Wie lernt mein Hund Frust auszuhalten??

  • Mal ne Frage zum "Zeigen und Benennen". An sich ne tolle Sache und die Vorteile im Vergleich zu "Schau mich an" sind mir auch klar. ABER: Foxi guckt nen Hund an und ich belohne das. Bestärke ich dann nicht auch ein Verhalten dass ich gar nicht will? Ich will ja nicht, dass er sich bei anderen Hunden so aufspielt. Selbst wenn er noch nicht aggressiv loslegt, er hat es aber vor (manchmal zumindest). Bestärke ich ihn dann nicht in seinem pöbeln? Oder ist das anfangs ganz egal, weil der Hund langfristig lernt "Hund angucken - Frauchen angucken - Leckerchen" und das pöblen darüber vergisst (oder zumindest die Alternative aktzeptiert)?

  • Das Thema kommt mir durchaus bekannt vor - ich war ja als Teenager gut mit einem Jagdterrier befreundet. Wenn der ein vierbeiniges Opfer oder sonst ein Objekt der Begierde nicht kriegte, drehte er sich grundsätzlich um und zerfetzte seiner Besitzerin die Klamotten. Er war dabei übrigens in keiner Weise unsicher, er war stinksauer, weil er gerade nicht kriegte, was er wollte. Seine Besitzerin reagierte darauf regelmäßig mit einem langmütigen "Was soll er machen - er ist eben jähzornig!"


    Meine Freundin, die Nichte der Besitzerin und ich sind dann in voller Vierzehnjährigen-Blödheit unsererseits sehr wütend geworden, als er die Nummer bei uns versucht hat. Sprich: Wir haben ihn einfach am Kragen gepackt und ihm laut und deutlich gesagt, daß wir sowas verdammtnochmal NICHT wollen!


    Ob's ein Fall von "Frechheit siegt", Glück oder sonstwas war - es hat jedenfalls geholfen. Wir waren nach einigen Wiederholungen tatsächlich die einzigen, die er in Ruhe ließ. Er geiferte zwar weiter nach vorne, warf aber, wenn sich der Rivale entfernte, nur noch einen schnellen Blick über die Schulter, fixierte uns - und entschied sich dann auf sowas wie ein drohendes "Laß es!" regelmäßig anders. Später konnten wir ihn sogar am Geschirr aus Ärger nehmen oder hochheben, ohne daß er nach hinten biß. Seiner Besitzerin zerfetzte er für sowas lebenslang die Klamotten - er konnte also offenbar selbst im Affekt durchaus differenzieren.


    Versteh mich jetzt bitte nicht falsch. Ich würde Foxi mit seiner Angst-und Prügel-Vorgeschichte jetzt bestimmt nicht so grob anfassen, wie wir es damals in unserer Unwissenheit getan haben. Aber ich würde meinem Hund schon, neben allem anderen Training, in so einer Situation unmißverständlich zu verstehen geben, daß ich NICHT sein Frustabfuhr-Objekt bin und nicht als solches benutzt werden möchte. Klar solltest du das Hauptgewicht darauf legen, Foxi Alternativen zu zeigen - aber von mir würde er auch das Feedback kriegen, daß In-den-Arm-Beißen eine absolute Grenzüberschreitung war.

  • Du hast in sofern Recht, dass Foxi begreifen muss, dass er seinen Frust nicht an mir ablassen darf. Irgendwie muss er in solch einer Situation gemaßregelt werden. Aber wie? Wie ohne ihm Angst zu machen? Er darf das nicht, das ist klar, aber ich will mir natürlich nicht das aufgebaute Vertrauen kaputt machen. In manchen Situationen lässt er den absoluten Proll raushängen, aber er kann auch so schreckhaft und ängstlich sein. Und er soll ja nun wirklich keine Angst vor mir haben. Im Grunde ist die Frage: wie wird Foxi ein souveräner Hund?

  • Genau da hast du das Terrier-Grundproblem. Ich glaube, die sind allesamt Dr. Jekyll & Mr. Hyde: Proll und Seelchen zugleich.


    Das macht es tatsächlich immer etwas schwierig mit ihnen: läßt du dem Seelchen zuviel durchgehen, fütterst du schnell den Proll raus. Deckelst du den Proll zu sehr, kannst du das Seelchen verängstigen. Das ist wirklich ein ewiger Balanceakt.


    Meine junge Hündin ist da ja auch ein Paradebeispiel: einerseits lieb & weich bis zum Geht-Nicht-Mehr, andererseits, wenn sie einmal auf Betriebstemperatur ist, körperlich unempfindlich wie ein Büffel und wüst wie ein Terrier...*g*


    Wir fahren im Moment da gerade sehr gut mit der absolut klaren Kante: Die Kinderzeit ist vorbei, und das, was sie da gelernt hat, fordere ich jetzt rigoros ein. Zum Beispiel "Sitz"-Machen, bevor sie zu ihren Hundefreunden durchstarten darf, auf Abbruchkommando sofort mit der Zaunbellerei aufhören - eigentlich die absoluten Alltagssachen, die aber konsequent. Da ist auch durchaus schon mal was geflogen, wenn sie einfach durchstarten wollte.


    Es tut ihr auffallend gut. Sie ist über die letzten Wochen deutlich "reaktiver" und erwachsener geworden und hat ihre jugendlichen Ansätze zur Leinenpöbelei weitgehend wieder eingestellt. Sogar die Leinenführigkeit (der was wir bei ihr so nennen...) ist erheblich besser geworden. Das gibt mir dann wieder gut Anlaß, sie zu loben und zu bestärken. Also die Seelchen-Seite zu füttern, nachden ich den Proll gedeckelt habe.


    Und was soll ich sagen? Als gestern der Paketbote kam, hat sie wie ein kleines weißes Hundedenkmal frei auf der untersten Treppenstufe neben uns gesessen, bis er wieder weg war - ohne, daß wir das je speziell geübt hatten. Bisher (sie kriegt die Paket-Pappe, hält die Boten also für die netten Typen, die ihr Spielzeug anliefern) hat sie den armen Mann immer eher um- und angesprungen bis zur Nase und ihm vor Begeisterung möglichst auch noch auf die Füße gepinkelt. Diesmal reichten ein Sitz und ein Bleib (auch das üben wir übrigens regelmäßig nebenher). Ich war jedenfalls ECHT stolz auf soviel unerwartete Impulskontrolle. Great moments in history - so blöd sowas auch für Nicht-Hundeleute klingt.


    Ich würde bei Foxi auch sehr auf den Alltags-Gehorsam achten, Rituale geben ihm ja auch durchaus auch Sicherheit, dann wächst auch die Chance, daß er in Ausnahmesituationen im Kommando bleibt. Ob es bei ihm sinnvoll wäre, dem Proll im richtigen Moment mal gezielt eins aufs Dach zu geben, oder ob er dann wieder in alte Ängste fällt, kann man aus der Ferne echt nicht beurteilen - ich glaube, da wärt ihr mit einem guten Trainer besser beraten.


    Auf jeden Fall viel Glück und einem langen Atem - so sind sie nun mal, die kleinen Ungeheuer....*g*

  • Ich glaube übrigens, ich würde mich bei einem Hund in Foxis Alter und mit Foxis Vorgeschichte für den unpädagogischen Kompromiß entscheiden: In absoluten Durchdreh-Ausnahmesituationen, wie beim Erzfeind (und nur dann!!), würde ich dafür sorgen, daß er die Leine zum Abreagieren zu fassen kriegt. So schnell wird er mit seiner Vorgeschichte sicher nicht mehr aus diesem Muster rauszuholen sein, und immer noch besser die Leine als dein Arm...

  • terriers4me: Das, was Du da von Deiner Hündin erzählst, hat nur indirekt etwas mit Impulskontrolle zu tun. Das ist in erster Linie: stinknormaler Gehorsam.


    Wenn Du nen wirklich "tillenden" Hund hast, dann nutzt Dir der ganze Gehorsam-Sche..ß nix, denn wenn der Hund am reagieren ist, dann kann er nicht denken. Wenn er nicht denken kann, dann kann er nicht gehorsam sein. Teufelskreis.


    Dieses "deckeln des Prolls" funktioniert nur bei leichten bis mittelschweren Fällen.


    Beispiel: Jabba war auch so ne Schnappschildkröte. Der hat dann auch schon mal in den Bluey reingehackt. Bluey hat ihm dafür dann den Hintern versohlt. Hat es was gebracht? Nun, nur so viel, daß Jabba sich sofort nach dem Schnappen geduckt hat und beschwichtigt hat, das Schnappen wurde sogar noch öfter gezeigt, weil der Streß nun noch größer war. Verhindert hat es das Schnappen nicht. Wenn Jabba am Ticken war, dann hättest Du den können/müssen kaputt schlagen, daß der was merkt und Du zu ihm durch dringst.


    Meiner Meinung nach: Mit dem Deckeln kommst Du nur bei Hunden weiter, die sowieso einigermaßen ansprechbar sind. Dann brauchst Du aber im Grunde auch nicht deckeln.
    Bei Hunden, die nicht ansprechbar sind, kommst Du auch mit deckeln nicht weiter, also kannst Du es auch ganz lassen.
    Nur meine persönliche Meinung....


    Zeigen und Benennen: Lies Dir doch mal den GANZEN Thread durch. Dort werden Deine Ängste und Fragen mehrmals ausführlich behandelt und beantwortet.


    Ich kann nur von mir und meinem Jabba erzählen: Jabba war zeitweise der absolute Horror. Der reagierte bei wirklich JEDEM Scheiß mit Ticken, rumprollen, nach vorne gehen, sich aufregen. Schon beim Rausgehen stand der total unter Strom. Da genügte dann ne Amsel, ein Blättchen, ein Geräusch und er hing in der Leine... Klar, über den Gehorsam war das iiiiiirgendwie zu kontrollieren. War für mich aber sau anstrengend und Jabba stand trotzdem weiter unter Strom und wenn er dann getickt ist, dann mit der Zeit umso heftiger....
    Die ganzen üblichen Impuls-Kontroll-Übungen brachten uns keinen Schritt weiter... Wirklich absolut gar nicht. Dieses ganze "Sitz, Warte" vor Futter, vor Tür, vor diesem und jenem half NULL.... Im Gegenteil: seine Anspannung und Erregung wurde nur noch größer und heftiger. Du hast ein Spielzeug auf ne Wiese gelegt, Jabba durfte nicht hin. Viech war nicht mehr ansprechbar.... Der hat auf dem Spaziergang nen Ball gefunden, Du hast ihn weggenommen, Ball liegen gelassen, wolltest weiter gehen. Jabba hing rückwärts geifernd hunderte Meter in der Leine. Nen km weiter haste ihn wieder abgemacht, durchgestartet zum Ball...
    Haste mit ihm gespielt, den Ball weg gesteckt, schnapp schnapp, anspring... andere Hunde, schnapp schnapp... Horror... Das sind jetzt nur winzige Beispiele, der Alltag war zeitweise super heftig...


    Dann habe ich Hundesport gestrichen, die Spaziergänge stark verkürzt, Beutespiele komplett gestrichen. Jabba muß sich nun alles "selber erdenken"... Will er zur Tür raus, dann spiele ich Baum, bis er sich selber zurück nimmt, sich hinsetzt, mich anschaut und RUHIG ist. KEIN Kommando, KEINE Spannung. Er soll selber denken... Denken ist das A und O.... Und genau da hat uns auch Zeigen und Benennen extrem geholfen.
    Weiter haben uns "Zeitlupen-Leinen-Spaziergänge" extrem geholfen. Ne 5 Minuten-um-den-Block-Runde dauert dann auch mal 45 min.
    Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe... Je hektischer der Hund wird, desto ruhiger werde ich. Alles, was aufregt, hochputscht: lange lange gestrichen...


    Jabba geht nun toooootal entspannt zur Haustür raus. Leinengänge sind total entspannt. Hunde-Sichtungen sind inzwischen sehr oft auch toooootal entspannt, manchmal noch aufregend, aber nie mehr so, daß er um sich schnappt. Schnappen tut er gar nicht mehr, ab und an gibt es mal noch nen Stupser.
    Letztens hat er beim Spaziergang nen Ball gefunden, hat ihn aufgenommen, paar Meter getragen, fallen lassen, nicht mehr beachtet. GEIL. Zu Hause können wir auch wieder zergeln, höre ich auf, kommt er gleich runter. Die Spaziergänge passe ich seinem Befinden an. Manchmal sind es nur 10 min, dann auch mal ne knappe Stunde. Länger packt sein Kopf einfach nicht.


    Übrigens: Mirjam Cordt hat auf nem Seminar mal so schön gesagt: Frust aushalten können ist nicht unendlich. Das ist enormer Streß für den Hund. Wird Streß zu viel, ist denken und lernen wieder so gut wie unmöglich. Wenn ich also viel "Frust aushalten" übe, dann ist der Hund unter Umständen schon so erschöpft und gestreßt, wenn ich es wirklich brauche...

  • "wenn der Hund am reagieren ist, dann kann er nicht denken."


    Genau das würde ich nach den Erfahrungen mit dem Jagdterrier als generelle Regel bezweifeln. Das mag bei einem Hütehund durchaus so sein, ein Terrier, der ja mit Reagieren und Denken gleichzeitig arbeitet, kann aber meiner Erfahrung nach schon sehr wütend sein und das Resthirn trotzdem blitzschnell wieder einschalten. Besagter Jagdterrier reagierte auf verhaßte Rüden in einem Maße, daß er sich notfalls bis zum Tode gebissen hätte, war aber trotzdem noch sehr lange fähig, zu unterscheiden, wen er hinter sich hatte - ob er also auf Frust mit Abreagier-Biß reagierte oder lieber nicht.


    Wenn er komplett aufdrehte, also schon am Gegner hing, wäre ich sicher auch damals nicht blöd genug gewesen, ihn anzufassen, da gebe ich dir unbedingt recht - da hätte er nix mehr unterscheiden können. Aber bis zu dem Punkt konnte er durchaus noch reagieren UND denken, auch wenn's bei den Getobe erstmal nicht so aussah. Also wohl eher ein mittelschwerer Fall - und ein Russell ist eine ganze Kategorie gemäßigter.

  • übrigens - ich will nicht o.t. gehen, aber das würde mich doch interessieren: Wenn mein Hund sich die geliebte Paketboten-Begrüßung brav verkneift, wenn er also darauf verzichtet, den tollen Typen zu umtanzen und nett angesprochen zu werden, das begehrte Leckerli abzugreifen, das manche Postler erfahrungsgemäß bei sich haben, und sich schon mal ein bißchen über den Pappkarton herzumachen, der für ihn eine tolle Beute ist - was hält der artig stillsitzende Hund denn in dem Moment anderes aus als Frust?

  • Genau DEN Unterschied meine ich aber: wenn der Hund noch unterscheiden kann, dann kann er auch noch denken, ist also nicht einfach NUR am Reagieren, sondern handelt noch bewußt. Ein richtig tickender Hund, der denkt aber nicht mehr, der handelt nicht mehr bewußt, der macht das ganz unbewußt, der kann nicht anders.


    Meinen Bluey könnte ich im dicksten Getümmel noch am Fell rausholen, der würde allenfalls kurz nach mir hacken und könnte sich sofort kontrollieren, sobald er merkt, was/wer ihn da am Fell hat. Jabba könnte das nicht. Bluey könnte man auch mit "deckeln" kontrollieren, es geht bei ihm aber eben auch ohne, also laß ich´s gleich.


    Deckeln ist halt immer nur Symptom-Bekämpfung. Ich will ja aber, daß wir beide, also auch mein Hund, gut durch die Situation kommen.


    Ganz mega-krasses Beispiel, wie das mit dem Deckeln auch laufen kann: Bei uns auf dem Hundeplatz (also meinem ehemaligen) ist ne Frau mit nem Dobi-Rüden. Der ist auch leinen-aggro, kommt aus dem Tierschutz, wurde wohl recht unsachgemäß angehetzt. Der tickt nun an der Leine, nimmt die Frau die Leine kürzer, ruckt noch dran rum, dann geht der Dobi gegen sie. Sie ruckt mehr, er wird heftiger... Sie bekam nun auch den Rat: Der darf Dich nicht beißen, zeig ihm, daß das nicht geht... Ui, super Tip bei nem Dobi out of control. Sie wurde nun also immer heftiger, der Dobi wurde immer heftiger. Sie zog Lederhandschuhe an, der Dobi biß durch. Inzwischen ist es so schlimm, daß man mit Gerte und zeitweise Stachel auf den Platz geht, besser benehmen tut der Dobi sich nicht wirklich... irgendwie traurig...


    Naja, ich würd´s jedenfalls nicht an der Rasse festmachen, sondern am Individuum, weil ich alleine bei meinen beiden Cattle Dogs den mega-krassen Unterschied tagtäglich erlebe...
    Bluey ist deutlich ernster, aber der denkt... Jabba ist unsicher, wirkt aber viel gefährlicher, weil er nicht denkt, sondern einfach macht, und das dann meistens aggressiv...


    Zu Deiner Frage: Nun, ist es tatsächlich Frust, was er da aushält?... Wenn ein Hund nett und positiv das "Warten" gelernt hat, dann hat er ja in diesem Moment keinen Frust. Es stellt sich also eher die Frage: Wie wurde dies geübt? WAS genau hat der Hund gelernt/verknüpft?... Ekard Lind beispielsweise baut solche Übungen auf als "Lauern dürfen" und nicht "warten müssen"... ;)

  • Ich hab eine Möglichkeit gefunden heute. Zumindest für Rüden, der gerade seine Hormone entdeckt :pfeif:
    Wir waren heute ausgiebig mit einer "gerade nicht mehr" läufigen Hündin spazieren. So lange und konstant am Stück war Anjou schon lange nicht mehr so viel Frust ausgesetzt :headbash:
    Das letzte mal war auch ein 5 Stunden Spaziergang mit läufiger Hündin...


    Sorry, nicht wirklich produktiv ;) Aber das war heute einfach zu passend, da musste ich an den Thread denken...



    Mit dem Zeigen und Benennen das hab ich anfangs auch gedacht. Aber Ziel ist ja langfristig, dass der Hund sich dadurch dann eben doch abwendet und man ihn aus dem Verhalten "raus holen" kann. Man geht nur einen Umweg denke ich.

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