Dieser Instinkt war aber in den letzten Jahrhunderten ein negatives Selektionsmerkmal. Er läßt sich nämlich nur schlecht differenziert an- und ausknipsen. Ich beziehe mich mal auf Mutterkühe, weil die hier die Hauptweidetiere sind, zusammen mit Schafen.
Hier im Mittelgebirge wird das absolute Grünland der geschützten Biotope sehr häufig extensiv von kleinen Mutterkuhgruppen beweidet. Die stehen auf der großzügig bemessenen Weidefläche mindestens ein halbes Jahr, bestimmte Standorte werden ganzjährig beweidet. Auf eine Kuh kommen etwa 2 ha Grünland. 10 Kühe, eine häufige Gruppengröße, benötigen demzufolge dauerhaft etwa 20 ha Bergweide. Vom Idealfall einer kompakt geschnittenen Fläche ausgehend (400 m lang * 500 m breit) hat diese eine Weide einen Umfang von 1800 m absolutes Minimum, welches aber durch den Reichtum an Landschaftselementen (Bäume, Gräben, Hecken, Wälle, Terassen, Feuchtflächen, Bäche, Quellgebiete) sich auch locker verdoppeln kann.
Man kann also wöchentlich mit sehr knapp gerechnet 2000 m Weidezaunpflege/10 Mutterkühe rechnen, wenn die Drähte zum Schutz gegen Wölfe sehr eng gezogen und sehr tief angebracht sind, also der Bewuchs in kurzem Zeitabstand beseitigt werden muß. Ein mir bekannter Bauer besitzt eine Herde von 60 Mutterkühen, aufgeteilt in 2 bis 3 Gruppen in mehreren Kilometer Entfernung auf naturschutzfachlich sehr wertvollen Streu- und Splitterflächen (einige Rote Liste-Arten nachgewiesen). Für ihn konkret heißt das, das sein durch den niedrigen Fleischpreis erzieltes Einkommen durch die Bindung zusätzlicher Arbeitszeit zur permanenten und aufwändigen Zaunpflege weiter sinken wird, weil er in dieser Zeit natürlich keine höher vergütete Tätigkeit ausüben kann. Da sind die finanziellen Aufwendungen für den teureren Zaun aber noch nicht gerechnet, gehen wir mal davon aus, daß "der Staat" da generös war.
Die bisher grenzwertige Wirtschaftlichkeit ist also bereits durch die Instandhaltung des Zaunes in Frage gestellt.
Zweites Problem ist, daß er 20 Jahre lang strikt auf Umgänglichkeit seiner Tiere selektiert hat. Nach EU-Forderung müssen Rinder dauerhaft und ständig eindeutig gekennzeichnet sein. Es ist also notwendig, sich bei asaisonaler Abkalbung ständig gefahrlos in der Herde bewegen und Kälber markieren/behandeln zu können. Das ist für Kälber nicht gerade schön, die Ohrmarken eingezogen zu bekommen. Das Letzte, was ein Mutterkuhhalter dabei brauchen kann, ist eine Kuh, die ihr Kalb beschützen will und auf den Menschen losgeht. Hier im Gebiet gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Todesfälle durch mitlaufende Zuchtbullen, die ihre Herde angegriffen sahen. Der "Instinkt" war absolut kontraproduktiv und wurde ausselektiert. Sollen jetzt Mutterkühe aktiv gegen Wölfe vorgehen, heißt das eine Abkehr von der bisherigen Zuchtstrategie und extremes Ansteigen der Gefahr von Arbeitsunfällen, aber auch Gefährdung von Touristen, speziell mit Hunden, weil die Differenzierung von den Tieren nicht mit 100 % Sicherheit erfolgen kann und wird.
Die Haftung bei Unfällen liegt beim Tierhalter, das Ansteigen der Versicherungsprämien wird die Wirtschaftlichkeit weiter schmälern, genau wie erhöhter Arbeitsaufwand, wenn die Sicherheitsvorkehrungen bei der Arbeit mit den Tieren durch Fangstände oder zusätzliche Arbeitskräfte erhöht werden müssen.
Es ist auch keine Lösung, dann eben die Landwirtschaft aufzugeben. Erstens wird hier hochwertiges Fleisch auf absolutem Grünland ohne Konkurrenz zu menschlicher Nahrungsproduktion, ohne Importsoja oder Maismonokulturen erzeugt, dazu noch absolut tiergerecht und auch ohne offizielle Biozertifizierung weit über die Anforderungen der ökologischen Landwirtschaft hinausgehend. Das wollen wir doch alle, oder nicht? Weg von der tierquälerischen, antibiotikaverseuchten Massentierhaltung, lautet doch der Schlachtruf der Anständigen! Zweitens ist es jahrtausendalte Kulturlandschaft und Rückzugsort sehr vieler sehr seltener, bis zum Aussterben bedrohter Pflanzen- und Tierarten, die dringend auf den Erhalt der traditionellen Landbewirtschaftung angewiesen sind und verschwinden, wenn der Mensch die Flächen sich selbst überläßt. Was unter anderem übrigens von der EU sanktioniert würde... Vielleicht nicht so spektakuläre Arten wie der Wolf, mit geringerem Identifizierungspotential, aber DIESES Kriterium sollte ja wohl die allergeringste Rolle spielen.
Drittens gibt es auch noch eine heuchlerische, verlogene Komponente bei der Debatte. Es wird nämlich, der Energiewende geschuldet, trotz Wolfs- und Naturliebe in Großenordnungen weiter intakte Lebensräume geschützter Arten vernichtet, um unseren energiefressenden Lebenstil aufrecht erhalten zu können. Das ist genau hier z.B. die Vernichtung eines Hochmoores mit Auerhuhnpopulation für ein Pumpspeicherwerk-Oberbecken, das Roden hunderter Hektar Wald für eine Hochspannungsleitung quer durch bisher unzerschnittene Waldgebiete und das Aufstellen von Windparks in Rotmilan-Brutrevieren bzw. Fledermaushabitaten. Wer also die Einschränkungen, die Landwirte durch den Wolf erfahren, im Sinne des Naturschutzes als "alternativlos" und dem höheren Ziel geschuldet ansieht, der möge in sich gehen und seine Stromversorgung abklemmen und so bedürfnislos und mittelalterlich leben, wie es oft von Landwirten mit Verweis auf die Hirtentradition der Karpaten oder des Balkans oder Afghanistan etc. gefordert wird, wo das Zusammenleben mit dem Wolf doch so harmonisch wäre.
Es GIBT keine einfache, billige Lösung, und entweder wird die Last auf ALLE Schultern verteilt, oder über kurz oder lang muß die Wiedereinbürgerung des Wolfes als gescheitert angesehen werden! Das sich-in-die-Tasche-Lügen muß dabei als Erstes aufhören! Der Wolf ist kein Kuschelhündchen, das man nur ganz doll liebhaben muß, damit es sich integriert.