Mein Schäferhund hat nichts kennengelernt.

  • Hallo zusammen,


    ich bin meist eine stille Mitleserin und hoffe nun Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu finden. Seit ca. 2 Monaten haben mein Partner und ich einen 1,5 Jahre alten Altdeutschen Schäferhund aus dem Tierheim. Wir haben aber bereits jetzt eine sehr gute Bindung zueinander. Wir haben uns zwar lange Zeit gelassen ihn kennenzulernen bevor wir ihn zu uns holten, jedoch waren seine "Macken" nicht alle sofort ersichtlich.


    So wie es aussieht hat er in seinen 1,5 Jahren nichts kennengelernt (wahrscheinlich fast ausschließlich Gartenhaltung). Er ist mit anderen Hunden verträglich (was mich etwas wundert) und im Grunde hat er ein freundliches und gutes Herz. Als er ins Tierheim kam kannte er keine Grenzen und konnte noch nicht mal Platz. Die beste Zeit ihm etwas beizubringen ist leider schon vorbei :( :. Wir arbeiten aber sehr hart daran (mit Hundeschule und Einzelstunden beim Trainer) diese Zeit aufzuholen, was in seiner Rüpelphase wirklich ermüdend ist. Kleine Fortschritte sind aber ersichtlich :gott:


    Das größte Problem ist jedoch, dass er sich unheimlich schnell wegen allem und jeden aufregen kann - sowohl positiv als auch negativ. Er dreht einfach unheimlich schnell hoch, vermutlich weil er so wenig kennt. Laufende Menschen, lautere Kinder, Menschen, die auf dem Boden liegen, Autos, Fahrräder...eigentlich so ziemlich alles regt ihn auf. Der zweite Trainer (der erste Trainer hat es nur schlimmer gemacht durch zu viel Konfrontation und Druck) meinte wir dürfen ihn nicht überfordern, da jeder einzelne normale Spaziergang für ihn NOCH unheimlich aufregend ist. Wir haben es auch schon durch Auslastung mit Hundeschule und Hundesport versucht, leider ist das zu viel Druck für ihn und sein Verhalten verschlechtert sich. Er ist sehr verfressen und so versuchen wir ihn auf Distanz an viele Dinge mit Belohnung zu gewöhnen...was auch laaaaaaangsam Wirkung zeigt jedoch nicht bei allen Situationen. Das meiste wird bestimmt auch von alleine besser, wenn er erstmal alles kennengelernt hat.


    Jetzt zu meiner Frage: Wer ist in einer ähnlichen Situation gewesen? Wie habt ihr es geschafft euren Liebling ausgeglichener zu bekommen? Und wie lange hat es gedauert? Monate? Jahre?


    Freue mich auf Euer Feedback :hilfe:

  • Ich kenne die Situation, nur das bei unserem die Isolation noch deutlich länger (er wurde mit fast 3 endlich abgegeben) gedauert hat.


    Ich kann dem zweiten Trainer nur zustimmen. Mit Überforderung durch Zu-Viel-Wollen und alles schnell aufholen wollen macht man es nur schlimmer. Das wichtigste ist in meinen Augen einen Weg zu finden, dass draußen der Stresslevel so niedrig wird, dass er überhaupt lernen kann. Wie das geht, ist bei jedem Hund anders. Meistens heißt das, erst mal Außenreize so weit runter zu fahren wie möglich, sodass du die dosiert trainieren kannst. Alles andere bringt meistens nichts, weil der Hund noch so gestresst ist, dass er nicht lernen kann. Du musst auch bedenken, dass die Stresshormone mehrere Tage im Blut bleiben.


    Auslastung machen wir quasi gar nicht. Einmal die Woche longieren wir jetzt wieder, aber ein normaler Spaziergang ist mehr als genug Auslastung für solche Hunde. Auch mit langen Spaziergängen habe ich unseren einfach nur überfordert und gelernt hat er gar nichts.


    Auf von alleine besser werden würde ich mich nicht verlassen. Hier wurde absolut gar nichts von alleine besser. Wenn man einen Hund allein lässt mit der Situation, muss er sich selbst Strategien suchen und bei Schäferhunden ist das gerne der Weg nach vorne. Würde ich lieber nicht ausprobieren und laufen lassen.


  • :gut: :gut:


    ich würde auch so viel Ruhe ins Leben bringen wie es nur geht. Kleine Schrittchen und die noch großzügig dosiert ist die Devise.


    Jordan kann ich gar nicht im Sport führen und wenn er mal Bällchen spielen darf muss das Ganze auch unter absoluter Kontrolle geschehen und früh genug abgebrochen werden damit er Gelegenheit bekommt sich wieder runter zu fahren.

  • Gib dir und dem Hund einfach sehr viel Zeit und stress dich selber nicht, auch wenn dir irgendwann andere Menschen sagen "mensch, das müsste er doch langsam mal können"..


    Ich würde hier auch wirklich eher in Jahren denken und nicht in Wochen oder Monaten! So kannst du dich freuen, wenn irgendetwas schneller klappt, aber setzt ihn und dich nicht unter Druck wenn es eben doch länger dauert! Der zweite Trainer scheint da den richtigen Ansatz zu haben, das ist doch schonmal super!


    Lass dem Hund wirklich Zeit auch erstmal vollkommen bei euch anzukommen! Zwar sagst du das Dinge nur sehr langsam klappen, aber ihr habt den Hund doch erst seit 2 Monaten! So langsam scheint es also gar nicht zu sein... Schafft hier jetzt einfach Beständigkeit (innerhalb von zwei Monaten hat der Hund sein zu Hause gewechselt, zwei Trainer durch, war auf dem Hundeplatz, hat Hundesport versucht ...das ist alleine schon extrem viel Stress)

  • kenne ich auch, bei uns hat die isolation von der 3 woche bis zum 4. lebensmonat gedauert.


    Zitat

    (der erste Trainer hat es nur schlimmer gemacht durch zu viel Konfrontation und Druck)


    yep, wir arbeiten genau anders rum. so viel abstand wie möglich (strassenseite wechseln) zu allem und jedem. gucken lassen und immer wieder nen kecks in den mund.


    es gibt übrigens ein tolles buch:


    "Leben will gelernt sein: So helfen Sie Ihrem Hund, Versäumtes wettzumachen"
    von birgit laser und wibke hagemann


    unsere kleine hat sich anfangs über autos, pferde, hühner, fussgänger, hunde, plastiksäcke, sitzbänke, lichter, vögel etc. aufgeregt und war stark unsicher. nach 8 monaten sehr sanfter konfrontation, klassische konditionierung, können wir schon an der strasse lang gehen, fussgänger auf dem bürgersteig kreuzen oder einem pferd die nase ablecken :smile:


    nach 2-3 monaten dachten wir auch, da gibts keine verbesserung. aber zuerst sind diese nicht spürbar, wenn man aber tapfer und geduldig weitermacht werden sich die verbesserungen bestimmt zeigen.


    wir sind anfangs nur am morgen um 6 in den wald, haben stets darauf geachtet in keine situationen zu kommen welche überfordernd sind. und dann ganz langsam die schwierigkeit erhöht.


    Zitat

    wenn er erstmal alles kennengelernt hat.


    ja, aber ohne zwang, ohne durchzudrehen und lieber den abstand zu gross halten als zu klein. und ganz viel beobachten (wir sassen manchmal einfach in einer ecke, haben alles benannt (mann, frau, auto usw). das ruhige beobachten ist für solche hunde wirklich wichtig.

  • Vielen Dank für die vielen guten Antworten und Erfahrungen, das macht Mut :)


    Zitat


    es gibt übrigens ein tolles buch:


    "Leben will gelernt sein: So helfen Sie Ihrem Hund, Versäumtes wettzumachen"
    von birgit laser und wibke hagemann


    Habe ich direkt bestellt! Danke.



    Zitat

    Lass dem Hund wirklich Zeit auch erstmal vollkommen bei euch anzukommen! Zwar sagst du das Dinge nur sehr langsam klappen, aber ihr habt den Hund doch erst seit 2 Monaten! So langsam scheint es also gar nicht zu sein... Schafft hier jetzt einfach Beständigkeit (innerhalb von zwei Monaten hat der Hund sein zu Hause gewechselt, zwei Trainer durch, war auf dem Hundeplatz, hat Hundesport versucht ...das ist alleine schon extrem viel Stress)


    Das ist wohl wahr, da muss ich mich nun selbst korrigieren. Mein Großer ist ein guter Lehrmeister in Sachen Geduld (vor allem für Menschen wie mich :) ).



    Die Methoden, die hier genannt werden (Beobachten, viel Abstand, kurze und ruhige Spaziergänge usw.), klingen logisch und das versuchen wir auch seit einiger Zeit. Ich habe nur immer die Sorge, dass er so zu wenig Bewegung bekommt. Immerhin ist er ein Schäferhund und der möchte arbeiten. Ist es sinnvoll weit raus zu fahren und ihn in ruhigen Gegenden frei laufen zu lassen? Oder ist es noch zu früh?


    Und was macht ihr wenn euer Hund richtig hochgefahren hat und alles zu spät ist? Bei solchen Situationen sind wir noch überfordert. Der Trainer meinte wir sollen ihn am Baum anleinen und ein paar Schritte weg gehen, dann ist er mit seiner Aufmerksamkeit sofort bei uns (auf keinen Fall für alle Hunde geeignet) und wir versuchen ihn dann runter zu füttern. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es ihn wirklich beruhigt. Vielleicht haben wir es aber auch noch nicht oft genug versucht.

  • Zitat

    Weisst Du sonst noch was aus seiner Vergangenheit?
    Wo er herkommt und wie er als Welpe aufgewachsen ist?



    Vom Handy


    Leider wissen wir nicht viel. Aus seinem Pass kann man schließen, dass er von einem Züchter aus einem C-Wurf stammt. Weitere Papiere hat er nicht. Er hatte auch zeitweise Probleme mit seiner Hüfte. Durch eine Schmerztherapie ist das nun vorerst überstanden. Die Vorbesitzer haben nur seine Verträglichkeiten angegeben und dass er keine Hundeschule besucht hat. Vieles versuchen wir aus seinem Verhalten herauszulesen. Man merkt einfach sehr schnell, dass er vieles nicht kennt. Plastiktüten können schon ein Problem sein. Haushaltgeräusche sind für ihn neu und er fängt an zu winseln, deswegen denken wir, dass er nicht im Haus oder Wohnung gehalten wurde.


    Ach ja, die Art und Weise wie die Vorbesitzer das Formular im Tierheim ausgefüllt haben lässt darauf schließen, dass sie nicht viel für Bildung übrig haben. Sie haben sogar seinen Namen falsch geschrieben :ill:

  • Zitat

    Ist es sinnvoll weit raus zu fahren und ihn in ruhigen Gegenden frei laufen zu lassen? Oder ist es noch zu früh?


    ja, wir benutzen aber stets eine schleppleine. selbst im abgelegensten wald kommt plötzlich ein mountainbike daher. da ist es gut den hund gesichert zu haben.


    Zitat

    Und was macht ihr wenn euer Hund richtig hochgefahren hat und alles zu spät ist?


    kommt sehr auf die "anfälle" draufan, wie intensiv diese sind. unser hund hat noch ca. alle 3 wochen einen solchen stressanfall, da hilft bei uns nur so schnell wie möglich abschotten. tuch über die augen, hund auf den arm (wird bei dir wohl schwieriger) und ab nach hause.


    lies doch mal etwas über konditionierte entspannung (gibts sicher hier im forum, oder diverse anleitungen findest du auf google) und frage deinen trainer danach. kann man auch mit einem duft verknüpfen, einer melodie etc. runterfüttern finde ich auch ok.

  • Mir fallen drei Sachen auf:


    1. der Hund ist erst seid zwei Monaten bei euch und es wurde schon ganz schön viel mit dem Hund gemacht.


    2. Ist der Hund mit 1,5 Jahren nicht mehr unbedingt in der "Rüpelphase"


    3. "Ihr arbeitet sehr hart daran..."



    Meine Tipps:


    Als erstes sollte der Hund gründlich med. durchgescheckt werden (großes Blutbild mit Schilddrüsen werten usw.). Das mit der Hüfte usw muss immer wieder abgeklärt werden.


    Dann muss der Hund runtergefahren werden: kein Bällchenspiel, "Auslastung" oder ähnliches. Das braucht der Hund (jetzt) nicht, er hat Auslastung indem er einfach bei euch lebt und das alles verarbeiten muss.


    Der Hund braucht ca. 17 Stunden Ruhephasen (schlafen und dösen) am Tag. Hat er das bei euch?


    Üben würde ich jetzt gar nicht direkt, indem ich in Kaufhäuser usw gehe, sondern einfach im ganz normalen Alltag euch begleitet und hier wird alles gelobt und belohn, was er gut macht. Wenn ihm etwas zuviel wird, dann ist das auch schon zuviel. Immer in dem bereich bleiben, wo er noch ruhig sein kann.


    Ich habe das Gefühl, das eure Erwartungen an das Hier und Jetzt zu hoch sind. Der Hund wird irgendwann mal soweit sein, aber nicht, wenn man einen Monat ganz intensiv übt. Der Hund ist auch einfach nicht erzogen worden, hat keine Impulskontrolle gelernt usw. das wird nichts mit der Rüpelphase zu tun haben, der Hund kann halt (noch) nicht anders reagieren.


    Von Mirjam Cordt gibt es ein gutes Buch: Ich halte dich, Ein Wegweiser für ungehaltene Hunde.


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