Die Sache mit der Hundeerfahrung

  • Angeregt durch einen anderen Thread und die häufige Frage von Hundeneulingen, welche Rasse für sie geeignet wäre, stelle ich mir die Frage: Was ist ein "Anfängerhund"?


    Jeder von uns fing irgendwann an. Ich persönlich richte mein Hauptaugenmerk lieber auf den Menschen, als auf die Wahl der Rasse. Denn auch der einfachste Hund kann für den Menschen nicht geeignet sein, wenn ein Pipi in der Wohnung schon zuviel ist, während auch eine schwierigere Rasse oder ein nicht einfacher Hund für einen lernwilligen, empathischen Anfänger durchaus geeignet sein kann.


    Was nützt Hundeerfahrung zb bei einem Angsthund, wenn der Hundehalter zwar schon 6 Hunde hatte, aber alle normale Alltagshunde? Was nützt Hundeerfahrung, wenn man bisher zwar zb Havaneser hatte, nun aber einen Mali möchte? Ich denke, man versteht, was ich meine.


    Ich denke, Anfängerhunde in dem Sinne gibt es nicht, weil es immer am Menschen liegt.


    Wie seht Ihr das?

  • Ich zitiere mich mal aus dem anderen Thread:


    Hier ging es allerdings speziell um einen Mischling (mmn ein Jagdhundmischling aus dem Auslandstierschutz)


    Ich kenne persönlich keinen einzigen Hund aus dem Auslandstierschutz, der den Vorstellungen der allermeisten Ersthundehalter entspricht. Ein Mensch mit Hundeerfahrung hat möglicherweise (nicht immer!) schon andere Vorstellungen davon, wie das Zusammenleben mit einem Hund in Wirklichkeit aussieht.

    Was nicht bedeuten soll, dass sich ein Ersthundehalter meiner Meinung nach nicht dennoch an seinem Hund erfreuen kann und seine Vorstellungen halt ändert und dennoch happy ist.

    Aber der ruhige "immer dabei" Hund ist aus dem Auslandstierschutz nunmal nicht zu erwarten. Egal in welchem Alter er nach Deutschland kommt. Die gesamte Prägung (auch schon während der Trächtigkeit der Hündin) und auch die (Epi-)Genetik sowie die Mischung der entsprechenden Rassen sprechen einfach fast immer dagegen. Natürlich kann es dann dennoch sein, dass sich so ein Hund zum prima Begleithund entwickelt. Ich persönlich kenne allerdings keinen. Die Hunde aus dem Auslandstierschutz, die ich kenne sind fast alle sehr reizoffen, jagen und haben viel eigenen Kopf. Viele Menschen mögen das. Für diejenigen ist so ein Hund genau das Richtige. Ich denke allerdings, dass die meisten Ersthundehalter sich nicht vorstellen können, wie es ist mit so einem Hund zu leben und eben etwas ganz anderes erwarten.


    Daher finde ich es nicht prinzipiell verkehrt, auch bei einem Junghund Hundeerfahrung zu wünschen.



    Ergänzend dazu:


    Grundsätzlich finde ich auch, dass ein Ersthundehalter durchaus geeigneter sein kann als ´jemand, der schon 20 Jahre Hunde hatte, aber keine Ahnung hat. Ich habe in meinem Bekanntenkreis auch Leute, die seit 10 Jahren einen Hund haben und diesen (und auch andere Hunde) kein Stück lesen können. Da wird wildes Aufreiten und Maßregeln auch als Spiel und Spaß gesehen und freudig dabei zugesehen und sogar noch angefeuert.


    Es ist aber nun leider so, wie auch in dem entsprechenden Thread, dass man sich das als Ersthundehalter erstmal anders vorstellt. Da soll der Hund "immer dabei" sein und den Alltag mit dem Menschen teilen. Und da kommen wir zu dem Punkt, wo ich glaube, dass Hundeerfahrung schon hilfreich sein KANN (!). Ein Mensch, der schon Hunde hatte und sich in Hundehalterkreisen aufhält (oder hier im Forum), wird unter Umständen schon mitbekommen haben, dass die Hundewelt nicht so rosarot ist und dass es, vor allem mit einem derartigen Mischling, eher unwahrscheinlich ist, dass dieser "immer dabei" sein kann.

  • Meine Meinung: Erfahrung misst man nicht in Zeit und es gibt keine pauschalen Anfängerrassen oder gar ein "hocharbeiten". Man muss immer gucken, wie ist der Mensch, was will der Mensch und auch: wofür begeistert sich der Mensch.


    Ja, auch das finde ich wichtig. Eine rein faktenbasierte Entscheidung ist meiner Meinung nach nicht die Beste, auch das Herz und der Bauch müssen dabei sein. Das heißt nun nicht, dass man sich den Gebrauchshund holen soll, weil man die soooo schön findet! Man sollte aber beispielsweise schon Gebrauchshund wollen. Mit allem was es mitbringt. Und letztendlich auch dazu passen.


    Aber durch ein sehr fixes und für das Tier Hund anspruchsvolles "was will der Mensch", kann es eben durchaus sein, dass es das einfach nicht gibt. Überzogene Erwartungen trifft man ja gerne mal an. Oder Erwartungen bei denen man sich fragt, was das Tier eigentlich noch darf.

  • Ich finde die Herangehensweise der Wunschliste aber auch ziemlich unpassend. Und der Trend "Qualzucht" ist für mich sozusagen das Ende der Fahnenstange in Bezug auf Anpassungsfähigkeit bei den aktuellen Wünschen des ruhigen, unauffälligen sowie unkomplizierten Begleiters.


    Manchmal würde ich mir statt einem umfangreichen Brainstorming und "irgendwas wird es schon geben" wünschen, dass man Klipp und Klar kommuniziert, dass ein Tier diese Erwartungen einfach nicht erfüllen kann und muss.


    Mein Gefühl ist, dass viele Menschen damit überfordert sind, dass sie sich selbst mal an etwas anpassen müssen und nicht alles "nach Plan läuft" oder wie in der Theorie. Und dahingehend kann kein Tier Entgegenkommen leisten.

  • Ich finde schon, dass man für manche Rassen / Problemhunde einfach Hundeerfahren sein sollte. Nicht weil einen ein Havaneser ganz toll auf einen Malinois vorbereitet, sondern, weil man mit den "ganz normalen Problemen" schon einmal zu tun hatte und manche Dinge einfach realistischer einschätzen kann und man vllt. auch einfach weiß, was man auf gar keine Fall will oder leisten kann.

    Ich bin auch vom "klassischen Alltagshund" nämlich einem Labbimix, auf den Malinois gekommen und ich bin sehr, sehr froh, dass ich die ganzen Anfängerfehler bei meinem netten, einfachem Labbi eingebaut habe und nicht bei der Bodenlenkrakete die gerne alles was im umkreis von 50m existiert, dass atmen verbieten möchte - damit wäre ich nämlich ganz, ganz böse auf die Nase gefallen. Jetzt habe ich vier alltagstaugliche Hunde, die in einer anderen Reihenfolge eine absolute Katastrophe gewesen wären.


    Bei Hundebegegnungen habe ich den ganz klassischen Fehler gemacht und meinen Labbi als Welpe und Junghund da völlig unstrukturiert und unbegleitete in Fremdhundebegegnungen gelassen und viel zu spät erkannt, dass der eigentlich nicht so richtig Bock auf andere Hunde hat. Bei den Malis von Anfang an anders rangegangen und die ignorieren andere Hunde einfach weg. wäre auch blöd wenn nicht, die finden alles außerhalb ihres Sozialverbandes ziemlich überflüssig.


    Leinenführigkeit mit völlig beknackter Methode aufgebaut und an der Leine einfach einen gestressten Hund, die Malis schluffen völlig entspannt neben mir her. Der Labbi steckt Stress aber viel besser weg, als die Pommestüten und würde auch nicht im Traum darauf kommen mir als Übersprunghandlung Mal eben in den Arm zu pflastern, dass würde ich den Belgiern durchaus zutrauen.


    Kein "Ende" Signal für Spiel und Co etabliert, beim Labbi nicht so wild, der neigt überhaupt nicht dazu sich irgendwo reinzusteigen... Wäre gerade bei meinem "kleinen" Mali hässlich geworden.

    Also wirklich nichts großes....was mir aber bei den beiden Schäferhunden definitiv um die Ohren geflogen wäre.


    Das sind alles "Kleinigkeiten", aber ich bin sehr dankbar, dass ich die mit meinem Labbi durch habe und da bei den restlichen Hunden einfach eine ganze Ecke schlauer war.

  • Für mich bedeutet Hundeerfahrung das, was man einfach erst im Zusammenleben / sehr häufiger Interaktion mit Hund lernt. Das, was über das hinausgeht, was man in Büchern und Reportagen gelesen / gesehen hat. Das, wo man lernt, dass es nicht den Weg gibt. Dass man sich auf den Charakter des Hundes einstellen muss, Illusionen mit der Realität abgleichen muss und es als normal versteht, dass es für Hunde keine Pauschalanleitung gibt. Das hilft dann, authentischer, emotionsloser (im sind von Enttäuschung, weil Rezept a nicht klappt), aber auch mit mehr Gefühl und Verstand an die Sache ranzugehen. Zu vertrauen und kreativ zu werden, wenn es ein Problem gibt und vor allem, dass man selbst entscheidet, was der Hund können soll, was akzeptable Verhaltensweisen sind und woran man arbeiten muss (also weg von diesem "ein Hund muss...", Natürlich nur solange der eigene Hund und andere Lebewesen nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden.)


    Rumo ist mein erster Hund. In den 12 Jahren, in denen er bei mir lebt, habe ich unheimlich viel gelernt (natürlich auch durchs forum und Lektüre). Davor hatte ich schon mega viel gelesen, wollte alles richtig machen, mir fehlte schlicht die Erfahrung, dadurch hab ich oft zu viel Druck gemacht, zu viel gedeckelt weil ich von umlenken noch nichts wusste. Ich denke Man lernt auch erst einzuschätzen, was welche Verhaltensweise und Charaktereigenschaft bedeutet und wie man als Mensch damit harmoniert. Ohne Erfahrung hielt ich es damals für eine gute Idee, einen Pudel-Bordercollie-Foxterrier Mix von einer Familie zu nehmen, die "Mal einen Wurf haben wollte". Heute würde ich a) von so jemandem keinen Hund mehr kaufen (obwohl die das alles super gemacht haben und auch nur ne Schutzgebühr verlangt haben) und b) nichts mehr kaufen, woran ein Hütehund beteiligt ist. Liegt mir einfach nicht. Mein Hund ist perfekt wie er ist und ich liebe ihn unendlich, aber jetzt mit 12 Jahren Hundeerfahrung und weiterbilden weiß ich einfach, welcher Hundecharakter eher zu mir passt und werde meine Rassewahl danach ausrichten - wissend, dass auch hier herausfordende Zeiten kommen werden, die ich dann aber gelassener annehmen und besser einordnen kann.

  • Manchmal würde ich mir statt einem umfangreichen Brainstorming und "irgendwas wird es schon geben" wünschen, dass man Klipp und Klar kommuniziert, dass ein Tier diese Erwartungen einfach nicht erfüllen kann und muss.

    Genau das meine ich, was ein hundeerfahrener Mensch wahrscheinlich eher einschätzen kann als ein Ersthundehalter, der sich eine romantische Szene vom Leben mit Hund ausmalt.


    Sicher gibts auf beiden Seiten da auch andere Beispiele.

  • Man braucht einfach einen Sinn für den typ Hund den man sich holt und für das, was man mit ihm vor hat. Wie schon erwähnt, gibt es Leute, die hatten 30 Jahre die gleiche Art Hund und denken dann erst Recht, dass alle so funktionieren.


    Wenn jemand 20 Jahre Kleinhunde als Begleithunde hatte und sich dann entscheidet, mit dem Joggen anzufangen und dafür den Mali als idealen Begleiter zu sehen, geht das sicher mehr in die Hose als jemand, der totaler Gebrauchshundefan ist und immer am Rand eines Hundeplatzes stand und sich dann entschließt, mit einem Mali anzufangen. Ersterer wird den Mali idealisieren und denken, er könne den wie einen größeren Begleithund mitlaufen lassen während der zweite wohl von Anfang an kompetente Hundeplatzbegleitung hat und sich mit der Rasse und den Eigenschaften auseinandersetzt.


    Und es gibt halt Rassen, da sind Fehler einfach gravierender und weniger verzeihlich als andere Rassen. Und es gibt Individuen bei den Rassen, die sind einfacher führbar als andere. Oder die bringen schon charakterliche Macken mit an denen einige Leute scheitern, während sich andere Halter damit nie auseinandersetzen müssen.

  • Meiner Erfahrung nach ist da vieles vom Individuum selbst abhängig, nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Hund.


    Tendenzen gibt es natürlich, aber die helfen einem nicht, wenn man den einen Hund bekommt, der halt durchs Raster fällt :ka:


    Pudel werden oft als Anfängerhunde bezeichnet, ich finde meinen aber kein bisschen einfach. Also klar, wenn man einfach mit brav und gehorsam gleichsetzt, dann ist er das, aber wenn man unter einfach versteht, dass Hund sich irgendwann problemlos in den Alltag einfügt, dann ist er das kein bisschen.

    Das ist ja das, was man Auslandshunden oft nachsagt, dass sie Probleme haben sich in unseren Alltag zu integrieren. Bei Finya wars noch nie ein Problem und die hat mit mir schon viele verschiedene Alltagssituationen erlebt. Sie passt sich an und macht das beste draus. Frodo kann das nicht. Bei ihm ist alles ein Drama, was nicht zu seinen Gewohnheiten passt |)

  • Man muss immer gucken, wie ist der Mensch, was will der Mensch und auch: wofür begeistert sich der Mensch.

    Und das ist dann glaube ich der Punkt, an dem Hundeerfahrung tatsächlich einen Unterschied machen kann. Ich glaube, mit etwas Hundeerfahrung kommt oft eine realistischere Einschätzung davon, was man denn wirklich will und was vielleicht nur auf dem Papier gut klingt.


    Und natürlich ist Hundeerfahrung nicht gleich Hundeerfahrung, aber das ist ja selbstverständlich.

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