Beiträge von Estandia

    Taylor Adams – No Exit


    Studentin Darby Thorne erfährt einen Tag vor Weihnachten, dass bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert wurde und sie aktuell im Krankenhaus behandelt wird. Darby hatte kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter, aber sie weiß was die Diagnose bedeutet und so hastet sie übereilt und unvorbereitet kurz nach 17 Uhr zu ihrem Wagen, um den langen und beschwerlichen Weg nach Utah auf sich zu nehmen, inmitten eines schon länger andauernden Schneesturms.


    Darby's kleines Auto hält den Wetterbedingungen jedoch nicht lange stand und so muss sie Unterschlupf in einer Raststätte suchen, bis die Räumfahrzeuge am nächsten morgen gegen 6 Uhr die Straßen kehren werden. In der amerikanischen Einöde gibt es an der Fernstraße nur diese eine Raststätte, auf dem Parkplatz nur drei andere eingeschneite Fahrzeuge. Im Gebäude selbst harren vier Reisende aus und vertreiben sich die Zeit mit schlechtem Kaffee, Kartenspielen und Geschichten erzählen. Als Darby zwischendurch auf dem Parkplatz versucht ein Handysignal zu bekommen, um ihre Schwester zu erreichen, bemerkt sie in einem der Autos etwas aus ihrem Augenwinkel.


    Darby kehrt in die Raststätte zurück und ist sich sicher, einer dieser vier fremden Menschen hält in seinem Wagen ein kleines geknebeltes Mädchen in einer Hundebox gefangen. Nur wer?


    Dieser, in einem sehr sportlichen Tempo daherkommende, (Psycho)Thriller beginnt mit einem recht üblichen Setup: Junges Mädchen, allein, Schneesturm, Wagen bleibt liegen, Handy kein Signal, nur noch wenige Prozent Batterie, eine einzige Raststätte weit und breit als Zufluchtsort. Soviel wird allein im ersten Kapitel klar. Alles danach ist allerdings ein wilder Ritt an schlauen Enthüllungen und Cliffhängern. Das gesamte Geschehen spielt sich in und um die Raststätte ab, drinnen ist es klaustrophobisch und draußen bitterkalt. Die Charaktere sind durchweg gut ausgearbeitet, interessant und glaubwürdig, der Spannungsboden fortwährend auf einem hohen Niveau. Ein, zwei Dinge traten ein, die ich vermutet hatte, aber anders als erwartet. Das Buch ist ja schon verfilmt worden, evtl. schau ich mir das mal an.

    Hester Musson – The Beholders


    Juni 1878, England. Aus der Themse wird der leblose Körper eines nur wenige Monate alten kleinen Jungen gezogen. Es ist der Sohn des allseits bekannten und hoch geschätzten Parlamentsabgeordneten Ralph Gethin. Der Fall macht Schlagzeilen.


    Vier Monate zuvor beginnt Hausmädchen Harriet Watson ihre Stelle in Finton Hall, dem Gethin-Haushalt. Sie ist fasziniert von dem Landsitz und seinen seltsamen Besitztümern, mehr aber noch ist sie von ihrer Hausherrin Clara Gethin eingenommen, die manchmal ihre wunderschöne Singstimme im Haus ertönen lässt. Clara ist, laut allen anderen Angestellten, aber unberechenbar und übellaunig, kümmert sich weder um ihren Mann noch den kleinen Sohn, verabscheut diesen gar zutiefst. Harriet hat schwer zu kämpfen in dem Haushalt, in dem die Angestellten sie meiden und mobben und offenbar auch Clara nicht passende Angestellte einfach aus dem Haus und auf die Straße wirft.


    Doch irgendwie passen die Erzählungen und Beobachtungen für Harriet nicht so recht zusammen. Sie erlebt Clara anders, vor allem aber Ralph Gethin. Und eines Nachts geschehen Dinge, die Harriet ganz schnell aus dem Haus und auf die Straße treiben...


    Erzählt in Form von Harriets Tagebucheinträgen und einigen Briefen wie Zeitungsartikeln, wohnt man hier den täglichen Aufgaben eines Hausmädchens bei, die keinen leichten Stand bei den Hausangestellten hat. Vor allem durch die Briefe der Mutter wird deutlich, welche gesellschaftlichen Zwänge außerdem auf Harriet als 18/19-jährige Frau lasten. Man weiß von Seite 1 an, dass Clara's Sohn tot aufgefunden wird und man versucht zu verstehen, wie was warum, je näher Harriets Tagebucheinträge diesem Datum kommen. Am Ende ist alles ganz anders als vermutet und man erkennt nach und nach die Verquickungen und auch die Folgen für alle Beteiligten. Das Buch schneidet ein paar sehr dunkle Themen an, da ist der Mikrokosmos "Herrenhaus-Haushalt" mit seinen sozialen Hierarchien noch das kleinste Problem. Insgesamt eine spannende aber schaurige Erzählung über Macht und Lust und Zerstörung und die Leichen, über die man geht und Opfer, die man bringt, um am Ende des Tages noch in den Spiegel schauen zu können.

    Kevin Wilson – Hier gibt's nix zu sehen / Nothing to see here


    "Lillian und Madison waren ungleiche und doch unzertrennliche Freundinnen im Elite-Internat Iron Mountain – bis Lillian nach einem Skandal unerwartet die Schule verlassen musste. Seitdem haben sie kaum voneinander gehört. Doch jetzt braucht Madison Hilfe: Ihre Zwillingsstiefkinder sollen bei der Familie einziehen, und Madison möchte, dass Lillian sich um die beiden kümmert. Der Haken: Die Kinder gehen spontan in Flammen auf, wenn sie aufgeregt sind. Im Laufe eines schwülen, anstrengenden Sommers lernen Lillian und die Zwillinge, einander zu vertrauen – und cool zu bleiben. Überrascht von den eigenen intensiven Gefühlen und ihrem erwachenden Beschützerinstinkt bemerkt Lillian, dass sie die seltsamen Kinder genauso dringend braucht, wie diese sie brauchen."


    Das Buch wird beschrieben als "mit scharfzüngigem Witz, viel Herz und bestechender Zartheit erzählt Kevin Wilson eine höchst ungewöhnliche Geschichte über elterliche Liebe und Kinder mit bemerkenswerten Fähigkeiten", dem ich nur teilweise zustimmen kann. Die Sprache, das mag evtl. auch an der deutschen Übersetzung liegen, klingt wirklich seeehr nach Jugendliteratur, obwohl die Protagonistin Anfang 30 ist. Der "Witz" findet sich eher in der Wahl von, meist unpassend übertriebenen, rauen Worten, das "viel Herz" beschränkt sich auf die wenigen Sätze, die das Wort Liebe im Kontext der Kinder enthalten. Im Großen und ganzen bleibt das Buch oberflächlich mit einigen ausgesuchten, vom Ton her wesentlich düsteren, aber nicht weiter ausgearbeiteten, Themen. Lillian ist ein interessanter, skurriler, oft wütender Charakter, aber sehr verzeihend gegenüber den Ungerechtigkeiten, die ihr zustoßen und mMn demnach etwas unglaubwürdig, was wohl unterstreichen soll, dass sie ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden hat. Dennoch werden ihr zwei 10-jährige aufgehalst, die einen schweren Start hatten und alle finden das gut, weil jemand anderes die Verantwortung übernimmt, jemand der dem aber noch nicht gewachsen ist.

    Evie Wyld – The Bass Rock / Die Frauen


    "Der Bass Rock wirft seit Jahrhunderten einen Schatten auf North Berwick und seine Bewohner. Neu unter ihnen: Ruth Hamilton, die in den Jahren nach dem Krieg mit ihrem Mann und zwei Stiefsöhnen in ein zugiges Haus am Meer zieht. Ruth ist zum ersten Mal schwanger und zusehends allein: die Kinder im Internat, der Mann über Wochen in seiner Londoner Kanzlei. Als Großstädterin hadert sie mit der Abgeschiedenheit und auch mit den sonderbaren Gebräuchen der einheimischen Gesellschaft. Ein Strandpicknick mitten im Winter? Die Frauen eigenartig kostümiert? Ruth passt sich an, ein wenig. Bis sie begreift: Das hier passiert nicht nur ihr. Es ist ein altes Spiel. Sie soll es nicht gewinnen.

    Ein halbes Jahrhundert später, das Anwesen am Bass Rock steht zum Verkauf, kommt wieder eine Frau in den Norden. Viv hadert mit ihrem Single-Dasein, aber auch mit den Gelegenheiten, es zu beenden. Außerdem schläft sie schlecht, in jedem der Betten in dem alten Haus. Ihr ist, als würde sie heimgesucht von dunklen Geschichten. Geschichten von aufsässigen Frauen, von Frauen in Bedrängnis. Und ihre Stiefgroßmutter Ruth ist nur eine davon.

    Im Ton mal spöttisch, mal drastisch und voll wilder Wut über eine Welt, die den Männern allein gehört, ist Evie Wylds «Die Frauen» Ghost Story, Kampfschrift, Familiensaga. Ein Buch mit vielen Gesichtern."


    Der letzte Satz fasst das Ganze eigentlich ganz gut zusammen: Die Hauptthemen des Buches sind Gewalt gegen Frauen, Patriarchat und Macht, Trauma und Erinnerung, Isolation und Einsamkeit.

    Die Narrative wechselt lose zwischen Viv (in der jetzigen Zeit), Ruth (kurz nach dem 2. Weltkrieg) und dem Mädchen Sarah (~ 18. Jhd.). Jede Geschichte, jeder Charakter ist ausgereift, glaubwürdig und die Zusammenhänge komplex aber nicht überfordernd. Weiter unterfüttert wird die Geschichte mit kurzen Vignetten namenloser Frauen, die auf die eine oder andere Art Gewalt durch Männer oder Unterdrückung durch die Gesellschaft erfahren haben.

    Lisa Jewell – The Family Upstairs / Was damals geschah


    "In einem großen herrschaftlichen Haus in Londons elegantem Stadtteil Chelsea liegt ein Baby in seinem Bettchen. Das kleine Mädchen ist satt und zufrieden, es fehlt ihm an nichts. In der Küche des Hauses liegen drei verwesende Leichen. Neben ihnen eine hastig hingekritzelte Nachricht. Die drei sind seit Tagen tot. Doch wer hat sich dann um das Kind gekümmert? Und wo ist diese Person jetzt? Fünfundzwanzig Jahre später erhält eine junge Frau namens Libby einen Brief, der sie überraschend zur Erbin des Anwesens erklärt. Die Fragen von damals wurden nie beantwortet. Und schon bald nach ihrem Einzug beschleicht Libby das Gefühl, dass sie nicht allein im Haus ist ..."


    Erzählt aus drei unterschiedlichen Perspektiven entwickelt sich hier ein sehr interessanter Psychothriller, der mit mäßigem Tempo und überschaubaren Charakteren eine sehr komplexe Geschichte zeichnet. "Superspannend" wäre glaube übertrieben, aber die Geschichten der Charaktere halten gut bei Laune und ein paar Twists waren auch dabei. Das Ende war sehr zufriedenstellend, evtl. hole ich mir den zweiten Teil dazu.

    Der Hund ist natürlich immer ein Produkt seiner Genetik aber vor allem seiner Umwelt. Jedes Verhalten, dass ein Hund zeigt, wird auf irgendeine Art belohnt. Entweder intrinisch oder extrinsich. Oft ist nicht herausrechenbar wie viel der Hund bereits in seinem Leben durch die Umwelt – sprich auch den Halter – belohnt wurde, diverse Verhalten zu zeigen. Genetik macht diverse Verhalten einfach nur wahrscheinlicher, für den Halter ist es demnach schwerer sie einzuschränken, wenn sie dann aus dem Ruder laufen. Alles am Hund ist individuell, Trainingserfolge stehen und fallen aber vor allem mit dem Halter und dessen Anforderungen.


    Ich hab mal gehört, Hunde die vokalisieren, sind per se erregter als ruhige Hunde. Erregung an sich ist ja nichts schlechtes. Der Halter bestimmt, in welcher Form Vokalisierung erlaubt/erträglich ist. Schwierig wird das ganze, wenn mal so, mal so belohnt/gestraft wird...

    Wir suchen nach einer neuen Wohnung, ich bin auch schon Jahre raus aus dem Thema ...


    Nebst den gängigen Fragen des Vermieters, gab es nun auch diese "Warum wären Sie die idealen Mieter für diese Wohnung?"


    Ist das neu? Ist das sinnvoll?

    Was antworte ich da schlaues, wenn sich bereits 1.500 andere Leute auf diese Wohnung beworben haben...

    Danya Kukafka – Notes on an Execution / Notizen zu einer Hinrichtung


    "Ansel Packer soll in zwölf Stunden sterben. Er weiß, was er getan hat, und wartet nun auf die Hinrichtung, das gleiche grausame Schicksal, das er vor Jahren diesen Mädchen aufgezwungen hat. Aber Ansel will nicht sterben; er will gefeiert und verstanden werden. Er hatte gehofft, dass es nicht so enden würde, nicht für ihn. Durch ein Kaleidoskop von Frauen – eine Mutter, eine Schwester, eine Mordkommissarin – erfahren wir die Geschichte von Ansels Leben. Wir lernen seine Mutter Lavender kennen, ein siebzehnjähriges Mädchen, das zur Verzweiflung getrieben wird. Wir lernen Hazel kennen, die Zwillingsschwester von Ansels Frau, die hilflos mit ansehen muss, wie die Beziehung ihrer Schwester sie alle zu verschlingen droht. Und schließlich Saffy, die Mordkommissarin, die ihm auf den Fersen ist. Sie hat sich der Aufgabe verschrieben, böse Menschen vor Gericht zu bringen, kämpft aber damit, ihr eigenes Leben klar zu sehen. Während die Uhr heruntertickt, setzen sich diese drei Frauen mit den Entscheidungen auseinander, die in einer Tragödie gipfeln, und erforschen die Risse, die eine solche Zerstörung unweigerlich hinterlässt.


    Mit einer Mischung aus atemberaubender Spannung und erstaunlichem Einfühlungsvermögen präsentiert Notes on an Execution ein erschütterndes Porträt der Weiblichkeit, während es gleichzeitig die vertraute Geschichte des amerikanischen Serienmörders enträtselt, unser Justizsystem und unsere kulturelle Besessenheit von True Crime-Geschichten hinterfragt und die Leser auffordert, über das falsche Versprechen nachzudenken, in der Psyche von gewalttätigen Männern nach einem Sinn zu suchen."


    Eine Geschichte, ernst, ruhig, ohne Humor, aber sehr einfühlsam, nicht linear erzählt durch die drei Frauen und Ansels korrekt runterzählenden Stunden zu seiner Hinrichtung. Je näher man dem Ende kommt, desto unangenehmer werden Ansels Beschreibungen. Diesen Teil fand ich irgendwann echt bedrückend. Die Perspektiven der Frauen waren durchweg interessant, oft sehr traurig und wütend machend, aber am Ende zeigt sich, dass auch aus schlechten Dingen Hoffnung und Güte erwachsen kann. Spannend auch die Fragen, warum und wem wir in dieser Gesellschaft "Screen-Time" und Aufmerksamkeit geben und was wäre aus all den Frauen und Mädchen geworden, wäre ihnen nicht geschehen, was ihnen angetan wurde...