"Held" - Anne Michaels
"We know life is finite. Why should we believe death lasts forever?"
Ich habe "Held" bestellt, weil es für den Booker Prize 2024 nominiert wurde und mich das neugierig auf das Werk machte. "Fugitive Pieces", Michaels' Debutroman, bekam sehr gute Kritiken, wurde von mir aber ebenso wie der Zweitlang nicht vorab gelesen - "Held" war somit das erste, was ich von Michaels, die eigentlich Dichterin ist, gelesen habe.
"Held" ist kein typischer Roman mit einer klar umrissenen Handlung. Es handelt sich im Grunde um einen eher lyrischen Text, mit mehreren teils nur lose zusammenhängenden Erzählsträngen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis 2025. So beginnt der Roman 1917 auf einem Schlachtfeld in Frankreich, wo der junge Soldat John um sein Leben ringt, während er sich an verschiedenste Begebenheiten seines Lebens erinnert. Weiter geht es 1920 in England, John hat überlebt und ist nun wieder mit seiner Frau vereint. Sein Geld verdient er sich als Fotograf, er besitzt ein eigenes Studio - und plötzlich tauchen auf den Photographien, die er für Kunden macht, Geister der Vergangenheit auf...
Weiter geht es dann aber mit anderen Protagonisten und Protagonistinnen, in deren Leben Michaels einen kurzen, aber nichtsdestotrotz eindringlichen Einblick gewährt, ob es sich um Mara, die als Krankenschwester in Kriegsgebieten arbeitet, handelt oder um den Musiker Paavo, der seine Heimat aus politischen Gründen verlassen muss.
Der Roman greift zentrale Themen und Fragen der menschlichen Existenz auf - Liebe, Verlust, Trauer, Krieg, Erinnerungen, Spiritualität - und bedient sich dabei einer sehr losen, eher lyrischen Erzählstruktur, nicht des klassischen Narrativs. Dadurch entsteht ein literarisch recht anspruchsvoller Text, der sich auch der Sprache selbst als erzählerisches Mittel bedient. Das ist zweifelsohne schön und beizeiten berührend - ich empfand "Held" aber als recht anstrengend zu lesen und fand es auch schade, ständig "hinausgerissen" zu werden und mich in einem anderen Jahrzehnt, an einem anderen Ort, mit anderen handelnden Personen wiederzufinden. Man muss sich also wirklich einlassen können und wollen auf etwas ganz anderes als den klassischen Roman, dann ist "Held" auch ein kleiner, poetischer Schatz - bei mir bleiben trotzdem gemischte Gefühle, ich hatte letzten Endes doch etwas anderes erwartet und nichtsdestotrotz hat mich das Werk auch neugierig gemacht zumindest auf Michaels' Erstling, "Fugitive Pieces".
Erinnert hat mich Held in Bezug auf die Erzählstruktur übrigens unter anderem an "On Earth We Are Briefly Georgeous" von Ocean Vuong und "Bluets" von Maggie Nelson.