Stress/Anspannung aushalten

  • walkman

    "- Frustrationstoleranz zu trainieren, z. B. weil der Hund gerne arbeiten will, aber noch nicht dran ist, finde ich grundsätzlich sehr sinnvoll."

    Grundsätzlich ja! Aber den Hund am Rande des Betriebs in seiner Aufregung zu ignorieren, ist in meinen Augen kein Training

    Da bin ich voll bei Dir - weil das ist nicht triebig, sondern der Hund steigert sich da rein und schießt sich letztlich irgendwann ins Aus und ist damit nicht mehr arbeitsfähig - der schmeißt doch dann sein Hirn weg.....

  • walkman

    Ich glaube, wir haben unterschiedliche Situationen vor unseren Augen. Ich bin nicht dafür, kurze ungeduldige Lautäußerungen oder Hibbeligkeit gleich intensiv zu trainieren. Ich hatte innerlich eher die Situation vor Augen, dass Hunde wirklich lange (halbe Stunde oder länger) am Rande des Geländes völlig allein gelassen werden. Das finde ich halt unfair, da wird die Situation nur durch 'doch wieder drankommen' (oder Erschöpfung) beendet. Das finde ich nicht fair.

    Noch dazu ist das Drankommen ja dann auch noch ein Erfolgserlebnis und bestätigt das vorangegangene Geplärre. "wenn ich nur lang genug plärre, darf ch wieder"....

  • Hohe Erregung macht Hunde dumm. Ich arbeite ja mit meinen Hunden am Vieh und begleite andere Menschen darin ihre Hunde am Vieh auszubilden. Und es zeigt sich ein roter Faden: Hohe Erregung führt dazu, dass die Hunde schlecht(er) ausbildbar sind, schlechtere Arbeit abliefern und eine deutlich geringere Arbeitsausdauer haben. Daher ist (bei den Kandidaten, bei denen das ein Thema ist - und das ist der häufigere Fall) ein erstes Trainingsziel die Erregung in ein vernünftiges Maß zu bekommen. Das, was man bei vielen Hundesportarten sieht, wäre für diese Arbeit zu viel Erregung. Natürlich hat man bei der Arbeit am Vieh auch mal Peaks mit hoher Erregung, wo das sinnvoll ist. Wenn zum Beispiel ein Schafe angreift und der Hund das regeln muss. Oder, wenn Schafe so dermaßen stur sind, dass sie ohne einen Biss nicht losgehen. Aber das sind kurze Momente. Dann reguliert sich der Hund sofort wieder runter.


    Für mich macht es den Eindruck, dass es den Hunden in diesem Maß gut tut und, wenn es mehr ist, sie eher aufgekratzt sind und dann irgendwann erschöpft und deshalb müde. Ich mag lieber ein zufriedenes Müde.

  • walkman

    Ich hatte innerlich eher die Situation vor Augen, dass Hunde wirklich lange (halbe Stunde oder länger) am Rande des Geländes völlig allein gelassen werden. Das finde ich halt unfair, da wird die Situation nur durch 'doch wieder drankommen' (oder Erschöpfung) beendet. Das finde ich nicht fair.

    Jo, da sind wir uns einig, das hat nix mit Training zu tun.

  • Achso, zum Training an sich bzw. "muss der Hund selbst hinbekommen". Wäre schön, können aber viele Hundetypen nicht. Manche Hunderassen sind sogar so selektiert, dass sie sich beim Problemen immer weiter hochfahren, weil man das für den Job möchte. Insofern: Arbeiten über Frust ist ein heißes Eisen. Ja, der Hund "muss" lernen mit Frust umzugehen. Aber es liegt an mir als Mensch ihm das im Hinblick auf seine Kapazitäten und Möglichkeiten beizubringen.

  • Ich persönlich unterscheide Ausbildung(Hundeplatz) und Erziehung (Alltag) ganz extrem.


    Im Training versuche ich einen möglichst Stressfreien Aufbau der Übungen, erst wenn der Hund eine Übung in ihren Grundlagen gut und sicher beherrscht wird die Schwierigkeit gesteigert, und da muss der Hund auch mal Frust oder Stress in einem gewissen Level aushalten. In der Regel bekommt man die Hunde da aber schnell drüber weg, wenn eben die Grundlagen gut sitzen. Ist das nicht der Fall, muss ich halt ein ganzes Stück zurück gehen. Unter Stress lernen bringt in meinen Augen weniger Erfolg und ist weniger sicher abrufbar. Ich vergleiche nicht oft Mensch und Hund, aber hier würde es passen, Menschen die unter hohem Stress/Energielevel lernen sollen, nehmen Dinge nicht so gut auf, wie Menschen die dies in ihrem Tempo und ihrem Gusto tun können. Ist ja auch logisch, wenn man beachtet, was IM Körper passiert wenn man diesen unter Stress setzt, da werden eine Vielzahl von Hormonen ausgeschüttet, die ganz automatisch "die Herrschaft" übernehmen.


    Im Alltag baue ich die Erziehung auch positiv auf, aber verlange sehr viel früher, dass das Erlente umgesetzt wird (z.B. einen mangelhaften Rückruf kann und will ich nicht über Monate hinweg tolerieren, auch die Grundregeln im Haus müssen sitzen). Und hier gehe ich über Stress und Frust auch mal eher drüber, aus meiner Sicht ist es bei vielen Hundebesitzern inzwischen völlig verpönnt, dass ein Hund auch mal Stress hat - "der arme Hund", aber für mich gehört Stress und Frust zum Leben dazu. Das fängt ja schon bei Kindern an, und zieht sich durch unser ganzes Leben. Warum wird gerade der Hund so dermaßen übertrieben auf Händen getragen wie kein anderes Haustier?


    Kurz gesagt, im Alltag möchte ich, dass der Hund wenn ich ihn rufe sofort kommt, ob er das Blitzschnell macht, oder eher langsam, freudig oder meidig ist mir in dem Moment egal.

    In der Ausbildung möchte ich, dass der Hund blitzschnell und freudig kommt, und das Gefühl hat ER ist derjenige der jetzt kommen möchte


    Ich persönlich finde, es ist wichtig, dass Hunde Stress und Frust auch mal aushalten, wenn man immer alles "negative" von ihnen fern hält, sie immer mehr in Watte packt, haben wir in der Zukunft immer mehr Hunde die aufgrund von Wesensschwächen nicht mehr Alltagstauglich sind. Die Überprüfung auf Stress/Frustempflindlichkeit und den Umgang damit gehört für mich zu einer Zuchtüberprüfung dazu. Bei vielen Rassen haben wir ja inzwischen Hunde, wo es hier ganz massiv fehlt..

  • Wenn zum Beispiel ein Schafe angreift und der Hund das regeln muss. Oder, wenn Schafe so dermaßen stur sind, dass sie ohne einen Biss nicht losgehen.

    Könnte mir auch gut vorstellen, wenn ein Hund da zuvor zu hoch gedreht wäre, daß er die Schafe dann unverhältnismäßig hart oder schon zu früh anpacken könnte, weil das Hirn halt scho weggeschmissen ist, oder?

  • Ich vergleiche nicht oft Mensch und Hund, aber hier würde es passen, Menschen die unter hohem Stress/Energielevel lernen sollen, nehmen Dinge nicht so gut auf, wie Menschen die dies in ihrem Tempo und ihrem Gusto tun können. Ist ja auch logisch, wenn man beachtet, was IM Körper passiert wenn man diesen unter Stress setzt, da werden eine Vielzahl von Hormonen ausgeschüttet, die ganz automatisch "die Herrschaft" übernehmen.

    Mich würde ml interessieren, wie das umgekehrt ist: ich bin zB jemand, der erst unter Druck richtig heftig und auch konzentriert arbeiten kann. Prokrastinieren bis zu Gehtnichtmehr - und dann loslegen. Aber ernsthaft effektiv und zielgerichtet, und mit guten Ergebnissen. Würde mich interessieren, wie sowas zustandekommt..... :smiling_face_with_horns:

    Das galt auch damals bei den Prüfungen für das Studium! Ne Woche voher die Nächte durchgemacht, gelernt wie doof. Die Praxisarbeit zum Abschluß dasselbe. Innerhalb kürzester Zeit fertiggestellt. :person_shrugging: Mein Hirn scheint den Druck zu brauchen - sonst wohl zu langweilig *ggg

  • Ich persönlich finde, es ist wichtig, dass Hunde Stress und Frust auch mal aushalten, wenn man immer alles "negative" von ihnen fern hält, sie immer mehr in Watte packt, haben wir in der Zukunft immer mehr Hunde die aufgrund von Wesensschwächen nicht mehr Alltagstauglich sind. Die Überprüfung auf Stress/Frustempflindlichkeit und den Umgang damit gehört für mich zu einer Zuchtüberprüfung dazu. Bei vielen Rassen haben wir ja inzwischen Hunde, wo es hier ganz massiv fehlt..

    Yepp - und dazu kommt: was der Hund an Streß und Frust nicht aushält, muß der Mensch ertragen. Weil wenn Hund nicht in der Lage ist, x und y zu machen oder zB alleinzubleiben etc., dann muß der Mensch ständig eingreifen, managen etc. - dann hab ich lieber ne Zeitlang Streß am Hund (in verarbeitbarem Ausmaß natürlich!), als ich selbst dann lebenslänglich bis zu 18-20 Jahren...... Weil das bedeutet ja auch, daß der Hund genauso Streß hat, wenn er gewisse Dinge einfach nicht lernt, nur weil man sich scheut, ihn der Situation auszusetzen. Und das empfinde ich nicht als fair.

  • Prokrastinieren bis zu Gehtnichtmehr - und dann loslegen. Aber ernsthaft effektiv und zielgerichtet, und mit guten Ergebnissen. Würde mich interessieren, wie sowas zustandekommt..... :smiling_face_with_horns:

    Ich bin auch so :lol:


    Ich glaube, ein Punkt, der bei dem Thema ganz oft vernachlässigt wird, ist sowohl beim Mensch als auch beim Hund, dass ein bisschen Stress sogar sehr lernförderlich sein kann. Stress setzt Adrenalin und Cortisol frei und führt so tatsächlich erstmal zu einer kurzzeitigen Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses.


    Problematisch wird es erst, wenn es zu viel Stress ist und der Stress als nicht-bewältigbar empfunden wird. Das kann dann die Psyche und das Lernen deutlich beeinträchtigen.


    In diesem Sinne sehe ich den Trend, den Hund bloß niemals nie zu stressen, auch etwas kritisch.

    Ich kenne inzwischen Leute, die, sobald der Hund nicht tiefenentspannt nebenher schlappt, schon Schnappatmung kriegen, weil das Hundchen nun gestresst ist und das ja bekanntlich das Leben verkürzt. Diese extreme Stress-Vermeidung ist meiner Meinung nach Quatsch.


    Gleichzeitig erlebe ich aber auch viele Menschen, die gar nicht erkennen, dass ihr Hund gerade viel zu viel Stress erlebt und da gar nichts mehr lernen kann. Da wird der Hund allein gelassen, weil "muss er aushalten lernen". Dieses andere Extrem finde ich mindestens genauso schlimm.


    Für mich persönlich ist da einfach eine gute Balance wichtig. Ich vermeide nicht jeden Stress, aber ich achte sehr darauf, dass der Stress für meinen Hund als bewältigbar empfunden wird.

    Als gute Indikatoren hierfür haben sich bei uns die Ansprechbarkeit, die generelle Denkfähigkeit und die Fähigkeit zur Umsetzung einfacher Aufgaben bewährt.

    Lautäußerungen wie Fiepen oder Bellen (weil das im Eingangsbeitrag erwähnt wurde) btw. nicht!



    Merke ich, dass mein Hund weniger ansprechbar ist, weniger gut denken kann und einfache Aufgaben nicht mehr so umsetzen kann wie sonst, dann ist das für mich der Moment, in dem der Stress ins Negative kippt und zu viel ist.


    Dann gehe ich einen Schritt zurück oder unterstütze ihn anderweitig im Umgang mit der Situation.

    Was ich mit meinem Hund prinzipiell nicht mache: Ihn damit allein lassen. Oder noch mehr Stress draufsetzen, indem ich von ihm weitere Impulskontrolle etc. verlange. Ist hier einfach null zielführend (der Hund beruhigt sich nicht) und macht für mich auch lerntheoretisch überhaupt keinen Sinn.


    Aus diesem Grund würde ich auch in deiner Situation, liebe @TE, nicht vom Hund verlangen, sich da irgendwie selbst zu beruhigen. Wenn sie in den Momenten eh auf 180 ist (und so klingt das), dann ist es meiner Meinung nach absolut kontraproduktiv, da durch weitere Anforderungen an den Hund noch mehr Stress und Frust draufzusetzen.


    Was anderes ist das bei einem Hund, der pöbelt oder hinzieht, weil er halt Bock drauf hat und es kann und der in solchen Situationen prinzipiell noch voll "da" ist im Hirn. Das ist für mich dann aber auch kein Stress-Thema mehr, sondern einfach ein Hund, der bisher keine entsprechenden Regeln und Grenzen kennengelernt hat.

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