Also wenn eine Situation eine Handlung vorgibt (Zwang), ist das in deinen Augen Gewalt? Dann kannst du ja nur arbeiten, unter der Gewissheit ständig Gewalt auszuüben.
Man kann es auch einfach ausdrücken: Jede Maßnahme, die ein Meideverhalten auslöst (und da ist Zwang, oder das dem gern fehlinterpretierten Begriff "Aversion" oder "aversives Training" nahe kommende Verhalten immer im Spiel) ist Gewalt. Wenn man über Erziehung spricht, dann sollte man sich der Unterschiede völlig wertfrei bewußt sein und wissen, wann man Gewalt anwendet und wann nicht. Und nicht versuchen, es durch viel blabla schön zu reden.
Und Gewalt anzuwenden um einen Hund gefügig zu machen, erübrigt sich, wenn man MIT dem Hund, statt gegen ihn arbeitet. Ein ebenso oft falsch verstandener Begriff wie "Aversiv" ist da die Arbeit über positive Verstärkung... Ist nur ein wenig langwieriger, benötigt ein wenig Geduld und Einfühlungsvermögen, funktioniert dafür aber wesentlich nachhaltiger. Und sie erzeugt in der Regel keine Zeitbomben. Die Anwendung von "Gewalt" wird dabei auf ein absolutes Minimum reduziert und arbeitet (richtig ausgeführt) vollständig auf Zwang. Denn natürlich kann man auf situative, aversive Methoden nicht gänzlich verzichten. Allein schon zum Schutz des Hundes selbst. Ein Hund der auf die Straße laufen will oder sich in bestimmten Situationen so verhält, dass er sich und andere gefährdet, kann da oft nur mit "Gewalt" gehandhabt werden. Allerdings (und da ist man wieder bei der Grundhaltung des Halters zum Hund selbst und zur Gewalt), würde ein Mensch der Gewalt und Zwang als Mittel grundsätzlich ablehnt, dann an diesem Verhalten arbeiten um es in Zukunft gar nicht mehr dazu kommen zu lassen. Also gerade nicht so, wie im Video gezeigt, dass man den Hund mit Maulkorb in Meideverhalten zwingt und hofft, dass der Maulkorb hält und er nicht irgendwann richtig ausrastet (dann kann man ja immer noch draufprügeln), sondern so, dass sich das grundlegende Verhalten des Hundes NACHHALTIG ändert und man im besten Fall vollständig auf den Maulkorb verzichten kann. Hat auch ein bisschen was mit dem Anspruch an sich selbst zu tun.
Ich finde es im übrigen erschreckend, was da an scheinbarem Lernerfolg in das grottige Video interpretiert wird. Der Hund drückt mit seinem ganzen Verhalten, von Anfang an ausschließlich Unsicherheit aus. Seine Körpersprache ist (wenn man sich nicht nur auf seine Zähne konzentriert) absolut widersprüchlich. Im Grunde hat der Hund überhaupt keinen Plan, was er in verschiedenen Situationen machen soll. Er hat überhaupt kein Vertrauen zu irgendeiner Person in dem Video und fühlt sich in so ziemlich jeder Situation eindeutig stark bedrängt. Einigen hier scheint, es ja zu reichen, wenn man solchen Hunden einen Maulkorb aufzwingt und sie (als Halter) irgendwie mehr schlecht als recht in ein, in der Zuverlässigkeit sehr unsicheres Meideverhalten bringt.
Mir würde und darf das nicht reichen, weder bei der Wiedervermittlung von Hunden aus unserem TH (die nicht selten ähnlich versaut wurden, wie im Video gezeigt und die dann oft irgendwann bei uns landen), noch bei meinen eigenen Hunden, die immer einen TS Hintergrund haben.
@Rübennase
ZitatAlso ist gut gemeinte Gewalt nicht so schlimm? Oder gut gemeinter Zwang?
Für den der sie ausübt oder für den der sie erleidet?
Das kommt darauf an, welchen Anspruch man an sich selbst hat. Manchem reicht es, das die eingesetzten Mittel einen Erfolg zeigen, egal wie der auch ausfällt (wie z.B: Meideverhalten). Anderen reicht das eben nicht, weil sie sich das Zusammenleben mit ihrem Hunde oder ihren Hunden völlig anders vorstellen.
Gehört man zu Letzteren ist die Beantwortung Deiner Frage einfach: Gewalt ist IMMER schlimm. Nur läßt sie sich manchmal nicht vermeiden. Einen Hund der gerade dabei ist auf die Strasse zu rennen, ein Hund der aufgrund seiner Verhaltensmuster andere Hunde oder sogar Menschen angreift und sich und andere damit in Gefahr bringt, kann man ANFANGS oft nur durch gezielten temporären Einsatz von Gewalt (Festhalten, Anbrüllen, Maulkorb, etc.) davon abhalten und letztendlich schützen. Das Ziel sollte aber sein, die Ausübung solcher aversiver Handlungen vollständig unnötig zu machen und den Hund in eine Richtung zu bringen, in der solche Handlungen seinerseits nicht mehr stattfinden. Und zwar NACHHALTIG.
Wie gesagt: Es hängt von der Grundhaltung des HH ab. Allerdings sehe ich die Verantwortung eines HH hier um so größer, je größer und potentiell "gefährlicher" ein Hund ist. Ein agressiver Dackel, ein Bulli oder ein Labbie (bei letzterem ist es schon grenzwertig) lassen sich noch verhältnismäßig einfach im Zaum halten. Wird er größer und schwerer, wird es gefährlich. Habe ich dann noch mehrere solcher Hunde, wird es unverantwortlich, denn weder lassen sich solche Hunde, WENN sie ihr Meideverhalten durchbrechen (z.B: wenn sie sich gegenseitig hochschaukeln) noch zuverlässig halten, noch wirklich noch beeinflussen. Zwar scheint es tatsächlich eine Menge HH zu geben, denen es Spaß zu machen scheint, während ihrer Hunderunden unentwegt irgendwelche Kommandos zu rufen und ihre Hunde ständigt zu ermahnen (einfach mal bei schönem Wetter in ein bekanntes Hundeauslaufgebiet gehen und der "Stille" lauschen. Dann weiss man was ich meine) , mir persönlich wäre das schlicht zu blöd. Und es würde mir auch den Spaß an den Runden verderben. Denn die sollen ja eigentlich für ALLE (ent)spannend sein.