Beiträge von Estandia

    A. K. Blakemore – The Manningtree Witches


    Ein historischer Roman, der sich mit den Hexenprozessen im England des 17. Jahrhunderts beschäftigt und die Geschichte der Frauen von Manningtree, einer kleinen Stadt in Essex, die der Hexerei beschuldigt werden, erzählt.

    Protagonistin und Erzählerin ist Rebecca West, 19jährig, die allein mit ihrer Mutter lebt und bald ins Visier der Hexenjäger gerät. Die Ankunft von Matthew Hopkins, dem selbsternannten "Hexenfinder General", bringt eine Welle des Terrors und des Misstrauens in die kleine Gemeinde. Rebecca und andere Frauen sollen mit dem Teufel im Bunde stehen und werden jede nach der anderen aus ihren Betten und Häusern gezerrt, verhört, gefoltert und später der Prozess gemacht.


    Die Geschichte basiert auf realen Ereignissen und Personen, nutzt aber natürlich literarische Freiheiten, um eine, wie ich fand, fesselnde und tiefgründige Geschichte zu erzählen, atmosphärisch sehr dicht und eindrucksvoll. Aber absoluter Slow burn und die größte Stärke lag mMn in den rar gesäten Dialogen. Themen des Buches sind Hexenverfolgung und Aberglaube, Gottesfürchtigkeit, Patriarchat und Geschlechterrollen, Macht und dessen Missbrauch, Gemeinschaft, Misstrauen und die allzu große Bereitschaft, Sündenböcke zu finden.

    Ich habe Sitz, Platz, Bleib (u.ä.) auch so trainiert, dass die Signale so lange gelten, bis ich sie auflöse. Ich hab nur das "Sitz" gebraucht, der Hund bleibt ja sitzen.

    "Bleib" hieß bei uns, verbleibe an Ort und Stelle, ob du sitzt oder liegst ist mir egal. "Zu bleiben" bedeutete bei uns auch, dass der Hund sich (deutlich) länger irgendwo aufhalten würde, Sitz und Platz waren bei uns Positionen, die von mir zeitlich wesentlich kürzer abverlangt wurden.

    Sue Rainsford – Follow Me To Ground


    Ada und ihr Vater leben unweit eines Dorfes in einer unbestimmten, surrealen Welt. Dorfbewohner kommen hin und wieder vorbei, um ihre Krankheiten und Leiden von Ada und ihrem Vater heilen zu lassen. Die beiden sind nicht menschlich, sie wurden nicht geboren, sondern gemacht. Und gerade Ada ist das Ergebnis einer langen Reihe von Versuchen ihres Vaters, sich eine Tochter und Helferin aus dem magischen, nährstoffreichen Boden des Gartens hinterm Haus zu formen. Doch Ada, so unmenschlich wie ihr Vater, beginnt Gefühle für einen kranken Jungen zu entwickeln, der nicht geheilt werden kann ...


    Belletristik trifft (Body)Horror trifft Magical Realism. Die Geschichte ist nicht-linear aufgebaut, mit einer Mischung aus erzählender Prosa und fragmentarischen Abschnitten, die sich mit Adas Gedanken, Erinnerungen und der Folklore der Welt befassen. Die Erzählung wechselt zwischen Adas Perspektive und den Stimmen einiger Dorfbewohner, was zur mystischen Komplexität und Unheimlichkeit der Welt beiträgt.

    Die vordergründigen Themen des Buches sind Heilung und Verwandlung, physisch wie metaphorisch, Identität, Selbstfindung, das Anderssein und schließlich die Entdeckung und Bewältigung von Sehnsüchten und Gefühlen.


    Thematisch aber nicht stilistisch hat mich "Follow me to ground" sehr an Aliya Whiteley's "From the neck up" und Matt Hill's "Lamb" erinnert. Ich fand's saugut und war angenehm überrascht! In diesem Zuge werde ich mir Rachel Yoder's "Nightbitch", Han Kang's "The Vegetarian" und Carmen Maria Machado's "Her Body and Other Parties" mal auf die Wunschliste setzen, die sollen sehr ähnlich sein.

    Alex Michaelides – The Maidens / Die verschwundenen Studentinnen


    Mariana Andros ist Gruppenpsychologin und noch in tiefer Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Mann Sebastian. Da ruft ihre Nichte Zoe aus Cambridge an, aufgelöst und in Schock, denn ihre beste Freundin ist auf dem Campus ermordet worden. Mariana eilt ihrer einzigen Verwandten zu Hilfe und findet sich an ihrer einstigen Universität und all ihrer Erinnerungen wieder. Ebenso gerät sie in ein komplexes Netz aus Lügen, Intrigen, Mord und Misstrauen und schon bald geschieht ein neuer Mord ...


    Ein sehr interessantes Buch, die Narrative spielt mit dem Leser, genau wie mit Mariana selbst. Mariana ist ein unglaublich komplexer Charakter, mit Schwächen und Obsessionen, getrieben von einem starken Sinn für Gerechtigkeit aber nicht vor Fehlern und impulsiven Aktionen gefeit. Ihre Arbeit als Psychologin und der Umgang mit ihren Patienten ist sehr aufschlussreich und gibt Einblicke in ihre Psyche. Ihre Gefühlswelt ist glaubhaft und als Leser fängt man ebenso an, allem und jedem zu misstrauen. Mich hat die Raterei wer der Mörder wirklich ist, plus die ganzen Sachen, die nebenher noch irgendwie liefen, gut bei Laune gehalten. Das Element der griechischen Mythologie war jetzt nicht so meins, da hätten mich ein paar mehr Seiten über den Maidens-Geheimbund und dessen Dynamik interessiert.

    Colin Walsh – Kala


    Im November 2003 verschwindet die 15jährige Katherine "Kala" Lanann spurlos aus ihrer kleinen Heimatstadt Kinlough an der irischen Westküste. Ihr Verschwinden reißt ein großes Loch in ihre enge Freundesgruppe. Einst zu sechst, treffen sich in 2018 drei der sich mittlerweile entfremdeten ehemaligen Freunde wieder. Da ist Helen, die für die Heirat ihrer Mutter einige Tage nach Kinlough zurückkehrt, Joe, weltbekannter Musiker, ist in der Festivalwoche für einige Gigs in der Stadt und dann noch Mush, der Kinlough nie verlassen hat und im Café seiner Mutter hilft. Als die drei sich, durch den großen gemeinsamen Verlust verbunden, wieder annähern, werden menschliche Überreste in den nahen Wäldern gefunden. Besonders Helen setzt nun alles daran, herauszufinden was mit Kala wirklich geschehen ist und fängt an, unangenehme Fragen zu stellen...


    Das Buch ist aus den Perspektiven der drei Hauptcharaktere erzählt und in den jeweiligen Charakterkapiteln gibt es häufig zwei Zeitleisten, einmal das Jetzt und dann häufig nahtlose Erinnerungen aus 2003. Die Kapitel bauen aufeinander auf, die eigentliche Geschichte im Jetzt umfasst nur 5 Tage, beginnt an einem Freitag und endet mit Dienstag, man ist nah bei den Charakteren, erfährt z. B. etwas aus Joe's Perspektive, der mit Helen unterwegs ist und im nächsten Kapitel erzählt Helen weiter, wie die Dinge sich mit Joe entwickeln. Das alles passiert sehr flüssig und kreiert einen interessanten Spannungsbogen.


    Ich fand die Ausarbeitung der Charaktere besonders gut, die sechs Freunde waren glaubhaft, auch die Dynamik in solchen Gruppen in dem Teenageralter, ebenso die unsympathischen Charaktere, ich wusste gleich wen ich nicht mochte :denker: Für Krimi-Leser ist das Buch sicher kein großer neuer Wurf, so ein paar Dinge kann man sich relativ früh schon denken, aber dennoch fragt man sich, wie alles zusammenhängt. Ich fand es sehr spannend und unterhaltsam.


    Es gibt einige Content-Warnings für dieses Buch, dessen sollte man sich durchaus bewusst sein. Gerade wenn man mit Tierquälerei (speziell Hunde) ein Problem hat.

    Alex Hyde – Violets


    Die Geschichte zweier Frauen mit dem Namen Violet in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges. Die Eine ihren Mann verabschiedend zum Einberufungsbefehl, die andere sich freiwillig meldend, um in der Frauenhilfsluftwaffe des Vereinigten Königreichs zu dienen. Beide Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein, doch die Entscheidungen und Entbehrungen der Frauen im Angesicht des Krieges lassen sie sich immer weiter annähern.


    Eine wunderschöne poetische, traurige und doch oft unbeschwerte Geschichte über die Frauen des Krieges und der Zeit. Die Stigmata der unehelichen Kinder von Soldaten und Frauen ohne Männer. Der Roman erforscht Themen wie Widerstandsfähigkeit, gesellschaftliche Erwartungen und die gemeinsamen Kämpfe von Frauen in schwierigen Situationen. Durch die doppelte Erzählperspektive ergibt sich eine interessante Narrative im Hinblick auf Stärke, Solidarität und Durchhaltevermögen der Frauen in einer der schwierigsten Zeiten der Geschichte. Das Ende ist sehr rührend und hoffnungsvoll.

    Jess Kidd – The Hoarder / Heilige und andere Tote


    "Bridlemere – ein herrschaftliches Anwesen im Westen Londons, das seine besten Tage bereits gesehen hat. Hier haust mutterseelenallein Cathal Flood. Einst Antiquitäten- und Kuriositätenhändler, ist er längst zu einem Messie verkommen. Sein Sohn hofft, ihn auf Dauer in ein Altenheim verfrachten zu können. Die Neueste in der endlosen Reihe erfolgloser und unterbezahlter Sozialarbeiter, die Cathal nun zur Räson bringen soll, ist Maud Drennan. Unter den wüsten Beschimpfungen des Alten zieht sie beherzt gegen Dreck und Müll zu Felde. Doch trotz aller Unerschrockenheit ist ihr Bridlemere unheimlich. Überall im Haus scheinen verschlüsselte Botschaften zu warten. Wie das Foto von zwei Kindern, auf dem das Gesicht des Mädchens weggebrannt ist. Hat Flood eine Tochter? Wieso weiß niemand von ihr? Und warum hasst er seinen Sohn so sehr? Auch der Tod seiner Frau gibt Fragen über Fragen auf. Maud würde am liebsten alle bedrückenden Hinweise ignorieren. Doch ihre leicht bizarre Vermieterin Renata, die für ihr Leben gern Detektivin spielt, und eine Horde marodierender Heiliger, die nur Maud sehen kann, wittern längst ein Verbrechen."


    Herrliche und urkomische Magical Realism Mystery, fantastische Charaktere, wunderbare Trans-Rep und eine komplexe, dunkle, sich langsam aufschlüsselnde, Krimigeschichte mit einigen Twists. Ich hab es sehr genossen, ich mag die irische Literatur und ihre fluchenden Charaktere halt sehr :D Ich glaube ich habe in Jess Kidd eine neue Lieblingsautorin gefunden.