Ich habe jetzt mal wieder eines meiner früheren Lieblingsbücher gelesen:
"The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry" von Rachel Joyce
Darin geht es um den britischen Rentner Harold Fry, der mit seiner Frau Maureen in einem beschaulichen Vorort lebt. Doch schon seit Jahren leben die beiden nur noch nebeneinanderher, haben sich eigentlich nichts mehr zu sagen. Es wird im Romanverlauf schnell deutlich, dass dies vor allem an der den Erlebnissen mit David liegt, dem Sohn der beiden, den Harold sehr liebte - aber stets kam er sich als Vater inadäquat vor und hatte oft Schwierigkeiten damit, seine Zuneigung offen zu zeigen, zumal der hochintelligente, aber oft in Schwierigkeiten geratende David wohl eher wenig von der empfundenen Spießbürgerlichkeit des Elternhauses hielt. Maureen scheint Harold die Schuld an vielen Dingen zu geben, die in Davids Kindheit und Jugend falsch liefen.
Doch Harold wird aus seinem Alltagstrott gerissen, als er einen Brief einer ehemaligen Arbeitskollegin, Queenie Hennessy, erhält. Diese lässt Harold wissen, dass sie in einem Hospiz liegt, da sie unheilbar krank ist. Eigentlich will Harold ihr darauf nur mit einem kurzen Brief antworten - doch irgendetwas hindert ihn daran, denn vor zwanzig Jahren geschah wohl etwas sehr Folgenreiches, woraufhin Queenie die Gegend verließ und Harold nie wieder von ihr hörte.
Ohne es wirklich geplant zu haben, beginnt Harold eine Pilgerreise von seinem Zuhause in Devon nach Berwick-upon-Tweed, wo Queenie im Hospiz ist, um sie noch einmal persönlich zu sehen. Gut ausgerüstet ist er nicht, doch er begegnet den unterschiedlichsten Menschen, die ihm behilflich sind und auch ihre ihre oft tragisch-komischen, schrägen, verschnörkelten Lebensgeschichten mit ihm teilen. Auf der etwa 600 Meilen langen Reise wird Harold jedoch auch mit den Geistern seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert - und erinnert sich an ein oft schwieriges, schmerzhaftes Leben, gleichzeitig aber auch an schöne Momente und unerwartete Menschlichkeit...
Tatsächlich hat mir das Buch noch genauso gut gefallen wie früher. Vielleicht sogar noch mehr, denn da auch ich inzwischen schmerzliche Verluste erlitten habe, fand ich die Handlung sogar noch berührender. Rachel Joyce beweist beim Schreiben viel Feingefühl und bringt auch komplexe Emotionen und sehr nuancierte zwischenmenschliche Beziehungen auf den Punkt.
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Die Beschreibung von Davids mentalen Problemen und schließlich seinem Su*zid hat nichts "sensationalised" an sich, sondern wird realistisch und mit dem notwendigen Einfühlungsvermögen dargestellt.
Rotz und Wasser geweint habe ich tatsächlich am Schluss, als Queenie Hennessys Versterben beschrieben wird. Die Schilderung ist so eindringlich und traurig und zugleich tröstlich, das hat mich wirklich sehr ergriffen.