Warum ist die Dominanztheorie noch so verbreitet?
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Ich glaube, dass liegt daran, dass man damit alles so schön einfach erklären kann, ohne sich Gedanken über das intelligente, denkende, fühlende Wesen Hund zu machen.
Der Hund pöbelt an der Leine? - Dominanz!
Der Hund will seine Spielsachen verteidigen? - Dominanz!
Der Hund hört nicht auf seinen Besitzer beim Abruf? -Dominanz!Da wird häufig nicht geschaut, um welche Rasse es sich handelt, welche Erfahrungen der Hund evtl. schon gemacht hat, wie bestimmte Befehle aufgebaut wurden.
Sicherlich gibt es Hundeindividuen, die souveräner und präsenter sind als andere. Aber dominant würde ich das nicht nennen, einfach weil der Begriff schon so vorbelastet ist.
In der Regel wird doch auch von Trainern und Hundeschulen, die diese These noch immer vertreten, zu absoluter Deckelung und Unterwerfung mit manchmal fragwürdigen Mitteln geraten.
Das ist in der Regel recht einfach erklärt, für den Laien verständlich und selbst durchführbar. Und gerade heutzutage wird doch eine Lösung auf Knopfdruck gefordert. Wenn dann noch pseudobekannte Trainer in den Medien dieses Wort in den Mund nehmen und mit entsprechenden Mitteln arbeiten, wird der 08/15-Hundebesitzer das auch als richtig hinnehmen. -
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Ich glaube, das Problem ist, dass das Wort "Dominanz" immer missverstanden wird.
In Beziehungen gibt es immer - je nach Situation - einen dominanten und einen subdominanten Part - ganz egal, ob man einer Spezies anhört oder außerartlich miteinander lebt.
In dem Moment, in dem Individuum A eine Entscheidung trifft und Individuum B dieser Entscheidung folgt, zeigt sich Individuum A dominant und Individuum B als subdominant.
Daran ist nichts Schlechtes - es ist situative Dominanz.
Dann gibt es noch die formale Dominanz: Wenn innerhalb einer Beziehung/Gruppe ein Individuum - egal ob Mensch oder Hund - die wichtigsten Entscheidungen immer wieder für die anderen trifft und sich auch in Streitfällen sehr häufig durchsetzt, spricht man von formaler Dominanz: Dieses Individuum hat bestimmte Rechte, aber auch Pflichten, die die anderen Gruppenmitglieder nicht haben.
Je nach Gruppenstruktur, Art des Individuums und Charakter der Individuen können diese Rechte und Pflichten sehr unterschiedlich aussehen: Bei Wildtieren in Rudeln/Herden ist es z.b. häufig so, dass sich nur der formal dominante Part fortpflanzen darf, teilweise ist es so, dass ein Vorrecht auf Ressourcen eingeräumt wird.
Bei der menschlichen Spezies sind häufig diejenigen formal dominant, die Durchsetzungsfähigkeit, Lebenserfahrung, Souveränität, Führungsqualitäten und Verantwortungsbewusstsein mit dem Willen Führen zu wollen vereinen.
Beziehungen zwischen dominanten und subdominanten Individuen sind kein ewig gestriger Schmu, sondern ganz normale Realität.
Natürlich bin ich beispielsweise als Erzieherin formal dominant innerhalb der Kindergruppe: Ich entscheide im Zweifelsfall, was passiert und trage die Veranwortung. Das heißt nicht, dass ich die Kinder unterdrücke - Dominanz ist damit nicht gleich zu setzen. Natürlich kann der dominante Part den unterlegenen Part unterdrücken - damit wären wir beim Machtmissbrauch.
Er muss es aber nicht - und wenn er verantwortungsbewusst ist, tut er es auch nicht.
Und natürlich bin ich in der Beziehung zu meinen Hunden der formal dominante Part. Ich treffe sie wichtigsten Entscheidungen für meine Hunde und habe auch kein Problem damit, mich im Zweifel auch über ihre eigenen Interessen zu stellen - wenn es denn erfordelich sein sollte.
Was ist daran falsch?
ZitatAlso, ich sehe das genauso, wie meine Vorschreiber/innen. Der Hund sieht das Sofa als eine Ressource an, die er halt verteidigt.
Das Sofa als Eigentum zu verteidigen, ist eine von vielen Möglichkeiten, warum der Hund Knurrt, wenn der Mensch aufs Sofa möchte.
Es kommt doch absolut auf die Situation an :)
Vielleicht verteidigt er seine Individualdistanz?
Vielleicht hat er Schmerzen?
Vielleicht hat er Angst vor dem Menschen?
Vielleicht hat er situativ negative Erfahrungen damit gemacht, dass der Mensch zu ihm aufs Sofa möchte?Und - in ganz extrem seltenen Einzefällen - vielleicht möchte dieser eine Hund tatsächlich ein Exempel statuieren mit Hilfe des Sofas. Das ist allerdings enorm selten.
ZitatHunde sind Opportunisten. Sie tun das, wodurch sie den größtmöglichen Vorteil haben. Ein Hund will zuerst durch die Tür, weil draußen eben etwas spannendes passiert, oder weil er aufgeregt ist, dass es jetzt zum Spaziergang losgeht.
Seh ich genauso. Und trotzdem kann es durchaus absolut Sinn machen, den Hund hinter sich durch die Tür gehen zu lassen
ZitatKeiner meiner Hunde hat versucht, sich mir gegenüber "im Rang nach oben zu arbeiten". Erst mal ist denen, glaube ich, sehr klar, dass ich kein Hund bin.
Ich glaube, es ist äußerst selten, dass Hunde sich tatsächlich statusmäßig über den Menschen stellen. die wenigsten Hunde haben dazu die Ambitionen.
Und trotzdem macht es - in meinen Augen - Sinn, klare Regeln für das Zusammenleben aufzustellen, in denen der Mensch führt.
ZitatAlso gibt es sowas wie Dominanz zwischen mir und meinen Hunden gar nicht.
Das wiederum ist nicht ganz richtig. Dominanz gibt es nicht nur unter Individuen gleicher Art.
ZitatAußerdem erlebe ich Hunde, die meinen, sie müssten bestimmte Dinge regeln, immer als sehr gestresst.
Das ist sehr, sehr unterschiedlich. Mein Rüde beispielweise regelt unglaublich gerne Dinge. Meine Hündin hingegen eher nicht.
Herdenschutzhunde, die selbstständig an Herden arbeiten regeln ihre Angelegenheiten auch sehr gerne selber und fühlen sich dabei kein Stück unsicher.
Aber ich denke auch, dass sich die meisten Hunde gut fühlen, wenn der Mensch wichtige Angelegenheiten klärt.
Warum?
Eben weil sie sich am Menschen, dem formal dominanten Part, anlehnen können.
ZitatMeine sind sehr zufrieden damit, dass ich ihnen in stressigen Situationen die Richtung vorgebe (z.B. Bei unangenehmen Hundebegegnungen) und ihnen aus der Situation helfe. Mein Hund (der übrigens gerade neben mir auf dem Sofa pennt und dabei seinen Kopf auf meinem Bein abgelegt hat, Achtung, er dominiert mich!) orientiert sich gerne an mir.
Auch da hinkt diese Geschichte "der Hund will ranghöher sein" sehr.Deine Hunde fühlen sich eben in der submissiven Position sehr wohl - und ob du es glaubst oder nicht: Du stellst in eurer Beziehung den formal dominanten Part dar
Das hat nix mit Unterdrücken und Co zu tun.
Und deshalb kannst du dir es leisten, mit deinem Hund entspannt auf dem Sofa zu knuddeln.
Kopfauflegen kann zigtausend Bedeutungen haben. In den meisten Fällen - gegenüber dem Menschen - bekunden Hunde damit Zuneigung oder heischen nach Aufmerksamkeit.
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Danke für diesen Beitrag.
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Ich denke, sie ist immer noch so populär, weil sie einfach ist. Da gibt es schwarz und weiß, gut und böse. Und deshalb kann man auch das Training einfach gestalten. Ein Hund, der sich gegenüber dem Besitzer "dominant" verhält, verhält sich falsch, und deshalb darf er korrigiert, bestraft, gemaßregelt usw. werden. Hunde untereinander machen das ja schließlich auch...
James O'Heare hat in seinem Büchlein "Die Dominanztheorie bei Hunden: Eine wissenschaftliche Betrachtung" diverse Dominanzdefinitionen (wer denkt, es gebe nur einen einzigen Dominanzbegriff, liegt falsch) unter die Lupe genommen. Sehr empfehlenswert, kostet auch nur 9 Euro.
Auch noch lesenswert: Barry Eaton "Dominanz - Tatsache oder fixe Idee?" für 5 Euro
Und mein Favorit: John Bradshaw "Hundeverstand"
Alles in allem, ja, es gibt dominantes Verhalten. Aber das ist abhängig von der Situation und der Motivation der Akteure. Und i.d.R. zeigt sich dominantes Verhalten in Anwesenheit von Ressourcen.
ich persönlich finde ja, dass diese Dominanzsache unsere Hunde mehr vermenschlicht als es die "Wattebäuschenwerfer" machen. Ich glaube nämlich nicht, dass Hunde irgendeine Ahnung von Rang und Status haben, da schließen die Menschen doch sehr von sich auf Hunde.
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@ Lucanouk
In meinen Augen traumhaft guter Beitrag, informativ und weitab vom formelhaften Theorien-Bashing! -
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Zitat
Ein "dominanter" Hund ist ein souveräner Hund und kein Leinenpöbler.
Ich weiß zwar, was du meinst, aber: ein Hund, der sich dominant verhält, muss nicht unbedingt souverän sein. Auch ein unsouveräner Hund oder ein Hund, der an der Leine rumrandaliert, kann sich durchaus dominant verhalten.
Viele Grüße
Frank -
Zu den vielen tollen Beiträgen gibt es nicht wirklich was zu ergänzen
Nur noch was aus der Praxis, warum sich die "Dominanztheorie" so gut hält: In manchen Bereichen "funktioniert" es ja bestens. Z.B die Tür; mein Hund geht praktisch nie vor mir durch die Türe, weil ich weiß, dass er mit egal-was-da-kommt nicht alleine klar kommt. Pures Management und Kollateralschadenvermeidungsstrategie. Also geh ich vor und taddaaa, mein bellfreudiger Leinenzieher geht wesentlich gesitteter nach draußen. Die einen können jetzt sagen, er hat meine Dominanz anerkannt, ich sage, der Junge weiß einfach, dass wenn ich ihn nachkommen lasse, da bestimmt nix Spannendes mehr zu sehen ist und es den Stress nicht lohnt.
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Dominanz ist eine rein menschliche Bezeichnung. Unter Hunden gibt es eine Sozialstruktur die Regeln unterliegt. Den “ dominanten“ Hund gibt es nicht. Es gibt aber durchaus Hunde die aufgrund ihres Charakters und der gemachten Erfahrungen eine bestimmte “Rolle“ einnehmen. Das wird dann gerne als dominant bezeichnet. Da wir mit Hunden in gemischten Sozialstrukturen Leben und das Verhalten von Hunden häufig nicht oder nur unzureichend verstehen, greifen wir der Einfachheit halber gerne auf derartige Begriffe zurück um eine schnelle Erklärung zur Hand zu haben. Wir Menschen ticken nun mal so. Wir müssen alles in Schemata pressen, weil es uns vieles leichter macht.
Deshalb hält sich die Dominanztheorie wahrscheinlich auch so hartnäckig. Da gibt es die Dominanzschublade und die entsprechende Lösungsansätze sind praktischerweise auch noch schön auflistbar und beliebig zu erweitern. -
Ich denke, man muss unterscheiden, was von Trainern, Schulen, etc. so als Dominanztheorie verbreitet ist und wie die psychologische Aufdröselung dieses Begriffs aussieht (siehe Lucanouks Beitrag, den ich auch super finde). Soweit wird da in der Praxis sicherlich nicht gegangen, bzw. glaube ich nicht, dass dort normalerweise so tiefgreifendes Wissen in diesem Bereich vorhanden ist.
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Zitat
Ich glaube, dass liegt daran, dass man damit alles so schön einfach erklären kann, ohne sich Gedanken über das intelligente, denkende, fühlende Wesen Hund zu machen.
Der Hund pöbelt an der Leine? - Dominanz!
Der Hund will seine Spielsachen verteidigen? - Dominanz!
Der Hund hört nicht auf seinen Besitzer beim Abruf? -Dominanz!Da wird häufig nicht geschaut, um welche Rasse es sich handelt, welche Erfahrungen der Hund evtl. schon gemacht hat, wie bestimmte Befehle aufgebaut wurden.
Ich denke auch, dass genau das der ausschlaggebende Punkt ist. Man kann jeden Pups als Dominanz auslegen und dementsprechend auch so behandeln. Ob der Hund nun in die Wohnung pinkelt oder Sachen zerstört oder nicht abrufbar ist oder nicht leinenführig oder was auch immer - dominant! Und das ist ja auch super bequem. Dann braucht man sich nämlich keine Gedanken über eine spezifische "Therapie" des "Verhaltensproblems" machen, sondern befolgt einfach die tollen goldenen Regeln (Mensch geht zuerst durch die Tür, Mensch isst zuerst, Hund darf nicht aufs Sofa, ....) und alles ist wieder in Butter. Allein mit diesen Tipps lässt sich als Hundetrainer ein Haufen Geld verdienen.
Ich habe übrigens schon recht kuriose Erweiterungen dieser Regeln erlebt. Ein Hundetrainer riet einer Kundin der Hund dürfe nicht mehr in den "Sonnenflecken" (also die Bereiche des Parketts, die durch einfallende Sonnenstrahlung erwärmt werden) liegen.
Also hat die Besitzerin das arme Tier jedes mal aufgescheut und in den Schatten vertrieben
. Das Ende des Lieds: der arme Hund hat die Welt nicht mehr verstanden und irgendwann angefangen die Besitzerin anzuknurren, weil er ständig durch die Gegend gescheucht wurde.
Was auch ganz toll ist: nie ist der Besitzer schuld, sondern immer der ach so dominante Hund. Ist doch herrlich, wenn man sich nie an die eigene Nase fassen muss.
Meine Erfahrung: es lebt sich deutlich entspannter, wenn man den Leuten nicht so einen Floh ins Ohr setzt.
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