Wie 'zähme' ich einen mega-scheuen Straßenhund?

  • Ich stelle mir das ähnlich vor, wie das vertraut machen mit den "halbwilden" Dorfkatzen hier in D. Die sind es gewohnt, sich allein durchzuschlagen und haben wenig bis schlechten Kontakt zu Menschen, beobachten lieber aus der Ferne und haben im Zweifel lieber einen Freund weniger, als einen Feind zuviel. Sie werden vielleicht nicht erschlagen, vergiftet oder angezündet, aber weggejagt und dabei auch mit Dingen beworfen. Diese davon zu überzeugen, sich dem Menschen im Laufe der Zeit vertrauensvoll zu nähern, benötigt neben dem Lockmittel Futter in erster Linie Zeit. Ein wichtiges Mittel, um sich da allmählich anzunähern, sind Regelmäßigkeit, Abwarten können und berechenbar in seinen Verhaltensweisen zu sein und Zeit, Geduld und von diesen beiden unvorstellbare Mengen.


    Etwas einfach nicht zu kennen oder vor etwas Angst aus der Erfahrung heraus zu haben, sind nur marginale, aber dennoch Unterschiede. Eine lebensumstandsbedingte, anerworbene Scheu bietet m. M. n. etwas bessere Voraussetzungen, als unmittelbares Angstverhalten, da während der Angstzustände die neuropsychologischen Vorgänge im Organismus das Lernen aus der Situation heraus noch einmal stark beeinträchtigen, während scheues Verhalten als vorsichtiges Verhalten interpretiert werden kann, bei dem der "Lernende" sich auf den Abstand begibt, den er aushalten kann und so das Lernen aus der Situation heraus deutlich weniger blockiert ist. Kurz und knapp, wenn auch überspitzt: Scheu läßt das Denken weiterhin zu, Angst blockiert es. Auch glaube ich hier in diesem Fall nicht an die bösen Folgen eines Deprivationssyndroms, ein Straßenhund lebt ja nicht in einem reizarmen Umfeld ohne jegliche Möglichkeit der Lernerfahrungen. Die Straßenhunde haben ja ihre Lebens- und Lernerfahrungen gemacht, sie haben diverse Aussenreize kennengelernt, sie arrangieren sich mit der Umwelt auf ihre Art, um möglichst unbeschadet überleben zu können. Dennoch müssen auch "scheue" Hunde erst weitere Lernerfahrungen machen dürfen und neue Lernstrategien lernen dürfen, um sich auf Dauer lernflexibler zeigen zu können. Ich will jetzt aber keine Begriffs-Haarspalterei starten - schon allein deshalb, weil ich da fachlich gar nicht zu in der Lage bin. Ich habe aber leibhaftige vierbeinige Beispiele hier herumlaufen, die die Unterschiede zwischen der Scheu ungewohnten Situationen gegenüber, wirklicher Angst mit all ihren physischen Auswirkungen auf den Organismus und dem Fehlen jeglicher Lernerfahrungen recht deutlich zeigen, deshalb traue ich mich dann doch, hier mitzuschreiben.


    Hier ist ein Beispiel für (einen guten Teil) des Lebens der Straßenhunde in Rumänien:
    http://www.freundeskreis-bp.de…7a9f77c280d6047c18622384e


    Mit der gegebenen Rückzugsmöglichkeit braucht es Monate, um solche Hunde soweit zu bekommen, dass man sie per Lebendfalle zwecks Kastration und medizinischer Grundbehandlung einfangen kann. Danach nimmt die Scheu zunächst wieder zu, um dann aber wieder rasch in die Gewöhnung an die Futterstelle umzuschlagen, die bei diesen Hunden ein elementares Grundbedürfnis befriedigt.


    Ich persönlich finde, dass Du den bisherigen Weg mit der Hündin schon sehr gut gemeistert hast. Mit normalo-Hunden kommen einem die Wochen, die Ihr bisher hinter Euch habt, vermutlich schon sehr lang vor, aber für die Gegebenheiten, habt Ihr schon einen großen Schritt gemacht.
    Deine Hündin MUSS sich momentan mit Dir auseinandersetzen, einfach aufgrund der räumlichen Bedingungen - das ist nicht das Verkehrteste, wenn Du ihr genug Freiraum läßt, auch selbst über die Annäherung zu entscheiden. Jeder Schritt, der freiwillig erfolgt, ist tausendmal besser in Sachen Lernerfahrung, als etwas erzwungenes, das dann zwar ausgehalten wird, aber eben nicht auf Eigeninitiative beruht. Auch da gilt manchmal von Menschenseite aus, dass weniger mehr ist. Wenn der Hund sich von sich aus nähert, muss man das auch aushalten können, ohne gleich in Betriebsamkeit zu verfallen. Denn dann wird die nächste Annäherung von sich aus deutlich rascher stattfinden, als wenn bei der ersten erfolgten Annäherung gleich etwas nennenswertes passiert wäre.


    Die Hündin läßt sich von Dir streicheln und frißt Dir aus der Hand.
    Das ist schon enorm viel.


    Hab Geduld und mach in aller Ruhe weiter, am besten überlegt man sich im Vorfeld klitzekleine Minischritte, was man erreichen möchte und zerzutztelt diese Minischritte dann nochmal in 10 Portionen, dann hat man ungefähr das Tempo des Hundes erwischt. Wir Menschen verfallen da leider gern in zu große Lernschritte.


    Worüber ich evtl. noch nachdenken würde, ist, die Übungseinheiten umzugestalten. Die einzelnen Sequenzen würde ich kürzer halten, dafür die Häufigkeit erhöhen, wenn das machbar ist.
    Wenn man sich - als Beispiel - 2 mal täglich in den Zwinger begibt, gibts auch nur zweimal täglich die Erfahrung, dass da jetzt jemand kommt und dann etwas angenehmes passiert. Tut man das 10 mal täglich, erhöht sich die Frequenz von positiven Ereignissen (Futter, unaufdringliche Zuwendung bei einem hochsozialen Lebewesen) ganz von allein - damit erhöht sich auch die Zahl von angenehmen Lernerfahrungen und jedes Lebewesen auf diesem Planeten lechzt danach, soviele angenehme Lernerfahrungen zu machen, wie es nur möglich ist.
    Das ist aber nur eine Idee - ob für Euch sinnvoll oder überhaupt machbar, weiß ich nicht.


    Ich drück Dir die Daumen, dass Ihr ganz allmählich weiterkommt und bin gespannt auf weitere Berichte.


    LG, Chris

  • Hallo - wollte mal wieder Meldung machen. Aus dem Straßenhund Lotta ist mittlerweile ein liebes Mädchen geworden, welches (meistens) brav an der Leine geht, sogar bei Fuß kann und sich in unser 'Rudel' (2 Menschen + 2 Katzen) prima integriert hat. Sie hat auf dem Hundeplatz 'Freunde' gefunden mit denen sie gerne spielt und fühlt sich offensichtlich sehr wohl in ihrem neuen Leben. Sie ist zwar immer noch zurückhaltend und skeptisch, aber es ist kein Vergleich mehr zum Anfang.
    Leider kann ich sie nur selten mal ohne Leine laufen lassen, da sie (noch) nicht abrufbar ist, aber das finde ich auch nicht so schlimm. Lotta ist allerdings auch eine kleine Diva und hat einen starken Willen. Das macht sich häufig auf den täglichen Spaziergängen bemerkbar. Sie möchte gerne die Richtung angeben in die wir laufen. Ich richte mich natürlich NICHT nach ihr und gehe meinen eingeschlagenen Weg weiter. Frau Hund bleibt dann einfach stehen und ich muss sie regelrecht hinter mir herziehen - manchmal 10 oder 20 Meter bis sie aufgibt und dann beleidigt hinter mir her trottet.


    Wenn wir in fremdem Territorium unterwegs sind ist das kein Thema - da folgt sie sofort überall hin. Nur ihre 'Stammrunden' möchte sie selbst bestimmen und da kann sie halt extrem bockig sein.


    Habt ihr Tipps ? (Leckerlis ziehen bei ihr übrigens nicht...)

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