Zu langsam, zu doof oder zu alt

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    Wie macht ihr das, könnt ihr wirklich alle Zeichen der Hundesprache so schnell erfassen, daß ihr darauf reagieren könnt? Oder nehmt ihr auch nur den Gesamteindruck des Hundes wahr und reagiert darauf? Also mehr so Bauchgefühl und dem Wissen, wie Hund in ähnlicher Situation reagiert hat?

    Ich habe als Kind Bücher des Biologen Erik Ziemen gelesen und die haben mich scheinbar irgendwie geprägt :D Erik Ziemen hat das Verhalten von Wölfen und Hunden bzw. Mischformen erforscht. Ich betrachte meinen Hund auch heute noch aus dieser Perspektive, als ein domestiziertes Raubtier.
    Und ansonsten hat mir mein Hund sehr viel beigebracht. Ich versuche immer meine menschliche Sichtweise zu vergessen und die Welt aus der des Hundes zu sehen und so wird auch die Körpersprach logisch und sofort begreifbar.
    Ich sehe das so, dass mein Hund die größtmögliche Freiheiten erhalten sollte. Das ist mein Erziehungsziel. Alles andere ist unwichtig. Größtmögliche Freiheit bedeutet, dass ich meinen Hund ohne Probleme ohne Leine laufen lassen kann, er mich überall hin begleiten kann, wo es für meinen Hund nicht zu stressig ist, er allein Zuhause bleiben kann, wenn es für ihn besser ist usw.
    Dies ganzen Ratgeber-Bücher sind vielleicht gut für Menschen, die überhaupt keine Ahnung von Hunden haben. Aber wenn man gelernt hat, sich in den Hund hinein zu versetzen, sind sie überflüssig. Ich fand die Verhaltensstudien von Erik Ziemen als Kind auch immer spannender als diese langweilige Ratgeber-Bücher ;)

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    Wie macht ihr das, könnt ihr wirklich alle Zeichen der Hundesprache so schnell erfassen, daß ihr darauf reagieren könnt? Oder nehmt ihr auch nur den Gesamteindruck des Hundes wahr und reagiert darauf? Also mehr so Bauchgefühl und dem Wissen, wie Hund in ähnlicher Situation reagiert hat?

    In solchen Situationen ist erst einmal Reaktion angesagt.

    Ich behaupte, kein Mensch kann in angemessener Geschwindigkeit über gelesene Passagen nachdenken und sie auf die Situation anwenden. Wenn mein Hund den Radfahrer unter Hochspannung anstiert, muss ich just in diesen wenigen Augenblicken den gesamten Prozess bishin zu meiner Reaktion abwickeln - sehen, verstehen, reagieren.

    Ich behaupte, dass dieser Prozess aus Automatismen besteht. Wenn ich im Begriff bin ein Glas vom Tisch zu stossen, denke ich nicht über seine Flugbahn nach, wenn ich es in letzer Sekunde auffange. Meine Reaktion ist ein Automatismus, der aus Erfahrungswerten und Assoziationsketten generiert wird - genauso ist es beim Hund.

    Wenn ich aber entsprechend viel über Hunde-Kommunikation gelernt und verinnerlicht habe, werde ich auch diese Dinge in meinen Reaktions-Automatismus einbeziehen können - sind ja auch nur Erfahrungen und Assoziationsketten.


    Wenn ich aber nochmal meine ganz persönliche und sehr unqualifizierte Meinung dazu äußern darf, dann finde ich eine gesunde Natürlichkeit viel wichtiger als die meisten Verhaltensstudien.

    Klar, ich lese gern mal was über hündisches Verhalten und oft ist es auch sehr hilfreich. Trotzdem achte ich in erster Linie auf meinen Hund, das lebendige Wesen mit dem ich mein Leben teile. Hunde gestehen sich ja auch zu, viele hoch-dekorierte Verhaltenstheorien zu negieren, zu ignorieren und ad absurdum zu führen. Ist ja auch logisch, weil unsere Hunde genauso in die Hund-Mensch-Kommunikation einsteigen wie wir. Wenn ich noch versuche meinen Hund zu lesen, hat der mich in aller Regel schon seit fünf Minuten durchschaut. Wir lernen Beide, einander zu lesen ... und verändern uns bzw. unser Verhalten dadurch auch.

    Angenommen wir sind im Jahr 3259 (ja, Spielzeit in einer SciFi-Serie ;)) und eine hoch-entwickelte außerirdische Rasse studiert unser Verhalten - an Menschen ohne Hund. Ich glaube diese außerirdische Rasse würde vor Verzweiflung aus dem Raumschiff-Fenster hüpfen, wenn sie danach das Verhalten eines Mensch-Hund-Teams deuten würde.

    In dem Moment, wo ich mich auf das Zusammenleben mit einem Tier einlasse, ändern sich viele typisch-menschliche Verhaltensmuster automatisch. Ich glaube kaum, dass es zum typisch-menschlichen Verhaltensmuster zählt, einen randalierenden-am Bein juckelnden-kläffenden Köter einfach zu ignorieren. Oder mit einer Reizangel über die Wiese zu hüpfen. Oder nur noch seitlich ohne Blickkontakt auf Individuen zuzugehen.

    Mensch-Mensch-Kommunikation macht uns aus, Hund-Hund-Kommunikation macht den Hund aus. Wenn wir miteinander kommunizieren - und das über Jahre in einer rudelähnlichen Gemeinschaft - dann weichen die Grenzen auf. Ich denke das ist ein Faktor, den man bei der Anwendung von hündischen / wölfischen Verhaltensweisen auf den Haushund, einfach nicht unterschätzen darf. Wir interagieren nicht nur mit Hund, Hund interagiert auch mit uns - und stellt sich auf uns ein.

    Was ich damit summa summarum sagen möchte, ist, dass ich gern was über die Verhaltensweisen von Hunden lese. Ich frage dann aber erstmal MEINEN Hund, was er denn eigentlich davon hält ... und meistens sagt er, Alte, geh mir nicht auf den Keks, ich habe das Problem schon längst gelöst weil ich Dich eh besser kenne als Du mich.

    Ich hoffe ihr wisst, was ich meine ;)

  • Genau :gut: und hat bei unseren "Dreien" super funktioniert !! :gut:

    Toller Thread und ich konnte mal wieder herzlich lachen !! :lol:

  • :gut: Besser kann man es kaum sagen

  • Jan, dein Posting finde ich schön, weil ich mich hier wiederfinde.
    Meine Viecher, ganz gleich ob Hunde, Rennmäuse, damals der kleine Sittich, hatten die entsprechenden Bücher NIE gelesen.
    Ich hatte bis zu meiner Teenagerzeit nie Kontakt zu Hunden, aber als ich dann den ersten richtigen Kontakt hatte, haben wir uns instinktiv verstanden. Daher lese ich zwar durchaus Bücher über die verschiedenen Aspekte des Hundes (Biologie, Verhalten, Erziehung, Bespaßung, Kommunikation...), aber wie kaenguruh frage ich immer erst meine Pfleglinge, wie sie das sehen. Momentan betreue ich eine Hündin im Tierheim, bei der man einfach keine gängigen Methoden anwenden kann. Ich arbeite nur nach dem Bauch, und eine zu Anfang echt panisch ängstliche Hündin vertraut mir inzwischen voll und ganz und lässt sich auch mal von mir untersuchen, ohne danach wieder stundenlang in der Hütte zu verschwinden (was sie früher getan hätte).
    Ein wenig Theorie kann nicht schaden, falls man mal die eigene Methode erklären muss, und manchmal gibt es auch tolle Anregungen. Aber ich behaupte, die mir (an)vertrauten Hunde aus dem Bauch heraus lesen und dann angemessen reagieren zu können, ohne das von dir genannte Buch gelesen zu haben.
    Gleiches gilt für meine Rennmäuse, die auch jeder eine eigene kleine Persönlichkeit sind, und keine davon steht in den entsprechenden Büchern drin. Ist doch einfach so: Jeder Jeck is anders, und das gilt auch für Tiere. ;)

  • Guten Morgen ihr lieben,

    ich hatte um Meinungen gebeten und durfte heute früh dafür eine Lesestunde einlegen :smile: , ich danke allen und bin begeistert.

    Warum begeistert? Ganz einfach, ihr habt mich wieder auf den Boden der Tatsachen heruntergeholt.

    Susi ist ja mein erster Hund, den ich nicht als Welpen bekommen habe. Susi ist auch mein erster Hund, der Probleme verursacht hat und noch verursacht. Susi ist aber auch ein ganz liebes und unkompliziertes Exemplar von Hund, ein wahrer Traumhund für den, der damit umgehen kann.

    Das hört sich an, als ob es ein Widerspruch ist. Ist es aber nicht. Um die Probleme aus der Welt zu schaffen habe ich mich erstmalig in meinem Leben mit der Theorie der Hundeerziehung beschäftigt. Ich habe mir Bücher besorgt und studiert, ich habe dieses Forum gefunden, war begeistert über die vielen ganz toll erzogenen Hunde, habe nacheinander zwei Hundetrainerinnen gebucht aber ich habe dabei eins vollkommen übersehen ... meine Susi.

    Klar, verschiedene Sachen aus Büchern, aus Forum und vom Trainer kann ich anwenden und sind auch sehr hilfreich, aber es ging nicht richtig vorwärts weil ich nur und ausschließlich diese Sachen angewendet habe. Irgendwann ist mir das dann aufgefallen. Seid ich wieder meinen Hund auf meine Art lese und dabei unterstützend dies und jenes aus der Theorie mit einbaue geht es super vorwärts.

    Und da entstand eben dieser innere Zwiespalt, der mich zu meiner Frage veranlaßt hat. Und ich freue mich über eure Meinungen, denn nun ist mir klar, ich mache mit Susi bestimmt nicht alles richtig und fein und ordentlich, aber wir sind auf dem richtigen Weg und haben Spaß miteinander.

    Ich wünsche allen einen schönen Sonntag, Liebe Grüße

    Jan

    Der jetzt mit Susi in den Wald geht, den wir wieder ganz für uns allein haben, da die Urlauber nun weg sind und die einheimischen Hunde schon Winterschlaf halten.

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    Und da entstand eben dieser innere Zwiespalt, der mich zu meiner Frage veranlaßt hat. Und ich freue mich über eure Meinungen, denn nun ist mir klar, ich mache mit Susi bestimmt nicht alles richtig und fein und ordentlich, aber wir sind auf dem richtigen Weg und haben Spaß miteinander.

    Guten Morgen Jan :)
    das mit dem Spaß ist doch sowieso das Wichtigste. Immer muß der Hund "funktionieren", alles muß "perfekt" sein. Nee, eben nicht!
    Am besten fährt man doch, wenn Mensch und Hund Spaß zusammen haben. Also wenn das Eine oder Andere nicht klappt, dann bricht deswegen die Welt nicht zusammen. Und solange niemand unter den Macken leidet, ist doch eigentlich alles in Ordnung.

    Ich wünsche dir und deiner Susi eine tollen Tag und ganz viel Freude aneinander.

    VG
    Anja, die den Spaß schon hatte und erstmal ihre Füße auftauen muß

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    Ich habe mir Bücher besorgt und studiert, ich habe dieses Forum gefunden, war begeistert über die vielen ganz toll erzogenen Hunde, habe nacheinander zwei Hundetrainerinnen gebucht aber ich habe dabei eins vollkommen übersehen ... meine Susi.


    Der Satz hat mich zum Nachdenken gebracht... Achten wir zwischen Hundeplatz und Hundewiese, Trainern und Büchern überhaupt noch auf das was der Hund uns "sagt"?

    Bei mir war das am Anfang auch so... Ich hatte den Hund an der Leine (oder damals noch frei) und habe nach meinem Bauchgefühl entschieden! Jetzt bin ich in der HuSchu, lese Bücher, gucke im Internet. Wenn ich deinen Text lese, merke ich erstmal, wie man beinflusst wird ;)

    Neulich habe ich an einem kleinen Seminar zur Körpersprache von Hunden teilgenommen. Ich hatte ungefähr den gleichen Effekt, wie du mit dem Buch :D
    Ich entscheide wieder nach Bauchgefühl, aber überlege später oft noch: "Was hat er gemacht? Was hatte das zu bedeuten?"

    Lg, eine nachdenkliche Kira

  • Hihi,
    bei mir war es genau umgekehrt. Ich habe mit der ganzen Theorie angefangen (typisch für mich), den Hund dabei nicht richtig verstanden, und erst nach einer Weile mein Bauchgefühl zugelassen. Jetzt ist er wohl so ähnlich wie Susi - ein wirklich pflegeleichter, lieber Kerl, der aber das ein oder andere Problemchen hat (die alle Symptom einer grundlegenden Schieflage sind - nunja, für uns ist schief momentan halt gerade....).
    Mit dem Zweithund fahre ich per Bauchgefühl deutlich besser, gut, er ist ein ganz, ganz anderer Charakter, den könnte "jeder Anfänger" halten, ohne jegliche Hundeschulbegleitung.

    Ich mag es eben, Dinge zu analysieren (ein Wort, das irgendwie keiner mag) und darüber nachzudenken, und dabei helfen mir die Bücher. Im täglichen Leben ist mein Handeln aber viel instinktiver geworden.
    Ich schaue meine Hunde in den Radfahrer-/Hundebegegnungssituationen selten an. Weil es mir wurscht ist, was sie davon halten - ich rufe sie ran, und sie haben ranzukommen. Danach entscheide ich weiter.

    Grüßle
    Silvia

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