Erfahrungsaustausch Tierschutzhund

  • Ich hatte über 8 Jahre einen deutschen "Nothund".


    Die ersten Tage (da war er ca. 2 und völlig krank und verwahrlost) hat er sich buchstäblich um meine Beine gewickelt, wenn irgendwas war - tote Blätter, die über den Weg raschelten.


    Worum es mir geht, viele Sachen sind durch Gewöhnung, Erfahrung, Geduld und Arbeit über die Jahre viel besser geworden.
    Aber viele Vorstellungen habe ich auch einfach komplett aufgegeben.


    Trotz üben mit verschiedensten Ansätzen hatte ich bis zum Schluss keinen jederzeit angstfreien und "gut erzogenen" Hund.


    Für mich war einfach irgendwann nur noch die Lebensqualität wichtig. Für den Hund und auch für mich.
    In dem Sinne habe ich viel um den Hund rumorganisiert oder auch ausfallen lassen.


    Dazu stehe ich auch jetzt bei dem neuen Tierschutzhund aus Ungarn.


    Natürlich versuche ich was geht, aber es gibt eben die Vorgeschichte, er ist traumatisiert und krank und einziges Ziel ist Lebensqualität.


    So darf ich z. B. zum TA vor oder nach der Sprechstunde.
    Alles möglich, wenn man auch einfach mal sagt:
    "Mein Hund kann das nicht und muss auch nicht. Und ich ändere das auch nicht."


    Oberstes Ziel ist "nur noch" das wir niemanden belästigen und ich und Hund weitestgehend entspannt sind.
    Dazu gehören dann aber auch mal sch...- Tage


    Solche Sachen wie Treppen im Haus müssen natürlich, aber da finden sich dann individuelle Lösungen, wie ggf. stundenlang auf einer Stufe sitzen.


    Aber dann eben nur bei den Sachen, die absolut sein müssen und nicht was "normal" für einen Hund sein sollte.


    Ich glaube wir haben - wieso auch immer- heute zu viele Idealvorstellungen.
    Das ist für einen "gezüchteten Familienhund" echt schwer und selbst die tun mir manchmal leid, was sie denn nun noch alles machen sollen.


    Für einen Hund mit Vorgeschichte ist es oft einfach unmöglich und das Ziel ist doch eigentlich, gerade so einem Hund ein angenehmes Leben zu bereiten.


    Wenn also z. B. Fahrradfahrer doof sind, na dann sind sie es eben. An Wegen und Straßen angeleint und nur im Wald freilaufen.
    Wenn Jagdtrieb, dann der Spaziergang durch Wald und Feld eben an der Leine und Freilauf nur in eingezäunten Bereichen.
    Das nimmt eine Menge Stress.


    Das ist aber nur meine Erfahrung und Meinung.
    Und dabei braucht man auch Nerven, denn Leute, die denken und sagen!
    "Da braucht der Hund doch keine Angst zu haben oder das müsste er doch inzwischen mal gelernt haben." gibt es genug.

  • Wenn ich von einigen lese, die einen anfangs ängstlichen und unsicheren Hund hatten, der innerhalb von Monaten selbstsicher, fröhlich und ohne andere zu gefährden durchs Leben geht, dann frage ich mich oft: WIE MACHT IHR DAS?

    Manche Hunde sind eben "nur" ängstlich und unsicher aufgrund der veränderten Situation - schließlich ist ja alles, wirklich alles weg, was sie bisher kannten! Da würde mir auch anders werden.
    Mit der Zeit kapieren sie eben, dass man es gut mit ihnen meint, und sie lernen alles kennen, gewöhnen sich etc.
    Bei diesen Hunden braucht man als Halter gar nicht so viel zu machen, außer sich normal zu verhalten (bzw. so, wie es für Hunde gut ist, also klar-berechenbar und freundlich).


    Aber es gibt auch Hunde, die tatsächlich vom Typ her ängstlich sind, dann die, die wirklich schlechte Erfahrungen oder zu wenige Erfahrungen gemacht haben. Da dauert es einfach länger und bedarf vielleicht auch eines bestimmten Verhaltenstrainings - je nach Hund und Mensch.
    Manches ist vielleicht auch rassebedingt, möglicherweise ist das mit dem Abschnappen und Reglementieren auch bei Taro der Fall - könnte er in Richtung "Hütehund" gehen?

  • Ja, ein souveräner anderer Hund wäre sicher das Optimalste; daran denke ich auch immer wieder. Seit ich meinen Dicken habe, habe ich zwar sehr viele Menschen mit Hunden kennengelernt, jedoch ist davon nur eine einzige Hündin wirklich souverän und auch sehr gut erzogen. Fast alle anderen Hunde sind entweder leinenaggressiv und/oder ängstlich oder schlecht bzw. gar nicht erzogen. Die Hündin treffen wir ab und an, leider unterscheiden sich meistens unsere Gassizeiten.


    Anfangs war ich öfters mit einem Bekannten und dessen Hündin unterwegs. Sie hat meinem Taro beigebracht, dass Wasser was Tolles ist, und mittlerweile planscht er den Bach rauf und runter. Von dem Bekannten weiß ich inzwischen, dass er den Teletakt eingesetzt hat, und außerdem geht mir seine Besserwisserei auf den Keks, so dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm habe.


    @Zucchini: Beim Spaziergang mit Taro fühle ich mich entspannt in Gebieten, die ich überschauen kann, und Taro läuft ohne Leine. Hingegen ist Taro im Ort und am Ortsrand angeleint. Bei nicht einsehbaren Kreuzungen, auf Radwegen usw. nehme ich die Leine kürzer und schaue ständig um mich, auch nach hinten, ob nicht "Gefahr" im Verzug ist. Zwar achte ich bewusst auf eine lockere Leine, bin dann jedoch sicher nicht mehr entspannt.


    @Zucchini und @Couchpotato: Taro ist mittlerweile fast ein Jahr bei mir. In dieser Zeit ist er entspannter und sicherer geworden. Auch seine Ressourcenverteidigung hat sich erheblich ins Positive verändert. Als Ursache sehe ich das wachsende Vertrauen, wir haben nicht explizit geübt. Doppelt gesichert mit Sicherheitsgeschirr und Halsband habe ich ihn nur anfangs; das ist schon lange nicht mehr nötig. Das Einzige, was ich gerne ändern möchte, ist, dass Taro sich gegenüber Menschen und im Straßenverkehr sicher fühlt. Wir sind hier schon ein Stück weiter gekommen, aber so bald seine Individualdistanz unterschritten wird (was sich eben nicht immer vermeiden lässt), kann ich ihn oft nicht mehr ablenken. Spielen tut er so gut wie nie (er hatte das anfangs gar nicht gekannt), und verfressen ist er auch nicht, d. h. ich könnte ihn nicht einmal mit einem Superleckerchen aus der Situtation herausholen.


    Nach anfänglichen Erfolgen bin ich nun an einem Punkt, wo ich nicht mehr weiter weiß. Das Kernproblem ist nach wie vor da. Ich scheine etwas falsch zu machen. Und wenn ich hier lese, dass so mancher ängstlicher Hund aus dem Ausland schon nach einigen Monaten umweltsicher und entspannt ist, frage ich mich, WAS ich falsch mache. Vielleicht denke ich zu großschrittig. Vielleicht belohne (lobe) ich im falschen Moment...


    Ich möchte hier nicht den Thread "zerstören", es geht ja letztendlich allgemein um das Thema "Erfahrungsaustausch Tierschutzhund". Hatte halt darauf gehofft, dass sich jemand meldet, dessen Hund in relativ kurzer Zeit (das wäre für mich auch bis zu einem Jahr) von ängstlich zu entspannt und souverän verändert hat, und das ohne souveränen Zweithund, den ich halt nicht habe, sondern durch Training.


  • Aber es gibt auch Hunde, die tatsächlich vom Typ her ängstlich sind, dann die, die wirklich schlechte Erfahrungen oder zu wenige Erfahrungen gemacht haben. Da dauert es einfach länger und bedarf vielleicht auch eines bestimmten Verhaltenstrainings - je nach Hund und Mensch.Manches ist vielleicht auch rassebedingt, möglicherweise ist das mit dem Abschnappen und Reglementieren auch bei Taro der Fall - könnte er in Richtung "Hütehund" gehen?

    Danke Dir, @Fusselnase! Ja, vielleicht ist mein Dicker eher ein etwas ängstlicher Typ. Er war ja schon etwa 7 Jahre alt, als er zu mir kam, und wer weiß, was er in Rumänien alles erlebt hat.
    Dass ein Hütehund in ihm steckt, glaube ich nicht. Er zeigt keine Tendenzen zum Hüten. Das Abschnappen und Knurren war einzig und allein, weil ich ihm - wenn auch nicht mit Absicht - Angst gemacht hatte. Mittlerweile achte ich sehr auf seine Körpersprache und darauf, ob er beschwichtigt. So bald er das tut, lasse ich ihn in Ruhe. Abgeschnappt hat er nur ein einziges Mal, und das war eben zu Beginn unseres Zusammenlebens.


    Sein Verhalten von sich schnell und/oder laut bewegenden Objekten gegenüber ist meiner Meinung nach nur auf Unsicherheit/Angst begründet. Falls Du mir konkret einen Tipp zu dem "bestimmten Verhaltenstraining" geben kannst, wäre ich Dir echt dankbar. Gerne auch per PN oder wie man das hier macht, will hier nicht weiter im Thread "rumpfuschen".

  • @Odon2005 habt ihr schon gezieltes De-sensibilisierungstraining probiert?
    Also, dass ein Bekannter von Dir der Mensch mit Fahrrad ist, so dass ihr die Begegnung wirklich steuern könnt. Abstand und Geschwindigkeit bestimmt und euch immer weiter nähert?


    Ich denke, ich würde es mit Zeigen&benennen (mit Trainerunterstützung) versuchen
    (oh Gott - das sage ich - der Z&B immer doof fand :ugly: )

  • Würde ich gern, aber ich habe nicht wirklich viel Ahnung - hatte bisher immer nur die Hunde, die das quasi von selbst hinbekommen haben. Nur bei Feli waren besondere Maßnahmen notwendig, aber bei ihr ist es anders als bei Taro - sie hat eine Geräuschangst.
    Was ich dir aber auf jeden Fall raten kann (rate ich eigentlich jedem) ist konditionierte Entspannung mit einem Entspannungssignal! Gerade wenn du ihn in bestimmten Situationen nicht erreichen kannst, kann das ein Türöffner sein.
    Zumindest bei Feli hat das echt gut geklappt. Es ist so einfach und nebenher aufzubauen, dass man das auf jeden Fall versuchen kann.
    Ich schreibe dir eine pn dazu! :)


    Ansonsten würde ich mir auch eine Stunde bei einem wirklich guten Trainer gönnen, der diese Situation begutachtet. Das kann echt Gold wert sein, wenn einer (mit Ahnung) von außen drauf schaut (Supervision eben).

  • Ich denke man muss unterscheiden, aus welchen Gründen der Hund welche Ängste hat.


    Unsere Melli kannte so gut wie nichts.
    Sie hatte Panik vor dem Abtrocknen, Panik vor dem Bürsten, Panik vor der Dusche (auch heute noch), Panik vor fremden Menschen.
    Sie fuhr und fährt schlecht Auto, obwohl sie von sich aus reinspringt, sie hatte Angst vor den Treppen, vor raschelnden Tüten, vor dem Ausschütteln der Wäsche usw.


    Wir haben fast alles mit Clickertraining und Geduld in den Griff bekommen, nur abduschen und autofahren sind noch "Bäh-Erlebnisse". Ach und Menschen, die sich ihr falsch bzw. zu schnell nähern.


    Bei ihr kamen diese Ängste aus der Unwissenheit, denn sie kannte das alles nicht.
    Die Angst vor Menschen ist bei ihr eine Abwehrmethode und keine wirkliche Angst, aber das haben wir erst durch ein Seminar rausgefunden.


    Wenn ein Hund Ängste hat wegen schlechten Erfahrungen, dann muss man wahrscheinlich komplett anders ans Training rangehen. Vielleicht muss man manche Dinge einfach auch so hinnehmen und dem Hund nur Sicherheit geben ohne es wegzutrainieren.


    Ich bin der Meinung, dass man eben Ängste nicht verallgemeinern kann und auch nicht allgemein so oder so trainieren kann, denn es kommt auch auf den Hund an und auf das, was er erlebt hat.

  • Ich glaube wir haben - wieso auch immer- heute zu viele Idealvorstellungen.

    Danke Dir, @Maxzimmer! Es tut gut so etwas zu lesen von jemandem, der schon mehr Erfahrung hat als ich. Gebe Dir da vollkommen Recht. Ich will meinen Hund auch nicht verbiegen, der darf gerne so bleiben, wie er ist. Genauso liebe ich ihn ja.
    Ich möchte einfach, dass er sich sicher fühlt, entspannt ist und öfters mal lachen kann. Lachen tut er so wenig...

  • Ich bin zu langsam...


    Ja, Z&B haben wir angefangen. Ebenfalls konditionierte Entspannung. Und bei einer sehr netten und mMn auch sehr fähigen CumCane-Trainerin waren wir ebenfalls. Ist leider sehr teuer, 54 Euro für eine Stunde.


    Nach Lesen Eurer Post habe ich nun den Eindruck, ich gebe zu schnell auf. Habe diese Sachen angefangen und bin beim Training zu Hause stehen geblieben. Dabei weiß ich doch selbst, dass es Monate dauert, bis so ein Training greift. :headbash:


    Aber ihr habt mir Mut gemacht, ich werde am Ball bleiben. Danke!

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