Probleme/Entwicklungsunterschiede

  • Es gibt ja reichlich Probleme der verschiedensten Art mit Hunden. Da gibt es Erziehungsprobleme, Verhaltensprobleme, gesundheitliche Probleme und nicht zuletzt auch immer wieder Probleme mit aggressivem Verhalten gegenüber anderen Hunden und/oder Menschen.
    Woher kommen aber in erster Linie die Erziehungs- und Verhaltensprobleme als auch die Aggression von Hunden?
    Lasst uns doch bitte folgendes Denkmodell diskutieren:


    Neueste Schätzungen gehen davon aus, das Hominiden und Caniden seit ca. 150.000 Jahren in zumindest lockeren Sozialverbänden miteinander leben.
    Gesicherte Erkenntnisse gehen davon aus, das der Mensch (Homo sapiens sapiens), seit rund 25.000 Jahren mit Caniden lebte und diese, zunächst unter Vorbehalt zu sehen, domestizierte.
    Am Anfang standen mit Sicherheit die Wach- und Schutzhunde- als lebende Alarmanlage für das Herannahen von fremden Sippen und Raubtieren.
    Dann folgte vermutlich vor rund 20.000 Jahren die erste Selektion zum Jagdhelfer (Jagdhund).
    Die Selektion zum Herdenschutzhund/Hütehund erfolgte praktisch in dem Augenblick, in dem der Mensch mit der Herdenhaltung bzw. Viehzucht begann. Also (man möge mich berichtigen) vor ca. 14.000 bis 18.000 Jahren. Bis heute werden diese beispielsweise durch die kurdischen Nomaden im Iran weiter gezüchtet. Mal kleiner, mal größer, ja nach Lage der Versorgungs- und Konfliktsituation.
    Vor ca. 10.000 bis 12.000 Jahren begann die selektive Zucht genauer zu werden. Jagdhunde, Schlitten- und Lastenhunde, Wach- und Kriegshunde, Hüte- und Herdenschutzhunde, Treibhunde wurden genauer definiert. Im Grunde entstanden zu dieser Zeit die direkten Ahnen vieler heute noch existierender Rassen wie Malamuten, Akita Inu, die Molosserrassen, Grönlandhunde unsw. So ist z.B. der Malamute schon seit 8000 Jahren als definierte Rasse bekannt, der Grönlandhund seit 5000 Jahren und selbst die Vorfahren des erstmals um 1750 n.Cr. als Rasse definierten Rottweilers kamen schon vor knapp 2200 Jahren mit den Römern über die Alpen. Man muss also davon ausgehen, das die spezifischen Eigenschaften vieler heute noch existierender Rassen, schon vor rund 10.000 bis 12.000 Jahren hoch entwickelt und deutlich definiert waren. Was danach kam, waren nur noch weitere, verfeinerte Spezialisierungen und Spezifikationen die auf längst etablierten und gefestigten Verhaltensweisen und Charakteristika beruhen. An dieser Entwicklung hat sich bis heute nichts geändert. Egal ob Herdenschutzhund, Hütehund, Wachhund oder Jagdhund, die Selektivzucht wurde konsequent beibehalten und wird es heute noch in sog. Leistungszuchten.
    Wir haben also auch heute noch Hunde mit bereits vor 25.000 Jahren voll entwickelten Eigenschaften, die seit rund 10.000 Jahren immer weiter definiert- und somit gefestigt und ausgeprägt wurden.


    Der Wandel kam eigentlich erst vor rund 60 Jahren, nach dem zweiten Weltkrieg. Der Hund wurde Gesellschaftsfähig und die Populationen innerhalb der Gesellschaft nahmen ständig zu. Aber nicht nur die Populationen, sondern auch die verschiedenen Rassen mit ihren spezifischen Eigenschaften wurden immer vielfältiger.
    Aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht hat sich der Anspruch an die Hunde von einem auf den anderen Augenblick vollkommen gewandelt. Hunde die sich früher bekämpfen sollten, sollen heute friedlich mit ihrem Menschen unter einem Dach wohnen, Hunde die sich über 14.000 Jahre nicht begegnet sind sollen plötzlich miteinander auf der Wiese spielen, Hunde die Jahrtausende lang jeden Fremden töten sollten, sollen heute den Besuch freudig begrüßen unsw.
    20.000 Jahre Prägung auf Beuteriss sollen durch Futterdummys kompensiert werden,
    18.000 Jahre Prägung auf Herdenschutz sollen durch das Melden von Fremden kompensiert werden, Hunde die teilweise zu Hunderten, 24 Stunden täglich mit ihren Menschen zusammen waren und über Jahrzehnte hinweg die Völkerwanderungen realisierbar machten, sollen heute als Einzelhund an der Leine gehen und „stundenweise“ alleine zu Hause bleiben können.


    Was wir heute erwarten ist, dass zig Jahrtausende intensiver Prägung, genetischer und verhaltensspezifischer Selektion und kollektiver Erinnerung von einer Spezies ignoriert werden, die überhaupt nicht in Lage ist, seine Handlungen zu planen oder Geschehnisse mit der eigenen Handlungsweise in Verbindung zu bringen.


    Kann das überhaupt funktionieren?


    Können wir wirklich erwarten, trotz der Anpassungsfähigkeit des Hundes, das er sein gesamtes Verhaltensspektrum unserem augenblicklichen Anspruch anpasst?


    Besteht überhaupt nur die theoretische Möglichkeit, dass Hunde Jahrtausende alte Prägungen unserem Anspruch gemäß katalysieren können?


    Sind haltungsbedingte Verhaltensauffälligkeiten, unerwünschte Verhaltensweisen, Ängste vor- und Aggressionen gegen Menschen und Artgenossen, nicht eine Zwangsfolge unserer gesellschaftlichen Entwicklung?


    Kann selektive Zucht heute, mit der Geschwindigkeit des gesellschaftlichen Wandels überhaupt mithalten?

  • Ui, ich glaub, ich werd jetzt mal eine auf den Deckel kriegen ;-)


    Ich denke, die meisten verhaltensauffälligen Hunde haben ein anderes Ende der Leine, das nicht verstehen will, was da unten vorgeht. Viele Menschen nehmen sich einfach nicht die Zeit, das Wesen Hund verstehen zu lernen. Wieviele Leute beugen sich heute über einen Hund, den sie nicht kennen, drüber, tätscheln ihn am Kopf und sagen gleichzeitig: " Achja, ein Hund, mit denen kenn ich mich aus, ich hatte selber schon welche..."


    Die Anpassung eines Hundes kann ja funktionieren - wenn man das Verhältnis von Unfällen mit Hunden mit der Anzahl der Haushunde vergleicht, ist der Anteil der Unfälle doch relativ gering. (Mal abgesehen von einer nicht ganz unbeträchtlichen Dunkelziffer...)
    Ob es diesen "Haushunden" größtenteils auch wirklich gut geht - das ist eine andere Frage. Aber die gleiche Frage könnten sich Katzenhalter, Wellensittichbesitzer, Meerschweinchenstreichler & Co auch stellen. Auch von diesen Tierarten wird absolut abartiges verlangt. Und sehr viel mehr Zeit hatten diese Tiere auch nicht zur Umgewöhnung.


    Tiere sind sehr anpassungsfähig - das hat die Natur immer wieder bewiesen. Und ich denke, dass ein harmonisches Miteinander durchaus möglich ist, wenn sich auch der Mensch die Mühe gibt, das Tier (egal welches) zu verstehen.



    Ich fände es zumindest falsch, sich auf eine Unmöglichkeit durch die jahrelange Prägung ausreden zu wollen (das unterstelle ich Dir jetzt in keinem Fall Wakan - hab ich aber schon mal gehört: Ja, der Hund knurrt und schnappt, aber was will man da machen, es ist halt ein halber Wolf... Und der Hund, der zu dieser Aussage gehörte, hat nach allem geschnappt und geknurrt, wenn man sich nur auf einen Meter näherte..)


    lg
    schnupp

  • Hi,


    kann es vielleicht auch sein, dass Verhaltensstörungen bzw. -auffälligkeiten auch dadurch entstehen können, weil manche kaputt gezüchteten Rassehunde eben Schmerzen haben, weil z.B. der Kopf zu schmal für das Gehirn ist oder die Hüfte eben weh tut, weil der Hund den ganzen Tag "schief" steht, der Hund nicht richtig Luft kriegt etc.


    Die meisten Probleme entstehen doch durch Überzüchtung und Artentfremdung. Man will sich den Hund eben so züchten, wie er für den Mensch am einfachsten zu handhaben ist oder eben halt am schönsten aussieht, ob das für den Hund einen Vorteil oder Nutzen hat ist doch dem Menschen egal. So kommt es mir zumindest vor.


    Will noch mal betonen, dass ich von Überzüchtung spreche, ich will hier keine Züchter angreifen. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich so wenig wie möglich in die Natur eingreifen (generell). Die Natur hat ja auch für so manches ihre Gründe.

  • Im Umkehrschluss bestätigt Ihr also meine Einschätzung. (?)
    Der hund hat die Anlage X aber der Mensch kann es nicht mehr richtig einschätzen bzw. ignoriert sie.

  • Hallo,


    ich glaube auch das viel von dem anderen Ende der Leine ausgeht, dem Menschen.


    Der Hund passt sich seinem Rudel an, sollte dieses Rudel eher ruhig in seiner Wohnung leben, wird der Hund auch ruhiger, lebt der Hund in einer unruhigen Familie wird er auch unruhig. Da sein Umfeld ja doch ganz anders ist.


    Der Hund ist schon Anpassungsfähig, wie er sich anpasst ist halt wirklich Situationsbedingt.
    Es ist leider auch so das ein Hund vermenschlicht wird und zum Teil gar keine Hundesprache mehr kann.


    Mittlerweile sind genügend Hundebesitzer bereit die Hundesprache für sich neu zu entdecken. :gut:


    Im Prinzip hat der Hund zum Teil seinen Urinstinkt behalten, er will uns nicht gefallen, sondern er ist ein Egoist. Derjenige der ihn füttert und ihm die Regeln aufzeigt ist halt der Chef bei ihm. Das sind dann halt in dem Moment die Menschen bei denen er wohnt.
    So ist es ja auch früher gewesen, der Chef kümmert sich um alles und die anderen ordnen sich unter.
    Nu ist es kein Vierbeiner der Chef ist, sondern ein Zweibeiner, der Mensch. Jedenfalls sollte es so sein, damit keinem anderen etwas passieren kann.:wink:

  • Hallo Wakan,


    ja, das sind Gedanken, die ich mir auch schon oft gemacht habe. Ursprüngliche Hunde haben in der heutigen Gesellschaft ihre Probleme, nicht weil der Hund ein Rad ab hat, sondern weil er in unsere Gesellschaft nicht mehr paßt. Entweder haben wir ein Igitt-Hund-Typ, oder ein Laßdichknutschen. Ich selber hab nun mal noch einen recht ursprünglichen Hund, der perfekt hündisch spricht, aber die Umwelt kommt nicht immer klar mit ihm. Mensch hat die Hundesprache meist verlernt, nimmt Hund als Partner- oder Kindersatz, und hat vergessen, dass Hund arbeiten will. Entsetzt schüttle ich den Kopf, wenn jemand z.B. über seinen Pyrenäenberghund klagt, und dabei vergißt, wofür er geschaffen wurde! Wenn mein Hund nicht in die Kategorie Schmusehund paßt, wird er abgestempelt. Dass er traumhafte Eigenschaften hat, die ein Hundekenner sofort sie, wird meist übersehen. Besonders in meiner Verwandschaft scheint man so langsam im gesicherten Reinraum zu leben. Hund ist da unerwünscht und eklig bis gefährlich. Mensch hat meist verlernt, wie man Hunden richtig begegnet. Dazu verkommt der Hund als Prestigeobjekt oder Sportgerät, und wenn er nicht mehr paßt, wird er abgelegt. Und trotzdem bewundere ich die Hunde, wie sie versuchen, sich so gut wie möglich an uns Menschen anzupassen. Wie sonst hätte er die Jahrtausende berleben können!


    Viele Grüße Kindhund

  • Zitat

    Ich fände es zumindest falsch, sich auf eine Unmöglichkeit durch die jahrelange Prägung ausreden zu wollen (das unterstelle ich Dir jetzt in keinem Fall Wakan - hab ich aber schon mal gehört: Ja, der Hund knurrt und schnappt, aber was will man da machen, es ist halt ein halber Wolf... Und der Hund, der zu dieser Aussage gehörte, hat nach allem geschnappt und geknurrt, wenn man sich nur auf einen Meter näherte..)


    Das ist natürlich Nonsens. Die Frage ist aber, warum schnappt der Hund nach jedem? Warum hat er eine so klar bemessene Individualdistanz und verteidigt sie so vehement. Nur Erziehung, nur ein schlechtes Verhältnis zum Halter? Das reicht mir als Eklärung für ein so inadäquates Verhalten nicht aus.


    Zitat

    kann es vielleicht auch sein, dass Verhaltensstörungen bzw. -auffälligkeiten auch dadurch entstehen können, weil manche kaputt gezüchteten Rassehunde eben Schmerzen haben, weil z.B. der Kopf zu schmal für das Gehirn ist oder die Hüfte eben weh tut, weil der Hund den ganzen Tag "schief" steht, der Hund nicht richtig Luft kriegt etc.


    Schmerzen und andere körperliche Beschwerden können selbstverständlich Verhaltensauffälligkeiten auslösen.
    Ich meinte aber nicht unbedingt Verhaltensstörungen. Ein selbstständiger Hund mit einer niedrigen Hemmschwelle und einem ausgeprägten Schutztrieb wie Territorialaggression wie z.B. ein Kangal, ist nicht Verhaltensgestört oder auch nur Verhaltensauffällig wenn er einen fremden Hund tötet der seine Territorialgrenzen verletzt. Er wurde zu diesem Zweck gezüchtet! Ein Hund handelt grundsätzlich richtig. Er kann kein alternatives Verhalten entwickeln. Andere Reaktionen müssen ihm beigebracht werden- und zwar für jede einzelne mögliche Situation.

  • Hi Wakan,


    da gebe ich Dir völlig recht, aber welcher Schäferhund wird denn heute noch gezüchtet, um Schafe zu hüten, welcher Dackel wird zur Jagd eingesetzt, welcher Ridgeback jagt hier Löwen?


    Wenn jeder Hund seinem ursprünglichen Zuchtzweck entsprechend eingesetzt würde, wären doch die Probleme gar nicht da. Aber da der Mensch der Egoist ist, werden die Hunde an die Bedürfnisse des jeweiligen Menschen angepasst. Eigentlich müsste es doch andersrum sein.

  • Das ist es was ich unter anderem meinte Evemary_Pablo.


    Um es mal auf des Deutschen liebsten Kindes zu projezieren: Die Leute die Kilometerleistung einer 40tonner Zugmaschiene, das Raumangebot eines 500.000 Euro teuren Wohnmobils, die Geschwindigkeit eines getunten Porsches, das Handling eines Golfs und den Verbrauch eines Smart - Diesel. Nun, so ein Auto könnte man vielleicht bauen. Bei Hunden sieht das anders aus. Jedem müsste klar sein, das sowas beim Hund nicht funktioniert. Trotzdem will jeder einen Hund. Und wenn es tausend mal der falsche ist, hauptsache er sieht gut aus.

  • @ wakan


    Tja, solche Menschen sollten sich dann vielleicht lieber ein Auto kaufen, als sich einen Hund anzuschaffen. Da sich das ja oft wegen Geldmangel nicht realisieren lässt, ist ja der Hund die billigere Lösung. Wie Du schon sagst, ob es passt oder nicht.


    Aber leider sitzen wir ja auch abends nicht mehr am Lagerfeuer und fressen unser selbst gejagtes Wild, damals konnte sich der Hund es noch aussuchen, bei welchem Mensch er bleibt. Heute wird auf Bestellung gezüchtet, obwohl es genug Tiere gibt, die ein Zuhause suchen. Echt traurig eigentlich.

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