"Unbehagen" ist wohl das Wort, mit dem ich meine Leseerfahrung hier bislang am treffendsten zusammenfassen kann. Ich habe ja schon so einiges an hartem Tobak gelesen, aber die Sprache hier ist wirklich überaus derb und vulgär. Ja, es passt zu dem, was erzählt wird, trotzdem finde ich es sehr anstrengend und abstoßend und wünsche mir gelegentlich nur mal ein, zwei Seiten ohne Kraftausdrücke und heftige s*xuelle Inhalte.
Angesprochen werden auf jeden Fall interessante Themenbereiche, die auch zum Nachdenken anregen - mich beschäftigt zum Beispiel die Frage, inwiefern Armut und Elend eben auch Gleichgültigkeit und Grausamkeit hervorbringen, was es mit der Menschlichkeit der handelnden Personen macht, selbst nie Wärme und Zuneigung erfahren zu haben.
Unerwartet kam für mich, dass auch das Themo Homosexualität/sexuelle Identität eine so zentrale Rolle in dem Buch spielt. Internalisierte Homophobie, homosexuelle Lust in einer gnadenlosen Macho-Kultur und inwiefern die eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausgelebt werden können, ohne dafür geächtet zu werden - das ist schon krass und vermutlich doch nicht weit weg von der Realität für so einige Menschen.
All die Verbitterung, die Resignation, der Selbsthass und der Hass auf andere in dem Buch machen es mir aber recht schwer, die Lektüre emotional gut auszuhalten. Obwohl das Buch zweifelsohne so gesellschaftlich bedeutsame Themenkreise aufkreist und das auf eine sehr ungeschönte und gerade deshalb gewiss auch authentische Weise, fasse ich es nur mit spitzen Fingern an und möchte es nach dem Lesen am liebsten ganz weit hinten in mein Bücherregal stopfen. Es löst also durchaus was in mir aus, womit die Autorin sicherlich den gewünschten Effekt erzielt hat.
Dennoch frage ich mich, ob dieses Ausmaß an Schlechtigkeit, Grausamkeit und Brutalität der Realität völlig standhält, denn auch in noch so geplagten Verhältnissen gibt es doch zumindest hie und da ein Aufblitzen von Menschlichkeit, eine vereinzelte zärtliche Geste, ein herzhaftes Lachen - aber vielleicht ist da auch mein Wunschdenken ausschlaggebend.