Trauer nach Abgabe - Kampf zwischen Kopf und Herz

  • (1)Hallo liebe Forenmitglieder,


    heute war ein furchtbarer Tag - es ist ein furchtbares Jahr. 2021 am 14. Februar verstarb die Hündin meiner Eltern "Maggie" mit fast 15 Jahren. Sie war eine tolle Hündin - bei Menschen, hatte allerdings Probleme mit Artgenossen. Seit ihrem 9. Lebensjahr habe ich viele Spaziergänge mit ihr übernommen und bin sogar in die Hundeschule mit. Dort konnten wir mit Hilfe einer wirklich tollen Trainerin auch noch einige super Fortschritte erzielen und hatten sogar in paar Stunden, in denen sie mit den anderen Hunden ganz leichte Spielansätze gezeigt hat. Wir haben sie alle geliebt. Wir, das sind mein Partner und ich, sowie meine Eltern. Leben mittlerweile in 2 Häusern gemeinsam auf einem Grundstück. Unser Haus wurde 2021 nach 3 Jahren Bauzeit mit viel Stress (Baumängel, Streit mit dem Bauunternehmen, gleichzeitig habe ich studiert mit 33 also quasi beruflich nochmal neu angefangen) fertig und wir sind zumindest schon in das EG eingezogen. Die Jahre waren nicht einfach - vor Beginn meines Studiums hatte ich über einen Zeitraum von 5 Jahren 3 mehrwöchige klinische Aufenthalte wegen psychischer Probleme. Habe mich da aber, vor allem Dank der Hilfe meines Partners, meiner Familie und tollen Freunden, durchgeboxt und konnte dann letztes Jahr auch meinen Abschluss machen und habe direkt im Anschluss einen sehr guten Job bekommen.


    Wie der Zufall es so wollte sah ich im Februar 2022 im Status der Trainerin auf WhatsApp eine Suchanzeige. "Die schüchterne Fay sucht dringend ein Zuhause oder Pflegestelle." Ich habe sie sofort meinem Vater gezeigt, der am meisten unter dem Verlust von Maggie gelitten hat. Er fand sie natürlich sofort total süß. Wir waren uns einig, wir alle wollen einen neuen Begleiter, schüchtern ist für uns kein Problem, kriegen wir hin. Fay, 15kg schwer, aus Rumänien - Tötungsstation, Adoptant (ein Paar) hat eine Allergie bekommen. Ich habe mich gemeldet, ein Vorkontrolletermin wurde gemacht, Geld überwiesen, die Sache war fix. 2 Tage vor Abholung sprach mich mein Vater an- er war unsicher geworden, wollte wissen, ob wir nicht doch lieber nach einem Hund in einem Tierheim schauen. So kurzfristig eine Absage erschien mir unfair. Hätte ich auf ihn gehört wäre Fay eine Menge erspart geblieben.


    Um das alles nicht ausufern zu lassen: wir holten Fay von ihrer Tränen überströmten Erstadoptantin ab, die fragte, ob wir schon einen Hund haben. Das konnte ich noch nicht so einordnen. Ein paar Wochen später dann schon. Fay war nicht das was ich mit schüchtern beschrieben hätte. Sie war unsicher und ängstlich. UND LAUT. Alles hat ihr Angst gemacht- kein Wunder nach so einem Kulturschock. Mit 9 Monaten nach Deutschland in eine Großstadt, dann dort 2 Wochen und dann wieder weg. Alles was ihr Angst gemacht hat wurde erstmal verbellt. Kinder - gruselig, Autos, Fahrräder, wir - gruselig. Es waren sehr sehr anstrengende Wochen. Sie in der Pubertät und wir in einem typischen Vorort mit vielen Einfamilienhäusern inkl. Kindern, Fahrrädern, Hunden. Wir hatten einen Termin mit einer Hundetrainerin, nachdem Fay meine Eltern dermaßen verbellt hat, dass wir uns nicht zu helfen wussten. Fay sollte bei mir und meinem Partner im Haus leben. Meine Eltern waren für die Betreuung zuständig, während wir arbeiten sind. Mein Vater hat besonders unter ihrem Verhalten gelitten, weil er sich so sehr nach einem neuen Hund gesehnt hat. Alles weniger tolle Voraussetzungen. Im Vetrag hatte ich unter Abgabegründe angegeben: verträgt sich nicht mit Kindern, ist aggressiv dem Kater gegenüber. Naja, wie es nunmal so kam: Bingo! Kater, super zum Jagen, Kinder werden verbellt, inklusive nach vorn gehen. Das haben wir uns nicht zugetraut, die Unterstützung durch meine Eltern konnten wir ja auch nur schwer in Anspruch nehmen. Also haben wir nach etwa 2 Monaten gesagt, wir möchten, dass sie vermittelt wird, aber behalten sie als Pflegestelle, damit in Ruhe ein passendes Zuhause gefunden werden kann - und ihr ein weiterer Umzug erspart bleibt. Die Vermittlung hatte ihre Schwierigkeiten mit unserer Entscheidung - sie waren enttäuscht, sagten uns "wir hätten es ja nicht mal mit Trainer versucht", weil wir die 2te Trainingsstunde mit der Trainerin von Maggie abgesagt hatten. Sie hatten auch Recht. Wenn Kinder im Spiel sind (wir haben fast ausschließlich Freunde mit Kindern, die ungern mit einem angstaggressiven Hund trainieren möchten) bin ich einfach extra vorsichtig. Aber unsere Entscheidung stand und so gaben wir unser bestes als Pflegestelle. Suchten uns eine weitere Trainerin (auch weil ich mich geschämt habe, zu der Trainerin zu gehen, die uns vermittelt hat und deren Training ich total kurzfristig abgesagt habe und dann auch noch den Ausfall zu spät bezahlt habe) und trainierten, um ihr die beste Chance zu geben. UND es wurde besser!

  • (2) Wir hatten mit Fay fast jedes Junghunde/Auslandshunde Problem: Anknabber von Möbeln, Teppich, Schuhe und Socken stiebitzen. Anspringen und "beißen" bei Aufregung, nicht zur Ruhe kommen, Giardien, Juckreiz, Jagdtrieb, Gebell.

    Nach einigen Wochen Training und wirklich hinterklemmen konnten wir mit ihr in der Nachbarschaft spazieren gehen. Ja mit Einschränkungen und nicht immer entspannt. Aber ohne Panikattacken. Ohne in der letzten Ecke verkriechen und nicht mehr rauswollen. Sie lernte bei Klopfen an der Tür brav auf ihrem Hundebett zu warten. Und sogar mein Vater konnte mit ihr Spazieren gehen und er wurde morgens freudig begrüßt. Wir hatten Hoffnung, hätten einem Zuhause ohne Kinderplanung aber immer Vorrang gegeben.

    Es lief wirklich toll und wir haben uns wahnsinnig gefreut. Mein Verhältnis zu ihr war trotzdem najaa etwas zwiegespalten. Sie war nicht der Hund den ich mir gewünscht hatte, aber genauso unsicher wie ich manchmal. Sie hat mich so wahnsinnig viel gelernt. Wir haben zusammen gelitten, ich habe geweint, wir haben entdeckt, wir hatten auch Spaß. Aber es gab mehr Tage als ich Finger habe, an denen ich nicht nach Hause fahren wollte, weil ich Angst hatte, vor dem Gebell, der Unruhe, der Überforderung. Und trotzdem bin ich jeden Tag mit morgens und abends raus, habe zeitweise über Wochen 5 Stunden geschlafen um Zeiten abzupassen in denen wenig los ist. Und es hat sich gelohnt, sie hat sich toll entwickelt. Wir waren sogar so weit, dass sie halbwegs ruhig mit Ablenkung am Kater vorbei gehen konnte. Mein Partner hat mit ihr Beifuß geübt, dass sie dann sogar hin und wieder von allein gemacht hat.

    Dann: der 21. Juni. Ich komme morgens nach dem Spaziergang mit Fay nach Hause. Mein Partner fängt mich nervös ab. "Du musst nach vorn, dein Vater hatte wahrscheinlich einen Schlaganfall." Und ja, er hatte einen sogenannten malignen Mediainfarkt. Mehrere Tage Koma, Schädel OP. Er wird wahrscheinlich im Rollstuhl bleiben müssen und hat mit starken Einschränkungen zu rechnen. Aktuell wartet er auf seine zweite Kopf OP in einer Reha Klinik.

    2 Wochen später: der Vater meines Partners stirbt unerwartet mit 57 Jahren. Niemand weiß woran, er wurde in seiner Wohnung gefunden.

    Fay hat auch diese Zeit gemeistert. Obwohl ich - ihre Hauptbezugsperson - alle 2 Tage im Krankenhaus war (entweder allein, oder mit meiner Mutter, die durch eine starke Rheuma und Gicht Krankheit nicht Autofahren kann/will), hat sie weiter Fortschritte gemacht. Mein Partner hat sich krankschreiben lassen und dann die Betreuung tagsüber gemacht, da Fay noch nicht lange allein bleiben konnte. Wir hatten imemrnoch einen kleinen Funken Hoffnung, dass wir das irgendwie gewubbt bekommen. Wir liefen bereits alle am Limit.

    Dann etwa einen Monat nach dem Todesfall: Rohrbruch im Haus meiner Eltern. Wasser lief morgens aus allen Seiten des Fundaments, inklusive HWR und Flur. Anscheinend lag der Rohrbruch so ungünstig, dass das komplette EG unterspült wurde. 25 Jahre altes Holzhaus. Komplette Sanierung des EG nötig. Meine Mutter und meine Schwester, die länger als geplant hier ist, um uns zu unterstützen (wohnt eigentlich mittlerweile in den USA) müssen zu uns ziehen. Sanierungsdauer wahrscheinlich 7 Monate, eventuell länger. In den 7 Monaten müsste Fay also mit 2 zusätzlichen Personen + Kater + Handwerkern (die sie besonders gruselig findet, seit dem eine Bauarbeiter auf einem Nachbargrundstück frontal, schnell in ihre Richtung gelaufen ist, als wir zu langsam waren, sich an den Zaun gebeugt und "beruhigt" hat, indem er seine Hand auch noch in ihre Richtung gestreckt hat) auskommen. Dazu kommt dann in ein paar Monaten noch mein Vater zu uns mit Krankenbett und Rollstuhl.

    Da sind wir eingeknickt. Wir haben hin und her überlegt, wie wir das lösen können. Haben sogar über ein Wohnmobil nachgedacht. Aber das ist super beengt. Und die Handerwerker+ Baulärm gäbe es trotzdem. Unser Verstand hat einfach gesagt dass schaffen wir nicht und für sie ist es einfach nur Stress.

    Die Vermittlung hat eine Pflegestelle gefunden, die bereits ängstliche und unsichere Hunde betreut hat, im HO arbeitet und 2 souveräne Hunde hat. "Der 6er im Lotto" sagte die Vermittlerin und sie hat recht.

    Bei all dem hin und her hätte ich nur nie gedacht, dass es so sehr weh tun würde sie abzugeben. Um 9 Uhr wurde sie heute abgeholt. Seitdem weine ich. Sie fehlt mir- unglaublich. Die kleine Terrormotte. Die Eule. Der Sockendieb. Sie hat mir abends immer einen Kauknochen auf den Schoß geworfen, damit ich ihn halte während sie daran knabbert. Habe ich noch nie erlebt, aber geliebt. Noch nie habe ich einen Hund so niedlich spielen sehen wie sie.


    Als wir uns erklärt haben nur ihre Pflegestelle zu bleiben habe ich gesagt "jetzt lassen wir das Schicksal entscheiden, ob jemand gefunden wird". Das war verantwortungslos. Nie wieder lasse ich das Schicksal entscheiden, denn niemand kennt dessen Karten. Ich kann nicht in Worte fassen wie sehr ich hoffe, dass dieser kleine süße, laute Fluffmuff endlich sein Für-Immer-Zuhause findet. Manchmal ist das Leben einfach Sch**?*.


    Warum teile ich euch das alles mit? Ich muss es loswerden. Ich hasse mich für die Entscheidung die ich getroffen habe, auch wenn ich mir einrede, dass es besser so ist. Ich frage mich, ob ihr solch eine Entscheidung schon treffen musstet. Was ihr getan hättet. Wir verachtenswert ich ganz objektiv betrachtet bin. Und auch ob ihr vielleicht einfach eine eurer Geschichte teilen wollt, dami ich mir bei Wein und Weinen durchlesen kann, was ihr erlebt habt.

  • Ich verstehe nicht, was verachtenswert ist.

    Die Hündin entsprach nicht der Beschreibung, ihr habt euer Bestes versucht und seid jetzt in ganz kurzer Zeit von mehreren schweren Schicksalsschlägen getroffen worden, gegen die ihr überhaupt keine Vorkehrungen hättet treffen können und die sich nicht wegorganisieren lassen.

    Ich sehe die Alternative zur Abgabe jetzt nicht.

    Wenn es "nur" die falsche Beschreibung gewesen wäre, die ihr dann als Pflegestelle ja doch gut bearbeitet habt, ohne den Druck es hinkriegen zu müssen und mit der Aussicht eben doch aus der Nummer rauszukommen, würde ich sagen, ihr hättet sie womöglich doch behalten.

    Aber alles was dann in den letzten Monaten passiert ist erfordert eben die Kräfte woanders.


    Ich habe schon einen Hund wegen viel weniger abgegeben, weil es mit dem Ersthund auf Dauer nicht so geklappt hat und ich einfach nicht stetig die Spannung haben wollte, ständig jedem seinen Punkt erklären und am Ende zwei Hunde haben die jeder für sich ein entspannteres und schöneres Leben führen könnten.

    Wichtig war mir einen wirklich guten Platz zu finden, das ist gelungen, dafür bin ich alles in allem damals 2000km gefahren und hatte bis zum Tod jenes Hundes Kontakt (hab ich immer noch) und der hatte es da super, wurde geschätzt, gefördert und geliebt und alles.

    Bin ich total im Reinen mit mir, das wäre hier nicht so gewesen, hier hätten alle massive Abstriche machen müssen, besonders die Hunde.


    Und das wäre bei euch einfach auch der Fall gewesen, Fay hätte Abstriche hinnehmen müssen, über einen unklaren Zeitraum hinweg, weil ihr euch einfach um andere, existentielle Dinge kümmern müsst. Woanders ist mehr Raum für sie.

  • Puh, jetzt habe ich tatsächlich Pipi in den Augen und weiß nicht so recht, was ich schreiben soll.

    Ihr habt es ja knüppeldick bekommen und trotzdem noch mit Fay trainiert, sie zu einem alltagstauglichen Hund gemacht und davor ziehe ich den Hut.

    Ob ich Deine Entscheidung billige oder nicht, kann ich eigentlich nicht sagen, da ich weder Dich noch Fay kenne, aber aus Deinen Worten lese , dass Du das Allerbeste für Fay möchtest und Deine Handlung ist in Deinen Augen richtig. Das allein zählt und nicht, was andere Leute denken


    Wir haben auch einen Schisser. Faro, Border Collie aus einer span Tötungsstation, war allerdings schon hier in der Nähe auf einer Pflegestelle und so konnten wir ihn kennenlernen, wussten also, was auf uns zu kam . Angst vor allem, was er nicht kannte, Kinder, speziell die unter einem Meter sind immer noch gruselig und es gibt, gerade wieder erlebt, Situationen, da fällt er in sein altes Verhaltensmuster zurück. Er mag keine Enge und wenn uns fremde Menschen auf engen Wegen entgegen kommen , müssen wir ausweichen, sonst kommt Panik auf.

    Allerdings ist er der beste Hund, den wir je hatten und ohne meine Hunde hätte ich den Tod meines Mannes nicht so überlebt wie ich es getan habe

  • Dass Du sie jetzt so vermisst, zeigt doch nur, wieviel sie Dir bedeutet. Aber bei aller Liebe zum Hund, es muss auch Zeit für Dich und Deinen Partner da sein. Wie willst Du das auf Dauer schaffen? Ihr habt soviele Baustellen gleichzeitig, Dein Stress muss jenseits von Gut und Böse sein, das hälst Du nicht lange durch. Jede Minute des Tages ein "nun noch dies und dann das und dann das andere und dann noch...." - dabei gehst Du kaputt und das hilft niemandem. Es ist richtig so, wie Du es gemacht hast. Ich hab hier meine beiden Jungs und beide sind (im Nachhinein betrachtet) zur völlig falschen Zeit zu uns gekommen. Sie haben nie soviel Förderung und Forderung bekommen, wie sie es gebraucht und verdient haben. Ich konnte sie nicht abgeben, aber für sie wäre es sicher besser gewesen. Und ich merke deutlich, wie sehr mir der Stress zusetzt. Gut, ich bin ein bischen älter als Du, aber auch mit 33 sollte man sich nicht so sehr und auf so einen unabsehbar langen Zeitraum stressen.

    Versuche, Dich nicht zu sehr anzuklagen. Nochmal: Du hast es richtig gemacht - für alle Parteien. :streichel:

  • Manchmal passt es einfach nicht. Nicht jeder Hund, passt in jede Familie. Manchmal ist es auch einfach die falsche Zeit.
    Mach dich bitte nicht verrückt deswegen.

  • Ich schließe mich den anderen an und sehe hier nichts verwerfliches.

    So wie es klingt habt ihr diese Entscheidung sowohl mit Herz und Kopf getroffen. Herz - ich finde, man liest eine Menge Empathie und Wohlwollen dem Hund gegenüber heraus. Kopf - es klingt außerdem so, als hättet ihr recht realistisch eingeschätzt, was ihr leisten wollt und könnt und was Fay leisten kann.

    Nicht immer kann man einen Hund behalten und nicht immer ist es das beste für einen Hund, wenn er aus Pflichtbewusstsein behalten wird, obwohl eigentlich keine Kapazitäten da sind.

    Ihr habt trainiert. Ihr habt, so wie es klingt, euch bemüht, Fay dort abzuholen, wo sie stand. Ihr habt eure Entscheidung gut durchdacht. Ihr habt euch als Pflegestelle angeboten, um eine Weitergabe für Fay nicht unnötig stressig zu gestalten. Und ihr habt jetzt "ja" gesagt zu einer Stelle, die scheinbar super für Fay geeignet ist.

    Ich finde, ihr habt viel für sie getan und müsst euch keine Vorwürfe machen.

    Ich wünsche euch viel Kraft für die nächste Zeit! :streichel:

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!