Nochmal zum 'Hilfe, mein Welpe beisst!'-Thema:
Ich arbeite ja möglichst viel über positive Verstärkung. Bei mir regnet es - gerade in Anfangsphasen, wenn Vertrauen aufgebaut werden soll - Kekse. Ich belohne gern und häufig und zeige dem Hund mit allem, was ich habe, dass er hier willkommen ist, dass es sich lohnt, mit mir zusammen zu arbeiten und er hier sicher ist. Ich verteile anfangs wirklich für möglichst jedes Verhalten, was ich irgendwie 'nicht falsch' finde, Futter und Aufmerksamkeit. Mit zunehmender Erziehung baue ich das natürlich wieder ab - so käme es mir nicht im Traum in den Sinn, für meine eigenen Hunden, die bereits jahrelang bei mir sind, noch dauernd mit einem Leckerlibeutel herumzurennen.
Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass ich keine Grenzen setze oder niemals strafe. Aber ich möchte jedem Hund - und insbesondere Welpen - so eine faire Chance lassen, zuerst lernen zu dürfen, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und konsequent belohnt werden, bevor ich aversiv eingreifen muss. Grenzen setze ich allerdings ab Tag eins. Das geschieht aber nach Möglichkeit so, dass ich nicht den Hund in seine Umwelt hineinkorrigieren muss, sondern die Umwelt an den Hund anpasse.
Das behalte ich so lange bei, bis erstens eine gewisse Vertrauensbasis zwischen mir und dem Hund besteht und zweitens, bis ich mit der Basiserziehung dieses Hundes soweit bin, dass er die Abläufe kennt und weiss, was ich von ihm verlange. Bevor wir uns jetzt missverstehen: je nach Hund sprechen wir hier von 3-7 Tagen, in denen er 'ankommen darf' und während derer ich sein Umfeld so manage, dass Strafe schlichtweg nicht nötig ist (wobei natürlich trotzdem jede Menge an Erziehung stattfindet). Erst danach - und auch erst, nachdem ein Abbruch über positive Verstärkung aufgebaut wurde, so dass der Hund wissen kann, was 'nein' oder 'lass es' überhaupt bedeutet - erlebt mich der Hund, wenn unbedingt nötig, aversiv.
Aber: bevor dieser Hund mich, andere oder sich selbst zu Schaden kommen lässt, greife ich selbstverständlich und absolut kompromisslos auch aversiv ein. (Obwohl das, wenn ich so handeln muss, natürlich ein ganz klares Versagen meinerseits in der angemessenen Handhabung und Sicherung dieses Hundes aufzeigt. Aber in der realen Welt lässt sich nun mal nicht immer alles vorhersehen oder kontrollieren.) Drohen, sich abwenden, die Flucht ergreifen, sich ängstigen, erstarren, sich im Übermut an einem (dafür freigegebenen) Spielzeug auslassen, etc. ist absolut erlaubt und wird respektiert, aber ein Hund, der mich oder andere ernsthaft zu beissen versucht oder das in einer Art und Weise tut, dass die Haut Spuren davonträgt - und zwar völlig egal, ob er erst eine halbe Stunde oder bereits eine Woche bei mir ist - wird eine äusserst heftige und eingängige Reaktion meinerseits erfahren.
Ich verstehe nicht, wie man sich wochenlang vom eigenen Welpen die Gliedmassen zerbeissen lassen kann. Jede Wiederholung des ja eigentlich unerwünschten Verhaltens festigt ja ebendieses. Ausserdem will ich doch gerade so einem jungen Hund, der Neues noch aufsaugt wie ein Schwamm, schnellstmöglichst beibringen, dass gewisse Verhaltensweisen nicht wie gewünscht funktionieren ('wenn ich in menschliche Haut beisse, komme ich niemals zu meinem Ziel bzw. ist das niemals befriedigend') und andere befriedigender sind ('mit meinem Menschen mit Objekten zergeln ist lustig, aber wenn ich Haut erwische ist leider Schluss mit dem tollen Spiel'). Ich bringe meinem Hund doch nicht erst wochenlang bei, dass es dem Menschen völlig egal ist, wenn er volle Kanne in seinen Körper hackt und er ihn schon nett wieder herausoperieren wird, nur um ihn - nachdem man den zwölften Trainer konsultiert hat - einige Zeit später dann doch und jetzt massiv aversiv abzubrechen? Kein Wunder, dass der Welpe da dann erst recht überdreht und vollends verunsichert und verwirrt ist.