Echte Wölfe und blöde Fragen

  • Ich antworte mal aus einem anderen Blickwinkel der Gebrauchshundhaltung. Meine Hunde sind meine Teampartner und sollen verlässlich arbeiten, weil es sonst für die Tiere und auch uns gefährlich werden kann. Ich liebe sie und kann mir den Luxus erlauben, sie mit im Haus zu halten, aber trotzdem muss bei Arbeit je nach Arbeit der Hund funktionieren, wirklich funktionieren. Damit meine ich weniger die Schafe und Gänse und so, denn die kann man zur Not mit Futtereimer und Treibhilfe eintreiben und die meisten latschen mir totenbrav nach, aber Rinder in gemischter Weidehaltung ohne tägliche Ansprache ... ne, Du, nicht ohne meinen Dackel ... äh Aussie und Labrahüti.

    Der Herdi muss anders integriert sein, also käme der bei uns nicht aufs Sofa. Er würde die Annehmlichkeiten einer Weidehaltung unter Schafen hoffentlich zu schätzen wissen und wir würden ihn entsprechend ausbilden, ihn seinen Bedürfnissen entsprechend füttern und ganz sicher auch die medizinische Versorgung ebenso vornehmen, wie bei den anderen Tieren. Im Grunde - wenn man schon einen wirtschaftlichen Gedanken aufmachen will - muss man die eher mehr versorgen, quasi als Investitionsschutz. Ich selbst hänge an meinen Tieren, den Nutztieren, wie den Arbeitshunden, wie den Haustieren und deren Bedürfnisse decken sich nicht immer mit meinen romantischen Vorstellungen wie z.B. den Hund auf dem Sofa zu haben oder im Bett. Das schätzen meine nicht alle gleich.

    Ich kann da was der Hund braucht vorn anstellen - dafür leiste ich mir den Egoismus, dass meine Hunde bitte auch tun sollen, wozu sie hier beschäftigt werden. Nun kommt allerdings der Haken. Einen Hüti nur hier zu haben, der nicht hütet - sei es drum. So lange er sich und die anderen Hunde sich glücklich fühlen, würde mich das nicht stören. Bei einem Herdenschutzhund wäre das für mich aber ein Auszugskriterium und das wäre evtl. für diesen Hund schlimmer.

  • Ich hab mal ein paar Fragen zu Herdenschutzhunden @Chris2406
    - Sind deine Herdis für dich wie deine Dogg(en), also behandelst du sie auch wie deine Haustiere?
    - Machst du Unterschiede was die Fürsorge der Herdis im Vergleich zu deinen Dogg(en) angeht?

    Wenn die Fragen zu privat sind musst du sie natürlich nicht beantworten...

    Mich interessiert nur der Emotionale Hunde als Sozialpartner des Menschen Aspekt...da Herdis ja hauptsächlich für die Arbeit gekauft werden und wahrscheinlich nicht aufs Sofa dürfen etc.

    So, jetzt aber.

    Die Haltung von Herdenschutzhunden im Einsatz ist eine völlig andere Art der Hundehaltung, als die von Familienhunden. Deshalb ist es da schwierig, ganz unmittelbare Vergleiche zu ziehen.

    Ich würde die Hunde in Sachen Umgang und Behandlung so ähnlich wie auch meine Pferde und Rinder einsortieren. Die Draussen-Tiere sind täglich langen Kontakt zu uns Menschen gewohnt, leben aber in erster Linie ihr Leben in ihrer Herde. Das schliesst enge emotionale Beziehungen von menschlicher und auch von tierischer Seite ja nicht aus - es ist nur einfach ein wenig an die Gegebenheiten angepasst. Die Draussen-Tiere freuen sich, wenn man kommt, sich mit ihnen beschäftigt, aber wenn man geht, ists auch ok. Sie sind nicht so unmittelbar abhängig von der menschlichen Anwesenheit als Sozialpartner, wenn, das ist natürlich Voraussetzung, das Drum-Rum stimmt, Futter, Wasser, Gesundheit, Sicherheit, Wetterschutz.

    Das sind Beziehungen zu Tieren (egal jetzt, ob HSH, oder Rinder oder Pferde oder früher meine Wollschweine) die anders sind, als die zu reinen Haustieren. Anders, aber nicht besser und nicht schlechter.

    Entsprechend anders sieht der tägliche Umgang natürlich auch aus. Auch das ist wieder unmittelbar abhängig von den Gegebenheiten - ein Herdenschutzhund ist 24/7 bei seiner Herde und möchte auch genau dort sein. Dafür lebt er. Da wäre eine Couch einfach fehl am Platze. Man kann einen Herdenschutzhund natürlich auch mal aus der Herde herausnehmen, wenn es sein muss, z. B. weil eine medizinische Behandlung nötig ist, die nicht vom TA vor Ort erledigt werden kann, oder weil der Hund aus gesundheitlichen Gründen geschont werden muss, wirklich glücklich ist er dabei aber mit Sicherheit nicht. Deshalb ist die Ideal-Besetzung auch nicht 2 HSH, wie es immer so gern gesagt wird, sondern 3, um auch für solche Fälle noch einen suffizienten Herdenschutz zu haben.

    Wenn Du uns besuchen kämest und wir gingen zusammen auf unsere Flächen hier, müsstest Du ersteinmal eine halbe Stunde lang Kangal-Bäuchlein streicheln. Vorausgesetzt, es geht nicht grad ein Spaziergänger mit Hund vorbei. Dann müssten die Jungs mal kurz los. Kämen dann, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, aber zurück und liessen sich weiter streicheln. Ihre Aufgabe geht diesen Hunden immer vor, das zeichnet sich jetzt schon bei meinen noch so jungen Hunden deutlich ab. Und für diese Aufgabe sind sie hier - aber das heisst nicht, dass sie nicht als Hunde geliebt werden. Man zeigt es nur anders, indem man sie sie selbst sein läßt, was nicht gleichzusetzen ist mit sich selbst überläßt. Man ist als Mensch auch für diese Hunde da - aber eben anders.

    @Nocte schreibt das ganz treffend - grad, weil diese Hunde eine so wichtige Aufgabe haben und alles dafür geben werden, ist die Fürsorgepflicht und die Verantwortung, ähnlich wie Nutztieren gegenüber auch, eigentlich sogar noch eine Größere als die gegenüber Tieren, die uns einfach nur Freude machen.

    LG, Chris

  • Danke @Chris2406 deine und die Schilderung von @Nocte erzeugen ein gutes Bild von der Haltung und Arbeitsweise dieser Hunde.
    Ihre Arbeit und Familieneinbindung gehört für diese Hunde zusammen.
    Ich würde das sehr gerne mal live erleben.
    Herdenschutzhunde sind bei der Wolfsabwehr natürlich auch ein ganz wichtiges Thema..die Hunde den Wölfen sozusagen 'als Fraß' vor zu werfen soll ja natürlich auch nicht der Zweck sein.

    Ich stell mir immer meinen Regenhassenden Hund draußen auf der Weide vor...der würde schnellstmöglich das Weite auf dem nächstbesten Schoss eines lieben Menschen suchen :D

    Faszinierend wie Herdenschutzhunde agieren.

  • Ich war bis jetzt auch immer der Meinung, dass HSH das Problem lösen würden.
    Ich dummerchen, ich... :( :

    Was würdet ihr als Lösung sehen? Ausser auf ganzjährige Innenhaltung um zu schwenken.

    Die Lösung kann nur eine "Mehr-Faktoren-Lösung" sein.
    Die Kombination aus Elektro-Zaun und Hunden ist theoretisch ein guter Anfang - allerdings muss dann auch der Zeitpunkt passen, an dem mit diesen Herdenschutzmaßnahmen begonnen wird. Der Herdenschutz muss stehen, bevor der erste Wolf seine Pitschepatschepaddel-Füßchen in eine Region setzt.

    Dann nämlich sind die ersten Erfahrungen dieses Wolfes mit den Nutztieren einer Region die, dass ein Übergriff auf Nutztiere mit mächtig AUA, mit mächtig Stress und mit genau gar keinem Erfolg verbunden ist.

    Dafür ist es hier in D natürlich in vielen Regionen schon zu spät. Die Wölfe haben gelernt, dass Nutztiere nur allzu oft allzu leichte Beute sind, was den künftigen Herdenschutz in solchen Regionen immer mehr erschwert. Da geb ich den Kernaussagen des französischen Videos absolut Recht: Wölfe lernen sehr schnell und wir machen es ihnen manchmal viel zu leicht.

    Die Schäferei Wümmeniederung, die ich kurz vorher verlinkt habe, ist ja in Sachen Herdenschutz eine Vorzeigeschäferei. Die Herden stehen im Wolfsgebiet. Die Schäfer haben damals, als es in NS allmählich losging, sehr rasch gehandelt und angefangen, HSH einzusetzen. Bisher gab es dort keine Risse.

    Wenn es in einer Region trotz adäquaten Herdenschutzes vermehrt Nutztierrisse gibt, muss dort m. M. n. auch ein Abschuss möglich sein. Die Wölfe müssen nämlich genauso lernen dürfen, dass alles seine Grenzen hat.
    Eine immer weiter fortschreitende Aufrüstung von Seiten der Tierhalter ist ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb müssen dann auch irgendwann mal Maßnahmen auf der "anderen Seite" stattfinden, wenn mit einem soliden Grundschutz aus Zaun und Hunden kein Herdenschutz mehr machbar ist.

    Hier ist ein Beispiel aus dem Wallis - wie es (fast) klappen kann:
    Schafe unbeschadet im Epizentrum des Wolfs gesömmert | 1815.ch
    Fast deshalb, weil dennoch 2 Lämmer den Wölfen zum Opfer gefallen sind.
    Da muss dann aber auch die Gesellschaft dahinter stehen und den enormen finanziellen Aufwand tragen, der dazu nötig ist.
    Und nicht nur das - die Gesellschaft muss dann bitte auch akzeptieren, dass ein gescheiter Herdenschutz auch mal Unbequemlichkeiten für Wanderer und andere Freizeitnutzer mit sich bringt. Aber nö, da wird dann gequäkt, dass man wegen des Herdenschutzes einen Umweg machen muss oder eine Tour nicht gehen kann.

    Schon allein die Akzeptanz von HSH in der Bevölkerung ist noch drastisch ausbaufähig. Die Hunde bellen nachts. Das ist ihr Job. Sie bellen zur Dämmerungszeit pauschal in alle Richtungen, um Beutegreifer da draussen auf ihre Anwesenheit hinzuweisen. Und sie bellen nachts immer dann, wenn sie etwas hören oder sehen, was nicht ins normale Bild passt. Das ist ein großer Teil dessen, was ihre Aufgabe ausmacht.

    Leider tauchen aber die Wölfis nicht nur an einsam gelegenen Gehöften auf, sondern auch in Dorflage. Um dort einen effektiven Herdenschutz mit HSH leisten zu können, muss die Bevölkerung auch ihren Beitrag leisten und die Tätigkeit der Hunde als unabdingbar akzeptieren. Das ist leider nicht -ich hoffe, nur noch nicht - der Fall. Die nicht-tierhaltende Bevölkerung muss offensichtlich erst selbst etwas von den Wölfis merken, um einzusehen, wie wichtig Herdenschutz ist. Das Bellen der Hunde (das hier bei uns mengenmäßig gar nicht schlimm ist, aber wegen der totenstillen Nächte natürlich auffällt) wird lediglich als störender Lärm empfunden, nicht als das was es ist: eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Herdenschutz funktionieren kann.

    Ich bin bereit und habe das ja auch schon "bewiesen", mich für den Herdenschutz einzusetzen. Aber meine persönliche Grenze liegt da, wo meine Tiere trotz guten Herdenschutzes Abstriche in Sachen tiergerechter Haltung machen müssten.

    LG, Chris

  • Da sind wir dann wieder bei meinem Problem.

    Es ist nicht nur die fehlende Akzeptanz und die ist hier sehr FEHLEND, es ist nicht nur der Wanderer, der nicht mitzieht, es sind auch die Behörden, die gern darauf hinweisen, dass jeder nur für seinen Bereich verantwortlich ist und den Tierhalter in den Mühlen dazwischen aufreiben.

    Ich kann euch gar nicht sagen, zu welchem hohen Grad der Begriff "untere Wasserschutzbehörde" mitlerweile bei mir Verärgerung auslöst.

    Man kann komplexe Probleme nicht in Häppchen teilen, die man so vergibt, dass nie einer mit dem anderen redet. So geht das nicht - greift Maßnahme A in das Gebiet von Fachbereich B ein, dann muss es da wenigstens A-B-Schemata geben und kein Schulterzucken.

  • Am Nachmittag des 06.10. wurde ja durch das Landratsamt mitgeteilt, das der Cunnewitzer Schäfer HSH erhalten soll. Die waren auch vor Ort. 1 Alt- und 1 Junghund. Unverrichteter Dinge ist der Züchter, von dem die Hunde abstammen mit den Tieren wieder abgereist. Nun erzählt man sich im Dörfchen, dass zwei Gründe die Ursache waren. Keine Hütte für die Hunde und der Züchter wollte seine Hunde nicht opfern

    Das ist natürlich nur unbestätigte Gerüchteküche - zeigt aber die Problematik ganz gut. Wenn man mit den HSH zu lange wartet, bis schon Rudel da sind, hat man noch ein weiteres Problem: Man braucht erwachsene Hunde mit viel Erfahrung, wenn man sie unmittelbar nach erfolgten Rissen einsetzen will.
    Wenns so ist, wie es da steht, finde ich es aber auch richtig, wenn eingesehen wird, dass dieses Hunde-Team mit dem Junghund momentan nicht das passende dort ist.

    LG, Chris

  • Chris, ich glaube nicht, dass alle HSH dieser Erde das Problem jemals zu hundert Prozent lösen könnten und das zu erwarten wäre auch sehr idealistisch und weltfremd, aber ich weiß sicher, dass es nicht annähernd genug einsetzbare Hunde in den nächsten Jahren in Deutschland geben wird, sieht man über die Grenzen hinweg, dann noch viel weniger. Es ist ein Luxus, den viele Haltungen nicht mitbringen sowohl relativ langfristig vor dem Zuzug des Wolfes HSH ausbilden zu können, sich diese in ausreichender Zahl (finanziell und zeitlich) leisten zu können und Bedingungen zu haben, die HSH überhaupt hergeben. Ich denke, dass es eine deutliche Risikominimierung sein kann, glaube aber ehrlich nicht, dass es auf Dauer zu Rissfreiheit führen wird. Wir haben jetzt bereits erhebliche Verluste im ganzen Land durch Wolfsrisse zu beklagen, aber wir haben noch nicht darüber gesprochen, dass wir noch nicht ansatzweise bei natürlichen Rudelstärken sind. Eins, zwei, vielleicht sogar drei oder vier und von mir aus auch 5 - 6 Wölfe, wenn Jungtiere dabei sind, können 2 HSH evtl. aufhalten, aber ein größeres Rudel oder eins, das aus mehr als zwei erfahrenen Alttieren besteht (und das haben wir ja noch gar nicht), wird Möglichkeiten finden, an den Hunden vorbei Rissschaden zu verursachen. Ich denke, dass so eine Gruppe auch ein kalkuliertes Risiko in Kauf nehmen wird und schnell lernt, wieviele Hunde welche Bereiche wie abdecken können. Ich möchte meinen McGyver und McGee nicht den Wölfen zum "Fraß" vorwerfen, aber ich würde auch nicht wollen, dass deine dafür bluten und schlimmstenfalls ihr Leben lassen müssten.

  • Es geht vor allem schneller als die meisten Wolfsromantiker gehofft haben.

    Noch vor nem Jahr wurden wir Skeptiker hier als Schwarzseher verlacht, die paar Wölfe, die sind ja alle scheu und überhaupt gibts doch genug Rehe und so.
    Tja...
    Und wir sind vermutlich noch nichtmal bei der Halbzeit, ehe wirklich Bewegung in die Hirne der Verwantwortlichen und Befürworter kommt wirds noch dauern.
    Wieviele Nutztiere in der Zeit getötet werden will ich nicht mal schätzen.

    Und die Wölfe lernen weiter, werden mehr und mehr...

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!