Echte Wölfe und blöde Fragen

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    Und wenn die frei sind drängt der nächste nach.

    Zitat

    Ganz genau - das wäre auch das, was ich dabei als Idealziel im Augen hätte: die Territorien möglichst für den Nachwuchs der scheueren Tiere freizuhalten - also die, bei denen zumindest eine Chance besteht, dass sie Herdenschutz von Anfang an respektieren und das auch ihrem Nachwuchs weitergeben.

    Was wir stattdessen gerade tun, ist absurd: die spezialisierten Weidetierfresser bekommen für sich und ihren Nachwuchs alle Wettbewerbsvorteile zugeschustert und werden ihr Wissen entsprechend weitergeben - bei der Reproduktionsrate von Wölfen also bald landesweit.

    Und damit wären wir wieder bei der Frage aller Fragen: Auf scheue, Menschen möglichst meidende große Wildtiere "züchten" wir hier seit Jahrtausenden durch Bejagung, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, aber generell tun wir das. Warum soll davon diese eine, einzige Art ausgenommen werden? Was hat die allen anderen voraus?

  • Das "Rotkäppchen - Paradox" nenne ich es für mich. Die frühere Dämonisierung des Wolfes kippt in ein Heilsversprechen. Wolf gut, alles gut. Es geht um das diffuse Gefühl, etwas wiedergutmachen zu müssen. Der Wolf eignet sich dazu besonders, weil er eben ein Tier der Märchen ist, im Gegensatz z.B. zur Plumpschrecke oder anderen unauffälligen Arten.

  • Der Wolf eignet sich dazu besonders, weil er eben ein Tier der Märchen ist, im Gegensatz z.B. zur Plumpschrecke oder anderen unauffälligen Arten

    Der Wolf ist halt eine Flaggschiffart, das heißt besonders bekannt, besonders attraktiv oder auch Sympathieträger. Du kannst halt mit Tieren die unscheinbar und unbekannt sind keine überzeugende Werbung für Maßnahmen die Natur- und Artenschutz betreffen machen. Eine Flaggschiffart steht allerdings stellvertretend für alle Arten, Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen die vom Schutz derer profitieren. Der Wolf hat aber noch eine viel wichtigere Rolle neben der Rolle als Werbeträger, nämlich als Schlüsselart und hier wird es interessant. Wölfe haben nämlich durchaus wichtige Funktionen in einem stabilen Ökosystem. Das wird gerne mal vergessen, wenn man solche steilen Thesen aufstellt, dass es darum gehen würde "irgendwas wieder gut zu machen". Es geht nicht darum Dinge wieder gut zu machen, sondern natürliche Netze und Ökosysteme halbwegs wieder herzustellen bevor der Mensch kam und sich wie selbstverständlich alles zu eigen gemacht und zerstört hat.

    Und ja, das muss auch in einer völlig umverformten Kulturlandschaft möglich sein.

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    bevor der Mensch kam und sich wie selbstverständlich alles zu eigen gemacht und zerstört hat.

    Wann soll das sein?

    Das ist eine echt spannende und auch ernst gemeinte Frage: Der Mensch kam vor Jahrzehntausenden und betreibt seit gut 8000 Jahren Landwirtschaft. Mit der er übrigens nicht nur "zerstört", sondern auch artenreiche, aber von Bewirtschaftung abhängige Lebensräume wie Blumenwiesen geschaffen hat.

    Das wären zum Beispiel die Lebensräume, die ich gerne erhalten würde, aber nehmen wir mal an, wir versuchen, die Uhr zurückzudrehen. Wohin sollen wir zurückgehen - und wie soll das praktisch funktionieren? Erstmal Infrastruktur, Städte und Lebensmittelversorgung für Ballungsräume weg - oder solche Träume doch lieber nur denen auflasten, die noch halbwegs in und mit ihrem Umfeld leben, damit alle anderen beruhigt so weitermachen können?

  • Der Wolf eignet sich dazu besonders, weil er eben ein Tier der Märchen ist, im Gegensatz z.B. zur Plumpschrecke oder anderen unauffälligen Arten

    Und ja, das muss auch in einer völlig umverformten Kulturlandschaft möglich sein.

    Und das ist eben die Illussion, an die sich geklammert wird. Dass ein Land mit 83 Mio Einwohnern und 233 Einwohnern/km2 ( die sich auch aus diesem Gebiet ernähren sollten, einschliesslich anderer Ressourcen) wie durch ein Wunder zu vermeintlich paradiesischen vorindustriellen Zeiten zurückkehren kann. Wo Wolf,Bär und Wisent unendliche Urwälder durchstreifen. Dazu scheint es nur viel Steuergeld, Moral und Ideologie zu brauchen.

    Tja, ich arbeite an der Basis und kann Dir sagen, das wird nix. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Hin und wieder feiern wir einen kleinen Erfolg, gegen riesige Widerstände. Wir renaturieren Bäche für die Westgroppe, schaffen Korridore für die Wildkatze oder mähen Wiesen für den Ameisenbläuling. Und gleichzeit vernichten Pumpspeicherwerke Auerhuhnbestände, schreddern Windkraftanlagen Fledermäuse und Adler, soll die Oder für die Schifffahrt ausgebaggert werden und ihre Auen verlieren.

    83 Mio lassen sich nicht "wegschützen". Die Landschaft wird ausgequetscht bis zum Anschlag, um 83 Mio Bedürfnisse zu erfüllen. Und wenn nun einer "Flaggschiffart" noch der Vorzug für einen feel-good-moment eingeräumt wird, passt das GENAU wieder ins Bild des Ausnutzens der Ressourcen, egal, was die Kollateralschäden sind.

  • Oder nimm als Beispiel dafür, dass das leider alles nicht so einfach ist, den Naturpark Lüneburger Heide, in dessen Nähe ich wohne. Der ist, ganz zweifellos, ursprünglich das Resultat einer großen menschlichen Umweltsünde. Die hatte aber im Laufe der Jahrhunderte eine einzigartige Landschaft mit faszinierend angepassten tierischen und pflanzlichen Bewohnern zur Folge, die aber ständig und möglichst von Weidetieren gepflegt werden muß. Eine begrenzte Zahl scheuer Wölfe trägt das Gebiet, in dem es ja auch große Wälder gibt, ganz prima - aber zu viele, zu dreiste würden das Gleichgewicht kippen.

    "Zurück" zur Natur für die Wölfe" hieße hier dann Kiefernwald und das Aus für komplexe Biotope, die sich über Jahrhunderte in Kombination mit menschlicher Bewirtschaftung entwickelt haben und zum Teil europaweit einmalig sind.

  • Ganz genau - das wäre auch das, was ich dabei als Idealziel im Augen hätte: die Territorien möglichst für den Nachwuchs der scheueren Tiere freizuhalten -

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    Und damit wären wir wieder bei der Frage aller Fragen: Auf scheue, Menschen möglichst meidende große Wildtiere "züchten" wir hier seit Jahrtausenden durch Bejagung, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, aber generell tun wir das. Warum soll davon diese eine, einzige Art ausgenommen werden? Was hat die allen anderen voraus?

    Und das funktioniert?

    Man kann sich scheue Rudel züchten?

  • Das wird weltweit seit Jahrhunderten so praktiziert. Das immer gepriesene harmonische Zusammenleben von Weidetierhaltern und Wölfen in anderen Ländern basiert immer auf der Tatsache, dass Übergriffe nicht geduldet werden und auffällige Tiere keinen langfristigen Reproduktionserfolg haben.

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