Erlernte Hilflosigkeit? Tipps fürs Training?

  • Phonhaus


    Danke.


    Ich seh zwar vieles anderes gelagert, als beim Galgöchen, aber mal so grob:


    Da kam also ein Hund an, der geht, als hätte er einen Stock im Hintern, der entweder kreuzbrav mittrabst an lockerer Leine ohne nach links und rechts zu sehen, einfach stupode mit (oder wegen Reizen komplettest ausrasten inkl. rückwärtstsgerichtetwt Aggression, Steigen, Boxen, auf den Boden knallen oder verklemmt kopflos zur Seite hopsen). Der konnte: nix. Der verstand: nix. Der war in seiner persönlichen Hölle gelandet.

    Aber er ging immer super an der Leine und hatte relativ wenig, bald gar keine Angst mehr vor mir.

    In der Wohnung war er fast inaktiv und lag nur rum, Eigeninitiative (außer pöbeln und Bedrohungsfaktoren angehen): null.


    Ich glaub, nach 10 Monaten konnte er erstmals was. Sitz nämlich.


    Aber so hab ich nicht angefangen.


    Eher, nicht richtig als Konzept, sondern so nebenbei. Er wurde viel gelobt, er wurde mit Superleckerli überhäuft (konnte er anfangs auch nicht aus der Hand fressen, eine ganze Weile dann draußen generell noch nicht usw), aber es wurde mich verlangt.


    So schön langsam fand er Futter dann doch irgendwie toll und irgendwann hat er gelobt werden schon auch mehr verstanden, anfangs isses ja gut und nett und lieb, aber Hund hat keinen Plan, was das bedeuten soll.


    Da er nix konnte und nix verstand und...habe ich bestätigt, was er konnte. Er legte sich ständig hin. Also war Platz das erste, das er lernte, aber im Grunde ja von sich aus konnte. Und das etwas toll ist, was er kann, fand er zunehmend auch toll. Und dann war er stolz.


    Nachdem er sehr impulsiv und überschießend war, durfte er mit als nächstes als "Touch" gegen die Hand springen. Und wieder konnte er ja doch was und war stolz.


    Und dann fing er minimal an,auszuprobieren und anzubieten und könnte mit Lob und meiner Freude was anfangen (war langfristig auch, neben Abbruch, wenn ich weiß, dass er es schon anders kann, in Sachen pöbeln wie ein Großer hilfreich. Lob,Bestätigung, Freude, wenn er noch nicht hochfährt) und wollte mehr davon. Seither lernt er deutlich besser und sein "Tschuldigung, reden Sie mit mir? ich hab keine Ahnung, was das soll" ist weitestgehend weg.

    Jetzt macht er auch Blödsinn. Unlängst stand der nach 2 Jahren einfach unter dem Küchentisch, sensationell.

    Oder als er nach nem Jahr oder so in den Futterbeutel einbrach, der ein Jahr neben seinem Fressplatz hing - toll!


    Er darf Sachen,die die anderen nicht dürften, damit er was macht. Dass er mich angesprungen hat - super. Wird zwar nicht weiter gefördert. Aber zu den anderen würd ich sagen "Bist blöd?" hier eher "Ob, Du bist der tollste Hund, das war grandios".


    Allerdings hat es länger gedauert, als ich anfangs angenommen hatte und dauert noch immer. Er ist jetzt seit zwei Jahren da, unter anderen Voraussetzungen könnte er sogar schon weiter sein, denk ich, aber als hundehalterisches Mittelmaß bin ich sehr zufrieden und neulich fühlzen sich die Dinge schon fast normal an und wenn er so weiter macht, sind in nem Jahr oder so, die gröbsten Baustellen weg. Hoffe ich.


    Allerdings sehe ich ihn nicht als Angsthund, nur als unsicheren Hund mit wenig Umwelterfahrung, dafür Haudrauf und Abwehrerfahrung




    Zwei Monate ist jedenfalls nix. Und ich würd Eurem Hund auch das Lebenswichtige einfach hinstellen und signalisieren: ich will Dir nicht ans Elementarste. Find ich tendentiell vertrauensaufbauender, als den Handfütterungsweg.

  • Ganz vielen Dank für Eure Antworten! Eure Anregungen sind extrem wertvoll für mich!


    Zu Alter und Vorgeschichte: Geschätzt wird sie auf 2.5 Jahre. Sie wurde mit ihren Welpen ausgesetzt (ca. Dezember 2020), kam in die Perrera und dann zur Tierschützerin. Man wollte wohl in erster Linie die Welpen retten, dann war die Mama halt auch noch da. Wir wurden ‚gewarnt‘ dass sie ängstlich ist, das Ausmass war uns nicht ganz so bewusst. Aber ich denke, für die Tierschützerin, welche rund dreissig Hunde zur Vermittlung hatte, ist es wohl nur schwer möglich, einen solchen Hund richtig einzuschätzen/eine Zukunftsprognose zu stellen. Wir sind dann auch hingeflogen, um sie vor Ort anzusehen. Da hat sie sich eben auch ängstlich gezeigt, wir waren da aber natürlich auch gänzlich Fremde für sie, weshalb ich das nicht so repräsentativ fand - meine letzte Hündin war zu Fremden auch ängstlich, bei uns aber überhaupt nicht.

    Wie unsere Maus früher gelebt hat, weiss man schlicht nicht. Die Tierschützerin vermutete, dass sie ein Kettenhund war, oder zumindest auf einem Grundstück eingesperrt lebte - eher nicht als Strassenhund (auch weil sie an dem Ort, wo sie gefunden wurde, offensichtlich ausgesetzt worden war).

    Sie hat sehr Angst vor schnellen Bewegungen, bei Wurfbewegungen wird sie Kopflos. Daher vermuten wir, dass ev mit Steinen o.Ä. auf sie beworfen wurde...


    Das mit dem Futter werde ich aufgrund Eurer übereinstimmender Meinung ab sofort ändern. Sie wird jetzt zwei Mahlzeiten in Ruhe bekommen, einen Rest behalte ich als Belohnung für den Tag hindurch.

    Noch zur Erklärung: Ich habe mich anfangs auch mit dem Thema Handfütterung ja/nein auseinandergesetzt... von der Orga wurde mir explizit dazu geraten, ihr das Futter nur aus der Hand zu geben, damit sie lernt, dass es von uns kommt und sie - böse gesagt - auch abhängig ist von uns... ich hatte selbst nicht wirklich eine Meinung dazu, da sie dort aber viel Erfahrung mit solchen Hunden haben, habe ich das so befolgt. Mich überzeugt aber auch Eure Argumentation, und irgendwie fühlt es sich für mich auch richtiger an, ihr das Futter so zu geben.


    Ich finde auch den Hinweis mit der erlernten Hilflosigkeit sehr hilfreich, insbesondere den Beitrag von Phonhaus ... es ist wohl tatsächlich das Hauptproblem, dass sie es schlicht nicht kennt, mit Menschen zu kooperieren...


    Was mich noch beruhigt: ich lese aus euren Beiträgen, dass ihr unsere Hündin nicht als ‚krassen‘ Fall einstuft. Ich habe auch den Eindruck, dass sie schnell Fortschritte macht. Und sie sucht ja unsere Nähe auch ganz bewusst und geniesst es, wenn sie bei uns liegen kann. Das war am Anfang total undenkbar.


    Was ich nich klarstellen will: Mir geht es überhaupt nicht darum, dass ich den Hund ‚knuddeln‘ will. Was ich will ist, dass sie merkt, dass sie auch zu uns kommen kann, wenn wir irgendwo stehen. Denn das würde sie manchmal gerne, schafft es dann aber nicht. Was ich will ist, dass sie keinen Stress mehr hat.


    Bez. dem Vorwurf, ich soll mir Hilfe holen, bevor ‚noch mehr schief geht‘. Das impliziert ja, dass ich den Hund aus Sicht des Schreibenden offenbar ‚kaputt‘ mache. Ich möchte nur betonen, dass unsere Hündin schon wahnsinns Fortschritte gemacht hat. Nein, ich bin nicht perfekt, und ja, der Hund ist schwierig, und ja, ich mache ganz ganz sicher Fehler, wie alle anderen wohl manchmal auch. Aber ich glaube, so schlimm, dass man von ‚schief gehen‘ reden kann, ist es nicht. Und letztlich führen viele Wege nach Rom. In zwei, drei Jahren weiss ich dann auch, was ich alles anders machen würde... wie heisst es so schön: Man kann das Leben nur vorwärts leben und nur rückwärts verstehen.


    Auf jeden Fall ganz ganz lieben Dank für Eure Inputs!!!

  • Bez. dem Vorwurf, ich soll mir Hilfe holen, bevor ‚noch mehr schief geht‘. Das impliziert ja, dass ich den Hund aus Sicht des Schreibenden offenbar ‚kaputt‘ mache. Ich möchte nur betonen, dass unsere Hündin schon wahnsinns Fortschritte gemacht hat. Nein, ich bin nicht perfekt, und ja, der Hund ist schwierig, und ja, ich mache ganz ganz sicher Fehler, wie alle anderen wohl manchmal auch. Aber ich glaube, so schlimm, dass man von ‚schief gehen‘ reden kann, ist es nicht. Und letztlich führen viele Wege nach Rom. In zwei, drei Jahren weiss ich dann auch, was ich alles anders machen würde... wie heisst es so schön: Man kann das Leben nur vorwärts leben und nur rückwärts verstehen.

    Das war kein Vorwurf. Und ich wollte auch nicht implizieren, dass Du den Hund willentlich "kaputt" machst.

    Aber durch solch unbedachte (wenn auch gut gemeinte) Trainingsmethoden kann halt in einem Hund, der ohnehin kaum oder schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, sehr viel kaputt gehen. Zerstörtes Vertrauen wieder aufbauen ist unheimlich schwer.

    Wir sind die zweiten Besitzer unserer Lucy und sie hatte bei weitem nicht solche Baustellen wie Eure Hündin. Dennoch merken wir ihr (nach zwei Jahren, die sie bei uns ist) in vielen Situationen immer noch an, was alles "schief gelaufen" sein muss.


    Wenn ein Hund panisch vor der Hand, die ihn füttert, weg läuft, dann ist da in meinen Augen schon eine Menge daneben gegangen. Mehr wollte ich damit eigentlich nicht ausdrücken.


    Was ich will ist, dass sie merkt, dass sie auch zu uns kommen kann, wenn wir irgendwo stehen. Denn das würde sie manchmal gerne, schafft es dann aber nicht. Was ich will ist, dass sie keinen Stress mehr hat.

    Viele Hunde mögen nicht, wenn jemand steht. Das ist bedrohlich.

    Lucy hat es sehr geholfen, wenn wir uns hingehockt haben, sie nicht angesehen haben. Wirklich bewusst über sie hinweg geguckt oder sogar den Kopf abgewendet.

    Irgendwann hörte man ein leises Tappsen, wenn sie sich näher getraut hat.

    Dann aber nicht den Fehler machen und überschwänglich freuen, sondern ruhig verhalten ... langsam aufstehen, weg gehen.

    Sie muss das Tempo bestimmen dürfen.

  • Ich bin kein Experte, aber ich kann Dir vielleicht ein paar Anregungen geben und erzählen, wie wir das mit unserer Hündin machen/gemacht haben. Bei uns ist das ja auch noch nicht lange her, als unsere Hündin eingezogen ist.


    Was ich nich klarstellen will: Mir geht es überhaupt nicht darum, dass ich den Hund ‚knuddeln‘ will. Was ich will ist, dass sie merkt, dass sie auch zu uns kommen kann, wenn wir irgendwo stehen. Denn das würde sie manchmal gerne, schafft es dann aber nicht. Was ich will ist, dass sie keinen Stress mehr hat.

    Bei uns kam das Schritt für Schritt. Wir haben sehr darauf geachtet, sie nicht in Situationen zu bringen, die sie total überfordern. Wir haben sie großteils einfach ignoriert bzw. sind unserem normalen Tagesablauf nachgegangen. Hin und wieder haben wir sie angesprochen, aus sicherer Entfernung, während wir seitlich gehockt haben, haben in ihre Nähe gekochtes Huhn „geworfen“ und sind dann direkt auch wieder gegangen. Futterschalen standen so, dass sie freie Sicht hat und keine weiten Wege laufen muss. So nach und nach hat sie dann Räume erkundet und den Mut haben wir dann bestätigt. Wir haben viel gesungen, weil wir irgendwann gemerkt haben, dass sie das total mag. Anfassen im Sitzen ging dann nach ein paar Tagen. Und so lange wir im Stehen gruselig waren, haben wir sie stehend in Ruhe gelassen. Irgendwann fand sie es nicht mehr gruselig, wenn wir gestanden haben, weil sie merkte, dass da nichts von unserer Seite aus passiert. Und dann ging das immer ein Stücken weiter. Sehr viel Routinen, sehr viel Ruhe, sehr viel Selbstbewusstsein/Eigeninitiative bestätigen. Inzwischen ist sie richtig verschmust, hat bei uns keinerlei Berührungsängste mehr, selbst Fremde sind nicht mehr gruselig und die Schissbuxe freut sich mittlerweile sogar über Besuch.

  • Du hast ja schon viele Tipps erhalten, aber was ich noch speziell ansprechen möchte, wäre der Blick-Kontakt, nämlich KEINEN Blick-Kontakt.


    Schau ihr nicht in die Augen, fixiere sie überhaupt nie, sondern schau immer an ihr vorbei. Ausserdem solltest Du Dich nie direkt über sie beugen. Das macht ihr alles Angst.


    Viel Erfolg und viel Geduld!

  • Ich verstehe die Grundidee mit dem "in deiner Nähe fressen" - aber sobald da Zwang im Spiel ist (Leine) machst du alles kaputt.


    Leg ruhig ein paar Brocken Futter hin und setz dich in die Nähe. Schau sie aber nicht an, dreh den Rücken zum Futter, lass es sie einfach holen. Wenn sie das irgendwann tut, dann kannst du versuchen, ganz ganz ganz langsam näher zu kommen, bis iiiiiirgendwann zum Futter aus der Hand.


    Wenn sie nicht ausweichen kann, sondern gezwungen wird, dann hat das doch nichts mit Vertrauen zu tun! Gar nichts. Vertrauen kann nur aus Freiwilligkeit entstehen. Das kann man doch nicht auf Biegen und Brechen erzwingen. Damit drückst du sie ja genau in diese erlernte Hilflosigkeit: sie hat keine Handlungsmöglichkeit, die sich für sie gut anfühlt. Also muss sie sich ergeben. Schlimm.


    Auf keinen Fall sollte sie das gesamte Futter so bekommen. Das Hauptfutter würde ich nachts neben ihren Schlafplatz stellen. Und für das Annäherungsspiel irgendwas super leckeres extra nehmen.


    Grundsätzlich - in ein paar Monaten, wenn sie langsam Vertrauen fasst - finde ich Clickern einen tollen Weg, solchen Hunden Selbstvertrauen und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu geben.

  • 2 Monate sind ja keine Zeit, das wurde hier schon geschrieben. Und dann möchte ich noch dazu sagen: Die Angst des Hundes ist kein Feind, es ist eine Aussage und ein Hund hat ein Recht auf seine Ängste.

    Und somit hat er auch ein Recht darauf, daß der Mensch für Behaglichkeit sorgt, indem er diese Angst respektiert.


    Nähe und Bindung und Vertrauen entsteht nicht durch Kuscheln, sondern durch Stabilität und daß sie lernt, Euch einzuschätzen. Und das braucht Zeit. Ich würde nicht mal mit Leckerlis belohnen, wenn sie Futter+Mensch unter Streß setzt.


    Ich würde versuchen, ihre Eigeninitiative zu mobilisieren. zB Futter in Papierbällchen wickeln, hinlegen und sie auspacken lassen. Und Du unternimmst dabei nichts. Wirklich nichts. Kein drauf deuten, locken oder sonst was. Hinlegen, auf die Couch setzen, Fernseh schaun. Den Hund entdecken lassen

    Wenn Du Sorge hast, daß sie das Papier mitfrisst, dann nimm Klopapierrollen und drücke sie vorne und hinten nur zu.


    Die Sache mit dem Streicheln: Achte drauf, ob sie es wirklich mag oder nur erträgt.


    Draußen: Achte auf kurze Strecken und schau, was ihr gefällt. Suche die Talente Deines Hundes und lass erst mal alle Lasten außen vor. Hunde, Menschen, Trubel. Das ist wahrscheinlich noch viel zu früh.


    Es gibt sensible Hunde, für die ist jede Anforderung des Menschen erst mal zuviel. Da braucht es nicht mal eine tragische Vergangenheit, sehr sensibel reicht. Deswegen würde ich da bei Deiner Hündin erst mal gar nichts fordern, weil das zu viel Druck und Mißverständnissen führen kann.


    Mein Hund ist ein Hund mit Deprivationsschaden (und auch nicht mein erster Hund mit diesem Defizit), das heißt, sie wird niemals normal. Aber wie ich sooft hier schon geschrieben habe, mein Hund ist nicht nur Angst. Sie ist frech und verschmust und verspielt und kreativ und dickköpfig und unglaublich liebebedürftig und niedlich und weiß was sie will. Und das sind die Seiten, die ich fördere, die mich erfreuen und zum lachen bringen und für die ich sie so unendlich liebe. Es lohnt sich so sehr, diese Seiten leben zu lassen, wachsen zu lassen und dem Hund die Zeit dafür zu geben, die er braucht.

  • Irgendwie wieder ein Hund, wo ich mich frage, warum die Tierschützer sie in Einzelhaltung vermitteln. Ein Hund, der scheinbar noch nie was mit Menschen zu tun hatte und nun nur noch das vor der Nase hat. Da gehört ein souveräner Ersthund dazu, der zeigt, wie das neue Leben abläuft. Der zur Orientierung dient. Kein Wunder, dass Tierschutz so oft in Verruf gerät.


    Ich drück die Daumen, dass ihr zusammenfindet. Meine nicht Angsthündin habe ich anfangs (6 Monate?) fast komplett in Ruhe gelassen. Sie hat beobachtet und beobachtet und beobachtet. Nähe hat sie sichtlich überfordert (Übersprungshandlung ohne Panik). Draußen gabs sehr oft Superleckerchen (Fleischwurst, Käse, Leberwurst). Wir saßen viel auf der Bank und haben andere angeschaut (mit Snacks nebenbei) oder waren im Wald, wo wir allem und jedem ausgewichen sind. Erst langsam wurden Distanzen abgebaut (nach einem Jahr lief man dann normal an allem vorbei). Sie hat nämlich auch Angst vor Fremdhunden (zeigt sich in Leinenaggression), bis heute. Schlecht sozialisiert lässt sich leider nachwirkend nur schlecht richten. Vertrauen über Distanz und Snacks brachte schrittweise Besserung. Niemand sieht heute mehr, dass sie eben keine sorgenfreue Welpenzeit hatte und in ihrem Kopf gern mal überreagieren würde. Alles Management. Also viel Erfolg und gaaaanz viel Tempo rausnehmen.

  • Malaluka


    Zu der Sache mit der Handfütterung nochmal: Ich kenne diesen Ansatz auch. Gerade auch im Tierschutz. Und generell aus Zeiten, als man generell noch mehr mit Zwang gearbeitet hat und so Ansätze da waren, dass der Hund sich sein Futter erarbeiten oder verdienen soll (die ja auch noch nicht ganz vorbei sind).


    Auf einer Pflegestelle mit vielen Hunden oder im Shelter hast Du halt erstens die Situation, dass es möglichst schnell gehen soll, dass der Hund auftaut - und Du hast die Gefahr, dass der Hund hinter den anderen Hunden völlig im Hintergrund verschwindet. Gerade die Bangbüxen haben dafür ein großes Talent. Dem kann man ggf. mit Handfütterung begegnen. Mit Konkurrenz und gleichzeitig Vorbildern um sich herum - und im vertrauten Umfeld - sind viele Hunde da oft auch bereitwilliger.


    Aber bei einem Einzelhund im völlig neuen Umfeld, völlig überlastet von den ganzen Sinneseindrücken, ohne richtige Rückzugsmöglichkeit und ohne genaue Idee, wie es weitergeht, halte ich diesen Ansatz für problematisch. Er kann gut gehen, vor allem, wenn man es mit viel Sachkunde macht und ganz fein beurteilen kann, ab wann man den Hund zu sehr damit beansprucht. Geht der Ansatz nicht gut, dann macht man sich das weitere Training nachhaltig unnötig schwer.


    Hunde sind Gewohnheitstiere, zu viel Neues auf einmal macht Dauerstress. Stress bringt den Hormonhaushalt durcheinander und sorgt dafür, dass die neuen Eindrücke nicht sortiert und verarbeitet werden können. Was den Stress verstärkt. Ein Teufelskreis.


    In den kann man mit langsamer Gewöhnung und Entspannung eingreifen. Und für die körperliche Entspannung ist es enorm hilfreich, wenn die Grundbedürfnisse bedingungslos erfüllt sind. Also satt, warm (nicht zu warm), ruhig und nach und nach sicher. Rückzugsmöglichkeit und ein Ort für tiefen, festen Schlaf.


    Leg nicht allzu viel Gewicht auf das „Kontakt suchen“. Das kann gerade am Anfang vor allem Liebkindmachen beim Herrn (oder der Dame) der Umgebung sein und muss noch kein Zeichen Zeichen von Vertrauen oder Bindung sein. Aber das kommt im Lauf der Zeit. Ruhe, Humor, Geduld und die Akzeptanz dafür, dass der Hund zumindest erstmal so ist, wie er gerade ist - und Gründe dafür hat - das hat mir am Meisten geholfen.


    Es gibt natürlich auch andere Trainingsansätze, bei denen mehr „auf die Tube“ gedrückt wird. Bis hin zum Flooding. Letzteres ist aber wirklich nur bei ganz extremen Fällen angebracht, bei denen kein Ansatzpunkt für eine Kommunikation mit dem Hund da ist (da seid Ihr weit weg von) und gehört nur, wirklich nur und ganz strikt in Expertenhände. Weil das unglaublich schnell und rasant richtig schief gehen kann und für den Hund (und oft auch für den Anwender) eine Tortur ist.


    Ansätze, die auf mehr Tempo gehen, sind mMn vor allem dann zu überlegen, wenn Eile wegen der äußeren dringend geboten ist. Je mehr Druck, desto mehr Kenntnisse über bzw. Verständnis für Hundeverhalten muss der Halter haben, desto sauberer muss er arbeiten, denn desto größer ist die Gefahr des Misslingens und der mögliche Rückschlag. Wenns möglich ist, würde ich bei den Bangbüxen ganz sacht und behutsam nur den Druck ausüben, den es braucht, damit sie sich nicht dauerhaft komplett in ein Schneckenhäuschen zurückziehen.

  • Vielen Dank! Eure Gedanken sind für mich wirklich Gold wert! Zwar verbringe ich schon mein ganzes Leben mit Hunden, lese auch sehr viel zum Thema, aber mit so einem Hund bzw. dieser Problematik war ich bisher nicht konfrontiert - bzw sicher nicht in diesem Ausmass. Bisher hatte ich eher selbstbewusste, teils auch freche Hunde, die auch mal Fehler verziehen haben. Lava ist da ganz eine andere Kategorie! Und in Büchern und im Internet findet man kaum wirkliche Infos zu diesem Thema, bzw. solche, die auf unseren Fall passen. Auch wenn diese Hunde sehr verbreitet zu sein scheinen...


    Dass ich eher auf die Tube gedrückt habe, ist sicher so. Das ist aber nicht zuletzt etwas ein Verzweiflungsakt. Wir haben nun einen Hund, der sehr viel extremer ist, als vermutet/erwartet. Und wir haben eigentlich ein Leben, in das zwar ein Hund grundsätzlich super passt - aber nicht so ein Hund. So konnten wir zwar die ersten Wochen ausschliesslich zu Hause sein, das geht nun nicht mehr. Sie ‚muss‘ nun einzelne Tage mit ins Büro, und zwar mitten in der Stadt. Daher habe ich auch versucht, ihr bereits Autos, Fussgänger, Fahrräder etc. pp. zu zeigen, damit sie keinen Herzkaspar erleidet. Auch war der Plan, sie längerfristig auch ab und an zu einem Hundesitter geben zu können. Der Plan ist nun auf Eis gelegt. Ich bin nun dran, ihr meine Mutter, die in der Nähe wohnt und einen sehr ruhigen Haushalt hat, ‚schmackhaft‘ zu machen, um einen Notfall-Hüteplatz zu haben... das ist alles nicht ideal für einen Hund wie sie, ich weiss... aber jetzt ist sie da (und ich habe unsere Lebensumstände auch vor der Übernahme nicht verheimlicht), und wir setzen alles daran, dass es geht... sie wieder abzugeben, kommt für mich nicht in Frage... wer nimmt einen schwarzen, derart verängstigten Hund? und sie ist mir auch ans Herz gewachsen, es würde mir das Herz brechen, auch wenn es alles andere als einfach ist...

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