Beiträge von Quarus

    Noch mal zum eigentlichen Thema: "verhaltensauffällig" kann meiner Meinung nach nicht als statischer Begriff gesehen werden, da es voraussetzt, daß es den "Normhund" gibt, der streng definiert ist. Alles, was deutlich vom Normhund abwiche, wäre auffällig.

    Hunde erfüllen aber keine Norm, sie erfüllen sehr viele Normen, die zumindest für Rassehunde in deren Standards festgelegt sind. Da steht das "Wesen" und in Verbindung damit der Einsatzzweck der Rasse beschrieben. Das Zuchtziel ist der Rassehund, der dem Standard entspricht, "auffällig" wäre der Hund bei deutlichen Abweichungen, ob in Gesundheit, Formwert oder eben Charakter/Verhalten.

    Demzufolge ist ein "verhaltensauffälliger" Retriever einer, der null Bock aufs Apportieren hat, dafür Schutzdienst geil findet. Für jemanden, der Dummy-Arbeit anstrebt, schlecht, für IPO-Interessierte optimal.

    Ein "verhaltensauffälliger" Malinois kann einer sein, der dauernd auf 180 ist und damit unführbar, aber auch einer, der völlig phlegmatisch ist und auf keinen Reiz reagiert. Ein Malinois, der extrem aufmerksam und reaktionsschnell ist, überfordert den durchschnittlichen Hundespaziergänger, entspricht aber seiner Rasse.

    Ein Kangal oder Owtscharka, der mit Vehemenz und Einsatz seinen Bereich bewacht und sich Kontakte außerhalb seiner Familie verbittet, ist NICHT verhaltensauffällig, obwohl dieses Verhalten im 10 Stock Innenstadt größte Probleme schafft. Nicht die Schuld des Hundes...

    Wenn Hunde "verhaltensauffällig" genannt werden, ist in der Mehrzahl der Fälle nach meiner Überzeugung entweder in der Zucht etwas schiefgelaufen und das Zuchtziel aus den Augen verloren worden, oder der rassetypisch reagierende Hund wurde in ein Umfeld verpflanzt, das mit seinen Anlagen nicht klar kommt.

    Bei Mixen kommt noch dazu, es werden oft Rassen zusammengewürfelt, die wesensmäßig nicht miteinander harmonieren, der Hund wird in Unkenntnis (nicht nur Ignoranz) seiner Anlagen angeschafft und gehalten und die Eltern gehörten möglicherweise zu "verhaltensauffälligen" Exemplaren ihrer Rasse.

    Das damit das Problempotenzial steigt, ist klar.

    @ LotteBerlin

    Ich weiß nicht, was Du argumentativ erwartest. Fließt Geld zum Welpenproduzenten, egal ob für Welpen, oder freigekaufte Legebatterie-Hündinnen etc. in irgend einer Form, wird dieses System unterstützt. Da ist es egal, ob es der direkte Welpenkäufer macht, der Zwischenhändler oder der angebliche "Tierschutz".

    Kaufst Du den Hund dem Tierschutz ab, oder einer privaten Pflegestelle, oder einem Erstbesitzer, haben die das Geld und die Verantwortung, was sie mit diesem Geld anstellen, ist auf sie übergegangen. Mit Pech treiben die mit dem Geld Schindluder und schmeißen es über Umwege doch wieder dem Vermehrer in den Rachen. Das gibt es eben bedauerlicherweise in Einzelfällen.

    Aber es gibt keinen Trick der Welt, den Kauf vom Hundehändler oder Welpenproduzenten sich moralisch schönzuerklären. Das ist das allem zugrundeliegende Übel, die Basis der Pyramide aus Hundeleid.

    Zitat

    Darin geht es doch auch um die Links- und Rechtslastigkeit von Gebrauchshunden oder?
    Kannst du mir das irgendwie abscannen *liebguck*

    Genau. Was links von 5 ist = linkslastig, rechts = rechtslastig.

    Auf beiden Seiten können sehr gute Gebrauchs- und Sporthunde sein, sofern die Extreme zur Basis der Pyramide vermieden werden. Mir liegt eher der rechtslastige Hund.

    Scannen geht leider nicht.

    Zitat

    Quarus, zu der Einteilung nach Wertmessziffer gibt es doch ein Diagramm (oder wie man es nennen will)
    Hast du das noch irgendwo?
    Ich hatte die Abbildung mal, aber hat den letzten PC Crash nicht überstanden.

    Ich find die alte Wertmessziffer aus der DDR Nachzuchtbeurteilung deshalb für alle so interessant, weil sie zeigt, dass man sich eben nicht auf EINE Eigenschaft eingeschossen hat, sondern dass das Gesamtpaket betrachtet und dann eingeordnet und beurteilt wurde.

    Ich habe gerade noch das Dreieck gefunden, von Hirsch und Sir. Mit 5 als Spitze, links absteigend von 4 bis 1, rechts absteigend von 6 bis 9. Veröffentlicht in "Hund und Umwelt" von Karl Dorn. Meine alten DDR-Unterlagen habe ich auf dem Dachboden leider gut verbuddelt.

    Zitat

    "Wozu" tust du das? Hast du einen Hund, der früher getreten wurde oder warum muss man einen Hund gegen Fussbewegungen desensibilisieren und wo hilft das im Sport?

    Ich desensibilisiere meine Hunde von Welpenbeinen an gegen alles Mögliche. In den Ohren rumfummeln, Nase, Schniedel, Pfoten anfassen, Augen inspizieren, festhalten, kleines Zwicken, leichter Stoß, kleiner Klaps, Maul auf und Zähne betasten - einem nervenstark veranlagten Hund macht das sowenig aus, wie im Sport später die stärkere Belastung mit dem Softstock. Im Gegenteil, dieser Gegenwehr wird er noch entschiedener widerstehen. Aber es kann offengelegt werden, wenn es nervliche Mängel gibt, und solche Hunde können dann nicht die höchsten Punktzahlen kriegen. Weil über den Sport auch für die Zucht selektiert wird, und spätestens da ist dann Schluß mit dem Verständnis für sensible Mimöschen.

    Wenn ich dran denke, daß in der BH die Schußfestigkeit abgeschafft wurde, damit all die empfindsamen Agility-Hunde auch ja durch die Prüfung kommen, da lob ich mir einen Helfer, der fair und deutlich Belastungen mit dem Softstock setzt.

    Und NEIN, man kann einen Hund zwar bis zu einem gewissen Grad desensibilisieren, das setzt aber wieder ein Potential voraus, daß aufgedeckt werden kann. Hunde, die sehr empfindlich sind, werden das weitgehend auch bleiben, Training hin oder her.

    Frag sie mal, wie sie es geschafft hat, den GENAU passenden Rüden zu ihrer Hündin zu kaufen. Andere Züchter studieren jährlich hunderte Ahnentafeln, fahren zu dutzenden Ausstellungen und pflegen ein riesiges Netzwerk, um in 1000 km Entfernung DEN geeigneten Rüden für ihre Hündin zu finden. Die müssen ja ganz schön blöd sein, wenn es doch so einfach geht... :D

    Zitat

    Quarus: Ich erinnere mich dunkel.... als Pudelbesitzerin ist das (leider!) nicht relevant. Das ist die Skala, die von -5 über 0 nach +5 geht, oder?

    Nein, die geht von 1 bis 9. Oder ging. Zu DDR-Zeiten wurde noch jedem Hund zur ZTP eine WWZ gegeben.

    Tolles Beispiel. Genau das meine ich. Und was ist jetzt an dem jungen Rüden "besser" als an dem nicht scharfen vorher? Wozu braucht ein Sportler diese Schärfe?

    Der alte Rüde war nicht nur stumpf bei Bedrohung, sondern auch stumpf (phlegmatisch) in der Ausbildung. Er hätte möglicherweise die WWZ 8 bekommen (gutartiges, ausgeglichenes Verhalten, wenig reaktionsbereit, schwache Abwehr). Mein aktueller Sporthund bekäme möglicherweise die 5 (gutartiges, ausgeglichenes Verhalten, Beruhigung leicht, ausgeprägte Verteidigungs- und Angriffsbereitschaft, hart gegen Schläge). Er ist triebbeständig, energisch, kooperativ - Eigenschaften, die mit seinem Verhalten bezüglich Aggression durchaus korrelieren.

    Früher bevorzugt wurden Hunde mit WWZ 4 (leicht reizbar, schwer zu beruhigen, sehr angriffsbereit (bissig, scharf)). DAS sind die Hunde, die sehr schwer unter heutigen Verhältnissen zu händeln sind und nur in Spezialistenhände gehören. Aber vor wenigen Jahrzehnten galten sie als erstrebenswertes Zuchtziel. Heute geht es bei vielen Rassen in Richtung der 9, damit auch bei unsachgemäßester Führung der Hund Spielzeug bleibt, das sich der Macht seiner Zähne und seiner Kraft keinesfalls bewußt werden darf. Und leider auch Richtung 0 (anhaltend unruhig, unsicher und ängstlich, Angstbeißer), wenn der Charakter quasi wurscht ist . Diese beiden Extreme finde ich bedeutend besorgniserregender als Hunde, die zu kontrollierbaren Aggressionen fähig sind.

    Zitat

    Nochmal: nicht zu weichen, hat nichts (!) mit Aggressivität zu tun, sondern mit Härte und Nervenstärke.

    Das wiederum steht nicht zwingend im Zusammenhang, KANN aber. Einer meiner Rüden mit hoher Härte und Nervenstärke hat auch stärkste Belastungen quasi ausgesessen. Er war, ganz genau, nicht aggressiv. In gleicher Belastung würde mein junger Rüde nicht passiv bleiben, sondern durch gezielte Aggression eine Änderung der Situation herbeiführen wollen, obwohl er gleichfalls hart, nervenstark und gutartig ist. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger besaß er aber eben Schärfe, was diesem völlig abging.

    Von angstaggressiven, verhaltensgestörten Hunden, die aggressiv sind und dazu noch nicht ausgebildet rede ich zumindest hier gar nicht. Bei denen sollte klar sein, dass das gar nicht geht. Ich meine, bewusst gezüchtete Hunde, bei denen als Zuchtziel Aggression und Schärfe gegen Menschen gewollt ist.

    Kennst Du die Pyramide der Wesenskennziffern nach Jean Sir, glaube ich? Da werden in groben Zügen die unterschiedlichen Reaktionsmuster beschrieben. Wird nicht mehr angewendet, ich finde sie nach wie vor praktisch und interessant.