Wo fängt Vermenschlichung an, bzw. Was ist Vermenschlichung?

  • Hmm, aber warum? Wenn ich zum Beispiel Loyalität nehme. Eine Eigenschaft die Hunden oft angedichtet wird. Das ist doch nichts Negatives. Es ist nur nicht unbedingt wahr. Wenn mir ein Tier gehört, hat es ja wenig eigene Wahl sich unloyal zu verhalten :lol: Hat aber auch absolut keine Auswirkungen auf das Leben des Tieres, ob ich es nun als Loyal vermenschliche.

    Ich glaub, wir reden um Haaresbreite aneinander vorbei.

    Nee. Loyalität an sich ist nichts negatives - negativ wird sie erst dann, wenn sie als Form über den Hund gepresst wird und er diese Erwartung nicht erfüllen kann, weil der Mensch zu menschlich denkt und sie in Momenten erwartet, wo Erziehung im Vorfeld besser gewesen wäre.

    Ahh, jetzt verstehe ich. Ja, das tun wir :lol: Da hast du Recht, in dem Moment wo Erwartungen ins spiel kommen, fällt mir auch nicht wirklich was Positives ein.

  • Ich glaube, dass, was in dem anderen Thread und auch von Herrn Rütter kritisiert wurde, ist gerade nicht Vermenschlichung, sondern der Verdacht einer Art von „Verdinglichung“ (jetzt mal etwas ab von der klassische Definition des Begriffs). Nämlich, dass der Hund nicht mehr als Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen behandelt wird, sondern als Gestaltungsobjekt bzw. Modeaccessoires. Um die eigene Persönlichkeit mittels des Hunds auszudrücken. Was eine Extremform einer narzisstischen Besetzung wäre und auch jeglicher Empathie mit dem Geschöpf im Weg steht.


    Diesen Verdacht nur anhand von bunter Farbe oder Glitzerzubehör am Hund zu äußern halte ich für ausgesprochen gewagt. Bei dem gewählten Beispiel (um @Rübennase mal so zu nennen, sorry :smile:) auch für völlig absurd, da braucht man doch nur Augen im Kopf.


    Ja, sowas kann ein Indiz sein. Ebenso wie die super-seltene Farbe, die exklusive Rasse (oder Mischung), die übertypisierten Merkmale und anderes mehr. Da mal kritisch hinzugucken ist sicher nicht verkehrt. Aber kritisch heißt auch selbstkritisch und an den eigenen Vorurteilen vorbei :smile:. Wenn man nämlich jemanden hinstellt und sagt „Gut, bei der/dem mag das ja auch irgendwie anders sein, aber das ist so ein Beispiel für die, die ...“, dann verdinglicht man auch. Aber dafür sind solche Sendungen auch gemacht, das darf man nicht vergessen.


    Ich würde meine Hunde übrigens nicht färben, mag kein rosa, keine auffälligen Frisuren, keine stilisierten Fotos mit niedlichen Accessoires wie Sonnenbrillen, Hüten, Halstüchern, zugefügten schönen Fotokulissen, Sprechblasen etc. Das ist einfach nicht mein Geschmack. Das macht mich aber nicht zu einem besseren Hundehalter. Direkt aus dem Leben mit Matsch und verwackelt und albern gefällt mir nur Längen besser. In pflegerischer Hinsicht bin ich mit Sicherheit eine nachlässigere Hundehalterin als @Rübennase.


    Zu einem guten Hundehalter macht mich (mMn), dass meine Tiere glücklich und im Rahmen ihrer Möglichkeit ausgeglichen sind (und ich bin echt stolz darauf, dass die Angsthundine und ich das so gut hinbekommen haben), gerne mit mir zusammenarbeiten und ihr Leben genießen. Und genau das kann man bei ihr auch sehr schön sehen, fand ich.


    Und jetzt gehe ich mich mal wieder mit dem ursprünglichen, freiheitsliebenden, hier völlig fehl am Platz seienden Straßenhund darum streiten, wer das Daunenkissen kriegt und wer das Tencel Kissen nehmen muss ;):lol:

  • Hmm, aber warum? Wenn ich zum Beispiel Loyalität nehme. Eine Eigenschaft die Hunden oft angedichtet wird. Das ist doch nichts Negatives. Es ist nur nicht unbedingt wahr. Wenn mir ein Tier gehört, hat es ja wenig eigene Wahl sich unloyal zu verhalten :lol: Hat aber auch absolut keine Auswirkungen auf das Leben des Tieres, ob ich es nun als Loyal vermenschliche.

    Also grundsätzlich trifft es McChris es genau, das Negative daran ist das Missverständnis. Das ist für mich negativ, ohne Ausnahme.

    Wie schlimm die Auswirkungen dieses Missverständnisses in jedem spezifischen Fall sind ist eine andere Frage. Phonhaus hat das ja ein paar schöne Beispiele aufgelistet.


    Zu deinem Beispiel: Jein. Diese Bindung oder Abhängigkeit zwischen Mensch und Hund ist von außen eigentlich kaum von der Liebe und Loyalität zu unterscheiden und kommt oftmals aufs Gleiche raus. Normalerweise sind die Auswirkungen also eher nicht so schlimm.

    Falsch ist es trotzdem und das Problem kommt da zum tragen wo ein egoistischer Mensch etwas sucht, was seine Bedürfnisse befriedigt ohne, dass er das Gefühl hat dies erwidern zu müssen. Nämlich etwas, was ihm nie wegläuft, dessen "Zuneigung" er sich immer sicher sein (=einreden) kann, egal wie er es behandelt.

    Und gerade momentan lese ich verdammt viele solcher Gesuche à la 'Ich bin allein und fühle mich einsam, meine Ex' (was ist da der richtige Plural?) sind mir alle fremd gegangen, ich habe keine Freunde, niemand mag mich, ich arbeite 60 Stunden pro Woche, plus 1 Stunde Fahrzeit und jetzt will ich einen Hund, weil die so loyal sind und der Hund mich niemals verlassen wird/kann. Er soll übrigens möglichst nicht haaren, fertig erzogen sein, keinen Auslauf brauchen, außer wenn ich Lust habe, auch sonst eigentlich keine Ansprüche und im Garten wohnen, weil ich ihn eigentlich überhaupt nicht im Haus will'

    Und da kommen wir zu dem Punkt warum sich mir mittlerweile sämtliche Federn im Nacken aufstellen, wenn jemand einen Hund will, weil die doch so loyal sind... (Nicht, dass ich grundsätzlich was gegen diese Begründung per se hätte, nur eben gepaart mit dem Egoismus und dem völligen Fehlen von jeglichem Verständnis für ein Lebewesen ist das eine ziemlich ungute Kombi).

  • Ich glaube, dass, was in dem anderen Thread und auch von Herrn Rütter kritisiert wurde, ist gerade nicht Vermenschlichung, sondern der Verdacht einer Art von „Verdinglichung“ (jetzt mal etwas ab von der klassische Definition des Begriffs).

    Ich fürchte das ist eher ein zusätzliches Problem...

  • Ja, das sind dann projezierte Erwartungen die ein Tier nicht erfüllen kann. Aber auch Menschen können solche Erwartungen oft nur mit Mühe erfüllen. Darunter leiden ja nicht nur Tiere. Sondern auch Kinder, Partner, Freunde,... Falsche/Übersteigerte Erwartungen an eine Beziehung (nicht im Sinn der partnerschaftlichen Beziehung, sondern allgemein Beziehungen zwischen Lebenwesen) ist einfach etwas sehr menschliches.

    Für das Tier ist aber zum Beispiel egal, ob der Mensch zum blauen Geschirr greift, weil er meint sein Rüde würde sich in pink schämen.

  • Nämlich, dass der Hund nicht mehr als Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen behandelt wird, sondern als Gestaltungsobjekt bzw. Modeaccessoires. Um die eigene Persönlichkeit mittels des Hunds auszudrücken.

    Was zu einem großen Prozentsatz zumindest zum Teil sehr, sehr viele Hundehalter da draußen exakt so tun.


    Der Hund muss groß sein, weil sonst das eigene Ego in Frage gestellt wird.

    Der Hund darf nur gewisse Farben tragen, weil sonst die eigene Männlichkeit in Frage gestellt wird.

    Der Hund muss exklusiv sein, etwas das nicht jeder hat.

    Oder andersrum, der Hund muss einer gewissen Rasse angehören damit der Mensch sich einer gewissen Gruppe/eines Idols zugehörig fühlt.

    Der Hund wird benutzt um auf andere herabzusehen, sich selbst aufzuwerten. ("Mein Hund kann aber xyz, also bin ich ein besserer Hundehalter!")


    Und im Endeffekt haben doch locker 90% der Leute die je beim Rütter im Fernsehen waren ihre Hunde unter solchen Gesichtspunkten ausgesucht.

    Weil Rasse XA in ist. Weil Rasse AB selten ist. Weil man "eine Herausforderung" für sich selbst suchte.

    Da hält der gute Mann ja stets die Klappe... Aber wehe ein Hund ist pink....

    Sagt meiner Meinung nach weitaus mehr über den Herrn Rütter aus als dem vermutlich lieb ist. Oberflächlicher, unreflektierter "Ich bin aber besser" Mensch halt.

  • Ja, das sind dann projezierte Erwartungen die ein Tier nicht erfüllen kann. Aber auch Menschen können solche Erwartungen oft nur mit Mühe erfüllen. Darunter leiden ja nicht nur Tiere. Sondern auch Kinder, Partner, Freunde,... Falsche/Übersteigerte Erwartungen an eine Beziehung (nicht im Sinn der partnerschaftlichen Beziehung, sondern allgemein Beziehungen zwischen Lebenwesen) ist einfach etwas sehr menschliches.

    Ich habe nur ein Beispiel gebracht, wo diese falsche Erwartung eben problematisch werden kann. Und das ist eben mMn mit allen Vermenschlichungen möglich. Sie sind nicht zwangsläufig immer katastrophal schlimm für den Hund, aber eben potentiell und damit immer ein Problem.

    Wenn man sich dessen nicht bewusst ist versteht sich. Scherze und Co sind was anderes.

    Für das Tier ist aber zum Beispiel egal, ob der Mensch zum blauen Geschirr greift, weil er meint sein Rüde würde sich in pink schämen.

    Das ist aber mMn keine Vermenschlichung, sondern Projektion. Auch ein Problem, eines das oftmals Hand in Hand geht, aber (zumindest nach meiner persönlichen Definition), keine Vermenschlichung. (Es ist ja keine generell menschliche Ansicht, sondern eine Ansicht einzelner Personen).

  • @san94 Das ist mMn genau der Punkt. Absolut jeder Mensch lebt erstmal in seinem eigenen Kopf und neigt von Haus aus dazu, erstmal glauben zu wollen, dass gerade das geliebte Geschöpf die eigenen Erlebenswelten teilt und zur Befriedigung der Wünsche des Anderen bereit ist. Empathie ist eine Arbeitsleistung. Die daraus entsteht, dass die eigenen Vorstellungen und die Handlungen des Anderen kollidieren. Das ist die Stelle, an der es dann spannend wird:


    Nehme ich überhaupt erstmal wahr, dass der Andere gerade was Anderes braucht, bin ich bereit, mich dem zu stellen und mir das Thema bewusst zu machen. Bin ich bereit, dafür von meinen Vorstellungen abzurücken (für viele bei „nur einem Tier“ schon schwierig) bzw. den Interessenskonflikt auszudiskutieren (beim Tier in Form von Erziehung und guter Zusammenarbeit). Nehme ich fürs Wohlbefinden des Anderen, gerade auch des Schutzbefohlenen, auch mal unangenehme Pflichten auf mich. Billige ich dem Anderen seine Andersheit zu. Und mir die meine. Ohne Groll. Das geht mir weiß Gott oft genug daneben und fällt auch oft nicht leicht :lol:


    Die Frage nach der „Geisteshaltung“ spricht ja letztlich den ersten Punkt an. Nehme ich, wenn ich meine Hunde nach meinen Wünschen schön gestalte, wahr, dass sie (auch) was Anderes brauchen als bunte Farbe, Glitzerbänder, schicke Bettchen ... Kann man fragen, klar. Zu unterstellen, dass es nicht so ist (gerade auch noch mit lebendem Gegenbeweis vor Augen), ist letztlich - siehe Absatz vorher - auch ein Mangel an Empathie.

  • Ich kenne keinen der so denkt :ka: oder zumindestens sagen sie mir das nicht.

  • Ja, das sind dann projezierte Erwartungen die ein Tier nicht erfüllen kann. Aber auch Menschen können solche Erwartungen oft nur mit Mühe erfüllen. Darunter leiden ja nicht nur Tiere. Sondern auch Kinder, Partner, Freunde,... Falsche/Übersteigerte Erwartungen an eine Beziehung (nicht im Sinn der partnerschaftlichen Beziehung, sondern allgemein Beziehungen zwischen Lebenwesen) ist einfach etwas sehr menschliches.

    Ich habe nur ein Beispiel gebracht, wo diese falsche Erwartung eben problematisch werden kann. Und das ist eben mMn mit allen Vermenschlichungen möglich. Sie sind nicht zwangsläufig immer katastrophal schlimm für den Hund, aber eben potentiell und damit immer ein Problem.

    Wenn man sich dessen nicht bewusst ist versteht sich. Scherze und Co sind was anderes.

    Für das Tier ist aber zum Beispiel egal, ob der Mensch zum blauen Geschirr greift, weil er meint sein Rüde würde sich in pink schämen.

    Das ist aber mMn keine Vermenschlichung, sondern Projektion. Auch ein Problem, eines das oftmals Hand in Hand geht, aber (zumindest nach meiner persönlichen Definition), keine Vermenschlichung. (Es ist ja keine generell menschliche Ansicht, sondern eine Ansicht einzelner Personen).

    Ich weiß nicht, ob Vermenschlichung potenziell schlimm ist. Aktuell geht der Trend ja immer mehr in Richtung Vermenschlichung. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass das für die Hunde reell so schlecht wäre wie dargestellt. Im Haus leben, im Bett schlafen, Kontaktliegen, Gassi gehen, Hundesport betreiben. Alles Dinge, die es vor 40 jahren so nicht gab im Durchschnitt und wovon vieles was heute normal ist mal "Vermenschlichung" genannt wurde. Tieren werden mittlerweile auch Gefühle und Emotionen zugesprochen - vor paar Jahrzehten war da noch konsens, dass das dem Menschen vorbehalten sei.

    Klar, durch Social Media wird man mit mehr Extremen konfrontiert. Aber die breite Hundemasse scheint ja eher profitiert zu haben in den letzten Jahrzehnten was die Haltung angeht. Ich bin gespannt was die Zukunft bringen wird. Ich kann es aufgrund der Vergangenheit nur einfach nicht so schwarz sehen und betiteln.

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