Kann es sein, dass manche Neuhundebesitzer nur an Welpenblues leiden wenn nicht alles nach Lehrbuch läuft und sie evtl. mit diesem Welpen überfordert sind weil er sich nicht so verhält wie ursprünglich gedacht?
Oder gibt es auch Neuhundebesitzer die Welpenblues haben obwohl der Welpe total brav und unkompliziert ist?
Aber in welchem Lehrbuch steht denn:
Welpen werden dich nicht einschränken in deinem Leben, es wird sich gar nichts ändern, außer dass du ein süßes Welpenkind an der Leine hast. Sie werden sofort auf dich hören und innerhalb von wenigen Tagen Stubenrein. Sie kuscheln gerne und viel, sie zerstören nichts und werden für die Aufmerksamkeit ihrer neuen Halter ewig dankbar sein. Alles ist rosa vor Liebe und Freude.
In jedem Welpenratgeber, online oder auf Papier, steht, dass Welpen anstrengend sind, dass sie langsam lernen und erst vieles, vieles kennelernen müssen und auch, dass ein Welpe Zeit, Geld und Freiheit kostet. Insofern laufen doch wirklich die aller-meisten Welpen nach Plan.
Die meisten Welpen laufen nach lehrbuch, allerdings nicht in der verkürzten Version:
Kaufen. Seelenverbindung. Ewiges Glück.
Das meine ich mit selektiver und unreflektierter Informationsbeschaffung. Ob das an den ersten Hund gekoppelt ist, kann ich nicht sagen. Und ich weiß zumindest aus eigener Erfahrung, dass auch der erste eigene Hund, der sich anormal entwickelt (krankheitsbedingt), nicht zu einem Welpenblues führen muss.
Mit Sicherheit ist das aber eine Sache der Persönlichkeit und des persönlichen Umfeldes - und natürlich des Welpen selbst.
Menschen, die dazu neigen, anderen die Schuld zuzuschieben, kenne ich nicht als anfällig für Gemütszustände wie den Welpenblues. Solche Sachen erlebe ich vor allem bei Menschen, die zu Selbstzweifeln neigen, die sich selbst verantwortlich fühlen für Dinge, auf die sie gar keinen Einfluss haben.
Ich lehne mich nun weit aus dem Fenster und ich weiß, dass ich extrem vereinfachte und verallgemeinerte Aussagen tätige (die ganz sicher nicht auf alle Personen zutreffen, aber meinen Gedankengang vereinfacht und in die Extreme geschrieben widergeben), aber:
Es ist deutlich schicker zu sagen, dass man perfektionistisch und extrem selbstkritisch ist, als festzuhalten, dass man die eigenen Erwartungen unreflektiert an ideellen Werten anderer festmacht, ohne die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten realistisch einzuschätzen.
Selbstzweifel sind netter zu lesen, als die Unfähigkeit eine Situation einzuschätzen oder - noch besser - sich für eine Handlungsweise zu entscheiden und die Geduld und die Frustrationstoleranz aufzubringen, um den Erfolg einer Trainingsmethode oder einer Entscheidung abzuwarten. Und zu ihr (der Entscheidung) zu stehen, auch wenn die Nachbarn, die Familie, de Freunde, das Dogforum, Facebook, ... die Anderen nicht direkt jubeln oder bestätigend nicken.
Wenn ich mir etwas gut überlegt habe und mich aus vollem Herzen (und voller Überzeugung) für einen Welpen entscheide, dann kann ich doch nicht in Selbstzweifeln versinken, wenn der Furzknoten nicht innerhalb von sieben Tagen durchschläft, noch in die Wohnung pinkelt oder die Stuhlbeine weiter annagt. Oder schlimmer: Nicht aus dem Nichts heraus seinen neuen Halter mit bedingungsloser Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet.
Woher kommt diese (scheinbar unbewusste?) Erwartung, das bei einem selbst alles nach einem idealisierten, utopischen Plan läuft?
Und wenn sich dann heraus stellt, dass meine eigene Entscheidung unreflektiert war, dann liegt die Schwierigkeit viel zu schnell bei jemand anderem, gerne: Die Gesellschaft oder das anonyme "man". Dieser "man" mag keine bellenden, laufenden, haarigen, großen, kleinen, schwarzen, weißen, kinderlieben, artgenossenaggressiven , ... Hunde. Man weiß das. Man macht dies. Man erwartet jenes. "Man" beeinflusste angeblich die eigenen Entscheidungen. Und "man" ist dann auch gleich ursächlich (also gemeinhin schuldig) für das eigene Handeln.
Dabei ist das eigene Handeln - hier nur auf den Hund und die Anschaffung des Welpen bezogen - doch voll und ganz das Ergebnis eigener Entscheidungen (und nur der eigenen).
Der Entscheidung für bestimmte Informationsquellen. Die Entscheidung für die Art und Weise mit den Informationen umzugehen. Die Entscheidung für die Beschaffungsquelle des Hundes, für den Zeitpunkt, für die Rasse, für jede einzelne, kleine und große Handlung. Vor allem für die Entscheidung die eigenen Wünsche, die eigenen Vorstellungen, aber auch die eigenen Fähigkeiten (zum Beispiel mit Frust und Einschränkung umzugehen) und Möglichkeiten ehrlich oder nicht zu reflektieren.
Ich wage zu behaupten, dass ganz selten der Welpe ursächlich für eine tatsächlich auffällige Abweichung der Norm (seiner Art, seiner Rasse, seiner Herkunft ...) ist.
Aber vielleicht bin ich auch zu kritisch mit den Möglichkeiten vieler Menschen und ihnen ist es einfach bisher im Leben noch nicht gegeben worden, die eigene Frustrationstoleranz, Kompromissbereitschaft und die eigenen Fähigkeiten in punkto Problembewältigung (Abweichung von idealisierten Traumbildern) kennenzulernen oder einzuschätzen. Vielleicht liegt einfach in dieser mangelhaften Erfahrung der Grund für die plötzliche Überforderung mit den eigenen Entscheidungen (der Hundeanschaffung, die ein Hobby und für niemanden ein Zwang ist, also freiwillig getätigt wird).
(Und diese mangelnde Erfahrung mache ich auf gar keinen Fall am Alter fest, genauso wenig die Fähigkeit zu reflektiertem, achtsamen Verhalten.)