Tierschutzhund hat extreme Angst

  • Ninma Ja, sie frisst (wenig) und tagsüber fast nur Leckerlis, Abends dann aber ihr normales Futter. Aber auch nicht alles.

    Wir haben leider im Umkreis gar keinen mit Hund. :( Aber danke dir für deine Antwort, das macht mir total Mut!! Auch, das wir ihr einfach noch Zeit geben müssen. Kannte bis jetzt nur die 3-3-3 Regel und war deswegen auch sehr verunsichert.

  • Wir beide wissen leider gerade gar nicht weiter. Einerseits macht es uns Angst wie wenig sie trinkt & isst, aber auch wie viel Panik sie hat sobald wir "näher" kommen und raus wollen. Deswegen wollte ich einfach mal fragen, ob ihr irgendwelche Tipps habt, wie wir ihr das Ankommen bei uns erleichtern können bzw. was ihr helfen könnte.

    Es ist halt ehrlich gesagt immer eine schlechte Kombi: Total verstörter Hund und Halter, die nicht mehr weiterwissen und nach irgendwelchen Tipps fragen. Es kann übers Internet keine seriösen Tipps geben. Wichtig sind Gespür für den Hund, erkennen der Körpersprache, Sicherheit geben durch Zuversicht und Durchschaubarkeit, Distanz, aber auch das Gespür zu sehen, wann kann man es mit Nähe versuchen, wann zerstört ein zuviel das Vertrauen.

    Die eigene Unsicherheit im Umgang und das nicht spüren, was man machen kann und was nicht, spürt auch der Hund. Ich hatte schon mit einigen Angsthunden zu tun - und jeder war anders und brauchte was anderes und benötigte andere Hilfen. Da gibts eigentlich nicht wirklich Tipps, außer: Lerne, hinzusehen und hineinzufühlen und suche dir ab sofort einen vernünftigen Trainer mit Ahnung (und die sind sehr viel schwerer zu finden als Du denkst ;-) )

  • Ist es eigentlich so sicher, dass es hier um einen Angsthund geht? Mir erscheint diese Kategorisierung doch reichlich früh. Zumal auch gesagt wurde, dass sich der Hund bei der Orga anders präsentierte. Ich würde da also den Teufel nicht direkt an die Wand malen.
    Und ja, ein Forum kann kein Ersatz für alles sein. Aber wir haben hier doch einige Beispiele, bei denen man schön sehen kann, wie der Austausch auch den Fragenden deutlich weiter bringen und sicherer werden lassen kann. Ich denke da z. B. an Cuper und sein Herrchen. Die haben eine tolle Entwicklung durchgemacht.

    Bin daher auch eher für Mut machen und sich und dem Hund Zeit geben. Dann wird das schon besser werden.

    :kleeblatt:

  • Ich bin glaube ich auch eher gar nicht für die Kategorie Angsthund. Unsicher und zu viele Reize, ja.

    Tammy ist kein Angsthund, Riley ja.

    Riley ist zum Beispiel genauso lange wie Tammy hier und ist diese Woche zum ersten Mal im Garten gewesen. Das sind ganz andere Dimensionen.

    Ja die 3-3-3 ist eine Leitlinie, aber kein Maßstab für jeden Hund.

    Gebt ihr Zeit, geht nach Bauchgefühl. Und macht nicht zu viel TamTam um sie. Freut euch über er jeden Fortschritt. Aber es kann auch Rückschritte geben.

    Sie frisst, trinkt und nutzt die Pipimatten, das ist doch schon sehr gut.


    Und wichtig. Für jeden Step den sie neu lernt braucht sie auch Pausen zum verarbeiten.


    Setzt euch ruhig mal in Ihre Nähe. Aber auch nicht zu oft und zu lange.

  • Ich glaube einen Punkt den viele von uns auch unterschätzen ist, dass dieser Hund alleine ist. Da ist kein anderer Hund zur Orientierung, für Sicherheit und Gesellschaft. Das bedeutet, dass Dinge wesentlich länger dauern werden...

  • KasuarFriday


    Danke fürs Rufen :smile: Ja, Lilly war auch so beim Einzug, hat nur in einer Ecke gesessen, gefressen nur, wenn sie ungeobachtet war und war nicht stubenrein. Draußen nur im Panik- und Fluchtmodus. Da kam auch nichts im Hundehirn an (damit, dass Deine Hündin draußen Schutz bei Dir sucht, auch im Panikmodus, hast Du schonmal einen guten Ansatzpunkt. Damit kann man arbeiten. Lilly hat in ihren Anfangstagen gar keinen Hang gezeigt, Orientierung zu suchen). Sie ist ein „echter Angsthund“ mit mildem Deprivationsschaden. Was heißt, dass Teile ihres - im Vergleich zu hier sozialisierten Hunden ungewöhnlichen - Verhaltens da sind und sich auch nicht ändern.

    Wir wussten bei Übernahme aber, was auf uns zukommt und hatten auch schon entsprechend Erfahrung. Die Umgebung hier passt für ihre Bedürfnisse und aus dem Bündel aus Panik ist ein glücklicher und durchaus kompetenter Hund geworden. Hier in ihrem vertrauten und sehr geschützten Umfeld. Es gibt Sachen, die sie nicht kann. Die muss sie aber auch nicht können.

    Ich zögere auch bei konkreten Tipps. Erstens ist ja gar nicht klar, ob sie wirklich generalisierte Ängste hat oder gerade einfach nur heillos überfordert ist, das wäre ein ganz anderer Ausgangspunkt. Und in der Situation kann man viel falsch machen. Und der Weg, den wir mit Lilly gegangen sind, ist für viele Menschen nicht der richtige Weg (und zieht durchaus auch ziemlich viel Kritik auf sich. Meistens von Leuten, die noch nur mit so einem Hund gearbeitet haben, sticht aber trotzdem, weil es emotional eh nicht einfach ist und Kritik da auch noch mal reinpiekst).

    Lilly musste schon beim übernehmenden Tierschutzverein dreimal täglich trotz Panik raus zum Lösen und das haben wir auch do fortgeführt. Heißt, dass wir da ganz klar, wenn auch sehr fein dosiert, mit Zwang gearbeitet haben. Ohne Anstoß von Außen wäre sie nach unserer Einschätzung und auch der Einschätzung der vermittelnden Tierschützer nicht aus ihrem Rückzug vor allem herausgekommen.

    Damit das klappen kann, braucht es aber ein paar Voraussetzungen. Die Erste ist absolute Sicherheit bei denMenschen. Die müssen wissen, was sie tun, dürfen sich emotional nicht von der Angst, Mitleid und schlechtem Gewissen mitreißen lassen, sondern dem Hund unerschütterlich ruhig, entspannt und gelassen zur Seite stehen. Was echt nicht einfach ist, wenn einer gerade eigentlich das Herz bluten möchte, man in Stresspheromonen gebadet wird und einerseits den panischen Hund hält und sich auf ihn konzentriert und andererseits die Umgebung nach potenziellen zusätzlichen Stressoren und Gefahrenquellen scannt.

    Da hilft Erfahrung. Die kann man nun nicht beizaubern. Aber Bewusstsein für den eigenen Körper und Tools, mit denen man sich helfen kann, aus Anspannung herauszukommen (was man auch immer für sich nutzen kann, mir hilft progressive Muskelentspannung und Haltungsarbeit). Mit einem entspannten Körper hat man es viel leichter, auch in eine entspannte Geisteshaltung reinzukommen. Aber - wie gesagt - das Gassigehen auch in der Anfangsphase war unser Weg, es gibt aber viele Stimmen, die energisch davon abraten.

    Und genau deshalb ist bei Euch eine kompetente Trainer*in und falls erreichbar eine Tiermediziner*in mit Schwerpunkt Verhalten wichtig. Die Trainer*in ist nicht für den Hund, sondern für Euch. Eine entsprechend erfahrene Tiermediziner*in kann abschätzen, ob man versuchen kann mit Medikamentengabe zu unterstützen. Hier mrine ich keine Helferlein aus dem Bereich NEM oder Esoterik, sondern tatsächlich Anxiolytika oder beruhigend/stimmungsaufhellend wirkende Medikamente.

    Ansonsten musste Lilly nichts aushalten. Futter gab es bedingungslos, Ansprache kaum (sie hat direkt auf sie gerichtete Aufmerksamkeit als bedrohlich empfunden, schon auch nur etwas intensivere Blicke waren ihr unangenehm). Keine Streicheleinheiten (dazu schreibe ich später noch was). Wir haben unseren Alltag gelebt, mit etwas Gedämpftheit in Lautstärke und Bewegungen und sie durfte von ihren Rückzugsorten aus zugucken.

    Wenn wir in ihrer Nähe vorbei gegangen sind, kullerten Wurst und Käse in ihre Richtung. Einen Bonus hatten wir, den Ihr nicht habt: Hier hat schon eine souveräne Hündin gelebt. Lilly hatte also einen gewissen Druck, Leckereien auch zügig zu erhaschen, sonst waren sie nämlich weg. Ihre Rückzugsorte hat sie sich selbst ausgesucht, wir haben die dann ausgepolstert. Es hat aber auch ein paar Tage gedauert, bis sie Decken angenommen hat. Wir haben nix an Fortschritten erwartet und uns darauf eingerichtet, dass es Monate dauern kann, bis sich merkbare Fortschritte zeigen (sie war aber deutlich schneller :smile:)

    Das A und O für uns war, dass sie die Gelegenheit bekommen hat, viel und ungestört zu schlafen. Guter Schlaf ist der Kernpunkt für einen Angsthund. Dazu schreibe ich später nochmal mehr, auch zum Thema Angst allgemein, jetzt ruft erst Hundegassi und dann das Abendessen. Lilly legt viel Wert auf ihre Essenszeiten :smile:

  • An "Angstbund"im pathologischen Sinn denke ich hier auch nicht.

    Der Hund ist einfach erstmal durch Reisestress, völlig neuer, fremder Umgebung und Menschen komplett verunsichert. Deshalb braucht es eben erstmal Zeit und Ruhe.

    Ich würde meinen Hund auch nicht als "Angsthund" bezeichnen. Sie ist sehr vorsichtig und schreckhaft, aber die meiste Zeit doch fröhlich und zufrieden.

  • Es ist doch ganz egal was der Hund ist. Momentan zeigt er sich insbesondere draußen panisch und muss deshalb dosiert und gut gesichert an die Umwelt herangeführt werden.


    Ich würde den Fokus erstmal komplett wegnehmen, 1-3 mal sonst ggf. mit Snacks ‚arbeiten‘.

    Fokus sind übrigens auch Blicke, Körpersprache, drum herum laufen etc. Ich finde die Idee sie immer wieder länger alleine zu lassen sehr sinnvoll. Habt ihr eine Kamera?

    Flooding (in nett und dosiert) wurde irgendwo angesprochen. Ich bin da kein Gegner, aber Umstände und Dosierung müssen passen. Dieser Hund ist drinnen ja noch komplett verunsichert/ängstlich. Ein gewisses Vertrauensverhältnis ist für mich dafür Pflicht.

  • Dieser Hund in seinem Aktuellen Zustand ist eindeutig als Angsthund zu bezeichnen.

    Wenn wir die Bezeichnung „Angsthund“ anhand eines aktuellen Zustands vergeben, dann hat jeder 5. Hundebesitzer spätestens beim Tierarzt einen Angsthund. Oder an Silvester.

    Leider wird der Begriff inzwischen sehr häufig für besonders unsichere, ängstliche und (ggf. durch Transport und Veränderungen des Lebensumfelds) verstörte Hunde verwendet. Das verwässert leider die Vorstellung davon, was es bedeutet, einen „echten“ Angsthund zu haben. Also einen Hund mit generalisierter Angst, die eben nicht mit genug Geduld und Gewöhnung und Training weg geht, weil einfach schon die neurobiologischen Grundlagen des Hundes das gar nicht so zulassen.

    Das mindert das allgemeine Verständnis für Angsthunde und deren Halter im Alltag ganz enorm, damit einhergehend erschwert es die Vermittlung solcher Hunde, weil einfach völlig falsche Vorstellungen darüber herrschen, was das wirklich bedeutet und - und das ist hier der springende Punkt - es führt auch zu einer sehr ungünstigen Vermischung von Trainigsansätzen für zwei komplett unterschiedliche Typen von Hund.

    Hier haben wir Stand jetzt einen Hund, der vor der Ausreise als entspannt, kontaktfreudig und offen beschrieben wird und nun, nach einer extremen Veränderung seines Lebensumfelds und einem möglicherweise traumatischen Transport, seit einer Woche stark unsicher und vermeidend ist.

    Ganz ehrlich, für mich spricht da erstmal nichts für eine generalisierte Angststörung. Klar kann es sein, aber für viel wahrscheinlicher halte ich da doch, dass der Hund einfach noch komplett überfordert ist, wahrscheinlich das erste Mal überhaupt ein Haus von innen sieht, das erste Mal dauerhaft auf so engem Raum mit Menschen lebt, das erste Mal Halsband und Leine und überhaupt angebunden sein erlebt, vielleicht auch das erste Mal außerhalb des vertrauten Zwingers ist und vor allem das erste Mal keine anderen Hunde als Orientierungshilfe hat.

    Deshalb, liebe @TE: Versteift euch bitte nicht auf das Thema Angsthund. Je nachdem, was euer Hund schon vor der Ausreise kannte oder vielmehr nicht kannte, wird für den quasi jede Stütze und alles bislang Gekannte mit dem Umzug weggebrochen sein. Das führt einfach (beim einen Hund mehr, beim anderen weniger) zu großer Unsicherheit. Und während manche Hunde dann trotzdem recht bald auf Entdeckungstour gehen, weil sie einfach vom gesamten Temperament her proaktiver eingestellt sind, igeln sich andere halt länger ein und es braucht eine ganze Weile, bis die auftauen, aus sich herauskommen und den Schock überwunden haben.

    Stand jetzt würde ich dem Hund weiter Zeit geben, währenddessen ruhig, aber normal meinen Alltag leben und den Hund halt beobachten lassen und zeitgleich, also jetzt schon, nach einem wirklich kompetenten Trainer im Bereich Auslandshunde suchen, der zu euch nach Hause kommen, den Hund anschauen, die Situation vor Ort einschätzen und euch Hilfestellungen geben kann. Wenn der Trainer kompetent ist, wird da beim ersten Termin eh nicht viel in Richtung Training passieren, was den Hund zusätzlich total stressen könnte. Und ihr habt gleich jemanden an der Seite, der euch aus erster Hand sagen kann, was noch „normal“ ist und wie ihr am Besten weitermacht.

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