Hallo ihr,
ich reihe mich mal ein. Seit Sonntag sitzt hier auch so ein verängstigtes Exemplar aus dem Tierschutz, was als neugierig, offen, gut sozialisiert und freundlich zu Mensch und Tier beschrieben wurde.
Das wird er auch alles sein - sobald er sich sicher fühlt in der neuen Umgebung und den ganzen Zauber mit Kastration, Transport und dem ganzen "Streß" überwunden hat.
(9 Monate, frisch kastriert, undefinierbarer Mix)
Fazit bis heute ist: Ich bin ehrlich: Momentan bin ich ratlos und eher verzweifelt, weil die Dinge die ich mir vorgestellt habe bzw. die auf uns zukommen werden, vielleicht nicht klappen und ich keine Ahnung hab ob ich was richtig mache oder alles falsch...
Nein, Du machst nicht alles falsch - wahrscheinlich machst Du fast gar nichts falsch.
Es ist normal, dass diese Hunde in der ersten Zeit völlig unsicher sind.
Viele erleiden einen regelrechten Kulturschock, je nachdem, wo sie herkommen, kennen sie kaum irgendwelche Umweltreize und da ist dann alles, wirklich alles erst einmal ein Grund zur Angst und Panik.
Selbst Dich kennt der Kerle bisher kaum - auch wenn er allmählich Vertrauen zu Dir fasst. Aber das kommt schon noch, Ihr beiden müßt nur die erste Chaos-Zeit durchhalten, dann ist Enki soweit, dass er sich besser an Dir orientieren kann und dann gehts langsam besser voran.
Ich erzähle mal das was ich bisher über ihn weiß:
In der Wohnung:
Da klappt es bei mir allein ganz gut: er kommt von selbst auf mich zu. Da ich noch dazu gerade krank bin und deshalb mich am auskurieren bin, liege ich oft im Bett/auf dem Sofa. Er hat die letzten Tage des Öfteren mit mir gekuschelt und wir haben sogar schon mit einem Stofftier spielen können.
Berührungen sind ok, Geschirr/Leine anlegen klappt auch.
Das ist doch schon mal ein sehr guter Anfang.
Gegenseitiges Vertrauen braucht einfach Zeit.
Selbst, wenn von der ersten Sekunde an, das Zusammenleben von Mensch und Hund absolut perfekt läuft, braucht es einige Wochen, bis eine Vertrauensbasis da ist, aufgrund derer man anfangen kann, die Anforderungen an den Hund langsam zu steigern.
Es gab schon 3 Besuche: mein Freund war zweimal da und 2 Bekannte.
Alle drei haben ihn jeweils ignoriert und einer meiner Freundinnen hat er sogar ein Leckerchen aus der Hand genommen.
Gut so - einfach so weiter machen.
Mein Freund bereitet im Panik - er verkriecht sich in die andere Ecke des Zimmers oder tastet sich vorsichtig zu mir durch, wenn ich neben ihm auf dem Sofa sitze.
Vorgestern hat er ebenfalls ein Lecker von seinem Schuh geklaut.
Wenn er unbeobachtet ist, schnüffelt er heimlich in der Gegend um den Besuch rum, sobald eine Bewegung kommt, nimmt er reißaus.
Männer sind oft ein Problem - sie haben eine andere Ausstrahlung, eine tiefere Stimme, andere Bewegungsmuster, die auf Hunde ganz anders wirken, als wir Mädels.
Auch einfach weitermachen mit dem "Schönfüttern" - den Hund am Anfang wweiter in seinem Tempo kommen lassen, während Ihr beiden Menschen Euch ganz entspannt unterhaltet.
Alles in allem ist er einfach noch unsicher hier und ich hoffe ich mache bis jetzt alles richtig.
Da er keine Kommandos beherrscht bis jetzt (außer NEIN), versuche ich ihm gerade als Rückzugsmöglichkeit einen Stoffkennel schön zu füttern.
Das ist auch gut und wichtig. Dort sollte es absolut tabu sein, dass irgendein Besucher dort hin geht.
Hier kommt nämlich mein Problem: Ende nächster Woche wollte ich mit ihm ins Büro und meine Arbeit wieder aufnehmen.
Ich habe echt die Befürchtung das es für ihn fürchterlich und stressig wird. Eine Betreuung die ich organisieren würde bereitet ihm sicherlich genauso Streß, da er Fremden gegenüber sehr ängstlich ist.
Was denkt ihr: eher Büro oder Betreuung?
Keine Ahnung - aber bis Ende nächster Woche ist noch Zeit.
'Da kann sich schon noch einiges tun.
Kommt natürlich auch ein wenig auf das Büro an - wenns eins ist, wo Du den größten Teil des Tages allein bist, mag es besser gehen, wenn dort Publikumsverkehr ist, wird es schwieriger.
Aber die Box als "sicheren, mobilen" Ort einzusetzen, ist auf jeden Fall eine gute Idee.
Nun zu draußen:
Hier geht gar nichts... Ich wohne Luftlinie 500 m von einem kilometerlangen Auslaufgebiet von dem uns eine Brücke trennt, die für uns noch nicht begehbar ist.
Da ich kein Auto habe, sind wir auf unsere Füße/Pfoten angewiesen. Hier im Wohngebiet wird jeder noch so kleine Spaziergang zu argem Streß.
Enki ist völlig hektisch bis panisch. Nimmt reißaus vor Fußgängern (speziell wenn jemand hinter uns geht) und alles in allem ist er so wie er reagiert völlig überfordert. Er gefriert bei Geräuschen oder Gegenständen und läßt sich durch nichts beeindrucken, außer durch einen Richtungswechsel von mir oder rennt in Panik weg, so dass ich zumindest ein paar Schritte hinterhermuss damit er nicht aus Geschirr und Halsband raus ist.
Wenn wir abends gehen ohne Menschen oder nur ganz begrenzter Zahl, dann trägt er die Rute wieder normal und hat sichtlich Freude daran alles zu erschnüffeln.
Neue Umgebung, Angst vor Menschen, mangelnde Umweltsicherheit, Unerfahrenheit im Leinelaufen, ein zwar netter, aber noch schwer einzuschätzender Mensch an der Seite....
Da prallen natürlich mehrere Welten auf den Kerle ein.
Und so richtig viel Einfluss hat man nicht auf die Umgebung.
Was ICH machen würde:
In den nächsten Tagen immer dieselbe Strecke gehen. Dann ist die Umgebung immerhin der vertraute Faktor, der konstant bleibt.
Wenn draußen viel Trubel ist, mehr so Gassi gehen.
Und die Spaziergänge zum Schnuppern tatsächlich in die sehr frühen Morgen- und sehr späten Abendstunden verlegen.
Dann kann der Kerle sich erstmal seine direkte Umgebung erobern und fühlt sich in dieser sicher.
Dann erst die Anforderungen in anderen Dingen steigern. Also zu Tageszeiten, wo mehr aber noch nicht die Hölle los ist.
Fast das Wichtigste: Dass Du selbst ruhig und gelassen bleibst. Und ein Mittelding schaffst zwischen "Ich nehme Deine Angst wahr (sonst kommt hund sich ziemlich allein gelassen vor), aber, hey, schau mal, was ich mache: gar nichts, weil es nämlich gar keinen Grund zur Aufregung gibt. Komm einfach weiter..." Ruhig, freundlich, gelassen. Auch durchaus mal mit leichtem weiterziehen.
DAMIT Du ganz entspannt und gelassen sein kannst - müssen Halsband und Geschirrr ausbruchssicher sein! Es gibt bei "far from fear" auf der seite einen Shop, wo man ausbruchsichere Geschirre bekommen kann.
Auch das Halsband sollte so beschaffen sein, dass es recht eng ansitzt und auf gar keinen Fall über Kopf abzustreifen ist.
Begegnungen mit anderen Hunden haben wir bisher nur über Blickkontakt gehabt, aber da tickt er völlig aus und starrt. Ansprache/Locken/Blick versperren probiere ich und es klappt vielleicht.
Da ich ihn noch nicht einschätzen kann wage ich mich noch nicht daran ihm meine Gassihündin oder gar den Nachbarshund vorzustellen, weil ich nicht wüßte wo man das Treffen arrangieren sollte.
Da wäre die Einschätzung eines erfahrenen Hundemenschen ganz gut - starrt er vor lauter Begeisterung, oder wirkt er da auch eher unsicher.
Denn mit einem souveränen Begleithund, der Enkis Sprache spricht, KANN es für Euch beide deutlich leichter werden. Ein Treffen würde ich in einem absolut sicher eingezäunten Gelände (Hundeplatz, z. B.) arrangieren. Mit wem dabei, der sicher in der Interpretation von Hundekommunikation untereinander ist.
Habt ihr da Tipps?
Ist es sinnvoll die Begegnung herbeizuführen jetzt wo er noch so unsicher ist (und ich ebenfalls muss ich zugeben).
Entschuldigung für den langen Text. Vielleicht habt ihr Ideen wie ich ihm das Eingewöhnen stressfreier machen kann.
Regelmäßige Abläufe. Es gibt dem Hund Sicherheit, wenn er ungefähr weiß, wann Ihr rausgeht, wann Ihr ruht, wann es Essen gibt, was von ihm erwartet wird.
Positive Bestärkung jedes guten Verhaltens - Hund sieht sich zu Dir um unterwegs - Enki, fein. Entspanntes Schnuppern irgendwo - Enki, fein. Entspanntes an der Leine gehen - Enki, fein. Er muss glauben, dass er so heißt: Enki, fein.
DU musst ruhig und gelassen sein - das strahlt dann auch genug Ruhe und Gelassenheit für Enki ab.
Dafür sorgen, dass auch genügend Ruhephasen da sind - Daueranspannung führt zu Verkrampfungen und einem hohen Streßhormonpegel. Da muss im Gegenzug die totale Entspannung her - wie z. B. Eure Kuschelstunden.
Zusätzlich kannst Du noch Kokosflocken dazu geben - da ist Serotonin drin, was zum Streßabbau beiträgt.
Oft ist es so, dass bei einem vorher "normalen" Hund das erste "Klick" nach etwa zwei Wochen kommt - dann bessert sich schon mal so einiges, alles wird ruhiger und gelassener, der Hund weiß, was ihn wann erwartet und fügt sich in den Alltag ein.
Dann macht es den nächsten Klick nach 4 - 6 Wochen. Dann kennen Hund und Mensch sich schon ganz gut, der Mensch ist berechenbar geworden. Hund fühlt sich immer sicherer.
Und dann gibt es noch je nach Hundetyp den Moment, wo der Hund sich endlich traut, auch mal Frechheiten vom Stapel zu lassen. Da muss der Mensch dann den Übergang von der anfangs doch sehr milden Erziehung auf eine Erziehung, die auch verstärkt mal Grenzen setzt schaffen. Grenzen - auch vom ersten Tag an - sind ja nix Schlimmes, sondern sie geben dem Hund nur den festen Rahmen vor, innerhalb dessen er sich frei bewegen kann.
Freu Dich über jeden kleinen Erfolg - in ein paar Monaten sieht alles um Klassen besser aus.
LG, Chris