Aggressiver Hund, Rückschlag und eine schwere Entscheidung. Bitte um Hilfe!

  • Ich hab bisher nur mitgelesem und kann nichts sachliches beitragen. Habe selber meinen ersten Hund und so im nachhinein ihn ziemlich blauäugig ebenfalls aus dem Tierschutz übernommen. Wir hatten Glück&er hat wenig Baustellen, aber das hätte ja auch anders sein können.

    Ich wollte dir @Nothingheretosee auch nur sagen: Hut ab vor deiner Leistung und dem was ihr schon geschafft habt (denn da habt ihr beide ja schon sehr viel erreicht) und wünsche dir viel Kraft für die weiteren Entscheidungen und den vielleicht weiteren gemeinsamen Weg.

    Das als Anfänger so hinzukriegen beeindruckt mich wirklich vor allem mit deiner absolut reflektierten Art. Ich arbeite im Gesundheitswesen und bin da oft mit schwer zu ertragenden Situationen konfrontiert und auch bei uns hilft manchmal einfach "schwarzer Humor" um emotional klarzukommen. Es hilft einfach manchmal um nicht in der drückenden Stimmung gefangen zu bleiben.

  • Für die die es interessiert kommt hier mein Bericht vom Trainerbesuch in Wien. Ich bin nicht gut darin mich kurz zu fassen, der folgende Text könnte also wieder Romanlänge erreichen ?


    Nova und ich haben den Trainercheck gut überstanden. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, weil sich der Herr am Telefon sehr kurz gehalten hat, aber wir waren knappe 4 Stunden dort und es war sehr informativ, etwas erschreckend, aber im Endeffekt doch ziemlich positiv.


    Ich bin ja eine komplette Null wenn es um Wien geht und war etwas angespannt bei dem Gedanken Nova in eine Großstadt zu bringen, aber der Trainingsplatz lag zum Glück sehr abgelegen und es gab keine Spur von Stadtgetümmel oder Menschenmassen.


    Zu Beginn gab es natürlich erstmal das Infogespräch über Novas Herkunft, Anschaffung, ihre Baustellen, die Trainingsmethoden, Fortschritte, Fehlschläge usw. Laut der Einschätzung des Trainers ist Nova mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mali DSH Mix. Die sind wohl in Rumänien bzw. im osteuropäischen Raum in den letzten Jahren ziemlich in "Mode" gekommen, wenn es um lebende Alarmanlagen/Waffen zur Verteidigung von Haus und Hof geht, und er durfte bereits ein paar Exemplare davon kennen lernen.


    Danach kam der anstrengendste Teil, die Analyse. Hier wollte er prüfen wie unser Trainingsstand ist, wie Nova auf bestimmte Situationen reagiert, wann sie auslöst und in welcher Intensität und ob und wie ich ihr Verhalten lenken kann. Aufgrund dieser Beobachtungen kann er dann eine erste Einschätzung geben und gegebenenfalls den weiteren Trainingsweg planen.


    Ich muss sagen, dass ich zum Teil richtig Stolz auf meinen Hund war und manchmal sogar etwas überrascht wie weit wir doch schon sind.


    Viele "Übungen" an der Leine verliefen fast schon vorbildlich. Das Vorbeilaufen am Menschen, selbst richtig nahe, klappte sehr gut, ihr Fokus lag die ganze Zeit auf mir. Auch als ich sie neben mir absitzen ließ und der Trainer frontal auf uns zukam, sie anstarrte, sie anquatschte, mich ansprach und mir sogar die Hand gab, blieb sie ruhig und schaute immer wieder zu mir hoch. Auch als er übertriebene Armbewegungen gemacht und rumgebrüllt hat, hat sie das nicht aus der Fassung gebracht. Etwas kritisch wurde es als er sie "versehentlich" streifte, da wurde sie kurz starr, hat sich aber auf meine Ansprache hin sofort wieder zurückorientiert. Das Einzige was gar nicht geklappt hat, war als er sie gestreichelt hat. Da hätte sie sofort zugebissen, ohne verbale Vorwarnung. Sie wird steif und ein paar Sekunden später beißt sie zu.


    Der zweite Teil fand dann ohne Leine statt. Er wollte testen ob ihre Orientierung an mir nur damit zusammenhängt, dass sie gecheckt hat, dass sie an der Leine sowieso nicht viel ausrichten kann. Aber zu meiner großen Freude war dem nicht so.


    Zuerst sind wir über den Platz gelaufen um zu sehen ob sie sich sofort auf den Trainer stürzt, wenn sie die Chance wittert, was sie zum Glück nicht getan hat. Sie lief zwar immer wieder ein Stück voraus, beäugte den Herren zwischendurch auch mal kritisch, drehte sich aber alle paar Meter um um nach mir zu sehen. Als er dann anfing sich auch zu bewegen und in ihre Richtung ging blieb sie stehen und fixierte ihn sofort. Ich war ca. 7/8 Meter hinter ihr und konnte sie ins Sitz rufen, was sie ein bisschen aus der Situation rausholte, so dass sie ziemlich ruhig wartete bis ich wieder bei ihr war.


    Danach machten wir die selben Tests wie davor mit Leine, mit den ziemlich gleichen Ergebnissen. Nur das "zufällige" Streifen klappte nicht und sie wollte beißen, ich konnte sie aber sofort wieder umorientieren. Das Streicheln hingegen war eine "mittelschwere Katastrophe", da sie da so richtig ran wollte und immer wieder nachsetzte. Es hat eine gute halbe Minute gedauert bis ich zu ihr durchdringen und sie zu mir rufen konnte.


    Ein kompletter Fail war der Test ganz ohne mich. Ich sollte in das Häuschen das auf dem Platz stand reingehen und von drinnen konnte ich beobachten wie sie sich verhält. Sie folgte mir bis zur Tür und wartete sogar ein bisschen davor. Aber als der Trainer (er war gut 10 Meter von ihr entfernt) dann ein paar Schritte machte ging sie sofort auf ihn los, fast ohne Vorwarnung. Sie rannte einfach zielgerecht auf ihn zu und versuchte immer wieder ihm ins Gesicht zu springen. Sie ließ sich auch durch Schreien und Schubsen nicht davon abbringen. Er gab mir nach ein paar Minuten dann das Zeichen wieder aus dem Häuschen raus zu kommen um zu sehen ob ich hier noch einwirken könnte oder ob sie praktisch komplett in einer blinden Rage ist. Überraschenderweise ließ sie sich von mir abrufen (wobei es tatsächlich 3 Rückrufversuche brauchte).


    Ursprünglich war auch hier geplant, dass er verschiedene Szenarien durchspielt, aber das war nicht weiter nötig. Seine bloße Existenz hat ausgereicht um ihr die Sicherungen durchzuhauen. Wir haben dann nur noch einen zweiten Versuch gemacht. Diesmal sollte ich ihr ein Kommando (Platz) geben bevor ich in das Häuschen reingehe um zu sehen ob sie anders reagiert. Das funktionierte nur minimal besser. Sie blieb liegen bis er auf etwa 3 Meter an ihr dran war und sprang dann hoch und das ganze wiederholte sich wie beim ersten Mal.

  • Das Fazit nach all dem:


    Der Trainer hat sie ganz klar als gefährlich eingestuft und 100% würde jedes offizielle Gutachten das bestätigen. Aber es ist absolut nicht hoffnungslos. Er sieht großes Potenzial in uns als Team.


    Die Kurzversion seiner "Diagnose" von Nova "Sie hat halt einfach einen Schaden und den kriegen wir auch nicht mehr weg".


    Um das ganze etwas zu beschreiben: Er denkt, dass es ein Zusammenspiel von Herkunft, Aufzucht und Rasse ist. Ziemlich sicher gab es nie eine richtige Sozialisation. Hunde wie Nova werden einfach angeschafft, in den Garten gepackt und wenn sie anfangen schon jung zu zeigen, dass sie hart rangehen können und ihr Territorium bis aufs Blut verteidigen wollen, dürfen sie bleiben. Das bringt denen dort auch niemand bei. Die haben zu funktionieren oder sie werden entsorgt. Das zeigt sich ganz klar in Novas Verhalten. Sobald sie auch nur denkt, dass sie selbst eine Entscheidung treffen kann und soll geht sie sofort auf Angriff und das kriegen wir auch nicht mehr aus ihr raus. Er denkt auch, dass es da keine wirklichen Trigger gibt. Der Trigger ist der Mensch an sich. Sie hat in den ersten Monaten ihres Lebens ziemlich sicher generalisiert "Mensch ist der Feind und der Feind muss vertrieben werden", um es einfach auszudrücken.


    Während die meisten normal sozialisierten Hunde gelernt haben, nachdem sie einige Menschen getroffen haben, dass im Grunde alle freundlich sind und es keinen Grund zur Angst oder Wut gibt hat Nova das genaue Gegenteil gelernt. Diese Generalisierung ist nach den ersten Lebensmonaten abgeschlossen, das kann man also nicht mehr "überspielen". Sie wird also auch in Zukunft jeden fremden Menschen den sie trifft als Hassobjekt erkennen.


    Kommen wir zum positiven Teil: Nova ist trotz all dem bereit sich am Menschen zu orientieren und mit ihm zusammen zu arbeiten. Er findet es sehr schön wie weit wir bereits sind. Man erkennt wunderbar, dass sich Nova zum größten Teil bereits auf mich und meine Entscheidungen verlässt. In unangenehmen und für sie unklaren Situationen sucht sie sofort Blickkontakt zu mir und wartet auf eine Bestätigung oder auf eine Aufforderung was sie denn jetzt tun soll. Positiv ist auch, dass sie Maßregelung von mir akzeptiert und sich aus Frust nicht "umdreht" und auf mich losgeht. Er meint, dass ich sehr klar und souverän führe und sie mich respektiert/akzeptiert. Er persönlich denkt, dass ich sehr gut geeignet bin um Nova sicher durch die Welt zu führen.


    Er denkt das Nova mit weiterem Training und richtigen Handling ein unauffälliger Hund für die Umwelt sein kann. "Normal" wird sie niemals werden, aber durch Bereitschaft ein restliches Leben lang mit ihr zu arbeiten und ihr eine ganz klare schwarz-weiß Führung zu geben wird sie nach außen hin den Anschein machen, als wäre sie "ganz normal".


    Der weitere Trainingsweg: Er meint, dass er gut findet wie wir bis jetzt gearbeitet haben. Er würde beim Training im Umgang mit anderen Menschen gar nicht groß etwas ändern wollen, da es für uns beide ja gut funktioniert.


    Was er jedoch kritisiert hat ist der Umgang mit ihr wenn ich alleine bin. Er meint, dass es fahrlässig von meinem Trainer war mir zu suggerieren, dass ein Zusammenleben mit Nova sich praktisch nicht von dem eines "normalen" Hundes unterscheidet. Ich soll in Zukunft dafür sorgen, dass Nova auch zuhause niemals eine eigene Entscheidung treffen darf.


    Das heißt im Klartext: Ich entscheide wo sie liegt, immer. Ich entscheide ob sie aufsteht, ob sie in den Garten geht, was sie im Garten tut, wo sie sich im Garten bewegt, ob sie zu mir aufs Sofa darf, ob sie mir nachlaufen darf,... Nova ist am gefährlichsten wenn sie eigene Entscheidungen treffen kann und oft sind es so kleine Dinge, an die wir als Mensch gar nicht denken. Aber auch das muss ich in Zukunft unterbinden, ganz konsequent.


    Seine Theorie wie es zu dem letzten Biss kam ist, dass es eine Aneinanderreihung blöder Umstände war. Es ist wahrscheinlich, dass Nova bereits davor etwas gestresst war, da es am Ende des Tages passierte. Dann kam noch hinzu, dass ich nicht bei der Sache war, sie selbst entschieden hat in den Garten zu gehen und gemerkt hat, dass kein Blickkontakt möglich ist, ich unaufmerksam war. Es kann sein, dass es nur einen winzigen Auslöser gab, wie z.B. ein Igel am Gartenzaun oder ein Mensch der irgendwo in der Nähe herumlief, der sie gestört hat und da Nova ja leider keine verbale Vorwarnung gibt, ist es gut möglich, dass sie da schon frustriert war und ich es nicht bemerkt habe, da ich sie nicht beachtet habe. Vielleicht hat sie auch noch versucht mit mir zu kommunizieren, mir mitzuteilen, dass da etwas ist was sie gerade richtig scheiße findet und ich mal nachsehen soll. Da keine Reaktion von mir kam, da unaufmerksam, hat sich der Frust angestaut und da der Hund ja praktisch gar keine Zündschnur hat, kam es zur Reaktion.


    Das ist natürlich nur eine Theorie, die man bedenken sollte. Oft sucht man nach bestimmten Triggern oder DEM Moment, aber die gibt es manchmal gar nicht. Gerade bei Hunden wie Nova, die innerhalb von Sekunden entscheiden ob sie jetzt ausrasten oder nicht, braucht es manchmal gar keinen konkreten Auslöser. Der Vorfall hat aber, seiner Meinung nach, absolut nichts mit Bindung oder Liebe zu tun, das ist zu menschlich gedacht. Nova hat einfach einen kleinen Dachschaden. Aber er denkt, dass ich mir in Zukunft weniger Sorgen machen muss, wenn ich jetzt anfange auch zuhause Entscheidungen für den Hund zu treffen.

  • Na das klingt doch ganz gut. Ja, auch das sie ausgeloest hat, ist gut. Waere sie da jetzt wie ein pupsnormaler Hund gewesen, waer das Treffen fuer die Katz gewesen ;) Auch wenn ihre Reaktion natuerlich ne echte Hausnummer ist. Dafuer weisst du jetzt wirklich sicher, wie sie reagiert und das sie das auch durchzieht.


    Ich wuerde nur nochmal ueber den Tipp bzgl. dem Zwinger nachdenken. Durch einen Zwinger o.ae. haette ihr beide Auszeiten. Nova kann (in einem geschuetzen Rahmen!) selber Entscheidungen treffen wie die des Schlafplatzes usw. und du musst nicht rund um die Uhr auf sie achten. Das nimmt mAn wirklich Stress raus.

  • Vielen Dank für deinen Bericht! Das hört sich gut an. Wie gehts dir jetzt?


    Ich stell mir persönlich das auch extrem anstrengend vor und könnte mir denken, ein Schutzraum wie ein Zwinger könnte dir etwas Luft zum atmen bringen.

  • Ich freue mich, also einerseits nicht, aber doch. Dass Du den Weg auf Dich genommen hast, so viel in Deinen Hund investierst und trotz all dem wirklich cool dabei wirkst und dass der Tipp was brachte.

  • Ich freu mich für euch, dass der Termin ja doch recht gut verlief und du jetzt weißt, was mit Nova möglich ist, wie du sie im Alltag führen sollst/musst und dass ihr schon so viele Dinge richtig macht :applaus: Danke, dass du das alles so ausführlich geschildert hast!


    Wie geht es dir damit?

  • Das klingt definitiv aufregend und aufschlussreich. Das wird dir bei deiner Entscheidung helfen.


    Zum Thema Zwinger. Ich war lange mit einem Hundeführer der Bundeswehr zusammen. Sein Hund musste auch im Zwinger untergebracht werden, auch im Garten meiner Mietwohnung. Tatsächlich war die Vermieterin da sehr entspannt und hat den Zwinger im Garten erlaubt. Das Ding war recht groß.

    Auf jeden Fall hat das unser Leben erleichtert. Und das der Hunde auch. Da würde ich definitiv drüber nachdenken, je nachdem wie deine Entscheidung mal fällt.


    Aber schön, wenn jemand dir mal sagt wie souverän du das machst.

  • Klingt, als seid Ihr bei genau dem richtigen Trainer für Euch gelandet.


    Der Frage, die Looking gestellt hat, schliesse ich mich an: Wie geht es Dir jetzt? Vermutlich kannst Du die noch gar nicht beantworten, das muss alles ja erstmal sacken.

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