Die Vergangenheit Eures Hundes...

  • Ich versuche, die Vergangenheit als das anzusehen, was sie ist: Vergangenheit.


    Durch meine ehrenamtliche Arbeit im Tierheim habe ich einige Hunde kennen gelernt, die eine äußerst unschöne Vergangenheit hatten -- und von denen habe ich lernen dürfen, dass nur das Jetzt zählt.
    Gerade bei besonders traumatisierten Hunden achten wir sehr darauf, dass die neuen Besitzer sich nicht zu sehr an der schlimmen Vergangenheit "aufhängen", sondern den Hund schlicht und einfach nehmen, wie er ist und ihn im Training auch genau da abholen, wo er steht. Ohne Erklärungen, Entschuldigungen oder Mitleid (was nicht heißt ohne Verständnis und Empathie!).


    Meine eigene Hündin hat keine wirklich "schlimme" Vergangenheit, aber halt auch keine besonders schöne. Aufgewachsen auf Teneriffa bei einer Familie in Außenhaltung ohne viel Ansprache wurde sie mit ca. 1,5 Jahren im Tierheim abgegeben, weil die Familie umziehen und den verhaltensoriginellen Junghund nicht mitnehmen wollte. Da sie dort mit ihrer überdrehten Art schlechte Vermittlungschancen hatte, kam sie über unser Partnertierheim nach Deutschland ins Tierheim und saß dort auch über 2 Jahre. Ich war dort ihre Gassigeherin, und als mit 4,5 Jahren immer noch keine Vermittlung in Aussicht stand, ist sie schließlich bei mir eingezogen.


    Ich habe erst rückblickend gemerkt, wie schlecht diese langen Tierheimaufenthalte für sie waren; der ständige Lärm und die viele Hektik sind dem eh schon leicht reizbaren Terrier doch ziemlich an die Substanz gegangen.


    Jetzt ist sie fast 3 Jahre bei mir, und ich merke immer noch, wie der ganze Stress langsam von ihr abfällt und sie immer noch "ankommt".
    Und ich gestehe, dass ich mir aufgrund ihrer Vergangenheit einen Spleen zugestehe: Obwohl es mir manchmal das Leben deutlich erleichtern würde, verweigere ich konsequent jede Art der Fremdbetreuung in einem fremden Haushalt (außer bei meinen Eltern), weil ich nicht möchte, dass sie denkt, sie müsste schon wieder wo anders wohnen.. :ops:

  • Es ist nicht so, dass ich ständig darüber nachgrüble, was mit meiner Lili passiert ist, bevor sie zu mir kam. Was sie gefühlt oder im ihrem Hundekopf gedacht haben mag, als sie angeschossen auf dem Weg lag. Oder als ihre Familie nicht kam, um sie nach Hause zu holen.


    Aber manchmal frage ich mich schon, was vor dem Geschoss war. Sie ist so ein brave und scheint mir (Ersthundehalter) durchaus eine Erziehung genossen zu haben. Sie ist immer freundlich und immer am Beschwichtigen (in Bezug auf Menschen wird das ganz langsam besser). Und doch zuckt sie hin und wieder zusammen und duckt sich, wenn ich eine hastige Bewegung mache (Fliege verscheuchen z. b., diese dussligen aufdringlichen Trauermücken). Da kommt mir dann schon mal der Gedanke, was vorher gewesen ist. Eben in Hinblick darauf, dass sie eben so ein ruhiges, liebes und sanftes Wesen hat.


    Ich habe früher für einige Jahre im örtlichen Tierheim gearbeitet in einem Katzenfreigehege für scheue und ängstliche Tiere. Gut, ein paar Rüpel hatten wir auch dabei, denen die Boxen im Katzenhaus zu klein waren. Dort war auch alles vertreten. Paniker, Angriffslustige, Apathische. von den wenigsten wussten wir, was ihnen geschehen war bzw. ob das Scheue vielleicht von der Mutter mitgegeben worden war. Bei vielen sprachen die Narben Bände. Und auch so habe ich im Tierheim viele Tiere gesehen, die schlimmes durchgemacht haben. Nicht alle haben dabei das Vertrauen verloren, was irgendwie bewundernswert ist.


    Klar hat es uns immer wehgetan, wenn wir etwas erfahren haben, oder eine bestimmte Reaktion auf einen entsprechenden (zufälligen!) Trigger gesehen haben. Aber bemitleidet haben wir sie nie. Es gab Wut auf die Täter.
    Am meisten gab es aber - und das überdeckte wirklich alle anderen negativen Gefühle - dieses unglaubliche Glücksgefühl wenn eine der Miezen entgegen ihrer Gewohnheit mal nicht weggelaufen ist. Selbst ein Moment des Zögerns war schon ein Erfolgserlebnis. Ganz zu schweigen davon, wenn ein Leckerchen aus den Fingern gefressen wurde, ganz vorsichtig und ohne einen aus den Augen zu lassen. Oder wenn sie sich gar streicheln ließen, ihr Köpfchen in die Handfläche schmiegten, als hätten sie sich schon so lange danach gesehnt.
    In solchen Momenten dachten wir nicht mehr an ihre Vergangenheit. Nur noch an das schöne Leben, das ihnen bevorsteht. So viele von ihnen konnten wir in ein schönes Zuhause vermitteln, wo auf ihre Ängste Rücksicht genommen wurde, selbst, wenn das hieß, dass sie sie vielleicht niemals wirklich streicheln konnten. Und ich schau mir noch heute gerne die Fotos unserer Schützlinge an.


    Wir haben sie nie verhätschelt, mache ich auch mit Lili nicht. Aber ich würde für meinen Teil immer versuchen, etwas über die Vergangenheit meines Tiers zu erfahren. Nicht, um es zu bemitleiden, sondern um bestimmte Verhaltensweisen verstehen zu können und entsprechend zu lernen, wie ich, wie wir damit umgehen können.
    Dass Lili das Geschoss noch in sich trägt, wusste ich, als ich mich in sie verliebte. Naja, gut, eigentlich habe ich es unmittelbar danach gelesen. Es machte aber keinen Unterschied. Ich sah sie und ich wusste, sie ist es. Aber es zu wissen hat mich entsprechend sensibilisiert. Um so mehr freue ich mich jedes Mal, wenn sie zu mir kommt, wenn es irgendwo knallt. Wenn sie sich von mir beruhigen und ablenken lässt. Und das, obwohl sie erst seit gut drei Monaten bei mir ist.


    Nur manchmal, manchmal frage ich mich schon, wie die Schussverletzung passiert ist. Bei knappen 30 cm Schulterhöhe und frontalem Schuss in die Brust. Aber ich schätze, diese Überlegungen sind meinem Schriftstellerhirn geschuldet.

  • Über Brunos Leben als Straßenhund in Griechenland ist auch nicht viel bekannt.
    Er kam mit einer großen Angst vor Männern, Türen und Stöcken jeglicher Art.
    Beim Röntgen haben wir über 10 Schrotkugeln im Hund entdeckt, die doch täglich an seine Geschichte erinnern, ich kann sie beim Streicheln deutlich spüren.
    Die Angst vor Männern ist auch noch vorhanden, nur die 3 engsten männlichen Familienmitglieder haben wir "schönfüttern" können.
    Bei anderen Männern achte ich immer auf Einhaltung seiner Komfortzone.
    Trotzdem ist er freundlich, verlangt viele Kuscheleinheiten und sprüht vor Lebensfreude.
    Wir genießen die Zeit. 2 Jahre Griechenland stehen jetzt fast
    5 Jahren als verwöhnte Knutschkugel gegenüber. Er st wie er ist und passt super in unsere Familie.
    Nur der Ar..., der ihm die Kugeln verpasst hat ... der dürfte mit nicht über den Weg :barbar: laufen

  • Für mich war es hilfreich nach und nach mehr über Naikeys Odyssee zu erfahren.

    Bei all meinen Tieren, von deren Vergangenheit ich etwas wusste, hat sie mich sehr beschäftigt.
    Sie bewegt mich und ich wünsche mir jedes Krümchen zu erfahren, was ich bekommen kann! All das hilft mir mit heutigen Verhaltensweisen und Bedürfnissen sinnvoller umgehen zu können.


    Wie ich das verarbeite? Indem ich mich an Glück und Therapieerfolgen freue!!!!
    Es ist ungeheuer rührend Ayuin beim Erkunden der Welt zuzuschauen, beim Überwinden seiner Angst.
    Wenn er mich fragend und ängstlich anschaut, gebe ich ihm Halt und unterstütze ihn. Wenn er Schutz bei mir sucht ist das für mich eine große Freude und Ehre, denn er schenkt mir etwas was ihm sehr gefehlt hat: Vertrauen.
    Wenn er mit mir kommuniziert, weil er es inzwischen für möglich hält eine Reaktion auf sein Anliegen zu bekommen macht es mich glücklich!
    Wenn er seine Nase auf meine Haut presst um zu schlafen, freue ich mich darüber dass er die Nähe bekommt die er sich wünscht.
    Der Anblick seiner verheilten Pfoten erleichtert mich, denn Ayu macht so gar keine Anstalten mehr hinein zu beißen, ihre Haut nach oben zu ziehen.. Er muss das nicht mehr. Er hat jetzt anderes zu tun.
    Wenn er etwas neues lernt, freue ich mich an seiner Freude dabei.
    An jedem Lob was ich ihm geben kann freue ich mich -und an vielem, vielem mehr!


    Ich habe selbst eine schwierige Geschichte. Sie zu kennen und all den Schatten zu sehen und zu verstehen scheint mir wichtig. Aber grad dieses Ausmaß an Dunkel lässt auch das Licht sehr hell erscheinen und macht die Freude über jeden Sonnenstrahl enorm!

  • Ich habe mit Sina zum 1. Mal einen Hund mit "kurzer" Vergangenheit, da ich sie ja schon mit 6 Monaten übernommen hatte und sie nur 4 Monate "woanders" außer beim Züchter gewohnt hat.
    Was dort alles war oder nicht war musste ich mir aufgrund ihres Verhaltens das sie anfangs hatte zusammenreimen.
    Ich habe mich dementsprechend auf Sina eingestellt so gut es mir möglich war. Da ich vorher noch nie etwas mit einem unsicheren/ängstlichen Hund zu tun hatte, habe sicherlich manches nicht so gemacht wie es evtl. für Sina "einfühlsamer" gewesen wäre, aber ich bereue nichts und aus ihr ist mittlerweile ein ganz normaler Hund geworden und man merkt von ihrer Vergangenheit nichts mehr.

  • Schwierig. Von Schrotkugeln bis Massenvergewaltigung findet sich so ziemlich alles in den Geschichten meiner bisherigen Hunde.


    Ich versuche weitestgehend nicht von Reaktionen auf Geschehnisse abzuleiten, weil individueller Charakter und gesunde Vorsicht ebenfalls in Reaktionen reinspielen und nicht immer eine katastrophale Vergangenheit zu Grunde liegen muss.
    So ist der Hund, der mit dem Kescher eingefangen werden musste, ein extrem menschenbezogener Hund. ;)
    Während der eigentlich total liebe, menschenbezogene und herzensgute Senior bei so einigen Dingen gnadenlos die Zähne auspackt. =)


    Jeder hat sein Päkchen zu tragen, auch ich als Mensch bin das, was meine Erfahrungen dazu beigetragen haben. Und zusammen schaut man halt, welchen Ballast man getrost vergessen kann und welchen man in Zukunft ein bisschen leichter tragen kann.


    In Watte gepackt wurde hier bisher erst einer. Der Opi, als er damals so einzog und sich noch nicht mal hinsetzen konnte. Wir haben es beide überstanden.
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    =)

  • Wenn ich darüber nachdenke, wie Mellis Leben begann, dann freue ich mich umso mehr, dass sie bei uns ist und wir den Weg gemeinsam gehen dürfen.


    Sie wurde als Welpe in einem Gebüsch entsorgt, das von Jugendlich beobachtet wurde. Die holten sie da wieder raus und brachten sie in eine Tierklinik, in der Martina arbeitet, die auch ein privates Tierheim in Spanien betreibt.
    Dort kam sie unter und wurde dann mit 7 Monaten nach Deutschland auf eine Pflegestelle gebracht, wo wir sie entdeckten und adoptiert haben.


    Die ersten prägenden Monate verbrachte sie mit anderen Hunden im Zwinger und hat dadurch wenig kennengelernt. Ängste hat und hatte sie, aber wir haben alles gut in den Griff bekommen. Durch gewisse Seminare haben wir auch erkannt, dass ihre "angeblichen" Ängste, gar keine Ängste sind, sondern ein von ihr erlerntes Verhalten, mit bestimmten Situationen umzugehen. Durch diese Erkenntnis konnten wir ganz anders mit ihr umgehen... so nach dem Motto...da muss sie jetzt durch.


    Nicht über die Vergangenheit grämen, sondern aus Erfahrungen lernen und sich freuen, dass es jetzt gut ist.

  • Unsere Hunde (Flaschenaufzucht in Spanien und sehr junger Wildfang von der Straße in Griechenland) sind wohl nicht bzw. kaum misshandelt worden, haben aber keine frühkindliche Erziehung durch ihre jeweilige Hundemutter erhalten. Die Große hält sich offenbar für einen kleinen Menschen, und die Kleine ist sehr schreckhaft mit besonderer Angst vor Hunden, Kindern und Fahrrädern.


    Für mich sind sie die liebsten und besten Hunde des Multiversums, problemlos und fast uneingeschränkt angenehm in Haus und Garten, nur eben manchmal mit unerwünschtem Gebell beim Spaziergang, das wir dann bei Bedarf mit ihrer Herkunft erklären.
    Ihren freundlichen Erstbetreuern im fernen Süden schicken wir öfter mal Bilder über die Entwicklung und Erlebnisse ihrer Schützlinge.


    Ansonsten erscheint uns die Vergangenheit unerheblich:
    In der Gegenwart machen wir einfach das Beste aus der Situation, die ja nun mal so ist wie sie ist.
    Die Große ist aus meiner Sicht fast perfekt, und die Kleine wird von Woche zu Woche sicherer.


    sea u in denmark

  • Hi,
    wir haben uns ohne wenn und aber für unseren Hund entschieden, weil er uns sympathisch war, und wir merkten, dass wir mit viel Geduld auch zu ihm vordringen können. Sino sass damals im Tierheim, schon ein halbes Jahr lang. Und dass mit knapp 3 Jahren. 6 Vorbesitzer, mindestens einer muss ihn körperlich misshandelt haben. Ein Problemhund, der sich nur auf sich selbst verlässt, und der Welt mal vor die Füsse rotzt.
    Unsere Trainerin, die wir schnell eingeschaltet haben meinte nur, dass Sino ein ausgesprochen selbstbewusster Hund sei zu dem man erstmal vordingen müsse. Jau, war schwer, mittlerweile ist er aber sehr ruhig geworden und verlässt sich auf uns, lässt uns viele Dinge für ihn regeln. Aber etwas über seine Vergangenheit zu wissen, war schon wichtig, auch dass einiges schiefgelaufen ist. Sino ist nämlich kein Allerweltshund, sondern wenn er krakeelig bedrängt wurde , ist er früher nach vorne gegangen, das ist jetzt gsd komplett weg, bzw. wir können solche Situationen ausschließen. Es sei denn jemand aus der Familie wird bedrängt, dann ist er da. Ich finds schade, dass niemand sich mit ihm so beschäftigt hat, dass er immer wieder abgegeben wurde. Aber das ist vorbei, und hier ist er nun richtig zu hause. Für ihn ist das alles ohnehin abgehakt, nach knapp einem Jahr hat er seine damalige Pflegerin im Tierheim nicht mehr erkannt, er lebt halt im hier und jetzt.
    Wir haben ihn jetzt 2 einhalb Jahre, und irgendwie ist das was vorher war nicht mehr wichtig. Unsere Gedanken werden von anderen Dingen bestimmt, manchmal schwer manchmal leicht. Im Augenblick ist das leben aber auch so intensiv, dass ich eher selten zurück blicke. Der Thread hat mich jetzt nochmal dazu gebracht nachzudenken, aber dann ists auch wieder Monate kein Gedanke.


    LG


    Mikkki

  • Mich interessiert die Vergangenheit aller Hunde mit denen ich zu tun hatte, aber ich empfinde kein Mitleid welches meine weitere Vorgehensweise beeinflußt.


    Auf einem Tierheimgelände Tummelt sich ja so einiges an Tierschützern und Helfern, aber mit festen Helfern oder Freiwilligen, die mit Tränen in den Augen ihre Aufgaben wahrnehmen, kann ich Arbeitstechnisch nichts anfangen. Denen fehlt das Auge für das wesentliche.

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