Beschwichtigungssignale beim Streicheln

  • WARUM GEHT ER NICHT WEG, wenn er’s doch eigentlich nicht will?

    Weil er ein Mischling aus drei Rassen ist, die da alle genetisch einen an der Klatsche haben.


    Der Schäferhund muss Sozialpartner kontrollieren. Solange man noch "klein und lieb" ist, geht das am besten über sehr engen Körperkontakt und den Menschen mit einer "Beschäftigung" binden. Das wird mit zunehmendem Alter dann ernster und irgendwann kommt das Schnappen in die Hand. (Typisch ist dann die Fragestellung der Besitzer: Er geht doch selber hin und "will" gestreichelt werden, warum schnappt er dann?) Bei solchen Mixen kommt das dann so wenn sie um die zwei Jahre alt sind.


    Der Retriever ist darauf selektiert den Kontakt zum Menschen extrem zu suchen. Also, pervers extrem. Aus Situationen weggehen, die einen überfordern, ist bei denen nicht installiert. Können die nicht. Auch oft nicht bei Hunden. Oder anderen Konflikten. Außerdem sind sie meist so unfassbar unsicher im Sozialkontakt, weil ihnen die Möglichkeit des aggressiven Abgrenzens fehlt, dass sie deshalb beim beschwichtigenden "gute Stimmung machen" jegliches Maß verlieren.


    Ich arbeite mehrgleisig an dem Problem. Jedes Abwenden und Weggehen von egal welchem Menschen wird immer belohnt. Immer. Und reichlich. Gleichzeitig trainiere ich Wegschicken, was aversiv aufgebaut wird. Aber natürlich baue ich das nicht mit Menschen auf, sondern mit ganz öden Auslösern und steigere die Schwierigkeit dann schrittweise bevor ich es überhaupt bei Menschen anwende.


    In den Kontakten selber beobachte ich den Hund: Ist alles ruhig und ich sehe, dass das Abwenden kommen wird bevor der Hund durchdreht, warte ich darauf und belohne. Sehe ich, das wird nix, schicke ich den Hund weg bevor er am Rad dreht. Mir ist im Training übrigens egal, ob mein Hund eine Person anspringt, die ihn angequatscht hat. Wer das macht, muss damit leben, dass mein Hund ihm evtl. im Gesicht hängt. Menschen, die meinen Hund ignorieren, sollen natürlich komplett in Ruhe gelassen werden, was ich über Leine sichere und da aber auch schon das Wegschauen, Abwenden, Weggehen markere und belohne.


  • Joa.. Ignorieren und in Ruhe lassen hatte ich zu Anfang auch immer gesagt..

    Aber wenn der Hund dann endlich mal liegt und runterkam.. Dann kamen Sätze wie "oh schau wie süß.. Er liegt im Körbchen.. - Keks was bist du niedlich.." in Verbindung mit Zungen schnalzen.. Usw..


    Letzte Woche kam mein Vater (auch Hundebesitzer) unangemeldet vorbei. Ich kam gerade heim mit dem Welpen, er war total nass, kalt und durch den Wind (er hat leider draußen oft noch Angst). Als er sich endlich entspannt hat und eingeschlafen ist, hat mein Vater ihn absichtlich aufgeweckt und dann gesagt "och, jetzt isser wach. Muss Mama jetzt schauen, wie er wieder einschläft". Ohne Worte.

    Zwei Pipiunfälle hatten wir danach, weil er sich den ganzen restlichen Abend nicht mehr draußen lösen konnte.


    Manchmal habe ich bei älteren Personen den Verdacht, dass es auch ein wenig Gehässigkeit ist, so à la "soll sie mal sehen, wie das ist!", "Jetzt ist das angenehme Leben vorbei."


    Eine ältere Dame in der Nachbarschaft, die nach dem Tod ihres Hundes oft meinen Senior auf Spaziergänge mitnimmt wird auch nicht müde, mir fast jedes Mal irgendwas reinzudrücken, das ich falsch mache ("Sie wissen hoffentlich schon, dass Breezy zur Zeit keinen guten Stuhlgang hat", "ach, der Kleine fängt ja jetzt auch schon an zu kläffen" (klar, sie macht die beiden ja auch immer extra verrückt)). Ich bin kurz davor, diese Spaziergänge zu unterbinden, so sehr ärgert mich das.

    Sie hat mir letzte Woche wortlos einen Zeitungsartikel in die Hand gedrückt. Titel: "Mein Hund ist ein Kläffer". Als ich dann wohl sehr sparsam geschaut habe, meinte sie "nehmen Sie das bitte jetzt nicht persönlich - einfach mal durchlesen!".

    Ich könnte die Wände rauf. Der Senior ist absolut kein Kläffer. Er schlägt bei der Türklingel kurz an, das will ich auch. Aber SIE macht ihn immer so wild, dass er tatsächlich kläfft, WENN SIE KOMMT.


    Da der Senior generell gerne von Besuch aufgeputscht wird, "sperre" ich ihn zu seiner (!) Sicherheit meist erst einmal ein paar Minuten weg, wenn so ein Besuch kommt. Da kommt dann auch immer "warum SPERRST Du denn den Hund weg?! Der arme Kerl!".

    Ich müsste echt mal den Mut haben und sagen "um ihn vor EUCH zu schützen". Habe ich aber leider nicht.


    Aber was Du noch geschrieben hast, dass Du erst klar werden musst: Das stimmt auf jeden Fall. Hunde spüren sofort, wenn man zögert oder nur halbherzig etwas macht / verlangt / sagt.

  • Nochmal zur Frage, warum Welpen/Junghunde dieses anbiedernde Verhalten zeigen. Das ist ganz normal. Welpen "wissen"instinktiv, daß sie stark unterlegen sind, und zB in der Begegnung mit einen erwachsenen Hund nicht schnell genug wegrennen oder sich durch körperliche Stärke behaupten könnten. Deshalb wählen sie oft den Weg des aufdringlichen Anschleimens, wenn sie einer Person oder einem Hund gegenüber eigentlich unsicher und unwohl fühlen. "Tu mir nichts, ich bin klein und lieb!" Das Stichwort heißt "Fiddeln".

    Werden sie dann gestreichelt, fühlt sich das für sie übergriffig an und das beschwichtige Anschleimen wird dann noch verstärkt.


    Dieses kindlich unterwürfige Verhalten verliert sich normalerweise im Laufe der Pubertät. Allerdings gibt es Rassen, die permanent etwas davon beibehalten, wie Labrador oder Goldie. Auch bei meinem Pudel ist das so. Bei anderen Hundetypen wie dem Schäferhund kann es mit steigendem Selbstbewußtsein in agressive Abwehr umschlagen.


    In beiden Fällen profitiert der junge Hund sehr davon, wenn sein Mensch ihm rechtzeitig aus der konfliktbeladenen Situation heraushilft, ihm zeigt, daß man auch weggehen kann (von allein schafft er das nicht) und den Mensch oder Hund auf Abstand hält.


    Dagmar & Cara

  • Wow.. 🙏 Ich danke dir vielmals für diese ausführliche und klare Antwort.. 😊


    Ich muss mir das noch ein paar Mal reinziehen und umsetzen!

  • Auch dir herzlichen Dank für deine ausführliche Antwort.. 😊


    Ich habe hier echt viel mitnehmen können.. 👍

  • Über fiddeln habe ich auch schon einiges gelesen und exakt so verhält er sich.


    Was ich nun aus all euren Antworten rauslesen kann, ist die Tatsache, dass ich es besser schaffen muss ihn bei mir zu behalten.. Daran werde ich verstärkt arbeiten..


    Lieben Dank.. 😊

  • Vielen Dank.. 😊


    Das werde ich auf jeden Fall machen.. In einer hundeschule sind wir von Anfang an. Ich werde die Trainerin mal für eine einzelstunde zuhause buchen. Das war sowieso geplant.

    Aber ich will den ganzen input von euch hier mit einfließen lassen..

  • Ja.. Da stimme ich dir zu 100 Prozent zu.. Das scheint ein Generationending zu sein.. Und in meinem Fall noch gepaart mit unwissend und unbelehrbar..

    Der letzte Hund den meine Schwiegermutter hatte (Schäfer/setter Mix) wurde draußen gehalten.. Hat sich ständig wege gesucht um abzuhauen (Zaun durch gegraben etc..)

    Argumentiert wurde damit, dass das eben bei manchen Hunden so seii, könne man nicht ändern..

    Gemacht wurde mit ihm gar nix, warum auch? Der Garten ist doch riesig.. Gassi muss der gar nicht, hat doch viel Platz..

    (eine Nachbarin hat ihn täglich zweimal zum Gassi geholt, angeblich weil sie Lust drauf hatte. Wahrscheinlich eher weil ihr der Hund leid tat)..

    Mehr muss ich zur Person Schwiegermutter und Hunde nicht sagen oder? 🙈

  • Nochmal für mich zum Verständnis..


    Von mir geht er weg wenn er genug hat.. Liegt das am Vertrauen zu mir? An unserer Bindung? (ich würde die als echt gut bezeichnen.. Zumindest fällt mir das immer so richtig im Freilauf auf wie er sich orientiert und einen gewissen radius einhält ohne dass ich ihm das sagen muss).

    Oder in für ihn unheimlichen Situationen.. Er dreht sich um und schaut mich an.. Etc..

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