hallo zusammen.
Seit über einem Jahr lese ich nun still bei euch mit. Meine Zappeline ist seit Juni 21 mit mir unterwegs und ich kann sie auch als Hibbelhund bezeichnen. Ich erzähle euch von uns, weil es vielleicht jemandem helfen kann. Es muss sich niemand alleine fühlen. Es geht vielen wie euch, auch wenn die Herausforderungen verschieden sind.
Ich habe die Zeit bis jetzt mit ihr (Appenzeller Sennenhündin, 1,5 Jahre alt) als sehr schwierig und oft überfordernd empfunden, aber da auch als sehr lehrreich. Sie ist aus der offiziellen Zucht, Zuchtstätte und Zuchthündin waren sehr positiv. Sie ist bei mir, seit sie 9 Wochen alt ist, nach zwei Tagen im neuen Zuhause war klar: Sie kommt nicht selber zur Ruhe, den ganzen Tag nicht. Die Nacht hingegen war nach dem allabendlichen Wahnsinn kein Problem.
Zappeline musste Ruhe lernen! Ich versuchte vieles: feste Ruhezeiten, geregelter Tagesablauf, Box oder sonstige Begrenzungen, Deckentraining etc. Es begann eine stressige und frustrierende Zeit für uns beide, sie schlief zu wenig und die wilden fünf Minuten dauerten meist etwa drei Stunden. Zappeline in diesem konstant übermüdeten Zustand an Neues oder "Aufregendes" heranzuführen war zum Scheitern verurteilt. Ich war verzweifelt, frustriert und zutiefst verunsichert als Ersthundehalter. Ich bin Mitte 30 und habe mir ein halbes Jahr Zeit genommen, damit eine gute Basis geschaffen werden kann, klappte aber überhaupt nicht. Mit meinen Emotionen hat sich die Abwärtsspirale natürlich erst richtig in Gang gesetzt😅. Wir haben eine Welpenspielgruppe, Junghundekurs später eine lokalen Hundeverein besucht, vor allem damit ich etwas lerne. Zappeline konnte sich nie konzentrieren (altersbedingte Möglichkeiten berücksichtigt), sie war eigentlich immer im roten Bereich, also am Ausrasten, fast jedes Mal. Rückblickend würde ich uns das nicht mehr antun. Aber damals habe ich geglaubt, sie könne es mit der Zeit lernen und vor allem andere Hunde treffen. Die gleichaltrigen Hunde waren alle viel zurückhaltender und mehr auf den Hundehalter fokussiert. Ich habe viel gelesen, mich informiert. Wir haben viel trainiert und geübt, wahrscheinlich zu viel, weil sie einfach auch mit dem normalen (ruhigen, ländlichen) Alltag schon nicht zurecht kam. Ich habe versucht zu sozialisieren, aber auch altersgerecht dosiert. Sie lernt zwar schnell, aber bei der kleinsten Ablenkung kann sie bis heute kaum etwas umsetzen. Ich habe tägliche welpen/junghundegerechte Spaziergänge in ruhiger Umgebung gemacht, aber sie war immer komplett aussenfokussiert, sehr sprunghaft von einem zum andern und schien extrem gestresst (konstantes Kratzen, hektische Bewegungen, immer wieder in die Leine ballern egal ob SL oder kurz). Einen Folgetrieb hatte sie übrigens nie, Freilauf daher nur, wenn eingezäunt. Es war als ob sie Reize einfach nicht filtern konnte. Man bekommt ja viele Ratschläge, mehr machen, umlenken, blocken, weniger machen, mehr Impulskontrolle, strenger sein, alles normal, ignorieren und so weiter, ihr kennt sie bestimmt auch alle😉.
Es wurde auch eine Abgabe empfohlen, aber wem kann man einen Hund geben, der einfach fast immer vollkommen drüber ist? Und ich hätte sie zeitweise sofort in fähigere Hände gegeben, glaubt mir.
Die Wende kam mit etwa 10 Monaten, eine Trainerin riet mir die Spaziergänge zu streichen und im Haus und Garten zusammen Zeit zu verbringen, alles tun was uns Spass macht und bei ihr keinen Frust aufkommen zu lassen, fixer Tagesablauf aber einhalten. Siehe da, nach zwei Wochen, kam sie im Haus von selber zur Ruhe, die wilden fünf Minuten waren nur noch kurz und nicht mehr täglich. Nach einem Monat war Zappeline im Haus und im Garten bei normalen Abläufen nicht mehr sogestresst. Als ob der ganze Stress mal endlich auf ein Minimum reduziert wurde. Seither wurde es immer besser und ich dosiere sehr genau, wie viel Reize ich ihr zumute. Es ist ein tägliches ausloten, der Grat zwischen zu viel und zu wenig ist extrem schmal. Die normale Spazierrunde (die sie seit Welpe kennt) geht max. alle zwei Tage, sonst kommt sie nicht mehr zur Ruhe zu Hause. Vieles bessert sich und zwischendurch steigt ihre selbstbeherschung mal um eine Millisekunde. Bekannte Übungen (Sitz, Handtouch etc.) werden nun mit 1.5 Jahren überhaupt erst möglich bei wenig Ablenkung. Sie beginnt mich draussen mehr wahrzunehmen und die Spaziergänge sind nicht mehr Stress pur für sie.
Die grossen Baustellen sind noch: Leinenführigkeit, allgemein draussen relaxter werden, Hundebegegnungen und andere Tiere die so auf der Strasse entgegenkommen, Begrüssung von Besuch, Ansprechbarkeit und Aufmerksamkeit auf mich und diese auch halten.
Ich habe sehr viel gelernt über mich, Geduld und Verständnis für Wesen die einfach nicht der "Norm" entsprechen. Trotzdem ist sie äusserst frust- und stressanfällig, kaum belastbar, immer mit Drang nach vorne, unabhängig, nicht futtermotiviert (Spiel ebenfalls nur begrenzt), reaktiv, oft unberechenbar und schwer zu beeinflussen, ruhige Berührungen ertragen. Das macht das Vermitteln vom gewünschten Verhalten und das Zusammenleben in der heutigen Gesellschaft anspruchsvoll.
Aber ich liebe sie auch, weil sie so voller Lebensfreude ist, am liebsten alles wissen und erkunden möchte, sie die meisten Menschen sehr mag und sie mir einfach manchmal den aufmerksamsten und liebsten Blick zu wirft.
Natürlich habe ich Fehler gemacht. Von den Wurfgeschwistern weiss ich jedoch, das diese ähnliche Schwierigkeiten haben. Das entlastet mein schlechtes Gewissen, wir können ja nicht alle die selben Fehler gemacht haben.
Ich glaube immer noch mit Training, Konsequenz, Zeit und endlose Geduld kann einiges besser werden oder man findet sich damit ab und es ist auch in Ordnung, egal was andere sagen.
Ich wünsche allen, die mit einem ähnlichen Hund zusammen leben: Akzeptanz, Geduld, ein dickes Fell, keine Vergleiche mit andern, Freude an allem was gut läuft und auf die eigene Intuition hören.
Es gibt immer irgendwo Fortschritte, die man feiern kann, auch wenn nur du sie siehst .