Hallo charly 2802,
Ich würde das ebenfalls als klassiche Leinenaggression sehen. Mit der Leine begrenzen wir unsere Hunde und schränken sie ein. Besteht ein Hund eigentlich auf eine grössere Individualdistanz, als wir sie ihm geben, kommen Angst und Frust auf. Das Resultat siehst Du an Deinem Hund.
Zusätzlich würde ich behaupten, dass die 'Freude' über Begegnungen mit Artgenossen, die ihr da in das Verhalten Eures damaligen Welpen hineininterpretiert habt, gar keine war. Gerade Welpen neigen bei Stressituationen häufig zu extremem Flirten oder eben einem 'to fiddle' - also einer Herumzappelei, die schnell als Freude ausgelegt werden kann. Häufig ist das eine Reaktion auf Stress. Weil das Verhalten anderen Hunden (auch der Mutter) und Lebewesen gegenüber noch gut funktioniert, gibt es keinen Anlass, dieses zu ändern. Wird der Hund aber älter und ernsthafter, muss er seinem Bedürfnis nach Abstand anders Ausdruck verleihen, weil die alte Strategie einfach nicht oder nicht mehr funktioniert.
Du beschreibst, dass er andere Hunde recht stürmisch begrüsst. Auch wenn sein Sozialverhalten ansonsten 'top' ist, hätte ich da ein genaues Auge drauf. Viele Hunde haben nie gelernt, dass man Kontakte mit anderen Hunden oder Menschen auch vermeiden kann und darf. Sie kennen die dazu nötigen Strategien nicht und sind mit diesen Begegnungen heillos überfordert.
Euer Hund hat die Leine von klein auf als Begrenzung und Einschränkung erfahren. Zusätzlich steigt mit zunehmendem Alter die für einen Hund nötige Individualdistanz zu anderen Hunden. Wenn wir das nicht respektieren, lassen wir ihm keine andere Wahl als sich zur Wehr zu setzen und dem fremden Individuum mit Knurren und Bellen zu verstehen zu geben, dass er gerade im Begriff ist, den Dunstkreis eines anderen Hundes zu unterschreiten.
Was Du nun tun kannst? Deinem Hund das Vertrauen zurück zu geben, dass Du sein Problem respektierst. Das tust Du nicht, indem Du mit ihm schimpfst, sondern ihm zeigst, dass Du die Situation für ihn regelst. Dabei würde ich mich vom Gedanken lösen, dass es sich bei Deinem Hund um einen 'harmlosen' Labrador handelt, der freundlich sein 'muss'. Auch Hunde sind Individuen, denen oft keiner ihren Rassestandard vorgelesen hat. Rassestandards sind von Menschen geschaffene, ideale Konstrukte - mit dem Wesen eines echten, lebendigen Hundes haben sie oft nur wenig zu tun.
Erste Massnahme bei leinenaggressiven Hunden ist ein 'Lass uns weggehen' Signal, mit dem Du die Distanz vergrösserst. So einfach es klingen mag, es fällt vielen Hundebesitzern furchtbar schwer, einfach weg zu gehen. Dein Hund schreit nach Abstand: gönn ihn ihm. Das ist der erste Schritt, dass Dein Hund Dir wieder vertrauen lernt und merkt, dass Du sein Problem wahrnimmst und vor allem auch lösen kannst.
Weiterhin sind Übungen wie 'berühr meine Hand', 'schau mir in die Augen Kleiner,' 'folge dem Keks' und 'finde die Kekse auf dem Boden' sehr hilfreich, wenn man den Hund kurzfristig von einem Reiz ablenken muss. Das sind aber alles Tricks, die man langsam aufbauen muss und nicht auf Anhieb funktionieren werden. Was auch immer Du übst, bau es zuerst in der Wohnung und dann erst draussen auf. Wenn der Hund die Übung in wenig ablenkender Umgebung kann, darfst Du beginnen, die Anforderungen zu steigern. Und: das sind alles Notmassnahmen, die mit eigentlichem Training nichts zu tun haben. Daran würde ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht denken. Im Moment geht es darum, das Feuer zu löschen. Den Feuermelder und restlichen Brandschutz installierst Du erst, nachdem Du das jetzt lodernde Feuer gelöscht hast.
Manchen Hunden hilft es, wenn sie sitzen bleiben und den fremden Hund vorbeigehen sehen können. Andere finden es einfacher, in Bewegung zu bleiben. Das musst Du ausprobieren. Vermeide es, frontal auf andere Hunde zuzugehen und lauf Bögen.
Was ich nicht machen würde, ist den Hund zusätzlich mit Begegnungen zu stressen. Ich würde mich auch nicht darauf versteifen, dem Hund beibrigen zu wollen, dass andere Hunde toll sind, selbst wenn er an der Leine ist. Der Schlüssel ist, dass er lernt, sie zu ignorieren und dass er merkt, dass sie ihm nichts tun. Noch besser ist es, wenn Du Deinem Hund zeigen kannst, dass er durch sein eigenes Verhalten (ich ignoriere andere Hunde einfach) dasjenige der fremden Hunde beeinflussen kann.
Vielleicht wäre auch Grisha Stewart's BAT Training etwas für Euch. Social Walks würde ich persönlich meiden wie der Teufel das Weihwasser.