Mehr Probleme durch zuviel Vermenschlichung?

  • Hallo,


    bei einigen Threads hier stehen mir echt die Haare zu Berge :D
    Da beißt der Hund aus welchen Gründen auch immer und sitzt dann beim Schreiben des Posts auf dem Schoss der HH.
    Da geht der Hund wie ein Irrer jagen und wird mit Leckerlies zu geschmissen und geknuddelt.
    Man macht sich zum Kasper, weil der Hund nicht Gassi gehen will.
    Probiert sämtliche Futtersorten, da der werte Hund nichts angenehm ist.
    Gibt man selbst zu, dass der Hund wie ein Prinz/Prinzessin lebt, wundert sich andersrum, dass der Hund einem draußen die Mittelkralle zeigt, wenn man nicht gleich mit dem Leckerlie wedelt...


    Die Liste könnte man wohl endlos weiterführen, aber ich lasse das mal als Beispiele stehen.
    Viele hier wollen dem Hund keine Schmerzen zufügen, kein Meideverhalten erzeugen, den Hund nur mit viel Liebe usw. erziehen.
    Aber kommen nicht gerade dadurch erst so viele Probleme zustande.
    Das die Hunde mehr als Kinderersatz gesehen werden?
    Das die Hunde "geliebt" werden?
    Das die Hunde betüddelt werden?
    Das die Hunde nur noch "funktionieren" wenn sie ihr Leckerchen kriegen?


    Einige wundern sich, warum ihr Hund ihnen draußen oder auch drinnen auf der Nase rumtanzt.
    Wenn ich dann aber die dazu gehörigen Threads lese und auch ein bisschen weiter forsche, dann wundert mich oftmals gar nichts mehr.


    Wieso fällt es vielen so schwer, den Hund als das zu sehen, was er nun mal ist?
    Ein Tier, ein ehemals wildes Tier, dass sich in unseren Lebensraum einfügen lernen muss.
    Und das "muss" ist dabei ganz wichtig, denn ohne dies ist ein entspanntes Zusammenleben nicht möglich.
    Da wird eine Ewigkeit rumgedoktert, wobei der Hund sich immer mehr verselbstständigt.
    Da wird immer wieder auf die Vergangenheit hingewiesen, wie schlimm diese doch war, was das arme Tier alles erleiden musste und sich selbst ernähren musste.
    Was für einen "Problemhund" man doch aufgenommen hat, nach weiterem lesen kam der Hund mit ein paar Monaten ins Haus :roll:
    Natürlich gibt es die Hunde, die wirklich eine schlimme Vergangenheit hatten.
    Die durch Ängste extrem geprägt sind, die in Panik verfallen etc.
    Aber mir geht es eher um die, wo die Probleme hausgemacht sind bzw. sein könnten.


    Wieso fällt es den Menschen noch immer so schwer, mal klare Ansagen zu verteilen, wenn was falsch ist?


    Einige fragen sich, wieso "funktionieren" die Hunde von Obdachlosen oder Punkern so "prima"?
    Auf einem Seminar stelle die Referentin das mal klar dar. Die Hunde kriegen von Anfang an sehr klare Ansagen, was erlaubt ist und was nicht.
    Und nur so funktioniert es eben auch, dass diese Hunde im größten Trubel in der Stadt ohne Leine laufen können und entspannt bleiben.
    Es wird nicht an ihnen rumgetüddelt und es werden keine Leckerchen rein geschoben, sondern klare Grenzen gesetzt.


    Wieso ist es den Leuten lieber, dass sie über Monate hinter ihrem Hund hergezogen werden, wenn ein kleiner Kniff in die Seite oder ein kurzer Ruck an der Leine dem Hund klar macht, hey so nicht.


    Ich spreche nicht von Schmerzen zufügen, sondern von klaren Grenzen, so ja und so nicht.


    Ein bisschen durcheinander geschrieben, aber vielleicht hat jemand verstanden, was ich meine :p


    Grüzzle
    Bibi

  • Ich versteh was Du meinst :)


    Woran genau das liegt, kann ich nicht sagen, aber der Trend geht doch in allen Bereichen in diese Richtung. Warum Druck machen, wenn es auch anders geht. Dauert halt nur länger, dafür ist es viel liebenswerter.


    Hauptaugenmerk bei diesen Dingen wird auch immer auf "die bindung2 und "das Vertrauen" gelegt. Diese beiden dinge sind ja laut den meisten Menschen nur zu erzeugen (ja, erzeugen), wenn man immer nur lieb und gerecht ist.


    Wie deses Denken entstanden ist, kann ich nicht sagen und ich hab mich viel zu wenig damit beschäftigt das zeitlich nachzuverfolgen, als dass ich benennen könnte seit wann das so ist.
    Für mich ist es unnatürliches Verhalten. Und zwar in erster Linie vom Menschen. Wir sind nicht dazu gemacht, gerecht, ausgeglichen und umständlich zu sein. Das hat sich erst mit der Entwicklung der modernen Gesellschaft ergeben, so haben wir ein schlechtes Gewissen und empfinden es als "unethisch" über Anderen zu stehen :ka:


    Wir denken wenig daran, was für uns wichtig ist, aber viel daran was die Anderen darüber denken, wie sich das Gegenüber dabei fühlt (egal wie unangenehm die Sache für einen selbst ist) und was "menschlich vertretbar" ist.


    Hunde sind uns derart ans Herz gewachsen und aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, dass wir die (vermeintlich) menschlichen Werte auch auf diese übertragen. Natürlich darf man dem dann nicht mehr zuwider handeln, das versteht sich ja von selbst ;)
    Ich finde, eine gewisse Härte und Egoismus und ein bisschen handeln nach Emotionen gehört zum Menschen dazu. Damit wird auch ein hund klarkommen, schließlich ist das seine Stärke :)

  • Für mich liegt das daran, weil auch die Menschen mit sich selbst nicht mehr natürlich umgehen. Da werden im Alltag soviele ganz normale Instinkte unterdrückt, dass diese auch fehlen, wenn es um den Umgang mit dem Hund geht.


    Wo das natürliche Bauchgefühl im Umgang mit dem Tier (bei Pferden ist es ja genauso, wie bei den Hunden) fehlt, muss dann nach diversen Guru-Vorgaben gearbeitet werden. Oft, ohne jegliches Verständnis für das Lebewesen um das es da geht.


    Die Menschen entfernen sich immer mehr von ihren normalen Verhaltensweisen. Und deshalb können sie auch nicht mehr normal mit Tieren umgehen.


    LG, Chris

  • Mein Hund ist zwar kein Kindersatz (im Gegensatz zu Kindern kann ich Hunde nämlich leiden) aber ich muss mir trotzdem erstmal eingehend Gedanken machen, in welcher Richtung ich mich gerade angesprochen fühle ;)

  • Hej du,


    ich kann mich da ja auch nicht immer rausnehmen, aber ich glaube, ich weiß, was du meinst.


    Das Problem ist denke ich zunächst mal, dass sich heute extrem viel auch in den Medien mit Hundeerziehung auseinandergesetzt wird. Das ist zum einen gut, denn es zeigt oftmals, dass man auch ohne Gewalt auskommt, andererseits wird, finde ich zumindest, manchmal auch zu viel Lärm um nichts gemacht.


    Es gibt überall ein Überangebot an Dingen, die Hund unbedingt haben muss. Klar, dass man da schonmal zum Vermenschlichen neigt, wenn der Hund seinen eigenen Adventskalender hat.


    Ich selbst versuche auch, meinen Hund gewaltfrei zu erziehen und ich denke, dass gelingt mir auch ganz gut. Dennoch habe ich festgestellt, dass es Hund nichts bringt, wenn ich immer nur mit Quietschstimme auf ihn einrede und mit Leckerlies winke. In manchen Situationen wird er auch mal angeschnauzt oder anders in seine Schranken verwiesen, ohne dass es ihm wehtut.


    Dennoch denke ich, dass ich immer noch sehr weich bin, aber das liegt auch in meinem Naturell.


    Ach, und warum immer wieder auf die Vergangenheit und schlechte Erfahrungen hingewiesen wird? Weil es so häufig einfacher ist, als sich z sagen, man sei selbst das Problem (Ich spreche aus Erfahrung :D ). Klar, es gibt Hunde, die manche Probleme durch schlechte Erfahrungen haben, aber vieles ist beim Durchschnittshund doch hausgemacht.


    Liebe Grüße,


    Nehle mit Jeppe

  • Zitat


    Die Menschen entfernen sich immer mehr von ihren normalen Verhaltensweisen. Und deshalb können sie auch nicht mehr normal mit Tieren umgehen.


    Was ist denn schon "normal". "Normalität" ist eine rein (inter)subjektive Angelegenheit, die sich, da willkürlich festgelegt, im Wandel der Zeit stetig verändert. Vor einer Weile war Kanibalismus normal. Oder Prügelstrafen in der Schule. Oder Arbeitsverbote für Frauen.


    Abgesehen davon IST jede Wahrnehmung unsererseits vermenschlicht, denn alles wird von unserem menschlichen Gehirn gefiltert, bewertet und geordnet. Es ist uns also nicht möglich, nicht zu "vermenschlichen" ;)

  • Als ich meinen Hund zu mir geholt hatte, dachte ich zunächst, ich könnte sofort mit dem Training los legen. Pustekuchen. In meiner ersten Hundeschule erklärte man mir, ich müsse den Hund zunächst mal seine "Kindheit" leben lassen. Da hätten "Sitz" und "Platz" noch lange Zeit. Was das zum Teil für Probleme gab, brauche ich wohl nicht weiter auszuführen.


    Heute, einige Bücher, Hundeplätze, Foren und Monate des Trainings mit ernsthaften Trainern später, bin ich natürlich schlauer.


    Das grundsätzliche Problem ist allerdings - und so auch hier - das die meisten Menschen einfach stinkend Faul sind. Sie erwarten, dass sich der Hund von selbst erzieht und wenn es ein Problem gibt, gilt es im Hundeforum nur exakt genau das akute Problem zu behandeln, ohne zu hinterfragen, wo die Ursachen für dieses liegen könnten. Ein Hundebuch haben die wenigsten der "einfache Fragen steller"/"zu-sehr-vermenschlicher" gelesen, würde ich mutmaßen. Und "verstehen wie ein Hund tickt", ist für viele scheinbar total abwegig, weil der Hund ja alles verstehen muss.


    Bedauerlich, aber die Fakten sprechen eben dafür.

  • Ja, das Bauchgefühl, aber scheinbar geht bei vielen das Bauchgefühl eben irgendwie in die Richtung, den Hund doch zu vermenschlichen? :???:


    Was mir noch eingefallen ist, das Alleinbleib-Training.
    Hier gibt es zig Threads, wie kann ich, wann kann ich, was muss ich wie tun etc.
    Bei vielen der Fragestellenden ist aber nicht nur das Alleinbleiben ein Problem, sondern es gibt meistens noch mehr Baustellen ;)
    Dann wird aber Baustelle für Baustelle in Angriff genommen, ohne erstmal einen Grund rein zubringen.
    Klingt nicht so richtig sinnvoll, wird aber leider noch immer viel zu oft probiert.
    Der Frust ist vorprogrammiert und die nächsten Threads folgen.


    Ich habe damals überhaupt nicht über ein Training nachgedacht.
    Die Wohnung wurde verlassen und gut ist.
    Man ging zum Müll und keiner hat vorher überlegt, ohhhhhhhhh, der arme kleine Welpe muss jetzt allein bleiben :shocked:
    Es wurde tatsächlich aus dem Bauch entschieden, meine WG Mitbewohner hätten wohl sonst auch das Handtuch geschmissen :hust:
    Es wurde gehandelt und nicht vorher darüber nachgedacht, denn je mehr man denkt und überlegt, desto mehr Anspannung macht sich breit.
    Jedenfalls sehe ich das so ;)


    Grüzzle
    Bibi


    PS: Verena, ich meine niemanden persönlich, es fällt halt nur in vielen Threads auf, finde ich.

  • Ich versteh ganz genau, was du meinst - und ich finde diesen Trend so furchtbar unfair Hunden gegenüber: Sie sind nun mal KEIN Ersatzmensch -sie sind als Hunde erstklassig. Und das reicht allemal.


    Und sie eben nicht als solche zu behandeln, sondern stattdessen immer mehr mit dem zu beladen, was doch menschliche Gefühle und Probleme sind, halte ich schon für Tierquälerei - wenn auch oft subtile und als "Liebe" verbrämte...

  • Zitat


    Ich finde, eine gewisse Härte und Egoismus und ein bisschen handeln nach Emotionen gehört zum Menschen dazu. Damit wird auch ein hund klarkommen, schließlich ist das seine Stärke :)


    Für mich ist es aber ein Riesen-Unterschied, ob ich meinen Hund mal richtig heftig anmaule, weil er grad akut meine Lieblingsvase runtergeworfen hat und ich emotional in Wallung bin, was er meiner Meinung nach seeeeehr gut einschätzen und verkraften kann.


    Oder:


    Ob ich die Erziehung/Ausbildung auf geplanter Meidemotivation aufbaue...



    Ansonsten: ja, ein Hund ist ein Hund, eben.... er hat hundliche Grenzen, rassebedingte und individuelle Grenzen. Kein Hund kann alles. Kein Hund kann sich an alles anpassen, sich ohne Abstriche in jede Lebenssituation, an jedes Menschen-Leben reinpressen lassen.


    Und nun ja, auch Bauchgefühl ist nicht alles. Es gibt genug Leute, die würden aus dem Bauch raus ohne mit der Wimper zu zucken Prügel verteilen, egal ob Hund oder Mensch... Ich denke, ein bestimmtes Wissen über Lernen und Lehren usw. ist unbedingt notwendig.


    Und ich denke: je mehr wir darüber wissen, desto besser können wir dies einsetzen und desto unnötiger werden Meidemotivationen im Umgang mit dem Hund...


    Und nun ja: Warum ich der Meinung bin, daß ich eben auch mal bissel länger an was "rumdoktore" als es mit der Holzhammer-Methode durch zu setzen? Weil es eben auch anders geht und weil ich der Meinung bin, daß der Hund genug Respekt verdient hat, daß ich es auch nett und verständlich versuche. Das schließt ja nicht aus, daß ich nicht auch Grenzen und Regeln aufstelle, aber die muß ich nicht unbedingt über Meidemotivation durch setzen...


    Meine Hunde werden von mir auch mal weiter geschoben, mal rüber gedrückt, kriegen auch mal ein lautes Wort und werden auch mal berührt so nach dem Motto:hallo ich bin auch noch da. Aber all das resultiert dann eher aus meiner momentanen situationsbedingten Hilflosigkeit, der "Lehrwert" für meine Hunde geht dabei gegen Null.

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