Zitat
Wenn mein Hund in übersichtlichem Gelände perfekt folgt, dann wird er das irgendwann auch in der Stadt an der vielbefahrenen Straße tun, rein aus Routine und weil er mir vertraut
Meinst du wirklich?
Nehmen wir einen total souveränen „Leithund“, der immer die Ruhe weg hat, respektiert wird von den anderen Rudelmitgliedern, an dem sich bei Gefahr orientiert wird und dessen „Brüller“ grundsätzlich ernst genommen werden. Dieser Hund streunt nun mit ein paar seiner „Untergebenen“ durch den Ort. Er verlässt das Grundstück, zwei Jungspunde stürmen vorneweg, da steht er drüber, sollen sie doch. Ein fremder Hund taucht auf, ein Hund startet ein verbellen, 2 weitere machen mit, Leithund überlegt kurz, aber ist grad nicht in Stimmung, sich zu präsentieren, also trabt er cool weiter die Straße runter. Die anderen Hunde merken das, wollen den Anschluss nicht völlig verlieren und rennen ihm irgendwann hinterher. Einer der Hunde sieht ein Katze auf der anderen Straßenseite, hechtet los, ein Auto kommt quietschend zum stehen. Leithund guckt missbilligend, mag das quietschen nicht. Eine Markise flattert im Wind, einer der Hunde erschreckt sich, aber ein Blick zum Leithund zeigt, kein Grund zur Aufregung. Ein anderer Hund findet ein Stück Semmel und schlingt es schnell runter. Irgendwann Pause auf einer Wiese. Leithund liegt und döst. 2 Jungspunde toben um ihn rum, er lässt kurz einen Brüller los, will seine Ruhe haben. Jungspunde verziehen sich kleinlaut. Einer der anderen Hunde verschwindet erst mal, einer Kaninchenspur hinterher…
Es reicht völlig, von seinem Hund als souveräner Rudelführer respektiert zu werden, damit er „umwelttauglich“ ist und immer aufs erste Kommando hört? Lesen Hunde ihren hündischen Rudelführern jeden Wunsch von den Augen ab? Weichen nicht von seiner Seite? Halten grundsätzlich Rücksprache, bevor sie etwas tun? Sie erweisen ihm Respekt, geben sich Mühe, ihm nicht auf den Wecker zu fallen, beobachten, wie er sich in kritischen Situationen verhält. Ich denke, sonst sind sie eher mit Futtersuche, Revier-Erkundung, jagen, Rangordnungsplänkeleien untereinander, vertreiben Rudelfremder, Ressourcensicherung oder als Junghund schlicht mit spielen beschäftigen. Und den BigBoss stört das nicht. Hunde schauen, was ist sie für sie drin, was lohnt sich gerade, Motivatoren für ein Handeln gibt es viele, nicht nur die, den Chef nicht verärgern zu wollen.
Klar, wenn es eine Situation ist, in der der Hund Stress hat, in der ihm souveräne Führung Sicherheit vermitteln kann, dann braucht und will der Hund in dem Moment genau das: souveräne Führung. Aber in den meisten Alltagssituationen geht es dem Hund nicht darum. Da geht es ihm z.B. ums hetzen, ums fressen, ums schnüffeln, sich zu präsentieren, Ressourcen zu verteidigen oder mit anderen Hunden/Menschen zu spielen. Da frage ich mich, warum nutzt man das nicht? Warum zeigt man dem Hund nicht, du bekommst diese Dinge, wenn du mit mir zusammen arbeitest. Warum sollte man auf diese Motivatoren verzichten?
Natürlich, ein Leithund bespaßt nicht, der setzt Grenzen und die stellt niemand in Frage. Zumindest so lange Chef hinguckt… Da kann man als Mensch denn sagen: wann immer der Hund sich nicht in meinem Sinne verhält, bekommt er halt ein entsprechendes negatives Feedback. Hunde gehen ja auch nicht zimperlich miteinander um. Aber Hunde untereinander lassen sich sehr viel Freiraum, sich die meisten anderen Bedürfnisse, die ein Hund so hat, ohne Einwirkung des Chefs zu erfüllen.
Für mein Empfinden, lässt sich auch sehr viel von dem, was so als „der Hund sieht mich als souveränen Rudelführer und hört deshalb“ verkauft wird, auf die Tatsache zurück führen, dass der Hund a) weiß, dass er mit Ungehorsam eh nicht durch kommt (Absicherung, sofortige Konsequenz) und es b) negative Folgen für ihn hat, wenn er nicht hört. Das lässt sich für mich auch nicht schön reden. Ich sage Platz, der Hund ist aber gerade so schön an einem Grashalm am schnüffeln. Dann wägt er ab: komme ich damit durch, erst noch zu Ende zu schnüffeln? Was sind die jeweiligen Konsequenzen? Ich persönlich würde da immer den Weg vorziehen: a) du kommst damit nicht durch und b) es hat positive Konsequenzen, wenn du hörst. Und positive Konsequenzen dürfen für mich auch mehr sein, als dem Hund durch ein freundliches Wort zu vermitteln, dass ich ihm grad wohl gesonnen bin/er keinen Ärger bekommt.
In dem Zusammenhang stellt sich mir auch die Frage, wie freudig kann Grundgehorsam werden, wenn der Hund „nur“ mit freundlicher Stimme gelobt wird?
Wenn ich den Unterschied bei Grisu (kaum verfressen, will es aber recht machen) und bei Lucy (total verfressen, wenig will to please) sehe: angenommen wir gehen spazieren und ich sage aus heiterem Himmel Platz. Lucy im Normalfall: hey klasse, eine Gelegenheit Futter zu erwerben, werf hin. Grisu: ok, muss jetzt wohl so sein, wenn du das sagst, leg hin, gut so? Lucy macht es in der Hoffnung auf Futter, trotzdem sehr zuverlässig und vor allem freudig. Grisu macht schon letztlich „für mich“, weil ich es sage und er nicht dazu neigt, mich in Frage zu stellen. Dennoch sehe ich Lucys Reaktion lieber (ist vielleicht zu menschlich gedacht?).
Vergibt man sich wirklich automatisch so viel beim Hund, wenn man mit Futter bestätigt? Oder z.B. mit Spielzeug oder Umweltbelohnungen, statt in erster Linie Grenzen zu setzen? Führt das automatisch dazu, weniger ernst genommen zu werden?