Tatsächlich bedeutet authentisch auch nicht automatisch richtig oder angemessen. Ungefilterte authentische Reaktionen rein aus dem Bauch heraus auf unerwünschtes Hundeverhalten können oft völlig unangemessen sein. Es haben schon zuviele Hunde "authentisch" Gewalt erfahren....
Du bringst das Problem, was ich häufig mit 'authentisch' habe, auf den Punkt. Wenn 'sei authentisch' bedeutet, dass man den Hund seine ungehemmten und unreflektierten Emotionen eins zu eins spüren lässt, kann das nicht gut sein. Ich glaube zwar nicht, dass diejenigen, die für Authentizität plädieren, genau das meinen, aber es kann durchaus so ankommen und völlig unangemessene verbale, emotionale und körperliche Ausbrüche und Übergriffe dem Hund gegenüber legitimieren.
Das Gegenteil, eine völlig verkopfte Art der Hundehaltung, in der nichts Intuitives mehr zu spüren ist, kann aber natürlich genau so wenig funktionieren. Genauso ist es doch beim Schwarz-Weiss-Denken bezüglich Strafen (z.B. 'man darf den Hund nie strafen!') Wie fast überall ist also ein gesundes Mittelmass die beste Wahl.
Ich sammle ja Hundebücher und bin immer wieder erstaunt, wie auch manche ältere Erziehungsratgeber (19. bis Anfang 20. Jahrhundert) einen ziemlich gewaltfreien Umgang mit dem Hund propagieren. So zwischen den 1970er und 90er Jahren hab ich viele Werke, die sehr grafisch und explizit ziemlich brutale Erziehungsmethoden propagieren. Ab 2000 wird das wieder etwas besser und es kippt dann manchmal sogar ins Gegenteil. Spannend finde ich auch, wie sich einzelne Werke in Neuauflagen verändern: so hat das Grosse Kosmos Erziehungsprogramm z.B. doch einige Updates erhalten. Ich fände es sehr spannend, wenn dazu gezielte Untersuchungen durchgeführt würden und herauszufinden, ob sich meine eigenen Beobachtungen der Strömungen damit decken.