Besuch einer Besserwisserin...

  • Niemand wusste woher er kam.
    Plötzlich war er da.

    Henry Fox.

    Eines Tages kam er an mit seinem alten Citroen und zog in das kleine Haus hinter der hohen, alten Hecke in der Rue des Sables d’Or.

    In der folgenden Zeit sah man ihn oftmals in den umliegenden Baumärkten und Baustoff-Firmen, wo er sich mit Material und Werkzeug eindeckte.

    Ansonsten traf man ihn häufig im Dorf beim Einkaufen und am Strand, wo er mit seiner Kamera bewaffnet viele Stunden verbrachte.
    Den Rest der Zeit arbeitete er an seinem Haus.

    Fox war eine sehr auffällige Erscheinung.
    Über einen Meter neunzig gross und sehr kräftig gebaut. Zumeist trug er Militärkleidung und Stiefel. Begleitet wurde es stets von einem grossen, blinden Hund, der altersgebeugt und humpelnd neben ihm hertrottete.
    Er gab sich ruhig und unauffällig, beinahe schüchtern. Höflich aber in
    sich gekehrt und zurückhaltend.

    Die ersten Gerüchte kamen auf.
    Engländer. Alleinestehend. Arbeitete offensichtlich nichts, obwohl er höchstens Ende vierzig war. –Was mochte das bedeuten?

    Fox kümmerte sich nicht darum. Er renovierte sein Haus, pflanzte das Grundstück an und scherte sich um seine Angelegenheiten.

    Dann kam dieser Tag, an dem sich die Stimmung begann gegen Henry Fox zu wenden.
    An diesem Tag hörte man fürchterliche Schreie von Henry’s Grundstück.
    Früh am Morgen. Später sah man ihn mit dem Spaten hantieren.
    Von da an, wurde der altersschwache Hund nicht mehr gesehen.

    Die Nordfranzosen sind jetzt nicht gerade die grossen Tierfreunde. Ihr Verhältniszu Tieren ist eher nutzorientiert.

    Doch das hier gefiel nicht.
    Dass dieser Fremde einfach seinen Hund mit der Schaufel erschlägt… unmöglich.

    Die Gerüchte verdichteten sich.
    Wo Fox auftauchte, wurde es still. :stumm:
    -Er bemerkte es nicht einmal.

    Einige Wochen nach diesem Hundemord, verschwand Fox mit seinem Citroen aus dem Ort und nicht wenige hofften, er würde nicht zurückkommen.
    Doch er kam wieder.

    Und er brachte einen neuen Hund mit.
    Ein Bild des Elends.
    Es war ein sehr grosses Tier. Ein Galgo.
    Der Hund war klapperdürr. Die Beckenknochen stachen hervor. Jede Rippe war zu sehen.
    Es war schrecklich anzusehen, wie er neben Henry Fox herschlich. Völlig unsicher und verängstigt.

    Fox nahm ihn überall mit hin. Doch wenn er in ein Geschäft ging und den Hund im Auto liess, so sass dieser nicht wie die anderen Hunde munter auf dem Rücksitz um sich neugierig umzusehen.
    Er legte sich in den hinteren Fussraum und versteckte den Kopf unter dem Beifahrersitz.

    Wenn Fox und der Hund -der Loomis hiess- zu Hause waren, hörte man den Hund oftmals schreien und weinen.
    Die Nachbarn waren entsetzt. Doch sie trauten sich nicht, etwas zu Fox zu sagen. Sie hatten einfach Angst vor diesem Hünen, der meist mit einer Axt
    oder einem anderen Werkzeug auf seinem Grundstück hantierte.

    Dann bekam Fox kurz hintereinander zweimal unerwarteten Besuch.
    Eines Morgens ging er aus dem Haus um Baguette für das Frühstück zu holen.
    Da lag etwas vor seiner Haustüre.
    Sah im Halbdunkel aus, wie ein alter Fellhandschuh.
    Henry stiess das Bündel mit dem Stiefel an. Es schrie auf und bewegte sich taumelnd von ihm weg.
    Fox hob das pelzige Etwas auf.
    Ein kleiner Katerwelpe sah ihn aus verklebten Augen an und versuchte zu maunzen. Es gab aber nur ein gurgelndes Geräusch und Rotzbläschen blubberten aus der Nase des Katers.

    ‚Ja pfui, was bist denn Du für ein hässlicher Zwerg? Eine Katze! Bäh! Du hast ja hier gerade noch gefehlt. Scheissviecher. Na warte…’

    Fox ging mit dem Katerchen zurück ins Haus und schloss die Tür hinter sich.

    Drei Tage später, regte sich erneut etwas auf seinem Grundstück.
    Es war später Nachmittag und es wurde bereits dunkel. Fox stand am Küchenfenster und trank einen Kaffee, da bemerkte er einen Schatten, der sich zum Gartentor hereinstahl und sich hinter der Hecke versteckte.

    Henry schlich sich lautlos, wie er es gelernt hatte, zur Küchentüre hinaus in den Garten und pirschte sich an die Hecke heran.
    Der Eindringling bemerkte ihn erst, als er schon beinahe bei ihm war.
    Blitzschnell versuchte der Fremde sich durch die Hecke nach draussen zur Strasse zu flüchten.
    Doch Fox griff blitzschnell zu, fasste ins dunkle Grün und bekam etwas zu fassen.
    Ein Bein.

    Fox zog kräftig und als er sich aufrichtete, hielt er ein zappelndes Menschlein an einem Bein in seiner Hand.
    Er ging mit seinem Fang zur Veranda hinüber und hielt seine Beute ins Licht.
    Ein kleines Mädchen, etwa zehn Jahre alt baumelte da und sah ihn zornig an.

    ‚Was willst Du hier Du Zwerg?’

    ‚Lass mich runter, Du Grobian!’ :x

    ‚Wie Du willst, Rotznase.’

    Fox öffnete die Faust und das Mädchen fiel kopfüber in den weichen Bausand, der auf der Veranda auf seine Verwendung wartete.
    Schnell richtete sie sich auf und schüttelte sich den Sand aus den Haaren und von der Kleidung.

    ‚Das tut weh, Du Holzbock!’ …schimpfte sie und sah ihn trotzig an.

    ‚Was willst Du hier, Gnom?’

    Das Mädchen kniff die Augen und den Mund zusammen und stemmte die Hände in die Hüften.

    Fox richtete sich zu seiner vollen Grösse auf, funkelte das Kind böse an und brüllte: ‚…was Du dummes Blag hier willst, möchte ich wissen!’

    Die Augen der Kleinen füllten sich mit Tränen.
    Dann stampfte sie auf und es sprudelte aus ihr heraus, während Tränen ihre Wangen herunterliefen.

    ‚Ich bin hier, weil Du ein böser Mann bist! Du hast Deinen armen Hund erschlagen und jetzt quälst Du einen anderen Hund. Und ich hasse Dich. Und alle hassen Dich. Und ich wollte den Hund vor Dir retten! Du… Du…
    Du Unmensch!’

    Sie schluchzte und bebte vor Zorn und Angst.
    ‚Na Du hast ja vielleicht Mut’ …mumelte Fox und liess sich auf die Sitzbank neben der Veranda sinken. Er sah ihr in die verheulten Augen und reichte ihr sein Taschentuch.

    ‚Hier. Ist nicht benutzt. …Sag mal. Wer sagt denn sowas über mich?’

    Sie schneuzte sich.
    ‚Alle sagen das. Alle. Und man kann es auch hören, wenn Du den armen Hund schlägst und er schreit.’

    Henry schaute zum Himmel und starrte in den Halbmond, der wie eine Sichel am klaren Abendhimmel hing.

    ‚So so… alle.’ –Er schüttelte den Kopf.

    Dann richtete er sich auf.

    ‚Wie heißt Du denn?’

    ‚Justine’

    ‚Justine. So so. Es ist schon dunkel. Vermisst Dich niemand? Du solltest doch schon bald ins Bett gehen.’

    ‚Meine Eltern glauben, dass ich bei Marianne, meiner Freundin schlafe.’

    ‚Kinder, Kinder… Na, dann komm mal mit rein. Ich zeige Dir mal was.’

    Justine blieb stehen und sah sich ängstlich um, als Fox die Eingangstüre öffnete.

    ‚Na, was ist Du Grossklappe. Plötzlich Muffensausen? Ich fresse schon fünf Jahre keine kleinen Mädchen mehr, nachdem ich von der letzten solches Sodbrennen bekommen habe. Auf jetzt. Komm rein.’

    Trotzig stapfte die Kleine an Fox vorbei ins Haus. ‚Blödmann.’

    Henry musste lachen.
    ‚Hier. Setz Dich. Da, auf’s Sofa. Möchtest Du was trinken auf den Schreck?
    Limo? Orangina? Cola?’

    ‚Ich darf keine Cola.’

    ‚Aber Du hättest gerne eine, was?’

    ‚OK.’

    Henry ging in die Küche und holte eine Coke light für Justine. Er pfiff leise und als er zurück ins Wohnzimmer kam, trottete Loomis, der Hund neben ihm her.
    Justine bekam grosse Augen, als sie ihn sah und sie lächelte ein wenig.
    Henry setzte sich in den Sessel ihr gegenüber und stellte ihr die Coke hin.

    ‚Trink. Zum Wohle.’

    Justine hatte aber nur Augen für Loomis, der mitten im Raum stehen geblieben war und unsicher umherblickte.

    ‚Warum kommt er denn nicht?’

    ‚Er hat Angst.’

    ‚Aber wovor?’

    ‚Tja. Vor Dir. Vor Licht. Vor Dunkelheit. Vor Stille. Vor Geräuschen. Vor seinem eigenen Schatten. Vor dem Leben. Und vor dem Tod.’

    Justine sah Henry voller Unverständnis an.

    Da erzählte Henry ihr die Geschichte von Loomis.
    Es war eine traurige Geschichte.
    Sie handelte von Schmerzen und Leid. Von Ketten, Stöcken, Eisenstangen und glühenden Zigaretten. Von Hunger und Durst. Gebrochenen Knochen und zerbrochenen Seelen.

    ‚Tja…’ beendete Henry die Geschichte ‚…und dann habe ich mir Loomis ausgesucht. Niemand wollte ihn nehmen. Und er hatte sich aufgegeben.
    -Da dachte ich, wir zwei könnten zusammenpassen.’

    Justine sah Henry durch dicke Tränen hindurch an.
    ‚Ja, aber warum… warum schlägst Du ihn dann auch? Warum nur? Dieses Schreien. Ich kann es hören bis zu unserem Haus!’

    ‚Kleine. Ich schlage Loomis nicht. Wenn wir beide alleine sind, will er immer bei mir sein. Er vertraut mir. Und wenn ich drausen arbeite, da will er mit hinaus. Doch es geht nicht immer. Wenn ich im Garten arbeite, dann gräbt er mir die Beete um. Wenn ich Holz hacke, dann springt er um mich herum und versucht die Scheite vom Hackklotz zu klauen.
    Also tu ich ihn rein.
    Und da hat er solche Angst, dass er wieder alleine gelassen wird, dass er
    kläfft und schreit und tobt.
    Das ist manchmal so schlimm gewesen, ich konnte nicht mal ohne ihn auf die Toilette. Da hat er die ganze Bude zusammengeschrien.

    Er hat schreckliche Verlassensängste. So nennt man das. Aber wir arbeiten dran. Wird aber noch ein ganzes Weilchen dauern, fürchte ich.

    So. Jetzt trink mal und beachte Loomis einfach nicht. Lass ihn machen. Er kommt schon. Er braucht nur Zeit.’

    Justine trank ihre Cola, liess aber Loomis nicht aus den Augen.
    Der grosse Hund legte sich auf den Boden und sah immer wieder zu Fox und dem Mädchen, um dann schnell den Blick wieder abzuwenden.
    Er war sehr unsicher. Das sah man und man konnte es riechen.

    ‚…und der alte Hund?’ -fragte Justine plötzlich. ‚Was war… warum hast Du…?’

    ‚Pastore. Er hiess Pastore. Er war aus Italien.
    Pastore war blind. Und er war krank. Die Wirbelsäule. Ach, er war halt alt.
    Ich schlafe ja oben. Hab’ ihn immer die Treppe hoch- und wider runter getragen.
    Frage mich nicht, wass er an diesem frühen Morgen vorhatte.
    Ich schlief noch, dann schreckte ich auf und hörte ihn schreien.

    Er war die Treppe runtergefallen.
    Ganz verdreht lag er da.
    Ich nahm ihn, und brachte ihn ins Auto. Er hatte grosse Schmerzen. Schrie.
    Wie ein Irrer bin ich zu Dr. Walpole gefahren.

    Er hat es beendet. Es gab keine Rettung.

    Später habe ich ihn dann im Garten begraben.
    Komm mit.’

    Justine folgte Henry in die Küche.
    Als sie an Loomis vorbei gingen, legte dieser sich auf den Rücken. Er zitterte.

    ‚Beachte ihn nicht. Komm.’

    Fox und Justine gingen zur Küchentüre hinaus in den Garten. Henry machte das Verandalicht an.

    ‚Da. Schau. Da liegt er. Das kleine Grab unter seinem Lieblingsbaum. Dort lag er immer in der Sonne. Ich denke, dort ist er zufrieden.’

    ‚Warum hat er kein Kreuz auf dem Grab?’

    Henry lächelte. ‚Er war nicht katholisch.’

    ‚Sondern?’

    ‚Ein Hund.’

    ‚Ein kleines Kreuz vielleicht? Wenn ich ihm eines mache? Vielleicht freut er sich darüber. Was denkst Du?’

    ‚OK Justine. So machen wir das. Es kann ja nicht schaden. Vielleicht war er ja doch ein Bisschen katholisch.
    So. Und jetzt gehen wir wieder rein. Ich schnappe mir Loomis und wir bringen Dich zu Deiner Freundin. Sonst gibt’s nur Ärger.’
    ‚Nein! Ich kann alleine…’

    ‚Nichts da. Kleine Mädchen haben um diese Zeit nix alleine auf der Strasse zu suchen. Keine Widerrede.’

    ‚Was ist denn dass?’ …fragte Justine erstaunt, als sie in die Küche zurückgingen. Sie zeigte auf eine grosse Kiste, über der ein Rotlicht hing.
    Aus der Kiste kamen seltsame Geräusche.

    ‚Ach das. Das ist der Kater. Hab’ ihn gefunden. Draussen. Er ist krank.
    Schnupfen. Würmer. Milben. Flöhe.
    -Ich mag keine Katzen.
    Dr. Walpole hat mir ein Vermögen abgenommen um dieses nutzlose, kleine Stinktier wieder auf die Beine zu bringen. Und es ist noch nicht mal sicher, ob er es überlebt. Hör nur, wie er schnarcht. Schlimm diese Katzenvolk!’

    ‚Du magst ihn.’

    ‚Nö.’

    ‚Du magst ihn doch!’

    ‚Nein.’

    ‚Doch. Und jetzt bring mich endlich, bevor es Ärger gibt.’

    Etwas verlegen trabte Henry hinter dem Mädchen her. :ops:
    Er leinte Loomis an, dann gingen sie hinaus.

    Justine sah ihn prüfend an. ‚Du bist nicht so böse, wie die Leute sagen. Das müssen wir allen erzählen, weil…’

    ‚Nein Justine. Wir sagen gar nichts. Bitte. Du auch nicht.
    Gegen das Gerede der Menschen kann man nicht anreden. Diese Dinge bleiben ewig. So ist das. Es enttäuscht einen, aber es ist nicht zu ändern.
    Man muss damit leben.
    Je mehr man dagegenredet, um so mehr kommt es auf einen zurück.
    Das verstehst Du noch nicht. Musst Du auch nicht.
    Kleine Mädchen müssen solche Sachen nicht kennen.
    Kleine Mädchen sollen nur schöne Dinge kennen.
    Ich bring’ Dich jetzt zu Marianne.
    Wenn Du willst, kannst Du uns ja ab und zu besuchen. Loomis und mich. Ich zeige Dir dann was ich arbeite.
    Dann zeige ich Dir wirklich schöne Dinge. Die Welt um uns herum ist so schön. Man muss sie nur sehen und erkennen.’

    ‚OK. Das machen wir. Versprochen.’ ;)

    Wenn jemand sie gesehen hätte, hätte er sich wohl gewundert.
    Ein Riese, ein hüpfender Zwerg und furchtsamer Hund.
    Eine seltsame Truppe.
    Ja, eine seltsame Truppe.
    Le Jazz starrte noch immer Henry’s Gartentor an.
    So war das gewesen, damals.

    Und aus dieser Geschichte entwickelte sich ein echter Kriminalfall, wie er in einem kleinen Städtchen am grossen Atlantik nicht oft vorkommt.
    Henry. Justin. Loomis. Dumme Menschen. Böse Menschen. Gute und Böse.
    Alles kam damals hier zusammen. Und le Jazz mittendrin und live dabei…

    Jetzt musste er sich aber beeilen.
    Maria wartete bestimmt schon mit dem Essen.
    Und dann nix wie ins Bett.
    Der kommende Tag würde hart werden.
    Verdammtes Boot!

    Wird Maria böse auf le Jazz sein, weil das Essen verschmurgelt ist?
    Oder wird sie ihn trösten, weil alles schiefgelaufen ist?
    Wird das überhaupt noch was mit den Boot?
    Oder behält der Hafenmeister Recht?
    Und überhaupt…
    Wie war das doch gleich, damals mit dem Fall Henry Fox?

    Lesen Sie demnächst weiter und sie werden es erfahren.

    erinnernde Grüsse … Patrick :^^:

  • Ach Patrick, wann hörst Du endlich auf uns?

    Du hast wirklich wirklich wirklich ein Talent zum schreiben. Ich glaube ja, daß Du es eigentlich weißt, aber Dir selbst nicht zugestehen willst ;)

    Also immer brav weiter schreiben :D Versprochen?

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