Beiträge von AnnetteV

    Coren's Erkenntnisse sind ja nun nicht gerade neu (sein Buch erschien 1994, also vor 23 Jahren). Coren selbst ist unter Wissenschaftlern ja auch nicht gerade unumstritten - immerhin ist er in erster Linie (Menschen-)Psychologe mit einem Flair für Hunde.


    Leider wird er, bzw. das Buch, viel zu häufig auf die auch im Artikel aufgeführte Liste reduziert. Sein Buch ist aber viel mehr und geht auch detailliert auf die verschiedenen Intelligenzen ein, die man zu unterscheiden können glaubt. Die Liste ist nur ein kleiner Teil seines Buches, lässt sich aber halt gut vermarkten. Nur weil er in dieser Liste ganz oben steht, ist der Border Collie nicht 'der intelligenteste' Hund schlechthin, wie eben gerne vereinfacht behauptet wird, sondern er ist nur tendentiell der Beste in einer von vielen Kategorien.


    Das bedeutet nicht, dass jeder Border Collie ausnahmslos intelligenter ist als jeder Afghane. Ausserdem lässt die Studie völlig ausser Acht, dass man auch Hunde auf solche Tests vorbereiten kann. Wer nämlich häufig mit seinem Hund neue Tricks einübt, ihm die Welt in ihren vielen verschiedenen Facetten zeigt und seine grauen Zellen fördert und fordert, hat einen Hund, der schneller und besser lernen wird als einer, der sein ganzes Leben lang stumpf denselben Tagesablauf durchläuft.


    1994 war der Border auch noch kein Modehund wie heute und wer einen hielt, der hatte ihn sehr wahrscheinlich um mit ihm zu arbeiten.


    Den intelligentesten Hund, den ich jemals kennen lernen durfte war ein bunt gemischter Mix. Der arme Kerl kam zu uns, weil er diverse Zwangsstörungen hatte und sich massiv selbst verstümmelte. Sobald er vernünftig und seinem hellen Köpfchen entsprechend beschäftigt wurde, konnte er damit aufhören, obwohl er sein Leben lang gern an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn entlangschrammte.

    Shapen hat bei meiner Hündin für den Apport NULL funktioniert. Ich war vorher auch der Meinung, dass Shapen immer funktioniert, wenn man es nur richig macht.

    Die Worte 'immer' und 'nie' versuche ich eigentlich zu vermeiden, ganz besonders wenn es um Lebewesen geht. Viele Wege führen nach Rom. Nur weil ich bisher andere Erfahrungen gemacht habe, gehe ich nicht automatisch davon aus, dass es der einzig richtige und mögliche Weg ist. Ich warte aber noch auf den Hund, den ich so tatsächlich nicht an den Gegenstand bringe. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es ihn nicht gibt! :smile:

    Also Shapen ist nicht wirklich möglich, er zeigt ja auch keine Ansätze außer Anschauen oder mit der Pfote draufhauen.

    Das ist doch schon einmal mehr, als viele andere Hunde anbieten. Das Anschauen so lange markern, bis das Interesse am Gegenstand steigt. So habe ich noch jeden Hund dazu gekriegt, den Gegenstand irgendwann ins Maul zu nehmen. Weil von Anfang an klar ist, dass das ein Trick und kein Spiel ist, habe ich auch keine Probleme damit, dass der Hund im Apport plötzlich in den Spielmodus verfällt. Belohnung gibts ja, wenn sauber apportiert wurde.

    Ich würde auch absolut nicht 'einfach drüber schütten', sondern direkt dieses Alternativverhalten antrainieren. Einfach eben eine Stressumorientierung aufbauen.

    Wenn der Hund in Rammelsituationen schon so im roten Bereich dreht, kannst Du auch auf kein Alternativverhalten mehr zurückgreifen. Ziel ist also wirklich, schon die kleinsten Anzeichen zu erkennen und als Besitzer da einzugreifen, wo der normalsterbliche Hundehalter noch nicht einmal erkennt, dass der Hund nicht mehr völlig entspannt ist. Es muss während des Trainings vermieden werden, dass der Hund überhaupt in die Situation kommt, in der er nicht mehr ansprechbar ist. Und genau da kann Belohnung besser, bzw. oft länger beim Hund ankommen als Strafe und Unterbruch, weil eben kein Frust erzeugt wird sondern die Emotion wieder in die 'grüne Zone' gelenkt wird.


    Du entwickelst in deinem Beitrag ja auch 'nur' Training für die einzelnen Situationen. Ich glaube einfach das reicht nicht.

    Darauf würde ich gerne eingehen, verstehe aber nicht, was Du damit meinst.

    weil vorher der Vorschlag kam mit bekannten Personen zu üben. ich kann mit Leuten zb problemlos spazieren gehen, Wandern gehen, denen die Leine in die Hand drücken. ABER sobald diese Person Hecci zu lange anschaut oder anspricht bekommt er den irren Blick und rammelt los.

    Die Idee wäre nicht, dass Du Spazierengehen übst, sondern eben konkret die Situation, die Probleme macht - ohne diese aber eskalieren zu lassen. Kannst Du den Hund nicht halten, bindest Du ihn eben an einen Baum. Clicker in die Hand, Helfer in für den Hund annehmbare Distanz. Mensch blickt ihn kurz an, Du clickst, belohnst den Hund. Das wäre meine erste Trainingseinheit. Das nächste Mal würde ich eine kurze Repetition des vorher gelernten machen, vielleicht versuchen an der Distanz zu arbeiten.


    Der Punkt wäre, die Frustrationstoleranz des Hundes heraufzusetzen und zu verbessern. Dazu sollte der Hund niemals in die Situation gebracht werden, in der er sich nicht mehr anders als mit Rammeln zu helfen weiss. Wichtig ist, den Hund beim Training nicht zu frustrieren - sonst verschlimmerst Du das Problem.


    Ich würde nicht versuchen umzulenken, wenn es 'zu spät' ist. Dann ist vorbei, das ist klar. Ich würde duschen und dann direkt eine Alternative anbieten. Mit dem Ziel, dass er eben lernt, die Alternative direkt anzunehmen.

    Das kann man versuchen, würde ich gerade bei einem solchen Hund nicht machen. Diese Hunde wurden auf Ausdauer, Härte und Unbeeindruckbarkeit gezüchtet. So wie er hier beschrieben wird, hat er seinen Standard ziemlich gut gelesen. Sehr gut möglich, dass er Wasser oder andere Dinge, die man ihm noch so anwerfen könnte, schlichtweg nicht mehr wahrnimmt, dass sie ihn nicht beeindrucken, dass er sich daran gewöhnt oder dass er im schlimmsten Fall darauf kommt, eine neue Strategie zu fahren. In solchen Fällen geht diese dann nicht selten in Richtung Aggression. Dann hast Du erst Recht ein Problem.


    Möchte man Schreckreize setzen, musst Du sicher sein, dass sie beim Hund auch ankommen. Verschätzt Du Dich dabei, begibst Du Dich unweigerlich in einen körperlichen Machtkampf mit einem Tier einer Rasse, die ausgerechnet auf physische Widerstandsfähigkeit selektiert wurde. Da ist die Chance gross, dass ich den Kürzeren ziehe. Solche Hunde sind häufig nicht so beeindruckbar und reizempfindlich oder -empfänglich wie ein Collie, ein Labrador oder ein Schäferhund. Da hilft es mit mehr Köpfchen und weniger (im übertragenen Sinne) Knöpfchen vorzugehen.


    Wenn der Hund jetzt schon 'nichts mehr wahrnimmt' und nicht mehr ansprechbar ist, würde ich versuchen, diese Schwelle so hoch wie möglich zu setzen indem ich genau das ganz gezielt trainiere. Das wird aber nur funktionieren, wenn ich Stress und Frust ganz gezielt vermeide und nicht noch fördere. Dreht der Hund jedes Mal durch wenn trainiert werden soll, kann er beim besten Willen nichts anderes lernen als dass Eskalation ihm hilft aus der Situation heraus zu kommen. Das Training sollte also so gestaltet werden, dass der Hund erst gar nie ins Rammeln verfällt. Man sollte gerade bei solchen Hunden von der 'traditionellen' Methode absehen, falsches Verhalten im Training erst zu motivieren um es danach zu bestrafen. Der erhoffte Lerneffekt tritt bei dieser Art Hund eher selten ein. Oder ich brauche wahrscheinlich wiederholt auf eine derart starke Einwirkung zurückzugreifen, dass das 'Training' tierschutzwidrig und damit eines vernünftigen Trainers unwürdig ist.

    Also nochmal meine Frag:


    Was ist am 11b außer der Ausführung nicht ausreichend?

    Die Weiterführung enger In- und Lininenzucht wird zum Beispiel nicht angesprochen, obwohl das grosses und unnötiges Leid für die betroffenen Tiere bedeuten kann.

    Ich würde an der generellen Ansprechbarkeit arbeiten.

    bei uns bekannten Menschen schon, aber nicht bei wildfremden Menschen auf der Strasse.

    Kennst Du Leute (auch für den Hund wildfremde) mit denen Du kontrollierte und kontrollierbare Trainingseinheiten durchführen kannst?


    Es hilft nichts, wenn Du nur dann übst, wenn sich die Situation ergibt. Du merkst ja selbst, dass Du die Trainingsumgebung bei Zufallsbegegnungen kaum oder gar nicht kontrollieren kannst. Zudem sind die Trainingsintervalle wohl zu willkürlich. Wichtig wäre aber, dass sowohl Du, als auch der Hund, in einer regelmässig wiederkehrenden, sicheren und vorhersehbaren Situation üben könnt.


    Der Hund sollte erst gar nicht in einen Zustand kommen, bzw. gebracht wird, in dem er rammeln muss. Erfolgreiches Training endet vorher.

    Findet man aber nicht auch Unterschiede je nach klimatischen und anderen Bedingungen? Tut man ja auch bei Wildtieren - für ein Leben im warmen Klima ist ein dickes Fell kontraproduktiv, bei harschen Temperaturen aber nötig.

    Ja, tut man - aber sieh her: auch verwilderte Hunde in Grönland haben Stehohren, oft Ringelschwänze und Stockhaariges Fell. Es ist nur dichter, isolierender. Sie sind dort oft etwas grösser als der Typ im Mittelmeer, aber im Grundsatz entsprechen sie immer noch meiner Beschreibung. In jedem Fall entwickelt sich auch da kein dackelbeiniger, kurznasiger Hund mit dem Fell eines Bearded Collies oder eines Pudels.


    Drake und Klingenberg haben 2009 in einer Studie mit dem Titel 'Large‐Scale Diversification of Skull Shape in Domestic Dogs: Disparity and Modularity' bereits darauf hingewiesen. Studien, die sich einzig diesem Thema widmen und es nicht nur in einem Nebensatz oder kleinen Paragraphen abhandeln, scheinen aber (noch) zu fehlen.


    Und dass die Schlappohren verschwinden wäre mir neu - die stehohrigen Strassenhunde leben doch eher da, wo es wenig schlappohrige Haushunde gibt.

    Natürlich gibt es wild lebende Hunde mit Schlappohren. Schaut man aber nach einigen Generationen noch einmal nach, entwickelt sich die Tendenz immer stärker zum Stehohr hin. Man darf sich aber nicht vorstellen, dass verwilderte Haushundegruppen geschlossen sind - da kommt ja immer mal wieder Nachschub dazu. Neue Hunde werden ausgesetzt, integrieren sich oder bilden eigene, neue Gruppen. Hunde, die zwar einen Besitzer haben, sich aber frei bewegen und zumindest zeitweise streunen, werden ihre Gene ebenfalls in die Population einbringen. Deshalb gibt es auch immer wieder Hunde mit hängenden Ohren oder langem Fell, Kurzbeinigkeit, verkürzten Schnauzen, etc. Ich denke, hier gibt es auch durchaus Unterschiede zu Strassenhunden und verwilderten Hunden, die nicht mehr in einer urbanen Umgebung leben sondern wild oder halbwild.




    Mit der Verwilderung verschwinden aber auch sehr schnell Merkmale, die den Haushund für das Leben mit dem Menschen in zivilisierter Umgebung tauglich machen. Die Latte für den gesund gezüchteten Haushund ist weder der Wolf, noch ein in einer ökologischen Nische lokal überlebender feraler Hund, sondern eher ein anatomisch funktional gezüchteter Hund, welcher auch mental mit seiner Umgebung klar kommt, und den canidentypischen Interessen ohne physischen Kollaps und Dauerschmerzen nachgehen kann.

    Welche Merkmale verschwinden denn? Phänotypisch können wir Hunde eigentlich unglaublich schnell auf gewünschte Merkmale hin selektieren, das hat ja auch das Russische Experiment mit den Pelzfarm-Füchsen gezeigt. Ich bin mit Dir einig, dass die Latte für den Haushund nicht der Wolf sein kann, aber zumindest phänotypisch (sprich, in seinem Äusseren) spricht ja nichts gegen einen Hund ohne Übertreibungen? Das Problem beim 'anatomisch funktional gezüchteten Hund,' ist einfach, dass da schon wieder die Grundlage fehlt. Auch hier würden wir einfach wieder auf einen auf dem Papier festgehaltenen Idealzustand hinzüchten ohne genau zu wissen, wie dieses Ideal in der realen Welt denn eigentlich auszusehen hätte. Wie das herauskommt - also das Züchten nach (angeblichem und völlig willkürlichem) Standard - sehen wir ja gut an der Entwicklung der Rassehundezucht.


    Nur heißt es dann ja in der Qualzuchtdebatte schnell, dass man, wenn man Extremtypen ablehnt, gleich nur noch einen "Urhund" wolle und wo man denn die Linie ziehen wollte, dieses und jenes Merkmal wäre doch auch unnatürlich, wenn man ein Problem mit superlangen, superschweren, sehr tief angesetzten Hängeohren hätte, dann dürfte man doch aber auch selber keinen hängerohrigen Hund haben...


    In dieser Diskussion kann ich es mir glücklicherweise sehr einfach machen: ich mag so 'ursprüngliche,' funktionale Hunde nämlich sehr gern. Als 'Übertreibung' empfinde ich Langstockhaar bzw. was beim Border Collie und Aussie als Langhaar gilt, oft als attraktiv. Sobald es aber auch nur Ansatzweise in Richtung Rough Collie oder gar Spitz geht (egal wie 'gemässigt' die teilweise auch sein sollen) ist bei mir Ende Gelände. Nun bin ich ja aber nicht das Mass aller Dinge und das ist auch gut so.


    Solange Hunde noch funktional sind, bin ich gerne dabei, dass man auch phänotypische Anpassungen machen soll und darf. Das Problem ist ja aber, inwiefern man die Funktionalität bei Familien- und Begleithunden überprüfen kann. Da müsste man den gesunden Menschenverstand walten lassen - aber auch der ist ja leider nicht messbar. Häufig ist ja auch nicht ein einzelnes Merkmal das Problem, sondern eher das Wieviel davon. Hängeohren an sich sind noch kein grosses Thema, werden diese aber immer länger, behaarter und schwerer (und entfernen sich so immer weiter weg vom Ohr, wie die Natur es für einen verwilderten Hund schaffen würde), kommt es zu Problemen. Eine etwas verkürzte Schnauze und eine etwas schwerere Belefzung verursacht sicher noch nicht das Leid, dass eine kaum mehr existente Nase und lange, schwere, dauersabbernde Lefzen auslösen, die den Hund nicht mehr atmen lassen und keinen Lefzenschluss mehr erlauben.


    Vielleicht wäre es also schon nicht so schlecht, sich ab und an an der verwilderten Form des Hundes zu orientieren, wenn wir uns fragen, ob wir mit der Zucht in die richtige Richtung gehen?