Hund hat Angst vor der Natur

  • Hallo Leute,
    ich hab ein Problem mit meinem Hund und hoffe ihr könnt mir ein paar Ratschläge oder Tipps geben.
    Ich bin mit meinem Hund von einer sehr zentralen Lage an den Stadtrand gezogen und jetzt haben wir ein Gassi-Geh-Problem. Früher waren wir vor allem in gepflegten Parks mit gestutzten Rasen unterwegs. Viele fremde Hunde, Radfahrer, Kinder usw. Also städtische Reizüberflutung quasi. Ausgemacht hat ihm das nie was. Eben eine richtige Stadtdiva.
    Jetzt könnte alles so schön sein. Wir wohnen direkt im Grünen zwischen Naturschutzgebieten mit kleinen Trampelpfaden und kaum befestigten Wegen, wo man 2 Stunden umher wandern kann ohne einen Menschen zu treffen. Aber sobald wir die "Zivilisation" verlassen, hat mein Hund nur noch Angst. Das äußert sich darin, dass er entweder am ganzen Körper zitternd einen Sitzstreik einlegt oder mit jeder Körperfaser angespannt kreuz und quer vor mir her rennt. Auf solchen Strecken kann er sich weder lösen, noch Leckerlies nehmen, noch interessieren ihn die tollsten anderen Dinge, die er sonst so liebt (Futterbeutel, Ball spielen usw). Er schnuffelt auch nicht großartig rum, sondern jedes Blatt dass vom Baum fällt ist eine potentielle Alarmstufe Rot. Sobald wir wieder eine Straße erreichen und er Asphalt unter den Pfoten hat, ist er wie eh und je.
    Jetzt weiß ich gar nicht wie ich bei sowas ansetzen soll. Ich versuche nicht allzu große Runden zu gehen und nicht zu sehr die Route zu variieren, aber nach drei Wochen ist es immer noch nicht besser geworden. Wenn es nach ihm geht, würden wir Tag ein Tag aus nur durchs Wohngebiet stiefeln.
    Ganz schlimm ist es wenn wir Wildkontakt haben, der sich ja in so Gebieten nicht vermeiden lässt. Wenn er ein Reh sieht, würde er am liebsten umdrehn und Hals über Kopf nach Hause rennen. Dann heißt es erstmal den Hund tragen bis er aufgibt und halbwegs selbstständig weiter läuft.
    Das klingt jetzt blöd und alles, aber ich weiß einfach nicht wie man mit so einem Problem umgehn soll. Weil das Häufchen Elend, dass ich da an der Schlepp habe, ist alles nur nicht der Hund den ich sonst kenne.

  • Er ist ein recht rasse-untypischer, zu groß geratener Chihuahua-Rüde (kastriert) und jetzt nicht der Handtaschen-Klischee-Chi.
    Knapp zwei Jahre alt und bei mir seitdem er 5 Monate ist.

    Unter normalen Gassi-Umständen ist er schon extrem aufmerksam was seine Umwelt angeht (vor Allem optische Reize). Aber nie dermaßend gestresst. Er lässt sich normalerweise recht gut wieder runter bringen, wenn ihm etwas nicht geheuer ist. Da wird sich kurz mal darüber empört, dass irgendwo eine Mülltüte im Baum hängt, aber dass ist nach 3 Sekunden wieder vergessen. Aber wenn wir einen Naturspaziergang machen, hab ich keine Chance richtig zu ihm durchzudringen und ihm irgendwie zu zeigen dass alles in Ordnung ist und keine Gefahr für Leib und Leben droht. Ich weiß meist auch gar nicht was genau ihn da so fertig macht. Wenn wir nicht gerade irgendwo Wild aufschrecken, sind da ja nur Blätter die Herbst-bedingt von den Bäumen fallen.

  • Dein Hund scheint das genaue Gegenteil von meinem zu sein. Filou ist auf dem Land, wie ausgewechselt, er liebt es überall zu schnüffeln, er läuft bei 4-5 Std Wanderungen problemlos und glücklich mit. Zuhaus (Stadt und Park, wie bei dir beschrieben) war das ganz schlimm, er blieb ewig sitzen oder wollte panisch flüchten, wenn z.B. jemand von weitem gesichtet wurde, keine Leckerlis angenommen etc (also er tat das, was dein Hund in der Natur tut). Mittlerweile ist es aber besser geworden und er hat riesige Fortschritte gemacht.

    Das was uns am meisten geholfen hat, war Geduld, Geduld und nochmal Geduld. Auf keinen Fall weiterzerren, wenn er sitzen bleibt, einfach warten bis er von alleine weiter will (ich saß manchmal im Park ne Viertelstd rum, bis Filou sich endlich weitertraute und das mehrmals während eines Gassigangs), bei Wild oder ähnlichem, abschirmen, in seiner Nähe bleiben, oder einfach zu ihm runter in die Hocke gehen. Wenn er Körperkontakt sucht (das tut unserer) haben wir das zwar zugelassen, aber ihn nicht weiter beachtet, nicht angeschaut oder getröstet. Wichtig ist, ihn mit der Situation nicht alleine zu lassen, heißt, in der nähe bleiben, ihn nicht so weit vor lassen, dann fühlt er sich weniger überfordert und nicht alleine mit der "Gefahr". Und wenn ihr an etwas vorbeikommt, das ihm Angst macht, im Bogen drumrum laufen. Ab und zu irgendwo mal einfach sitzen bleiben und ihn beobachten lassen aus sicherer Entfernung.

    Uns hat das alles sehr weitergeholfen, Filou bleibt eigentlich gar nicht mehr sitzen, wenn er Angst hat, er läuft tapfer weiter (wenn auch nicht ganz so entspannt) und wenn er vor irgendwas Angst hat, zeigt er uns das, indem er von alleine hinter unseren Beinen geht oder uns kurz anspringt, so dass wir uns zu ihm runterbücken, und das was ihm Angst macht, beobachten

  • Hast du die Möglichkeit, mit anderen Hunden zusammen zu laufen, die sich normal benehmen?

    Hast du mal eine andere Ecke Natur ausprobiert, ob es da genauso ist?

    Was passiert, wenn du dich in der Natur hinsetzt und abwartest, kommt er dann runter?

    Das Problem ist - deshalb zeigt sich vermutlich auch keine Verbesserung - dass ein Hund in Panik nichts lernt. Sprich er muss unterhalb eines gewissen Erregungslevels bleiben, um sich überhaupt konstruktiv mit der Umwelt auseinandersetzen zu können. Ist er zu gestresst, bekommt er einen Paniktunnelblick und nimmt auch keine Leckerli.
    Die Frage ist, wie du in der Konstellation der Situation die Reize dosieren könntest, damit er ansprechbar bleibt...

  • Ja, deswegen überfordert mich das ganze auch irgendwie. Normalerweise erwartet man ja, dass ein Hund in der Stadt schiss hat und nicht dort wo er endlich mal Hund sein dürfte. Ich dachte wirklich er findet das gut, wenn wir nicht alle paar Metern irgendwelchen doofen, fremden Hunden ausweichen müssen. Er ohne Leine laufen kann, mal ein Mauseloch ausbuddeln etc. Was man sich halt so denkt, wenn man (unter anderem) für den Hund in die Pampa zieht.

    Ich versuche ihn nicht zu drängen. Selten schnüffelt er mal irgendwo, da lass ich ihm generell so viel Zeit wie er will und bleibe neben ihm stehen. Hinterher ziehen sowieso nicht, sondern nur ein kurzer Impuls an der Leine, was normalerweise ausreicht damit er weiter geht. Bislang nehme ich ihn etappenweise auf dem Arm. Heute hab ich mich mal mit ihm 10 Minuten wo hingesetzt. Gefühlt hat es alles noch schlimmer gemacht. Wobei das jetzt nicht auf einer seiner absoluten Panik-Strecken war.
    Momentan sind wir mit einer 10 Meter Schlepp unterwegs. Aber die Reichweite nutzt er hier eh nicht, außer wenn er komplett streikt. Maximal dass er fünf Meter vor oder hinter mir ist. Wenn wir länger unterwegs sind, hört das bocken zwar auf und er bleibt dann mit hängendem Schwänzchen in meinem Windschatten. Aber das ist halt einfach auch nicht mein Hund, der normalerweise eher zu viel Lebensfreude hat als zu wenig und generell eher neugierig interessiert mit seiner Umwelt umgeht. Das ist es ja was mich belastet. Ich will ja dass er Spaß beim Gassi gehn hat. Das ist ja seine Zeit des Tages, wo es mir darum geht, dass er eine Gaudi hat.

    Ja, die Reize dosieren ist die Frage, wie ich das anstellen könnte. Momentan fängt die Panik an, sobald es abgeschiedener wird. Also keine Autos mehr fahren, es nicht mehr so oft nach Hundepipi riecht. Zumindest kommt es mir so vor. Andere Hunde würden ihm eventuell helfen. Leider haben wir hier noch keine anderen Hunde kennen gelernt.

  • ...... Wenn er ein Reh sieht, würde er am liebsten umdrehn und Hals über Kopf nach Hause rennen. .......

    Hach, wenn ich das doch EINMAL von meinem Terrier behaupten könnte.... *seufz...... :lachtot: :lachtot: Er dürfte auch gern Schutz suchen bei mir.... Ich würd ihn notfalls sogar 10 km bis nach Hause tragen und ihm dort ein ganzes Steak reinstopfen - ich schwörs..... :ugly:

    Tut mir leid, wollte mich net über Dich lustig machen, aber das fand ich grad einfach zu süß...

    Für Deinen Hund ist es das aber bestimmt nicht, da hast Du schon recht, und es ist wichtig, etwas dafür zu unternehmen, daß er sich da draußen wohl fühlt. :bindafür:

    Ich finde, Dein Ansatz, immer nur kleine Routen (am besten dieselbe!) zu gehen, ist schon mal ein guter Anfang. Das wird natürlich ein bisserl dauern, wenn der Hund natürliche Umgebungen bisher nicht kennenlernen konnte. Warst Du bisher nie mal rausgefahren aufs Land mit dem Hund oder so?

    Vielleicht kannst Du auch einfach ein Spielzeug mitnehmen oder Leckerli, Dich immer an derselben Stelle hinsetzen und dann dort irgendwann Futter suchen lassen (wenn er das denn macht) oder mit ihm spielen - einfach, damit er die Umgebung positiv verknüpft und merkt, es passiert ihm nichts. Aber das geht auch nur, wenn er dazu überhaupt in der Lage ist. Wenn er noch zu viel Streß hat da draußen, wird das net klappen, weil er dann sicher nix frißt und auch nicht zum Spielen aufgelegt sein wird. Daher einfach erstmal ein paar Tage nur an dieser Stelle rumsitzen, und ihn gucken lassen. Vielleicht geht er irgendwann von selbst los und erkundet die Umgebung um Euch rum, dann bleib einfach sitzen und gib ihm die Zeit.

    Evtl. gibts in der Nähe ne Hundeschule, über die man Leute mit umweltsicheren Hunden kennenlernen könnte, sodaß Du mit einem souveränen Hund begleitet unterwegs sein könntest. Vielleicht schaut er sich da bissel was ab.

    Du darfst dabei auch nicht vergessen: so für Dich kniehohes Gras ist halt für nen Chi, der das nie kennengelernt hat, wie für unsereinen ein Wald..... Und auch ein Reh ist ja -zigmal größer als so ein kleiner Hund, und wenn er sowas noch nie gesehen hat, ist klar, daß das erstmal Angst macht.

  • ja, es ist schon absurd. als dass das erste mal passiert ist, dachte ich mir auch nur "echt jetzt?" :D
    natürlich lieber so, als anders rum. auf einen chi der im blutrausch im gebüsch verschwindet, wäre jetzt auch nicht mein wunsch.
    wie gesagt, will ich ja nur dass er entspannter ist. nicht dass er sonst zu den tiefenentspannten vertretern gehört, aber so extrem ist er sonst einfach nicht.

    wir waren schon gelegentlich in der natur. aber dann meist entweder an sehn, wo man immer mal wieder andere hunde, radler oder sonst wen trifft. und keine wilden bestien wie rehe, pferde oder eine schafherde. oder eben mit anderen hunden.
    zurückblickend betrachtet hatte er damals schon angst vor ländlicheren gegenden. wenn wir auf dem dorf bei meinen schwiegereltern zu besuch waren, wollte er auch nie die teerstraßen verlassen. aber ich hab das halt irgendwie nie mit der natur als solches verknüpft, sondern dachte, dass ihm die kühe und pferde auf den koppeln nicht geheuer sind, es am nieselregen, wind oder was auch immer liegt. wir waren ja auch nie allzu lange dort, aber jetzt wohnen wir ja quasi selbst so dezentral.

    das mit dem kniehohen gras stimmt. aber dass sind eigentlich bei der route an der wir momentan arbeiten, nur so 200 m, wo ich sagen würde, dass das unangenehm für ihn ist. der rest sind kies- oder landwirtschaftswege und so plattes heide-gras (oder wie man das nennt). eigentlich alles sehr schön :)
    ich will jetzt mit ihm mal nach einem hundeverein schaun. vielleicht hilft ihm dass, etwas richtiges selbstbewusstsein aufzubauen, wenn wir da einmal die woche auf den platz gehn. ich hab momentan das gefühl, egal wie viel wir üben und ausprobieren, freilauf wird immer daran scheitern, dass er wegen irgendetwas schiss bekommt und explodiert. entweder nach vorne oder hinten. vielleicht bin ich auch für ihn nicht verlässlich genug.

    gestern lief es recht gut. wir sind mal nicht morgends im nebel die route gegangen sondern nachmittags, mit herbstsonne im gesicht. haben erstmal in ruhe die schafe beobachtet und die waren auf dem heimweg dann gar kein problem mehr. er konnte sich sogar kurz mit einem mauseloch beschäftigen. zum pinkeln reicht es noch nicht, aber vielleicht wird das ja auch noch

  • Ist wohl ein Deprivationsschaden, oder? Je nach dem, wo du ihn mit 5 Monaten hergeholt hast. Ich finde, eure Voraussetzungen sind ideal, um das kleinschrittig zu üben: Er fühlt sich wohl, wenn ihr aus der Haustür geht und solange ihr noch im Wohngebiet seid. Seine Unruhe wächst erst langsam, sobald die Zivilisation weniger wird. Andere würden für so tolle Bedingungen töten, die müssen ihren Hund erst mühsam jedes mal durch die Zivilisation bringen, um in abgelegene Gegenden zu kommen, wo er sich wohl fühlt.
    Ich würde vom Wohngebiet aus daran arbeiten, dass jeder Blick und jeder Schritt in Richtung Naturschutzgebiet was ganz tolles ist und mit Spiel, Spaß und Futter verbunden wird. Dieses Training würde ich immer dort machen, wo er sich noch wohl fühlt. Ihn mit Leinenimpulsen in die Wildnis zwingen, wo er dann Panik hat, schafft doch kein angenehmes Lernumfeld.

  • Die Frage ist halt, ob man immer auf Teufel komm raus den Hund von der Stadtdiva zum Landei und zurück erziehen muss. Ob der Hund sich immer zu 100% an den Menschen anpassen muss.

    Das ist doch ein netter lieber fröhlicher und aufgeweckter Hund. Kein "Problemhund". Trotzdem ist jetzt allein durch Außenreize ein riesiges Problem da. Manchmal dauert es Jahre, bis die Hunde damit klar kommen. Muss das denn sein?

    Der Hund, den wir als Zweithund aufgenommen haben, war halt auch so ein Landei. Riesiger Zwinger, tolles hundefreundliches Zuhause mit Hundeklappen, einem größeren Rudel Hunde und Mitlaufen durch die absolute Pampa im Forstbetrieb. Und obwohl Besitzer und alle anderen Menschen fest überzeugt davon waren, dass dieser nette souveräne Hund mit uns total glücklich wird (und wir uns super mit ihm verstanden und er uns sehr ans Herz gewachsen ist), kam er hier in der Stadt nicht klar. In einer Etagenwohnung mit 4spuriger Straße vor der Tür, direkt neben einem Krankenhaus, auf Laminat. Er fiel die Treppen hinab, er rutschte auf dem Laminat hin und her, er stolperte gegen Tische und Bücherregale, brach sich die Rute auf, wollte vom Balkon springen und wurde wegen seiner Unsicherheit auch noch von meiner Kröte gemaßregelt.
    Bestimmt ginge es iiiiirgendwann, dass er hier bei uns zurecht käme. Es würde ewig dauern und bis dahin würde der Hund leiden und überfordert sein.

    Wir wollten das dem Hund damals nach mehreren Wochen ohne die kleinste Verbesserung nicht antun. Es fand sich die Lösung, dass er doch zurück zur Besitzerin konnte und da blieb. Dort ist er glücklich und dort gehört der Hund hin. Er liegt am liebsten als Rudelchef draußen, bewacht seine Weiden und rennt im Wald mit.

    Das war für mich persönlich eine echt schlimme Erfahrung, mein Herz blutet diesem tollen Tier jeden Tag hinterher. Er war die Erfüllung meiner Zweithundträume. Aber letztlich kann ich ihm nicht bieten, was er braucht und wo er glücklich ist. Und dieser Hund war ebenfalls kein Problemhund. Wir sind nicht den Weg des Umgewöhnens gegangen und das war eine gute Entscheidung für den Hund.

    Inwieweit man da eine Grenze zieht, ist immer eine persönliche Entscheidung. Wenn ein Hund über viele Wochen nicht mal Pipi macht, weil er so gestresst von der Umgebung ist, würde ich mir genau überlegen, ob es das Richtige für ihn ist, einem ganz normalen netten Hund bewusst dauernd so einem Stress auszusetzen. Lg

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