nur der Hund muss Akkus aufladen, auch der Mensch. Ich fand das ganz, ganz wichtig.
Da hast Du schon weiter gedacht als ich, ich war nämlich noch bei Bangbüx selbst. Ich wüsste es zwar nicht zu belegen, bin aber ziemlich überzeugt davon, dass auch Hunde die „Angst vor der Angst“ kennen, die auch bei menschlichen Angststörungen ein Therapiehindernis bildet.
Aber ja: Auch für den mitfühlenden Menschen ist es nicht einfach und es ist wichtig, ein Auge darauf zu haben, welche Last man selbst mitträgt und wo man sich entlasten kann. Im Sinne von Mensch und Hund.
Menschen und Hunde haben die Fähigkeit, sich artübergreifend zu verständigen und die Gefühle des anderen zu erkennen. Das macht das Team so erfolgreich. Und im Schnitt sind Menschen auch empathiebegabt (mal mehr, mal weniger) und wünschen sich und möchten dazu beitragen, dass es dem Umfeld gutgeht (auch mal mehr, mal weniger). Führt dazu, dass die miterlebte Angst Leid beim Menschen aufbaut. Und den Druck, da möglichst schnell Abhilfe zu schaffen.
Und weil man halt im eigenen Kopf feststeckt und das Gegenüber noch nicht wirklich kennt, will man mit dem Abhilfe schaffen, was man selbst als angstverringernd kennt. Die Gefahr dabei ist, dass man aus dem Auge verliert, dass die eigene Wirklichkeit nicht die des Hunds ist. Liebe Threadstartende, ich finde es z. B. klasse, dass Du erkannt hast, dass Dein Hund streicheln bestenfalls duldet und auf dem Arm nicht Sicherheit, sondern Schockstarre findet. Gibt einige Menschen, die das nicht tun bzw. wenn sie es tun falsch (persönlich) verstehen.
Jetzt gilt es, herauszufinden, was ihr hilft. Und dafür muss man den o. g. Druck aushalten, sich nicht in Hektik bringen lassen, sondern genau und aus Sicht des Hunds hingucken und das eigene Verhalten entsprechend anpassen. Bin da ganz optimistisch, dass Du das hinkriegst und Vriff hat da völlig recht: Je besser Ihr zuseht, dass Ihr auch Eure Entspannungszeiten bekommt, desto besser seid Ihr dafür gerüstet. Außerdem soll ja auch eine holprig beginnende Hundehaltung nicht zur Selbstkasteiung führen.
Wie versprochen nich kurz zum Thema generalisierte Ängste und Deprivation. Wobei nochmal angemerkt ist, dass Euch das gar nicht betreffen kann.
Von einer groben generalisierten Angst, wie es bei Lilly der Fall war, würde ich persönlich sprechen, wenn der Hund als vordringliche oder gar einzige Reaktionsmöglichkeit auf einen fremden Reiz Angst bus hin zum Paniktunnel hat. Heißt, der Hund kann auf vermeintlich Bedrohliches oder sehr Fremdes nicht anders reagieren, als mit blinder Flucht, Angststarre oder Angstaggression.
Bei der „klassischen“ Angstbehandlung geht es darum, den Hund in so kleinen Schritten an die angstauslösende Situation heranzuführen, dass er beim Ertragen unterhalb des Levels gravierender Angstsymptome bleibt. Platt gesagt Gewöhnung über fein dosiertes Heranführen. Das ist auch das übliche Training.Bei einer generalisierten Angststörung wäre mein Weg erstmal ein Anderer. Also die im zweiten Beitrag genannte Basis ist gleich. Dann ginge es mir darum, erstmal zu schauen, welches verschüttete Verhaltensrepertoire da ist und wie man den Hund dazu bringen kann, andere Reaktionen als die blanke Angstreaktion zu zeigen. Im ersten Schritt ist mir da auch erstmal nicht so wichtig, wie gesellschaftskonform diese Reaktion ist, Hauptsache, der Hund probiert was Neues aus (sieht man mal von „Menschen oder andere Mittiere fressen“ ab
Auch Aggression ist ein wichtiger und natürlicher Teil des Verhaltensrepertoires beim Caniden, aber Schaden bei Anderen zu verhindern hat Prio).Natürlich muss das dann mit Fingerspitzengefühl geleitet werden, aber was Neues an Verhalten ist größtenteils doch erstmal ein Gewinn.
Parallel würde ich das stärken, was man heutzutags die Erfahrung von Selbstwirksamkeit nennt. Also die Erfahrung, dass man mit seinem Handeln etwas bewegen kann. Und gleichzeitig das Selbstbewusstsein im wörtlichen Sinn, denn wer seine eigene Haut gut kennt und fühlt und sich in ihr wohlfühlt, der ist nicht so in Gefahr, durch Außenreize völlig aus der Contenance gebracht zu werden. Also z. B. kleine Übungen, die der Hund versteht, mag und gut lernen kann oder schon gut kann, die Spaß machen und die von einem Erfolgserlebnis und einer Belohnung begleitet werden (auch hier wichtig: Das nutzen, was der Hund auch als Belohnung empfindet, nicht das, was man selbst gerne hätte
). Da gibts auch andere Tolls, wie z. B. konditionierte Entspannung, Thundershirt o. Ä. Wichtig: Der Hund muss es gut finden. Tut er es nicht, ist es in dieser Phase nicht Mittel der Wahl mMn.Bei Lilly war was ganz Basales höchste Belohnung und gleichzeitig der erste Schritt zur eigenen Angstregulierung: Rennen. Dafür mussten wir erstmal rauskriegen, wann und wie sie sich draußen sicher genug fühlt (Dämmerung außerhalb vom umbauten Gebiet und menschenleer), dann konnten wir das nutzen.
Hier erstmal ein Cut, mehr gerne bei Bedarf, funk mich in dem Fall gerne kurz dazu an.
Noch zur Deprivation und ganz klar angemerkt: Davon würde ich bei Euch nicht ausgehen, die geschilderte Neugier und Bereitschaft zur Orientierung an Euch schon in der ersten Woche spricht erstmal dagegen. Aber ich will der Vollständigkeit halber darauf eingehen:
Es gibt eine eng begrenzte Phase im Leben eines Hunds, in den ersten Lebenswochen, in der das Gehirn die neuralen Verknüpfungen ausbildet, die für das Verarbeiten, Speichern und Generalisieren von Reizen zuständig sind. Also platt gesagt die Verknüpfungen, die das Lernen als Solches ermöglichen. Damit das gut gelingt, muss der Hund 1. genug Reizinput zur Verarbeitung bekommen und 2. der Metabolismus auch die Möglichkeit zur Verarbeitung bekommen. Also Ruhe, Sicherheit und Schlaf, denn da werden die Verknüpfungen gebildet.Ist eins von beiden nachhaltig und fortwährend gestört, dann kann es sein, dass sich diese neuronalen Verknüpfungen nicht so ausbilden, wie es idealerweise der Fall wäre. Die Folge ist ein bleibender Schaden an der Fähigkeit zum Erwerb von Lernerfahrungen.
Das heißt nicht, dass der Hund im Verlauf seines Lebens nicht lernen kann. Aber er braucht ggf. andere Möglichkeiten, mehr Zeit und hat vielleicht auch längere Grenzen. Wenn Du magst, schreibe ich nochmal was dazu, wie sich das bei Lilly gezeigt hat (ein wie schon angemerkt sehr glücklicher und kompetenter Hund. Nur eben etwas anders
Was für uns überhaupt kein Problem ist). -
Habe ihr einen Garten? Wir haben unseren ebenfalls sehr verstörten Auslandsimport sicher angeleint und sind mit ihm regelmäßig vom Wohnzimmer auf die Terrasse gegangen, ca. eine Distanz von 20 m, mehr war anfangs auch nicht möglich.
Dann haben wir einfach abgewartet. Ohne Druck oder Stress. Und, siehe da, nach kurzer Zeit hat er am nächsten Busch das Bein gehoben, und da war der Knoten geplatzt. Er traute sich dann jeden Tag etwas mehr, unser Garten ist allerdings ausbruchsicher eingezäunt.
Spaziergänge „draußen“ waren jahrelang schwierig, speziell außerhalb der gewohnten Umgebung. Wir haben das irgendwann akzeptiert, aber ich denke, so weit muss es bei euch nicht kommen. Anfangs ist es einfach nur wichtig, geduldig zu sein und keine unerfüllbaren Ansprüche zu stellen.
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