Beiträge von Estandia

    Sarah Easter Collins – Things don't break on their own / dt. So ist das nie passiert

    "Als Willa ein Teenager war, verschwand ihre kleine Schwester Laika spurlos. Auch über zwanzig Jahre später hat Willa die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Laika noch lebt. Hartnäckig sucht sie weiter nach ihr. Sie sehnt sich nach der Familienidylle, die mit Laika verloren zu sein scheint. Darüber vernachlässigt sie die Beziehungen zu den Menschen, die tatsächlich noch Teil ihres Lebens sind. Dann trifft sie auf einer Dinnerparty eine Frau, in der sie endlich ihre verlorene Schwester zu erkennen glaubt. Was als zwangloses Essen beginnt, wird zu einem denkwürdigen Abend, der alles verändert, was Willa von ihrem Leben zu wissen meinte."

    Ich habe ja anscheinend eine Vorliebe für Mystery Thriller über verschwundene Familienmitgieder/Personen und dieses Debut kann sich zu den ebensolchen Favoriten meines Lesejahres dazugesellen. Geschrieben aus drei Perspektiven, wird hier die sehr fein verwobene Geschichte um die Geschwister Willa und Laika Martenwood erzählt. Willa, die übrig geblieben ist, Laika, die verschwand und nie gefunden wurde. Was mit einem ungezwungenen Abendessen bei Bekannten beginnt, wird für Willa eine Achterbahnfahrt der Gefühle und Erinnerungen.

    Fantastische (liebenswerte wie unsympathische) Charaktere, spannender Handlungsbogen, interessanter nicht linearer Stil und ein mMn sehr befriedigendes Ende. Erforschte Themen: Schwesternschaft und Verlust, Erinnerung und Identität, Kintsugi und Heilung, Familiengeheimnisse und Misshandlungen, Frauenfreundschaft und Queer-Beziehungen, Häusliche Spannungen und Loyalität.

    David Grann – The Wager: A Tale of Shipwreck, Mutiny and Murder / Der Untergang der Wager: Eine wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei

    "Januar 1742. Ein windschiefes Segelboot strandet an der Küste Brasiliens, an Bord 30 Männer, die einzigen Überlebenden des königlichen Eroberungsschiffs »The Wager«, das in einem Sturm zerschellt ist. Sechs Monate später: Drei Schiffbrüchige werden in Chile an Land gespült und erklären die 30 Männer zu Meuterern, die skrupellos gemordet hätten … Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Das soll ein britisches Kriegsgericht entscheiden. Es geht um Leben oder Tod. David Grann spinnt aus dem Archivmaterial eines historischen Kriminalfalls eine packende und atmosphärisch dichte Abenteuererzählung. Schuld und Unschuld, Treue und Verrat liegen eng beieinander, und am Ende kommt eine schockierende Wahrheit zutage …"

    Geschrieben wie ein Thriller und in drei thematische Hauptteile – Reise und Wrack, Überleben und Meuterei, Rückkehr und Abrechnung – geliedert, wird man ganz nah Zeuge eines maritimen Desasters. Ich fand es spannend und schockierend. Vor allem die Zeit nach dem Schiffbruch hat mich seeeehr an "Herr der Fliegen" erinnert, nur viel schlimmer.

    Themen des Buches sind: Wahrheit und Erzählung, Macht und Autorität, Zivilisation vs. Barbarei, Imperialer Ehrgeiz und Moralische Zwiespältigkeit. Hervorheben würde ich hier auf alle Fälle Grann's Worte über das Britische Empire. Die Wager sollte (mit anderen Schiffen) Spanien schwächen, damit Großbritannien sich Territorium und Reichtum aneigenen kann. Koloniale Gewalt und Expansion waren die Haupttreiber dieser Reisen. Es war furchtbar zu lesen, wie Männer auf die wartenden Schiffe gebracht wurden, von der Straße aufgelesen, mit Gewalt aus Familien gerissen, halbe Kinder noch und alte Leute, die getragen werden mussten, damit die Schiffe genug Arbeitskräfte hatten. Und wie entbehrlich diese Menschen waren! Und zuguterletzt das Kriegsgericht als imperiales Theater.

    Kazuo Ishiguro – The Buried Giant / Der begrabene Riese

    "Britannien im 5. Jahrhundert: Nach erbitterten Kriegen zwischen den Volksstämmen der Briten und Angelsachsen ist das Land verwüstet. Axl und Beatrice sind seit vielen Jahren ein Paar. In ihrem Dorf gelten sie als Außenseiter, und man gibt ihnen deutlich zu verstehen, dass sie eine Belastung für die Gemeinschaft sind. Also verlassen sie ihre Heimat, in der Hoffnung, ihren Sohn zu finden, den sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben. Ihre Reise ist voller überraschender Begegnungen und Gefahren, und bald ahnen sie, dass in ihrem Land eine Veränderung heraufzieht, die alles aus dem Gleichgewicht bringen wird, sogar ihre Beziehung."

    Ein ruhiges, fast melancholisches Buch, um ein ältliches Paar, das sich aufmacht, um den verschollenen Sohn zu finden, an den sie sich kaum erinnern können, den ein Nebel verwäscht seit langer Zeit alle Erinnerungen. In dieser Geschichte geht um Oger, Drachen, gemeine Pixies, Ritter und große Kriege. Ein Märchen wie es im Buche steht und im Kern Axl und Beatrice, die sich auf ihrer Reise klar werden, was geschehen würde, verschwände der Nebel und die Menschen könnten sich erinnern, was geschehen ist ... Grundsätzlich mochte ich die Geschichte, man kann mehr hineininterpretieren als nötig wahrscheinlich, das Tempo ist schon recht langsam jedoch ohne langweilig zu sein. Mich hat es auch sehr an "Was vom Tage übrig blieb" erinnert.

    Erforschte Themen sind Erinnerung und Vergessen, Liebe und Sterblichkeit, Gewalt und Versöhnung, Mythos und Geschichte

    Charlotte McConaghy – Migrations / Zugvögel

    "Franny hat ihr ganzes Leben am Meer verbracht, die wilden Strömungen und gefiederten Gefährten den Menschen vorgezogen. Als die Vögel zu verschwinden beginnen, beschließt die Ornithologin den letzten Küstenseeschwalben zu folgen. Auf einem der letzten Fischerboote macht sie sich auf den Weg in die Antarktis. Schutzlos ist die junge Frau den Naturgewalten des Atlantiks ausgeliefert, allein die Vögel sind ihr Kompass. Doch wohin die Tiere sie auch führen, ihrer Vergangenheit kann Franny nicht entfliehen. Schon bald wird die Reise zu einem lebensbedrohlichen Abenteuer.

    Eine Ode an die bedrohten Geschöpfe dieser Erde. Eine Geschichte über die Wege, die wir gehen für die Menschen, die wir lieben. Und sei es bis zum äußersten Rand der Welt."

    Ein fantastisches Buch, zutiefst empathisch, die Charaktere getrieben von Angst, Melancholie und ganz viel Hoffnung. Die wenigen erwähnten Tiere schaffen es mit wenigen Worten zu Protagonisten zu werden, dann zu Mahnmalen, was Menschen der Erde angetan haben. Franny's unbändige Liebe zu ihren Mitgeschöpfen schwingt in all ihren Handlungen mit. Das einzige Manko für mich an dem Buch ist die Struktur, zuweilen springt die Narrative doch sehr hin und her. Es gibt eine aktuelle Zeitlinie, in der Franny auf dem Boot den Vögeln hinterherreist sowie nicht-lineare Rückblenden, die ich interressanter fand und gerne mehr von gehabt hätte.

    Themen dieses Buches sind: Klimakrise und Aussterben, Migration und Zugehörigkeit, Trauer und Schuld, Isolation vs. Verbindung, Erlösung und Wiedergutmachung.