Leben mit ,,kompliziertem" Hund

  • Hallo in die Runde,



    im folgenden möchte ich ein wenig über Nero erzählen und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich von meinem Post hier erwarte. Vielleicht ein paar Meinungen, ein paar andere Blickwinkel auf unsere Situation und vielleicht auch ein paar wirklich hilfreiche Tipps und guten Zuspruch.



    Nero ist ein Kromfohrländer und inzwischen knapp 2,5 Jahre alt. Ich liebe diesen Hund sehr, habe unfassbar viel Zeit und Nerven in ihn investiert, aber er ist und bleibt einfach mein kleiner, anstrengender „Autist“.


    Laut Rassebeschreibung sind Kromfohrländer anpassungsfähig, zurückhaltend aber freundlich, jagen nicht etc. Also kleine, unkomplizierte Begleithunde. Dies war auch der Grund, warum ich mich für diese Rasse entschieden haben.


    Leider erfüllt Nero aber in keinster Weise das, was man von einem Kromfohrländer erwartet und ist alles andere als ein Begleithund.




    Ich habe Nero mit 10 Wochen von einem Züchter bekommen und soweit man das von außen beurteilen kann, hat er eine wirklich gute Kinderstube haben dürfen.


    Jedoch entwickelte sich Nero zu einem extrem unsicheren und reizoffenen Hund, der im Zweifel auch seine Zähne einsetzt.


    Er lässt sich unter keinen Umständen von Fremden anfassen und ist insbesondere bei Besuch bei mir Zuhause problematisch. Da ich nicht garantieren würde, dass er zubeißt, wenn er sich irgendwie bedrängt fühlt, sperre ich ihn bei Besuch meistens ins Arbeitszimmer, wo er dann auch halbwegs entspannt.



    Dazu kommt, wie gesagt, Neros extreme Reizoffenheit. Insbesondere draußen ist er ständig unter Strom, scannt dauerhaft alles ab, nimmt jede Bewegung, jedes noch so kleine Vögelchen wahr. Das geht so weit, dass er am Anfang des Spaziergangs meist einmal pinkelt und dann die restliche Zeit nur glotzt und angespannt umherläuft. Oft nehme ich ihn wieder an die Leine, damit er sich nicht so extrem reinsteigern kann.



    Alleine bleiben kann Nero auch nur bedingt. Wir haben ewig viel mit den gängigen Methoden trainiert, aber bisher keinen bemerkenswerten Erfolg erzielt. An guten Tagen schafft er ein bis zwei Stunden. An schlechten heult er sich die Seele aus dem Leib.


    Lustigerweise ist alleine bleiben im Auto für ihn kein Problem…



    Auch andere Hunde können für Nero problematisch sein. Bei 95% der Hundebegegnungen geht er problemlos vorbei. Aus für mich nicht ersichtlichen Gründen flippt er aber bei 5% total aus. Das geht soweit, dass er auch mich beißen würde, wenn ich mir ihn nicht vom Leib halte.


    Als ich Nero bekam, wohnte ich noch in der Großstadt. Für Nero bin ich inzwischen aufs Land gezogen, damit er deutlich weniger Reizen ausgesetzt ist und öfter ohne viele Menschen und Hunde in der Umgebung durchs Feld laufen kann.


    Auch war der Plan, dass er mich teilweise in die Schule begleitet (ich bin Lehrerin). Da er sich aber ab dem Tag an den wir ihn abholten nicht mehr unbedarft von fremden Menschen anfassen ließ, war dieser Plan auch schnell vom Tisch.


    Aktuell geht Nero während meiner Arbeitszeit zu einem älteren Ehepaar und verbringt den Vormittag bei ihnen. An sehr kurzen Tagen wartet er im Auto (was natürlich nur bei erträglichen Temperaturen geht).



    Zu guter Letzt möchte ich euch noch kurz unseren Tagesablauf schildern. Vielleicht seht ihr an dieser Stelle noch ein paar Stellschrauben, an denen ich drehen kann, damit das Leben für Nero irgendwie angenehmer und weniger stressig wird.


    Meist stehen wir morgens um kurz nach 5 auf und gehen ca. 30 Minuten an der Leine spazieren.


    Von 7:30 Uhr bis ca. 14 Uhr geht er an 2-3 Tagen in der Woche zu seinen Sittern. Diese gehen im Normalfall nicht spazieren, aber da Nero ja extrem schlecht zur Ruhe kommt, sind dies trotzdem sehr anstrengende Tage für ihn.


    An den anderen Tagen wartet er für ca. 2-3 Stunden im Auto während ich arbeite.


    Mittags gehen wir ca. 1 Stunde im Feld oder Wald spazieren. Abends noch mal 15-30 Minuten an der Leine.


    Über Tag passiert sonst nicht viel außer. An ungefähr zwei Tagen in der Woche machen wir etwas Zielobjektsuche oder kurze Fährten und sonst der übliche Alltagsgehorsam – das war‘s.


    Neu ist seit gut drei Wochen, dass Nero auch über Tag für 2-3 Stunden ins Arbeitszimmer gebracht wird, um dort einfach mal zu Ruhe zu kommen und zu schlafen. Ich hoffe, dass er dadurch insgesamt ausgeglichener wird, merke aber aktuell noch keinen gravierenden Unterschied.



    Vielleicht mögen sich einige von euch zu Wort melden, haben Erfahrungen mit ähnlichen Hundetypen gemacht, haben Ideen wo ich ansetzen könnte, um Neros Verhalten in eine „normale“ Richtung zu lenken …



    Danke für’s Lesen.

  • Ist er gesundheitlich komplett durch gecheckt ?

    Anfassen lassen von Fremden muss er sich warum wenn er mit zur Schule käme ? Bzw wie kam es das er sich nicht anfassen lässt?

  • Jedoch entwickelte sich Nero zu einem extrem unsicheren und reizoffenen Hund, der im Zweifel auch seine Zähne einsetzt.


    Kannst Du die Entwicklungsschritte und wie sich das über knapp zwei Jahre hinweg steigerte, noch ein bisschen eingehender beschreiben?




    Von 7:30 Uhr bis ca. 14 Uhr geht er an 2-3 Tagen in der Woche zu seinen Sittern. Diese gehen im Normalfall nicht spazieren,


    Weißt Du, weshalb Deine Hundesitter in diesen sechseinhalb Stunden nie mit eurem Hund spazieren gehen?

  • Über Internet ist es immer schwierig, Empfehlungen zu geben - man sieht ja den Hund und sein Verhalten nicht (und die meisten von uns haben keine tiermedizinische Ausbildung oder sind Hundetrainer).


    Lass deinen Hund am besten mal vom Tierarzt durchchecken und such einen guten Hundetrainer auf. Und versuche, gewisse Dinge einfach zu akzeptieren. Wir dachten auch, wir schaffen das mit unserem Hund besser (schlechte Haltung, Misshandlung vom Vorbesitzer). Ich habe lange gehadert, seit ich das aber nicht mehr tue, geht es mir besser damit und ich kann besser damit umgehen, dass mein Hund "Special Effects" hat. Wir werden auch ein Leben lang managen müssen, müssen vorsichtig bei Hundekontakt sein und werden nie einfach unbedarft Besuch reinlassen können.

  • Wir haben hier sowas ähnliches (der bleibt allerdings echt super alleine). Lass den Hund durchchecken! Ist da alles i.O. guck, dass du einen gescheiten Trainer findest, der euch vor Ort hilft! Evtl. auch in Kombi mit einem Verhaltenstierarzt.


    Ich würd auch über einen MK nachdenken. Auch wenn er nur bei 5% im Zweifel gegen dich geht, sowas ist einfach eine Gefahr, die man nicht unterschätzen sollte!

  • Ich hab mich gerade ein bisschen zurückversetzt gefühlt.

    Deine Geschichte erinnert mich schon ziemlich an die erste Zeit mit unserem Spinner.

    Ari ist ein Wolfsspitz, jetzt bald schon 5 Jahre alt (man wie die Zeit vergeht).


    Im Prinzip ist es bei uns doch sehr ähnlich.

    Auch Ari kam von einem eingetragenen Züchter, hatte eigentlich auch keine schlechte Aufzucht (auch nicht perfekt, aber auch nicht so das man von Problemen die daher rühren reden könnte, ist vermutlich eher ein genetisches Problem, da sein Bruder auch so ist, die Welpen aus späteren Würfen scheinen aber keine Probleme zu haben, zumindest die die ich kenne).

    Wir haben den Zwerg geholt mit ähnlichen Wünschen an einen netten Begleiter und haben eigentlich auch die Rasse entsprechend ausgesucht. Die meisten Spitze die wir inzwischen so kennengelernt erfüllen eben auch genau das was wir uns gewünscht haben - nur Ari halt nicht.

    Er ist reizoffen, findet fremde Menschen ziemlich uncool, hat durchaus die Tendenz Konflikte nach vorne zu lösen und fremde Hunde, vor allem Rüden findet er richtig doof (das kam allerding erst später). Besuch war auch immer eine mittlere Katastrophe.

    Er ist nicht super unsicher, aber auch nicht sicher, dafür schon ein bisschen ein Prollo.

    In der Pubertät war spazieren gehen ein Spießtutenlauf, er ist bei Überreizung (was zu dem Zeitpunkt oft alles ab einer halben Stunde war, selbst bei der immer gleichen Strecke) völlig ausgetickt und hat nur noch wie ein Irrer wie von Sinnen wild um sich gebissen.

    Zudem neigt er bei hohem Stress zu Autoaggression (er leckt sich die Ballen wund).


    Unser Glück war, dass er wenigstens immer gut allein bleiben konnte.


    Insgesamt klingt es bei euch aber noch einen Ticken heftiger als bei uns.


    Wie gesagt ist der Herr Spitz jetzt bald 5.

    Inzwischen ist es deutlich besser als es früher war. Grundsätzlich hat das Erwachsenwerden bei ihm einen positiven Effekt gehabt. Wir haben auch einen Zweithund, der ziemlich umweltsicher und selbstsicher ist, das hat ein bisschen geholfen.


    Was bei ihm in der schlimmen Zeit festgestellt haben und uns geholfen hat:


    - Futter muss zwingend mit niedrigem Proteingehalt sein - alles groß über 20% war zusätzlich massiv aufpuschend. KH sind deutlich besser als hoher Proteingehalt (weil das Gegenteil ja grad so gehyped wird...)

    - Mais haben wir vermieden, allerdings auch weil wir ihm Tryptophan gegeben hatten, was bei ihm auch ganz gut geholfen hat und Mais bindet das wohl.

    - Schilddrüse hatten wir bei ihm checken lassen, weil das ähnliche Probleme hervorrufen kann, wars bei ihm jetzt aber nicht.

    - Routine, Routine, Routine und Rituale

    - Wenn irgendwas aufregendes passiert ist, wurden die nächsten 1-3 Tage (je nachdem was es war) gar nichts Außergewöhnliches gemacht außer ganz vertraute, kurze Runden und viel schlafen, schlafen, schlafen

    - Ab und zu wurde er auch separiert - wir haben Türgitter - damit er da zur Ruhe kommen kann

    - Er kennt einen Maulkorb und der wird auch genutzt - entspanntere Halter, entspannterer Hund (und manchmal ist es halt auch einfach nötig)

    - Wir hatten/haben eine Trainerin die uns wirklich sehr geholfen hat, zwischendurch haben wir überlegt zu einem gescheiten Verhaltenstierarzt zu gehen was aus unterschiedlichen Dingen dann doch nicht passierte, aber ich hab da inzwischen weiterhin viel Positives gehört

    - ganz viel hat sich zum Positiven geneigt als WIR uns geändert haben und ihn einfach so akzeptiert haben wie er ist. Keinerlei Erwartungen daran was er können und leisten muss. Kein Druck von irgendeiner Seite - will er nicht bzw kann er (heute) einfach nicht leisten? muss er nicht. Dann bleibt er halt mal an der (langen) Leine und wird nicht gerufen oder irgendwas abgefangen. Grad im Junghunde, junger Erwachsenen-Alter war das für uns die Rettung. Irgendeine Form von Druck hat es da nur schlimmer gemacht. Heute geht da wieder deutlich mehr, aber an schlechten Tagen darf er durchaus auch heute einfach mal sein.

    - Ari wurde zudem jetzt kastriert (im September, war aber seit April gechipt), was bei ihm einen massiv positiven Effekt hatte (was nicht bedeutet, dass das bei euch auch so wäre, sein Bruder ist zB sehr ähnlich vom Verhalten her, aber bei ihm war der Effekt deutlich geringer, wenn auch generell ein bisschen positiv. Grad bei unsicheren Hunden kann es aber auch nach hinten los gehen, logischerweise).


    Dennoch haben wir unser Leben einfach auch ein bisschen um ihn herum gebaut und viele Dinge die wir eigentlich mit Hund machen wollten machen wir einfach ohne. Inzwischen vermissen wir da auch nicht mehr wirklich was (aber er kann natürlich auch gut alleine bleiben).


    Inzwischen können wir ihn auch mal mit zu einem Restaurant oder so nehmen, mal einen schönen Ausflug machen, wo auch mal viele Hunde/Menschen sind etc. Tryptophan braucht er auch nicht mehr (bekommt er aber zB noch als Kur, wenn wir wissen eine Zeit wird besonders anstrengend).

    Er nimmt sich inzwischen auch meistens den Schlaf den er braucht, das war am Anfang auch sehr schwer. Wir können sogar Besuch bekommen und er kann sogar teilweise mit dabei sein und schläft dennoch, das war so bis 3-4 fast undenkbar.


    Das so ein Hund nie komplett normal wird, ist vermutlich klar.

    Und jeder Hund ist natürlich individuell und was bei uns geholfen hat, hilft nicht jedem Hund. Grad sowas wie Kastration ist in meinen Augen nur nach guter Überlegung und am besten auch erst in erwachsenem Alter eine Option (und zuerst mit Chip). Wir haben uns dafür zB entschieden, weil er zusätzlich noch ziemlich üble Prostataprobleme bekommen hat und ich zu dem Zeitpunkt mehrere Fälle mit ähnlichen Problemen mitbekommen hatte, bei denen es geholfen hat. Also eine zweiteilige Entscheidung. Er war schon 4.

  • Wurdet ihr mal im Umgang miteinander von einem Trainer begutachtet?

    Ich fände das sinnvoll, um dir aufzeigen zu lassen was du verändern kannst.

    Ich denke, das läuft nicht so optimal, da du schreibst, er hatte eine gute Kinderstube, wurde aber immer unsicherer, findet keine Ruhe und alleine kann er auch nicht bleiben.

    Das sind für mich Anzeichen, dass ihr etwas im Umgang verändern müsst.

  • Hhhm, so simpel für einfach nebenbei laufen, ist der Kromfohrländer eigentlich nicht. Das bestätigt mir z.B. auch die Rassebeschreibungen unseres Verbandes:

    https://www.kromfohrlaender-cl…n_der_Kromfohrlaender.pdf


    Gibt es für Deinen Hund Zeiten (abseits von Gassi), in denen er etwas zu tun bekommt? Für ihn aber mit Dir, etwas was ihm Spass macht, wo er zeigen kann, was er drauf hätte? Welche Neigungen hat er denn, für was interessiert sich denn Dein Hund?


    Ich denke, das läuft nicht so optimal, da du schreibst, er hatte eine gute Kinderstube, wurde aber immer unsicherer, findet keine Ruhe und alleine kann er auch nicht bleiben.

    Das sind für mich Anzeichen, dass ihr etwas im Umgang verändern müsst.

    Würde ich hier auch vermuten ... zumindest in eine solche Richtung denken. Wenn ein Trainer mal drüber schaut, könnte nicht schaden.

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