Echte Wölfe und blöde Fragen

  • Wir sind hier nicht irgendwo in den Bergen, wo alle Jubeljahre mal ein Touri langwandert, sondern in einem beengten, bewohnten Lebensraum.

    Und trotzdem gibts hier Wölfe.


    Und wo Wölfe sind, muss auch Herdenschutz sein.


    Was ich nicht nachvollziehen kann - wieso wird die Scheuheit der Wölfe, trotz der bekannten Ausnahmen, als gegeben akzeptiert, die Zauntreue und mangelnde Mordlust der HSH aber nicht, obwohl man diese eher vor Augen hat und selbst feststellen kann?


    Ich frage, weil mir das vllt. weiterhelfen könnte, die Probleme der Bevölkerung mit HSH besser zu verstehen, nicht, um Dich damit zu ärgern.


    LG, Chris

  • ...Was ich nicht nachvollziehen kann - wieso wird die Scheuheit der Wölfe, trotz der bekannten Ausnahmen, als gegeben akzeptiert, die Zauntreue und mangelnde Mordlust der HSH aber nicht, obwohl man diese eher vor Augen hat und selbst feststellen kann?...

    Ich vermute mal, eben weil man den HSH vor Augen hat und dessen Verhalten bewust wahrnimmt. Der Wolf bleibt eher unter dem Radar, wann erlebt man den als 0815-Gassi-Gänger schon mal wirklich live?

  • Ich vermute mal, eben weil man den HSH vor Augen hat und dessen Verhalten bewust wahrnimmt.

    Ja, das meinte ich - man SIEHT, dass der HSH hinterm Zaun bleibt, egal, was das Kopfkino einem erzählt.


    Aber vermutlich ists so, dass die Wahrnehmung des agierenden HSH die Wahrnehmung des "aber schau - egal, was ist, der bleibt hinterm Zaun" schlicht überlagert.


    LG, Chris

  • Was ich nicht nachvollziehen kann - wieso wird die Scheuheit der Wölfe, trotz der bekannten Ausnahmen, als gegeben akzeptiert, die Zauntreue und mangelnde Mordlust der HSH aber nicht, obwohl man diese eher vor Augen hat und selbst feststellen kann?


    Ich frage, weil mir das vllt. weiterhelfen könnte, die Probleme der Bevölkerung mit HSH besser zu verstehen, nicht, um Dich damit zu ärgern.

    1. HSH bzw Hunde wachsen mit Menschen auf und haben entsprechend keine "natürliche" Scheu. Die Hemmschwelle, die Distanz zu unterschreiten, ist im Zweifelsfall entsprechend niedriger.
    2. Hat die allgemeine Bevölkerung eher Erfahrung mit Hunden. Sei es entweder nur durch die Vorfälle in den Medien und durch direkte Selbsterfahrung von unangeleinten Tut-nix-en usw. und das Wissen, dass viele negative Verhaltensweisen des Hundes durch das Fehlverhalten des Hundehalters ausgelöst werden. Viele Beissvorfälle passieren auch aufgrund von territorialem Verhalten.
    3. Die HSH sind ohne menschliche Aufsicht. Das heißt, da vermittelt niemand, dass er den Hund ggf. im Griff hat oder zurückruft. Vermittelt auch nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit.

  • Ja, das meinte ich - man SIEHT, dass der HSH hinterm Zaun bleibt, egal, was das Kopfkino einem erzählt.
    Aber vermutlich ists so, dass die Wahrnehmung des agierenden HSH die Wahrnehmung des "aber schau - egal, was ist, der bleibt hinterm Zaun" schlicht überlagert.


    LG, Chris

    Genau, wenn man Angst hat merkt man nicht das der, egal was ist, hinterm Zaun bleibt. Sondern nur: der Zaun ist nicht hoch, ... nur ein Draht, ... hat Löcher. ect.

  • Ich glaube, das hat auch einen Teil damit zu tun, dass man diese Hunde nicht gewöhnt ist.
    Wenn ich irgendwo unterwegs bin, laufe an einem Tor, Zaun oder einer Einfahrt vorbei und ein Hund auf der anderen Seite knurrt und bellt, dann ist mir ganz mulmig und ich hoffe, dass kein Loch im Tor oder Zaun ist, durch den der Hund mich im Zweifel angreift.
    Gehe ich jetzt irgendwo auf einer Wiese spazieren und da ist ein Zaun und auf der anderen Seite ein bellender Hund, habe ich das gleiche mulmige Gefühl. Ich finde das ganz normal. Ich kenne nicht alle Hunderassen, ich weiß nicht, warum wieso weshalb da ein Hund knurrt und bellt und woher soll ich wissen, dass der auf seiner Zaunseite bleibt?
    Das ist für mich so die Sichtweise des normalen Bürgers.


    Die Hunde unseres Nachbarn sind auch immer im Garten geblieben, egal welcher Reiz. Es wurde gebellt und geknurrt, aber die Hunde wollten alle nur vom Grundstück fern halten. Der Zaun war knapp 80cm hoch.
    Eines Tages lief ich mit Benni da wie immer vorbei und da sprang einer der beiden über den Zaun und stürzte sich auf Benni. Passiert ist außer viel Sabber nix, mein Mann und ich konnten schnell dazwischen gehen. Die beiden Hunde waren übrigens Bearded Collies.


    Ich als Hundehalter kenne auch nur wenig Hunderassen, wie soll ich also einen HSH erkennen oder wissen, dass dieser nur vertreiben will? Dieses Wissen ist noch lange nicht in der Bevölkerung angekommen, nicht einmal bei den meisten Hundebesitzern. Das wird dauern.

  • Hallo, für mich ist das eine hochinteressante Diskussion. Bei uns gibts noch keine Wölfe, aber sie sind auf dem Vormarsch. Tierschützer und Naturfreunde freuen sich und wollen alles Mögliche fördern. Aber einen Plan, was denn ist, wenn sie da sind, sehe ich nicht.


    Wir leben im Rhein-Main Gebiet auch dicht besiedelt. Hessen ist ja auch nicht so das Agrarland. Aber rund um unser Dörfchen gibts schon noch Bauerei. Mittlerweile größtenteils nebenberuflich, da das Einkommen sonst nicht reicht. Aber ich finde es wichtig, denn so kann ich noch ein Stück weit regional einkaufen.


    Und nebenan sind Rhön und Odenwald. Da kommt größtenteils das Biofleisch her, das ich kaufe. Da ist noch recht viel Agrarwirtschaft, im Biosphärenreservat Rhön extensiv. Und es sind Touriregionen.


    Und auch ich stelle mir die Frage: Welche Alternative zu Herdenschutzhunden gibt es, wenn die Wölfe da sind? Ich selbst esse nur selten Fleisch - aber Mann und Hunde wollen nicht drauf verzichten. Aber Fleisch aus Massentierhaltung kommt mir nicht in den Kochtopf.


    Alles felsenfest und Blickrichtung einbruchssicher verrammeln und verriegeln? Auch nicht schön - da würde der Tourismus auch ganz schnell ausbleiben und noch weiter in die Landschaft eingegriffen.


    Nur Fleischimporte? Also keine Gefahr durch Herdenschützer, dafür die Naturzerstörung pushen und als Region quasi auf ewig von funktionierender Infrastruktur abhängig sein?


    Oder dann doch den Wolf (oder Luchs, oder Bär) gnadenlos wieder ausrotten?


    Oder kleine Betriebe, die sich keine rund-um-die-Uhr-durch-Menschen-Bewachung leisten können einfach eingehen lassen? Bzw. das ohnehin schon ziemlich seltsame Subventionssystem weiter ausbauen?


    @Blessvoss Erstmal nochmal danke für Deine Erklärung, jetzt ist es mir klarer. Ich kann Dich da wirklich gut verstehen. Doch ich denke: Wenn wir wieder vielfältigere Natur wollen, dann müssen wir uns klar werden, dass damit auch wieder andere Risikoquellen kommen. Und da wären die Herdenschützer aus meiner Sicht das Kleinste.


    Übrigens: Herdenschutzhunden im Einsatz sehe ich bei unseren Wanderschäfern gelegentlich. Und zwar zum Schutz vor „Tutnixen“, die mal fröhlich die ganze Herde aufmischen. Das erste mal habe ich auch geschluckt und mich gefragt, ob ich mit meinen 2 den Weg an der Herde vorbei nehmen soll. War aber kein Problem. Wir würden zwar sorgfältig beobachtet, aber nichtmal verbellt. Das war bisher immer so.

  • Danke, das hilft mir sehr.

    Die Hemmschwelle, die Distanz zu unterschreiten, ist im Zweifelsfall entsprechend niedriger.

    Denkt man möglicherweise - ist aber nicht so. Wie kann man das den Leuten klar machen?
    Wir haben als Tierhalter die Wahl zwischen semi-deprivierten Hunden, die tatsächlich auch eine Art "Scheue" vor dem Menschen haben, weil sie nicht gut auf ihn sozialisiert sind. Das sind in der Praxis dann die Hunde, die sich bellend zur Herde zurückziehen und dann aber, wenn sie durch Deppen, die in das Gelände eindringen, in Schwulitäten gebracht werden, wesentlich eher und zwar dann aus Unsicherheit in angstaggressives Verhalten fallen könnten. KÖNNTEN! Nicht verwechseln damit, dass sie es tatsächlich tun. Aber ein Mensch, der da eindringt und nicht energisch von den Hunden zur Rede gestellt wird, wird weitere Fehler machen - z. B. ein Schaf klauen wollen. DAS wäre dann ein Angriff und dann?
    Ich stelle mir grad die Besoffenen am Zaun hier vor, was die wohl gemacht hätten, wenn die Mc`s sich, statt sie vehement zu verbellen, als sie Hände und Nasen durch den Zaun gesteckt hatten, um die Rinder und Hunde auf den Kopf küssen zu wollen ( :headbash: ), vom Zaun zurückgezogen hätten - dann wären die wohlmöglich in die Ausläufe eingedrungen und ich hätte wirklich die Kacke am Dampfen gehabt, denn wenn meine Rinder was so richtig scheisse finden, dann sind das Besoffene.


    Und wir haben als Tierhalter die Wahl, Hunden wie die Mc`s einzusetzen, die sich in tausend Jahren nicht scheu zur Herde zurückziehen und jeden Deppen unverbellt ins Gehege steigen lassen würden. MIR ist diese Variante, grad WEIL ich die Deppen in einem Touri-Gebiet gut kenne, die liebere, die Hunde verhalten sich bei Menschen, die einfach aussen lang gehen neutral und fangen erst das Agieren an, wenn jemand Anstalten macht, unmittelbar frontal an den Zaun zu kommen. Die versuchen energisch erst gar keinen rein zu lassen - und somit kommt es nicht zu dem Konflikt, was evtl. passieren kann, wenn zu scheue Hunde dazu führen, dass jemand Zweibeiniges tatsächlich die Herde ernsthaft belästigt. Auch als Rinderhalter ist mir diese Variante um Klassen lieber. Rinder sind nicht scheu - es sind selbstbewusste Tiere, wenn da jemand eindringt in ihren Lebensraum, ist es durchaus normal, dass sie neugierig-bollerig auf den zukommen. Dann ginge aber bei den Leuten das Gefuchtel los, wenn die behörnten Tiere immer näher kommen. Und dann?
    Auf die berühmte Frage, "was wenn ein 2-jähriges Kind da rein krabbelt", antworte ich mittlerweile: "Dann bin ich froh, dass die Hunde da sind, denn die halten die Rinder von den Kind fern." Denn auch DAS ist Herdenschutz mit Hunden - dass die Hunde die Herde von "merkwürdigen" Situationen wegdrücken. Witzigerweise hat mich niemals jemand gefragt, was passieren würde, wenn ein 2-jähriges Kind allein zu den Rindern ohne Hunde reinkrabbelt. Das wäre für das Kind weit gefährlicher gewesen. Mit kleinen heulenden Menschen (Heulen, weil ja immer noch der funktionierende E-Zaun überwunden werden müsste) können die nicht so viel anfangen. Aber das hat nie jemanden beunruhigt. Das finde ich seltsam.


    Für Menschen ohne Hunde-Wissen mag die erste Variante die sein, die sie leichter akzeptieren können - die bessere ist aber Variante 2, weil sie weder Hunde noch Menschen in Schwulitäten bringt. Wie macht man den Menschen das klar?

    Viele Beissvorfälle passieren auch aufgrund von territorialem Verhalten.

    Das Schutzverhalten von Herdenschutzhunden ist aber nicht allein und vor allen Dingen nicht an vorderster Front territorial geprägt. Das Schutzverhalten entsteht durch die Bindung an die Herde. Stellst Du die Hunde ohne Herde irgendwo hin, ist da nix, was sie beschützen müssen. Deshalb taugen sie auch nicht als Objektschützer.
    Und deshalb kann man die auch problemlos mit zu Veranstaltungen nehmen - ohne Herde sind das absolut entspannte Hunde, weil grad ausser Dienst.


    Das heißt, da vermittelt niemand, dass er den Hund ggf. im Griff hat oder zurückruft. Vermittelt auch nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit.

    Wenn Du schon Tut-Nixe erwähnst - da vermittelt das ja auch niemand. |) :lol:


    Nee ernsthaft jetzt - ja, das ist tatsächlich etwas, was ich gut nachvollziehen kann, dass es ein merkwürdiges Gefühl ist, wenn da keiner bei ist.
    Nur, wie kann man den Menschen vermitteln, dass das deshalb kein Problem ist, weil die Arbeitsweise von HSH das auch nicht nötig macht.


    Was wirklich schwierig ist, ist, dass man quasi auf Gedanken-Gänge im Kopf eingehen muss, die oft nur partiell überhaupt etwas mit der Arbeit von HSH zu tun haben. Das ist ein enorm schwieriges Unterfangen.


    LG, Chris

  • Ich glaube, das hat auch einen Teil damit zu tun, dass man diese Hunde nicht gewöhnt ist.

    Ja, absolut - das kann ich auch wirklich nachvollziehen.


    Nur - wie gewöhnt man die Bevölkerung an die HSH und wie vermittelt man der Bevölkerung, dass sie sich abgesehen von kleinen Einschränkungen unmittelbar am Weidezaun, eigentlich ganz normal und entspannt weiter da draussen bewegen kann?


    Ich hab jetzt hier - der Zwischenfall in B-W hat uns ja auf unter Null zurückgeworfen - 2 Jahre gebraucht, damit bis auf 2, 3 Leute, das Dorf die Arbeit der Hunde akzeptiert. Die 2, 3 sind wohl so die übliche Quote, die man einkalkulieren muss.
    Aber ich habe es ja auch mit ständig neuen, die Hunde nicht gewöhnten Touris zu tun. Und das ist da Anstrengende, Zermürbende - man wird in Sachen Aufklärung einfach nie fertig und hat es immer wieder mit Irgendwem zu tun, der Angst wegen der Hunde hat.


    LG, Chris

  • Ich bin irgendwie anders gestrickt.


    Wenn ein Tierhalter HSH ohne Mensch bei seinen Tieren lässt, gehe ich davon aus. dass er ihnen genug Vertrauen entgegen bringt. Vertrauen, dass die bei den Tieren bleiben und nicht die Herde im Stich lassen und/oder für weitere Schwierigkeiten (verletzte Menschen und Hunde) sorgen.
    Meine einzige Aufgabe ist also, meine Hunde bei mir zu behalten und keine Kühe zu knutschen.


    Ja, natürlich kann es schwarze Schafe bei den Tierhaltern geben. Es kann auch einen HSH geben, der sich irgendwann/irgendwo mal daneben benimmt. Das könnte auch mich treffen. Aber das kalkuliere ich eher als Restrisiko ein. Etwas, was man auch immer im Hinterkopf hat, wenn man sich auf die Straße begibt.


    Ich hab natürlich Verständnis für jegliche Ängste, so ist das nicht gemeint. Ich hab ja selbst diverse, die nicht mal ansatzweise rational sind.
    Aber in diesem Fall gehe ich eben davon aus, dass sich der gebeutelte Tierhalter nicht noch weitere Probleme aufladen will. Die schaffen sich die HSH ja nicht an, weil sie das schon immer mal wollten oder weil sie plötzlich keine Lust mehr auf nervige Touris haben.

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