Agressiv, unsicher, schüchtern ... und ich bin am Ende

  • Liebe Mitglieder, verzeiht mir bitte die Emotionalität, aber ich weiß nicht weiter.
    Wir haben einen 14 Monate alten Deutschen Schäferhund, intakter Rüde. Er kommt aus einer Arbeitslinie, ist im Zwinger geboren und hat die ersten 5 Monate seines Lebens fern ab jeglicher Zivilisation verbracht. Als wir ihn geholt haben hat es sich gefühlt als ob wir einen Mogli adoptiert hätten. Er hatte Angst vor allem und jedem - Licht, Aufzug, eigener Schatten, Autos... Im Laufe der Zeit adoptierte er sich, aber nach wie vor bringt ihn eine neue Umgebung - unbekannter Bodenbelag oder ein Gebäude, dass er nicht kennt komplett aus der Fassung - er hängt die Ohre, kriecht fast auf dem Bauch und ist nicht zu beruhigen oder abzulenken. Weder Leckerlies noch Spielzeug hilft - er will nur ängstlich rumschnüffeln und reagiert auf nichts. Er versteckt sich nicht hinter mir, sieht mich nicht an, sucht meine Nähe nicht, sieht mich wohl nicht als seine Beschützerin.
    Auf der anderen Seite ist er extrem protektiv (oder so verstehe ich das) was meine Kinder angeht - keiner darf an sie ran. Als auf dem Spielplatz ein Kind mit meinen Spielen wollte hat er es fast gebissen - die Haar stellen sich hoch, er wedelt mit dem Schwanz aber als das Kind nah kommt versucht er zu beißen. Er dreht auch durch, wenn beim Spaziergang die Kinder weg laufen und er an der Leine bleiben muss - er fiept, zerrt und will den Kindern nachlaufen.
    Bei anderen Hunden ist es auch problematisch. Kleinere Hunde rennt er an und versucht zu beißen. Große Hunde rennt er an mit stehenden Haaren, wedelndem Schwanz und versucht denen die Schnauze direkt abzulecken. Für mich sieht es aus als eine Mischung aus Agression und Unterwerfung.


    Wir verbringen sehr viel Zeit mit ihm - trainieren und spazieren täglich 2-3 Stunden, mal in ruhigeren Gegenden, mal unter Menschen. Zu Hause will er meist alleine bleiben, kommt vielleicht kurz 2-3 mal um uns den Ball zu bringen und zu spielen. Ganz vor kurzem hat er angefangen, wenn ich mit den Kindern am Boden spiele, sich dazu zu legen. davor hat er es nicht gemacht, sondern eh aus nen anderen Ecke uns beobachtet.


    Liebe Leute, die Besonderheit unserer Situation ist dass wir keine Möglichkeit haben mit ihm in eine Hundeschule, zum Hundetrainer oder einem Therapeuten zu gehen. Wir sind mehr oder weniger auf uns allein gestellt. Ich wäre wahnsinnig dankbar für jegliche Anregungen oder Tips, was machen wir den falsch?! Gibt es vielleicht Hundetrainer, die Online/Skype oder änlich uns beraten könnten?
    Für uns ist es eine depressive Spirale - wir können den Hund nicht glücklich und entspannt machen, der Hund macht uns unglücklich und traurig und so weiter.


    Vielen vielen Dank!!!

  • Zitat

    er hängt die Ohre, kriecht fast auf dem Bauch und ist nicht zu beruhigen oder abzulenken. Weder Leckerlies noch Spielzeug hilft - er will nur ängstlich rumschnüffeln und reagiert auf nichts. Er versteckt sich nicht hinter mir, sieht mich nicht an, sucht meine Nähe nicht, sieht mich wohl nicht als seine Beschützerin.


    Ich finde er zeigt euch schon an, was ihm in der Situation hilft. Nämlich die Situation erstmal kennen lernen. Und wie macht ein Hund das von Natur aus? Mit Schnüffeln und beriechen. Warum ihn ablenken? Lasst ihn doch das Unbekannte kennen lernen. Lasst ihn schnüffeln, gebt ihm Zeit. Mein Rüde war am Anfang auch sehr unsicher. Meist bei Dingen wie Mülleimer am Straßenrand, komisch geschnittene Büsche in Vorgärten. Wenn er diese Dinge komplett in Ruhe für sich erschnüffeln durfte, waren sie anschließend kein Thema mehr.


    Ein wedelnder Schwanz drückt übrigens nur ein Erregungsstatus aus und sagt nichts über die Grundstimmung aus. Ein Hund der wedelt ist nicht unbedingt ein freundlicher Hund!

  • Ui, Deprivationsschänden und Schutztrieb - eine höchstexplosive Mischung :verzweifelt:


    Warum um alles in der Welt habt Ihr Euch diesen Hund geholt? Wusstet Ihr das nicht mit seiner Aufzucht?


    Wie schon gesagt, Euer Hund leidet unter Deprivationsschäden: https://www.dogforum.de/post10…onssch%C3%A4den#p10934967


    Stell Dir ein Kind vor, das die ersten 14 Jahre seines Lebens in völliger Isolation verbracht hat. Es kann nicht reden, es kennt keine sozialen Umgangsformen, es hat nie gelernt wie man "lernt", es hat vorallem und jedem Angst.
    Genauso verhält es sich mit Deinem Hund. Beim Vergleich mit dem Menschen ist es bei diesem Thema manchmal leichter sich hineinzuversetzen um sich klar zu machen, auf welcher Entwicklungsstufe der Hund steht und dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals völlig normal und unkompliziert sein wird. Ihr könnt aber lernen ihn zu händeln und ihm mehr Selbstvertrauen und auch Vertrauen in Euch geben.


    Ich empfehle hier aber keine Selbstexperimente.


    Aus welchem Grund könnt Ihr nicht zu einem Trainer oder Therapeuten bzw. diesen zu Euch kommen lassen? Ich fände das in Eurem Fall grade enorm wichtig.


    Wenn ich Deine PLZ sehe, dann ist das doch München? Da gibts doch auch Trainer wie Sand am Meer. Die kommen auch zu Dir nach Hause.


    Aber, nimm nicht einfach irgendjemanden. Du brauchst hier auf jeden Fall jemanden, der sich mit solchen Hund auskennt. Denn wie gesagt, es handelt sich hier auch um Lernschwächen und damit wird ein normaler Trainer aus einem Schäferhund-Verein vielleicht nicht umgehen können.


    Ansonsten: Hund vorsichtig an den Maulkorb gewöhnen und ohne darf er absolut nicht mehr aus dem Haus wenn er schon mal fast ein Kind gebissen hat!


  • Danke für die Antwort.
    Ich habe die Texte durchgelesen und bin zum Schluss gekommen, dass es auf unseren Hund nicht zutrifft - er ist extrem lernwillig, lern alles sehr schnell und kann auch sein Gelerntes in der Stressituation gut (nicht ausgezeichnet, aber gut) abrufen. Ich habe geschrieben "fern ab jeglicher Zivilisation" - keine Autos, keine Lichter, keine Geräusche, keine Spiegel. Aber im engen Kontakt mit Menschen und anderen Hunden.

  • Zitat


    Ich finde er zeigt euch schon an, was ihm in der Situation hilft. Nämlich die Situation erstmal kennen lernen. Und wie macht ein Hund das von Natur aus? Mit Schnüffeln und beriechen. Warum ihn ablenken? Lasst ihn doch das Unbekannte kennen lernen. Lasst ihn schnüffeln, gebt ihm Zeit. Mein Rüde war am Anfang auch sehr unsicher. Meist bei Dingen wie Mülleimer am Straßenrand, komisch geschnittene Büsche in Vorgärten. Wenn er diese Dinge komplett in Ruhe für sich erschnüffeln durfte, waren sie anschließend kein Thema mehr.


    Ein wedelnder Schwanz drückt übrigens nur ein Erregungsstatus aus und sagt nichts über die Grundstimmung aus. Ein Hund der wedelt ist nicht unbedingt ein freundlicher Hund!


    Danke. Vielleicht waren (sind) wir auch mit der Sozialisation zu langsam und vorsichtig umgegangen und könnten ihm mal mehr zumuten...
    Mit dem Rumschnüffeln - ich dachte in der Stressituation sollte man so reagieren als ob nicht wäre und seinen Weg vortsetzen? Ich lasse ihn sonst wenn er sich von Müllsäcken oder so erschreckt die in Ruhe beschnuppern, aber im Gebäude wollte ich ganz normal durchgehen. Wahrscheinlich mache ich es falsch :gott:

  • Es ist schön, wenn man nach Hilfe fragt und als Antwort gleich eine kategorische Diagnose aufgedruckt bekommt. Der Vorschlag den Hund einzuschläfern kommt dann wohl auch bald.

  • Zitat

    Es ist schön, wenn man nach Hilfe fragt und als Antwort gleich eine kategorische Diagnose aufgedruckt bekommt. Der Vorschlag den Hund einzuschläfern kommt dann wohl auch bald.



    Wie bist du denn drauf? So machst du dir hier keine Freunde. Also mal immer langsam mit den jungen Pferden. :rollsmile:


    Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum man sich einen Hund aus so einer Haltung nach München in die Stadt und zu kleinen Kindern holt. Das ist nicht gerade die ideale Ausgangssituation und macht es dem Tier auch unnötig schwer. Aber gut, jetzt ist es so wie es ist.
    Dass Janosch anhand deiner Schilderung auch an einen Deprivationsschaden gedacht hat, ist gar nicht so weit weggeholt. Sei froh, wenn es deinen Hund nicht betrifft und nimm es nicht persönlich.


    Was euer Hund braucht ist vor allem eins und zwar viel Zeit und Betreuung. Ihr müsst ihm mit viel Geduld die Welt Stück für Stück zeigen. Mit so einem Hund kannst du nicht mal eben schnell durchs Einkaufszentrum oder durch ein fremdes Gebäude marschieren. Entweder du hast in der Situation die Zeit auf den Hund einzugehen und ihn solange schnüffeln zu lassen, wie er es braucht oder du lässt ihn zu Hause/im Auto.
    Dieser Hund wird nie ein absolut umweltsicherer Hund werden. Die wichtige Prägung als Welpe wurde einfach versäumt und kann auch nicht nachgeholt werden. Aber man kann eine Besserung erreichen, wenn man viel Zeit und Arbeit investiert. Die Frage ist, kannst du das überhaupt mit kleinen Kindern und mitten in der Stadt leisten?
    Das ist kein Vorwurf, sondern nur ein Denkanstoß.
    Der Hund sollte auf jeden Fall mit einem Maulkorb gesichert werden, wenn ihr euch zwischen Menschen bewegt. Wenn er tatsächlich einmal zubeißt, ist der Spaß ganz schnell vorbei. Die Behörden verstehen da heutzutage keinen Spaß mehr. Ich wünsch euch auf jeden Fall alles Gute.


    Edit: Im Übrigen wäre hier ein Trainer, der vor Ort die Situation beurteilt, vor allem das Zusammenleben mit den Kindern, äußerst wichtig. Das kann ein Forum nicht leisten. Warum ist es euch nicht möglich einen Trainer hinzuzuziehen? Hier können bestimmt andere User aus München Empfehlungen aussprechen.

  • [*] Er versteckt sich nicht hinter mir, sieht mich nicht an, sucht meine Nähe nicht, sieht mich wohl nicht als seine Beschützerin. [*]


    Ich glaube, das ist der Knackpunkt. Schau doch mal, ob du dich nicht in alle für ihn fremde Situationen, vor ihn positionieren kannst. Dein Hund scheint sehr unsicher zu sein und du solltest ihm zeigen, dass du ihm Sicherheit gibst.


    Vielleicht hilft es, wenn sich dein Hund hinter dir aufstellen muss. Bei Begrüßung von anderen Menschen, auf dem Spielplatz bei anderen Kindern - Du solltest immer erst zwischen dem Neuen und dem Hund sein. Dann hat er aus einer sicheren Position heraus erst einmal die Möglichkeit die Situation neu einzuschätzen. Wenn du merkst dass er etwas lockerer wird, darf er mit dir dorthin gehen. Ich würde ihn aber nicht alleine fremde Situation kennenlernen lassen. Schau du dir alles zuerst an.


    Als wir unseren Hund bekamen, wollte er nicht an einer Kuhtränke, die auf einer Wiese stand, vorbeigehen. Ich habe unseren Hund hinter mich positioniert, bin langsam zu der Tränke gegangen und hab sie angefasst und begutachtet und dann durfte unser Hund sich das schreckliche Ungeheuer anschauen. Neugierde war der Angst gewichen.


    Er muss lernen deinen Einschätzungen zu vertrauen.


    Hast du auch keine Möglichkeit in einen Hundeschule zu gehen ?

  • Zitat

    Es ist schön, wenn man nach Hilfe fragt und als Antwort gleich eine kategorische Diagnose aufgedruckt bekommt. Der Vorschlag den Hund einzuschläfern kommt dann wohl auch bald.


    Worauf bezieht sich das denn? Auf meine Info, dass Dein Hund vermutlich unter Deprivationsschäden leidet?


    Ich hätte vielleicht in meine Antwort gleich ein "vermutlich" einbauen sollen. Sorry, dafür. Aber es wahr früh am Morgen ;)


    Wenn Du schreibst er ist im Zwinger geboren und hat die ersten 5 Monate "fernab jeglicher Zivilisation" verbracht, dann klingt das nunmal wie 5 Monate im Zwinger ohne etwas kennenzulernen und ohne Kontakt zu Menschen (denn genau das impliziert "fernab jeglicher Zivilisation").
    Auch sein Verhalten spricht nun durchaus dafür:
    Angst vor verschiedenen Bodenuntergründe, da nicht bekannt;
    in Angstsituationen in einem so hohen Erregungslevel, dass nicht ansprechbar;
    Angst vor dem eigenen Schatten (das klingt nun aber wirklich so als wäre er nie raus gekommen).


    Was erwartest Du vom Forum? Den Hinweis auf einen Knopf wie man das alles von jetzt auf gleich abstellt? Nun den gibt es nicht. Also muss man sich von allen Seiten dem Thema annähern.


    Und wieso bitte schön sollte grade hier in einem Hundeforum jemand raten den Hund einzuschläfern? Das ist eine ziemlich unverschämte Unterstellung Deinerseits. Vielleicht solltest Du Dir nochmal überlegen, ob Du Hilfe willst oder nicht. Wenn man in einer Problemsituation ist und Hilfe möchte, muss man sich ggf. auch mal mit unbequemen Sachen auseinander setzen. Wenn Du dazu nicht bereit bist und gleich pampig wirst, wird Dir hier keiner helfen können (und wollen).


    In meinen Augen widersprichst Du Dir auch ein wenig. Einerseits ist er in Stresssituationen (neue Untergründe, neue Gebäude) absolut nicht ansprechbar. Nun schreibst Du er kann selbst in Stresssituationen Gerlerntes gut abrufen. Was denn nun :???:


    Meine Frage ist nochmals, warum ist ein Trainer oder Therapeut nicht möglich?


  • Finde ich einen super Tipp :gut:
    Man soll natürlich kein theater machen, dass der Hund denkt "oh gott es muss wirklich gefährlich sein" - also nicht trösten oder so - aber ihm helfen, natürlich schon.


    Mein Hund hat garantiert keine Deprivationsschäden, und trotzdem schleicht er immer noch supervorsichtig die Wand entlang oder kriecht fast am Boden, wenn ich ihn mit in den Wäschekeller nehme. Ein bisschen ängstlich und unsicher darf ein ganz normaler Hund auch mal sein.


    Bevor du nicht gelernt hast, deinem Hund Schutz und Sicherheit zu geben würde ich aber eher nicht noch mehr "Sozialisierung" betreiben. Neues Kennenzulernen ist für den Hund nur gut, wenn es eine positive Erfahrung bleibt.


    Insgesamt finde ich das alles jetzt auch nicht soooo alamierend. In dem alter sind sie doch oft gleichzeitig Hasi und aufreisser... und dass sich der Schutztrieb jetzt zeigt, ist auch normal. Ihr solltet euch allerdings dringend zeigen lassen, wie man damit umgeht, und den Hund nicht ohne Maulkorb auf einen spielplatz mitnehmen!

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